Kommunale politische Beteiligung nach den §§ 24-26 GO NRW
Wir freuen uns, einen Gastbeitrag von Sebastian Nellesen veröffentlichen zu können. Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität zu Köln am Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Wissenschaftsrecht und Medienrecht (Prof. Dr. Christian von Coelln).
Nach § 11 Abs. 2 Nr. 13b) JAG NRW ist das Kommunalrecht mit Ausnahme des Kommunalwahl- und Kommunalabgabenrechts Pflichtfach der ersten Staatsprüfung. In diesem Zusammenhang müssen Examenskandidaten damit rechnen, nach den Möglichkeiten der unmittelbaren politischen Beteiligung (insbesondere von Einwohnern und Bürgern) auf kommunaler Ebene gefragt zu werden (vgl. dazu die Auswertung der Examensklausuren des Großen Kölner Examens- und Klausurenkurses https://www.klausurenkurs.uni-koeln.de/_download/Auswertung-Oe-Recht.pdf).
Die nordrhein-westfälische Gemeindeordnung sieht in den §§ 24 bis 26 Elemente unmittelbarer sachlicher Beteiligung vor, die sowohl für die schriftliche als auch mündliche Prüfung bekannt sein sollten. Prüfungstechnisch am bedeutendsten ist § 26 GO NRW.
§ 24 GO NRW Anregungen und Beschwerden
Das Recht, sich schriftlich mit Anregungen und Beschwerden an den Gemeinderat bzw. die Bezirksvertretung zu wenden, ist wohl die in der Praxis am meisten genutzte Möglichkeit der politischen Beteiligung auf kommunaler Ebene. Es ist die einfachgesetzliche Ausprägung des Petitionsrechts aus Art. 17 GG.
Gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 GO NRW steht dieses Recht jedem einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen zu. Antragsberechtigt sind auch juristische Personen des Privatrechts. Im Gegensatz zum Einwohnerantrag nach § 25 GO NRW und der Möglichkeit, ein Bürgerbegehren gemäß § 26 GO NRW einzuleiten, ist das Recht aus § 24 GO NRW nicht auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt, d.h. auch ohne den Status des Einwohners bzw. Bürgers (zu diesem siehe unten) kann ein entsprechender Antrag nach § 24 Abs. 1 GO NRW gestellt werden. Nicht einmal der vorrübergehende Aufenthalt in der jeweiligen Gemeinde oder die deutsche Staatsangehörigkeit sind erforderlich. Auch bedarf es keiner individuellen Betroffenheit.
Die Anregungen und Beschwerden müssen sich auf Angelegenheiten der Gemeinde beziehen. Dazu gehören alle Selbstverwaltungsangelegenheiten, Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung und Auftragsangelegenheiten mindestens soweit die Kontrollbefugnis des Rates reicht. Nicht erfasst sind alle Angelegenheiten, für die die Gemeinde nicht zuständig ist, wie z.B. die Außen- und Sicherheitspolitik.
Aus § 24 Abs. 1 S. 4 GO NRW folgt ein Anspruch des Antragstellers auf Bescheidung. Die jeweilige Vertretung ist also verpflichtet, sich mit der Eingabe zu befassen, eine Entscheidung zu fällen und diese dem Antragsteller mitzuteilen. Damit ist der Anspruch erfüllt.
Nach § 24 Abs. 2 GO NRW können in der Hauptsatzung der Gemeinde nähere Einzelheiten geregelt werden, die allerdings nicht von den Vorschriften der Gemeindeordnung abweichen dürfen.
§ 25 GO NRW Einwohnerantrag
Ein direktdemokratisches Mittel, das ausdrücklich nur Einwohnern zur Verfügung steht, ist der Einwohnerantrag gemäß § 25 GO NRW. Der Kreis der Antragsteller ist hier deutlich enger gefasst als beim Beschwerde- und Anregungsrecht nach § 24 GO NRW. Wer einen zulässigen Antrag stellen will, muss Einwohner gemäß § 21 Abs. 1 GO NRW sein, also in der Gemeinde wohnen.
Der Begriff des „Wohnens“ knüpft an den der Wohnung aus § 20 Bundesmeldegesetz an. Danach ist eine Wohnung jeder umschlossene Raum, der zum Wohnen oder Schlafen benutzt wird. Entscheidend ist nicht, ob es der einzige Wohnsitz oder der Hauptwohnsitz ist. Unterhält jemand mehrere Wohnungen in verschiedenen Gemeinden, ist er Einwohner jeder dieser Gemeinden.
Selbstverständlich steht die Möglichkeit, einen Einwohnerantrag zu stellen, auch Bürgern im Sinne des § 21 Abs. 2 GO NRW (jeder, der in der Gemeinde wohnt und zu den Gemeindewahlen wahlberechtigt ist) zu. Denn jeder Bürger ist Einwohner, aber nicht jeder Einwohner ist auch Bürger.
Zudem muss der Antragsteller seit mindestens drei Monaten in der Gemeinde wohnen und mindestens 14 Jahre alt sein.
