Knöllchen auf dem Supermarktparkplatz: BGH löst das Problem über die Beweislast
Wir freuen uns, einen Beitrag von Prof. Dr. Gregor Thüsing veröffentlichen zu können. Der Autor ist Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn.
Ein Auto fährt auf einen Supermarktparkplatz, und da gibt es eine Tafel mit AGB „Ohne Parkscheibe 30 Euro Vertragsstrafe“. Die rechtlichen Fragen, die damit verbunden sind, haben hohe Examensrelevanz.
I. Ist ein Vertrag zustande gekommen? Die allgemeine Meinung geht davon, dass es zu einem konkludenten Vertragsschluss durch Inanspruchnahme der Leistung kommt:
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„Durch das Abstellen eines Fahrzeugs auf einem kostenpflichtigen Parkplatz kommt konkludent zwischen den Parteien ein Vertrag über die Nutzung des Pkw-Stellplatzes zustande.“ (AG Ravensburg, Urteil vom 26. März 2013 – 5 C 1367/12)
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„Vorliegend handelt es sich um einen konkludent geschlossenen Massenvertrag, bei dem schon mangels jeglichen persönlichen Kontakts ein ausdrücklicher Hinweis ausscheidet. Sein Einverständnis erklärte der Fahrer des Pkws des Beklagten und Benutzer des Parkplatzes somit konkludent, indem er auf den Parkplatz fuhr und dort den Pkw des Beklagten abstellt.“ (AG Brandenburg, Urteil vom 26. September 2016 – 31 C 70/15)
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„Ein solcher Vertrag könnte allenfalls zwischen der Klägerin und dem Fahrer eines Fahrzeuges zustande kommen, und zwar dadurch, dass dieser ein Fahrzeug auf dem Parkplatz abstellt. Hierin wäre die konkludente Annahme des von der Klägerin unterbreiteten Vertragsangebotes zu den auf den aufgestellten Schildern abgedruckten Bedingungen zu sehen.“ (LG Kaiserslautern, Urteil vom 27. Oktober 2015 – 1 S 53/15)
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„Mit der Nutzung des Parkplatzes erklärte sich der Beklagte mit der Geltung der Parkbedingungen konkludent einverstanden.“ (AG Stuttgart-Bad Cannstatt, Urteil vom 31. Mai 2010 – 8 C 450/10)
Schwieriger wird die rechtliche Behandlung des sozialtypischen Verhaltens erst dann, wenn vor oder gleichzeitig mit dem an sich eindeutigen Verhalten eine ausdrückliche protestatio facto contraria erfolgt, die eine Auslegung des Verhaltens als rechtsgeschäftlich verbindliche Erklärung ausschließen soll. In diesem Fall folgt nach h.M. bei der tatsächlichen Inanspruchnahme einer Leistung die Bedeutungslosigkeit des Vorbehalts daraus, dass dieser im Widerspruch zu eben jenem Verhalten steht. Die Diskussion darüber entzündete sich zuerst am Hamburger Parkplatzfall (BGHZ 21, 319 = NJW 1956, 1475) – damals noch als „faktischer Vertrag“.
II. Aber was ist, wenn der Halter der Aufforderung, zu zahlen, einfach antwortet, er sei nicht gefahren? Dann kann er auch keinen Vertrag abgeschlossen haben. Muss er sagen, wer stattdessen gefahren ist? Grds. würde man sagen: Nein, denn die Beweislast für das Zustandekommen des Vertrags liegt bei dem, der sich darauf beruft. Hier nun setzt die aktuelle Entscheidung des BGH an (Urteil vom 18. Dezember 2019 – XII ZR 13/19) :
„Zu Recht hat es das Landgericht zwar abgelehnt, eine Haftung der Klägerin für diese Vertragsstrafe allein aus ihrer Haltereigenschaft abzuleiten. Insbesondere schuldet der Halter keinen Schadensersatz wegen der Weigerung, die Person des Fahrzeugführers zu benennen, weil ihn gegenüber dem Parkplatzbetreiber keine entsprechende Auskunftspflicht trifft.
