Klausurlösung: ÖR II – April 2015 – Berlin/Brandenburg
Nachfolgend erhaltet Ihr in Kooperation mit der Online Lernplattform Jura Online eine unverbindliche Lösungsskizze der im April 2015 gelaufenen Ö II Klausur in Berlin und Brandenburg. Mittels der Skizze soll es Euch möglich sein, Euch noch besser auf eure eigenen Klausuren vorzubereiten und die wesentlichen Problemkreise zu erfassen. An einigen Stellen der Lösungsskizzen verweist JuraOnline auf eigene Vertiefungshinweise.
Bitte beachten:
Die Lösungsskizze ist absolut unverbindlich und erhebt keinerlei Anspruch auf inhaltliche Richtigkeit oder Vollständigkeit. Sie beruht allein auf den uns zugesandten Gedächtnisprotokollen und soll allenfalls eine Richtschnur für eure eigenen Überlegungen sein. Bitte habt auch Verständnis dafür, dass wir oder Jura Online evtl. Fragen zu euren eigenen Klausurlösungen nicht beantworten können. Gleichwohl ist jeder herzlich eingeladen, sich im Kommentarbereich mit anderen Lesern auszutauschen. Wir werden versuchen, auf die ein oder andere Frage dort einzugehen.
Sachverhalt (beruht auf einem Gedächtnisprotokoll)
Die Bundesregierung möchte mit der Einführung einer Luftverkehrssteuer Anreize zu umweltgerechterem Verhalten bieten und den Haushalt konsolidieren. Daher beschließt sie im Jahr 2010 das LuftVStG, welches im Wesentlichen folgenden Inhalt hat: Flüge aus dem Inland unterliegen der Steuerpflicht. Sie wird nach drei Distanzklassen unterteilt (Kurz-, Mittel- und Langstrecke), wobei deren Berechnung der Einfachheit halber pauschal vom Flughafen Frankfurt am Main zum wichtigsten Flughafen des Ziellandes erfolgt. In der Kurzstrecken- Distanzklasse fallen 8 € pro Passagier an, in der Mittelklasse 25 € (Anm.: ungefähr) und in der Langstreckenklasse 45 €.
Das Bundesministerium für Finanzen wird ermächtigt, die Distanzklassen zu Beginn jedes Jahres mittels Rechtsverordnung entsprechend anzupassen. Herausgenommen aus dem Anwendungsbereich des LuftVStG sind militärische und medizinische Flüge, Fracht- und Privatflüge sowie Transit- und Transferflüge (letzteres: „Umsteigerprivileg“).
Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens stimmen 4 Mitglieder des Bundeslandes A im Bundesrat uneinheitlich ab (2 dafür, 2 dagegen). Von 69 Mitgliedern des Bundesrats stimmten 35 (mit den Mitgliedern des Bundeslands A) dafür und 34 dagegen.
Das Bundesland B möchte im Januar 2015 die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes überprüfen, da sie Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz hat. Es ist der Ansicht, dass der Bund schon keine Gesetzgebungskompetenz nach Art. 105 GG inne hätte. Zudem sei die Verordnungsermächtigung im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot verfassungswidrig, da das Parlament selbst sich mit der Höhe der Steuerbelastung durch die Distanzklassen auseinandersetzen müsse. Zudem verstoße das LuftVStG gleich mehrfach gegen den Gleichheitssatz, indem Fracht- und Privatflüge sowie Transit- und Transferflüge aus dem Anwendungsbereich herausgenommen werden. Zudem komme die Orientierung am wichtigsten Flughafen des Ziellandes zu absurden Ergebnissen: Während ein Flug nach New York mit über 6.000 Flugkilometern der höchsten Distanzklasse mit dem höchsten Steuersatz unterliegt, falle ein Flug nach Wladiwostok mit einer Distanz von 8.500 km in die niedrigste Steuerklasse, da der wichtigste Flughafen Russlands – Moskau – nur knapp 2.000 km von Frankfurt am Main entfernt ist. Auch dies sei ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz.
Zudem greife das LuftVStG in nicht zu rechtfertigender Weise in die Berufsfreiheit der Airlines sowie der Passagiere ein. Zudem führe die Herausnahme der Transfer- und Transitflüge dazu, dass Ausweichreaktionen durch einen Beginn der Reise an einem ausländischen Flughafen geradezu provoziert werden.
Die Bundesregierung tritt dem entgegen. Die Privilegierung der Transfer- und Transitflüge sei nötig, um die wichtigsten „Drehkreuze“ in ihrer europäischen Wettbewerbsfähigkeit zu schützen. Die teilweise absurden Ergebnisse des Berechnungsmodus der Distanzklasse seien absolute Ausreißer, die hinzunehmen wären. Zudem habe der Gesetzgeber ein weites Ermessen in Steuerangelegenheiten. Auch die Herausnahme von Fracht- und Privatflügen sei zulässig, da Passagierflüge hauptverantwortlich für die Umweltbelastung seien.