Ein zulässiger Einwohnerantrag muss nach § 25 Abs. 3 GO NRW eine Mindestzahl an Unterschriften tragen, deren exakte Höhe von der Gemeindegröße und vom Status als kreisangehörige Gemeinde oder kreisfreie Stadt abhängt. § 25 Abs. 4 GO NRW stellt konkrete Anforderungen an die Form der Unterzeichnungslisten.
Nach § 25 Abs. 2 S. 1 GO NRW muss der Antrag schriftlich eingereicht werden; § 25 Abs. 2 S. 2 GO NRW verlangt, dass er ein konkretes Begehren und eine Begründung enthält. Eine kurze formale Begründung reicht bereits aus. Weder die Richtigkeit noch der Wahrheitsgehalt der Begründung sind relevant.
Es dürfen bis zu drei Vertreter der Unterzeichnenden benannt werden. Mindestens ein Vertreter ist Pflicht (§ 25 Abs. 2 S. 3 GO NRW). Werden diese Vorgaben nicht eingehalten, ist der Einwohnerantrag bereits deshalb unzulässig. Schließlich ist noch die 12-Monatsfrist aus § 25 Abs. 5 GO NRW zu beachten: Ein Antrag über eine Angelegenheit, zu der innerhalb der letzten 12 Monate bereits ein Einwohnerantrag gestellt wurde, ist unzulässig. Dennoch muss der Rat als zuständiges Gemeindeorgan gemäß § 25 Abs. 7 S. 1 GO NRW über die Unzulässigkeit des Antrags formell befinden. Der Bürgermeister ist auch bei offensichtlich unzulässigen Anträgen nicht berechtigt, an Stelle des Rates zu entscheiden.
Materiell erfordert ein zulässiger Antrag einen Gegenstand, der auf eine Ratsentscheidung im Rahmen der Verbandskompetenz der Gemeinde und der Organkompetenz des Rates zielt. Liegen diese Voraussetzungen vor, berät und entscheidet der Rat unverzüglich, spätestens innerhalb von vier Monaten nach Eingang, gemäß § 25 Abs. 7 S. 2 GO NRW über den Antrag. Die nach § 25 Abs. 2 S. 3 GO NRW benannten Vertreter sollen die Gelegenheit haben, den Antrag im Rat zu erläutern. Der Rat ist selbstverständlich frei in seiner Entscheidung. Ob er dem Antrag zustimmt oder ihn ablehnt, ist im Gegensatz zur Zulässigkeitsfrage keine rechtlich gebundene, sondern eine rein politische Entscheidung.
§ 25 Abs. 8 GO NRW erweitert den Anwendungsbereich des Einwohnerantrags. Ein solcher kann unter den dort näher geregelten Voraussetzungen auch an die Bezirksvertretung gerichtet werden.
§ 26 GO NRW Bürgerbegehren und Bürgerentscheid
Deutlich umfangreichere Regelungen als zu § 24 und § 25 GO NRW enthält die Gemeindeordnung für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in § 26 GO NRW. Gerade weil die Norm auf den ersten Blick etwas unübersichtlich wirkt, ist es zu empfehlen, sich die Strukturen vor einer Prüfung zu verdeutlichen. Bürgerbegehren und Bürgerentscheid verkörpern das zweistufige direktdemokratische Entscheidungsverfahren auf Gemeindeebene. Nach der Legaldefinition des § 26 Abs. 1 S. 1 GO NRW stellt das Bürgerbegehren den Antrag der Bürger dar, über eine Angelegenheit der Gemeinde selbst zu entscheiden. Die eigentliche Sachentscheidung nennt sich dann Bürgerentscheid. Zwischen diesen beiden Instrumenten ist zwingend zu trennen: Das Bürgerbegehren ist der Antrag auf Durchführung eines Bürgerentscheids.
Neben den Bürgern ist aber auch der Rat berechtigt, mit einer Zweidrittelmehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl zu beschließen, einen Bürgerentscheid durchzuführen, der dann programmatisch als Ratsbürgerentscheid bezeichnet wird. Für diesen gelten im Wesentlichen die gleichen rechtlichen Vorschriften, was § 26 Abs. 1 S. 3 GO NRW bestimmt. Ein vorausgehendes Bürgerbegehren entfällt in diesem Fall.
Das Bürgerbegehren:
Das Bürgerbegehren (= der Antrag auf Durchführung eines Bürgerentscheids, s.o.) muss gemäß § 26 Abs. 2 S. 1 GO NRW schriftlich und begründet eingereicht werden sowie die zur Entscheidung zu bringende Frage enthalten. Genauso wie beim Einwohnerantrag muss nach § 26 Abs. 2 S. 2 GO NRW mindestens ein Vertreter benannt werden. Maximal dürfen es auch hier drei sein.