Anders als das Landgericht meint, hat die Beklagte aber ihre Fahrereigenschaft nicht wirksam bestritten. Ein Anscheinsbeweis dafür, dass der Halter eines Kfz auch dessen Fahrer war, besteht allerdings nicht, weil Halter- und Fahrereigenschaft in der Lebenswirklichkeit häufig auseinanderfallen. Jedenfalls wenn die Einräumung der Parkmöglichkeit, wie im vorliegenden Fall, unentgeltlich in Form einer Leihe erfolgt, kann sich der Halter jedoch nicht auf ein einfaches Bestreiten seiner Fahrereigenschaft beschränken. Vielmehr muss er im Rahmen seiner sog. sekundären Darlegungslast dazu vortragen, wer als Nutzer des Pkws im fraglichen Zeitpunkt in Betracht kam.
Die grundsätzlich dem Kläger obliegende Darlegungs- und Beweislast, hier für die Fahrereigenschaft, kann nach den von der Rechtsprechung zum Beweis negativer Tatsachen entwickelten Grundsätzen eine Erleichterung erfahren. Danach trifft den Prozessgegner eine sekundäre Darlegungslast, wenn die primär darlegungspflichtige Partei keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, hierzu näher vorzutragen. Diese Voraussetzungen hat der XII. Zivilsenat für den vorliegenden Fall bejaht.“
III. Wie geht es dann weiter in der Prüfung? Kann der Fahrer sich darauf berufen, das war alles so klein gedruckt auf dem Schild, dass er das nicht habe sehen können im Vorbeifahren? Fehlt es also an einer wirksamen Einbeziehung der AGB, §§ 305 ff. BGB. Die h.M. denkt anders:
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„Auch das Schrifttum zum AGB-Gesetz ist, soweit ersichtlich, einhellig der Auffassung, daß AGB kein Vertragsbestandteil werden, wenn sie wegen der Art oder der Größe des Schriftbilds nur mit Mühe zu entziffern sind… Ferner heißt es in den Materialien zum AGB-Gesetz, daß es ‚zur Möglichkeit, in zumutbarer Weise vom Inhalt der AGB Kenntnis zu nehmen, auch gehört, daß diese mühelos lesbar sind.‘“ (BGH, Urteil vom 3.2.1986 – II ZR 201/85)
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„Sie müssen jedenfalls bei geringwertigen Geschäften des täglichen Lebens ein Mindestmaß an Übersichtlichkeit aufweisen und dürfen auch einen im Verhältnis zur Bedeutung des Geschäfts vertretbaren Umfang nicht überschreiten.“ (MüKo-Basedow, § 305 BGB Rnr. 71).
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Dennoch: „Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift ist es gerade nicht erforderlich, dass der Vertragstext in einer Form abgedruckt ist, die es dem Nutzer ermöglicht, diese im Vorbeifahren und „auf einen Blick“ zu erfassen.“ (LG Kaiserslautern, Urteil vom 27.10.2015 – 1 S 53/15)
Und steht der Einbeziehung entgegen, dass die Vertragsstrafe überraschend im Sinne von § 305c BGB sein könnte? Auch hier denkt die h.M. anders:
„Insbesondere ist diese nicht als „überraschende Klausel“ i.S.d. § 305c BGB anzusehen. Denn es liegt für jeden vernünftigen Betrachter auf der Hand, dass ein Supermarkt, der einen Parkplatz vorhält, damit selbstverständlich nur seinen Kunden – und dies auch nur für die Zeit des Einkaufes – einen kostenlosen Parkplatz zur Verfügung stellen will und nicht der Allgemeinheit.“ (LG Kaiserslautern, Urteil vom 27.10.2015 – 1 S 53/15)
Und ist die Vertragsstrafe unangemessen? Zuerst werden die Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit (§ 309 BGB) geprüft, dann mit Wertungsmöglichkeit (§ 308 BGB) und dann die Generalklausel (§ 307 BGB):
„Die Ziffer 3. der Vertragsbedingungen verstößt auch nicht gegen § 309 Nr. 5b) BGB, da es sich nicht um eine Pauschalierung von Schadensersatzansprüchen im Sinne einer vertraglichen Haftungserweiterung handelt, sondern um eine Vertragsstrafe, deren Zweck darin besteht, die Erfüllung der Hauptverbindlichkeit zu sichern .., nämlich die Einhaltung der Höchstparkdauer.“
„Die Ziffer 3. der Vertragsbedingungen verstößt auch nicht gegen § 309 Nr. 6 BGB. Hierunter fallen Bestimmungen, durch die dem Verwender für den Fall der Nichtabnahme oder verspäteten Abnahme der Leistung, des Zahlungsverzugs oder für den Fall, dass der andere Vertragsteil sich vom Vertrag löst, Zahlung einer Vertragsstrafe versprochen wird. Ein solcher Fall ist hier aber gerade nicht gegeben. Vielmehr wird eine Vertragsstrafe erhoben, wenn der Parkplatzbenutzer sein Kraftfahrzeug über die Mindestparkdauer hinaus nicht entfernt.“ (AG Brandenburg, Urteil vom 26. September 2016 – 31 C 70/15)
Und ist sie unangemessen weil zu hoch?
Eine unangemessene Benachteiligung liegt vor, „wenn die Interessen des Vertragspartners gegenüber denen des Verwenders so sehr zurückgedrängt werden, dass kein vollständiger Interessenausgleich stattgefunden hat. Unangemessen ist eine Benachteiligung somit dann, wenn der Verwender missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein die Interessen seines Partners hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen.“ (AG Brandenburg, Urteil vom 26.8.2016 – 31 C 70/15)
Kriterien der Angemessenheit: Abschreckungsinteresse? Länge des Parkverstoßes? Höhe üblicher Parkgebühren? Kosten einer Verwarnung nach StVO? Herrschende Meinung: 30 Euro ist zulässig; schon vor 10 Jahren:
„Die von der Klägerin verlangte Vertragsstrafe von 20,00 Euro erscheint auch nicht als derart hoch, dass sie zu einer unangemessenen Benachteiligung führen würde, auch wenn ihr im Einzelfall lediglich ein kurzzeitiger Parkvorgang gegenüberstehen sollte.“ (AG Wiesbaden, Urteil vom 13.9.2007 – 91 C 2193/07)
IV. Im Ergebnis heißt es daher wohl zukünftig: Der Halter muss zahlen. Und Sie kennen die Probleme, die im Examen drankommen könnten.
Als möglicher Zeuge im Verfahren gegen einen anderen als Fahrer sollte ein Zeugnisverweigerungsrecht in Betracht kommen. Einem danach in Betracht kommenden Zeugnisverweigerungsr sollte es widersprechen, wenn eine Enlastung vom einer Aussage indirekt verpflichtend abhängig gemacht ist. Dies sollte daher wegen Widerstreites zu einem möglichen Zeugnisverweigetungsrecht problematisch und fragwürdig wirkend bleiben.
Es muss aber dennoch ein Aussageverweigerungsrecht, ähnlich im Strafrecht für den Fahrer/die Fahrerin gelten, falls der Halter glaubhaft machen kann, dass er zu der Parkzeit nicht Fahrer gewesen sein kann, z.B. Anwesenheit am Arbeitsplatz usw. Die Beweiserleichterung des klagenden Supermarktes kann dann ins Leere gehen. Andernfalls wäre der private Parkplatzinhaber bessergestellt als die öffentl. Verwaltung
Ansonsten ausgezeichnete gutachterliche Darstellung!