Gegenstand eines Bürgerbegehrens kann gemäß § 26 Abs. 3 GO NRW auch eine bereits getroffene Entscheidung des Rates sein (sog. kassatorische Bürgerbegehren). In diesem Fall ist das Bürgerbegehren fristgebunden (innerhalb von sechs Wochen nach Bekanntmachung des Beschlusses des Rates bzw. innerhalb von drei Monaten nach dem Sitzungstag bei Beschlüssen, die nicht der Bekanntmachung bedürfen, vgl. § 26 Abs. 3 GO NRW). Andernfalls, bei initiierenden Bürgerbegehren, besteht keine Fristbindung.
§ 26 Abs. 4 GO NRW regelt die Frage, wie viele Bürger das Begehren unterzeichnen müssen. Dafür knüpft die Norm an die Anzahl der Einwohner an. So muss beispielsweise ein Bürgerbegehren in einer nordrhein-westfälischen Kommune mit bis zu 10.000 Einwohnern von 10% der Bürger unterzeichnet werden. Jede Unterschriftenliste muss dabei die vollständigen vom Gesetz geforderten Angaben, wie Begründung und Angaben über die Vertretungsberechtigten, enthalten.
§ 26 Abs. 5 GO NRW beinhaltet einen bei direktdemokratischen Elementen grundsätzlich üblichen Ausschlusskatalog. Unzulässig ist ein Bürgerbegehren unter anderem über die innere Organisation der Gemeindeverwaltung (Nr. 1), die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Rates und der Bediensteten der Gemeinde (Nr. 2) oder wenn innerhalb der letzten zwei Jahre bereits ein Bürgerentscheid zu der Angelegenheit durchgeführt worden ist (S. 2).
Zuständiges Kommunalorgan für die Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens ist nach § 26 Abs. 6 S. 1 GO NRW der Rat. Sofern der Rat das Bürgerbegehren für unzulässig erklärt, können der Vertretungsberechtigte bzw. die Vertretungsberechtigten dagegen klagen (§ 26 Abs. 6 S. 2 GO NRW). Unabhängig von der Erhebung einer Verpflichtungsklage durch die Vertretungsberechtigten auf Feststellung der Zulässigkeit, müsste der Bürgermeister einen rechtswidrigen Ratsbeschluss gemäß § 54 Abs. 2 GO NRW beanstanden (gleiches gilt bzgl. der Zulässigkeitsentscheidung beim Einwohnerantrag).
Ist das Bürgerbegehren zulässig, hat es der Rat in der Hand, wie das weitere Verfahren verläuft: Er kann gemäß § 26 Abs. 6 S. 4 GO NRW dem Bürgerbegehren entsprechen. Bei einem solchen Beschluss ist der Rat sachlich an den Inhalt des Bürgerbegehrens gebunden. Auch bei einem nur geringfügig ergänzenden oder einschränkenden Beschluss wird dem Bürgerbegehren nicht entsprochen. Entspricht der Rat dem Bürgerbegehren, findet kein Bürgerentscheid mehr statt, weil die Bürger mit der positiven Entscheidung des Rates ihr Ziel erreicht haben. Andernfalls ist gemäß § 26 Abs. 6 S. 3 GO NRW innerhalb von drei Monaten ein Bürgerentscheid durchzuführen.
Nach der Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens kommt diesem gemäß § 26 Abs. 6 S. 6 GO NRW Sperrwirkung zu, sodass die Gemeinde keine dem Begehren entgegenstehende Entscheidungen treffen oder diese vollziehen darf. Ausgenommen hiervon sind schon bestehende rechtliche Verpflichtungen der Gemeinde.
Der Bürgerentscheid:
§ 26 Abs. 7 und Abs. 8 GO NRW gestalten den Bürgerentscheid näher aus. Ein Bürgerentscheid kann nur über eine Frage durchgeführt werden, die mit Ja oder Nein beantwortet werden kann (§ 26 Abs. 7 S. 1 GO NRW). Für die Abstimmenden – eine Teilnahmepflicht besteht freilich nicht – gibt es also stets nur zwei Abstimmungsoptionen. Die Möglichkeit der Enthaltung ist nicht vorgesehen. Der Bürgerentscheid ist gemäß § 26 Abs. 7 S. 2 GO NRW erfolgreich, wenn die Mehrheit der Abstimmenden, die abhängig von der Einwohnzahl mindestens 10 %, 15 % oder 20 % der Bürger der Gemeinde betragen muss, für die Annahme stimmen (JA-Stimmen). Im unwahrscheinlichen Fall einer Stimmengleichheit gilt die Frage als mit Nein beantwortet (§ 26 Abs. 7 S. 3 GO NRW).
Die rechtliche Wirkung eines Bürgerentscheids ist die gleiche wie die eines Ratsbeschlusses (§ 26 Abs. 8 S. 1 GO NRW). Dass die politische Bedeutung in der Regel anders – nämlich höher – zu bewerten ist, ändert nichts an der rechtlichen Wirkung. Eine Änderung der Entscheidung innerhalb von zwei Jahren nach dem ersten Bürgerentscheid ist nach § 26 Abs. 8 S. 2 GO NRW nur unmittelbar von der Bürgerschaft selbst durch einen zweiten Bürgerentscheid aufgrund einer Initiative des Rates (Ratsbürgerentscheid) möglich.
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