Wird der Antrag der Landesregierung B vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg haben?
Unverbindliche Lösungsskizze
A. Zulässigkeit
I. Zuständigkeit des BVerfG
Hier:Abstrakte Normenkontrolle, Art. 93 I Nr. 2 GG; §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG.
II. Antragsteller, § 76 I BVerfGG
Hier: Landesregierung des Bundeslandes B.
III. Antragsgegenstand, § 76 I BVerfGG
Hier: Bundesrecht (LuftVStG)
IV.Antragsbefugnis
– Problem: „Für nichtig halten“, § 76 I Nr. 1 BVerfGG
– „Zweifel oder Meinungsverschiedenheiten“ ausreichend, Arg.: Art. 93 I Nr. 2 GG.
B. Begründetheit
(+), wenn LufVStG verfassungswidrig.
I. Formelle Verfassungsmäßigkeit
1.Gesetzgebungszuständigkeit
Hier: Bund; Arg: Art. 105 II, 106 I Nr. 3 GG („motorisierte Verkehrsmittel“).
2. Gesetzgebungsverfahren
a) Einleitungsverfahren, Art. 76 GG (+)
b) Hauptverfahren
aa) Beschluss des BTages (+)
bb) Mitwirkung des BRates
Hier: Zustimmungsgesetz
– Problem: Uneinheitliche Stimmabgabe des Bundeslandes A
– aA: Stimmführer des betreffenden Landes maßgeblich -> keine Angaben
– hM: Landesstimmen ungültig -> 33:32
3.Form, Art. 82 I 1 GG (+)
II. Materielle Verfassungsmäßigkeit
Verletzung von Art. 12 I GG
a) Bzgl. Airlines
aa) Schutzbereich
(1) Persönlicher Schutzbereich
(+); Arg: Berufsfreiheit dem Wesen nach auf Airlines anwendbar, Art. 19 III GG.
(2) Sachlicher Schutzbereich
-> Beruf (+)
bb) Eingriff
Hier: Besteuerung
cc) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
(1) Bestimmung der Schranke
– „Verfassungsmäßige Ordnung“ i.S.v. Art. 12 I GG = jedes formell wie materiell verfassungsgemäße Gesetz = einfacher Gesetzesvorbehalt.
(2) Verhältnismäßigkeit
(a) Zulässiger Zweck
Hier: Umweltschutz, Art. 20a GG, und Haushaltskonsolidierung.
(2) Geeignetheit (+)
(3) Erforderlichkeit (+)
(4) Verhältnismäßigkeit i.e.S.
-> 3-Stufen-Theorie
Hier: (+); Arg.: „Berufsausübungsregel“ (3. Stufe); „Vernünftige Gründe des Gemeinwohls“ ausreichend.
dd) Ergebnis: (-)
b) Bzgl. Passagiere
aa) Schutzbereich (+)
bb) Eingriff
(1) „Klassischer“ Eingriff
(-); Arg.: zumindest nicht final.
(2) „Moderner“ Eingriff (berufsregelnde Tendenz)
(-); Arg: auch nicht intensiv; eventuelles Abwälzen der Kosten auf Passagiere nicht ausreichend.
cc) Ergebnis: (-)
Verletzung von Art. 3 I GG
a) Herausnahme von Fracht- und Privatflügen
aa) Vergleichspaar
– Luftverkehr in Gestalt von gewerblichen Passagierflügen
– Luftverkehr in Gestalt von Fracht- und Privatflügen
bb) Ungleichbehandlung (+)
cc) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
(1) Verfassungsmäßigkeit des Zwecks
Hier: Umweltschutz und Haushaltskonsolidierung.
(2) Verfassungsmäßigkeit des Mittels
Hier: Differenzierung nach Art des Luftverkehrs.
(3) Verfassungsmäßigkeit der Zweck-Mittel-Relation
-> Verhältnismäßigkeit
– Voraussetzung: Hohe Belastungsintensität („Neue Formel“)
– Hier: hohe Belastungsintensität (+); Arg: zugleich Freiheitsgrundrechte betroffen (s.o.)
– Im Ergebnis wohl: (+); Arg.: Gewerbliche Passagierflüge hauptverantwortlich für Umweltbelastung.
dd) Ergebnis: (-)
b) Herausnahme von Transit- und Transferflügen
– Ungleichbehandlung wohl zumindest gerechtfertigt; Arg.: Wettbewerbsfähigkeit („Drehkreuze“).
c) Berechnung der Distanzklassen
aa) Vergleichspaar
– Distanzflüge zu wichtigstem Flughafen des Ziellandes (z.B. New York)
– Distanzflüge zu anderen Flughäfen des Ziellandes (z.B. Wladiwostok)
bb) Ungleichbehandlung
Hier: Konkrete und abstrakte Berechnungsweise.
cc) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
– Wohl (+); Arg: Pauschalisierte Berechnung dient der Vereinfachung im Steuerrecht.
dd) Ergebnis: (-)
- Verstoß gegen Bestimmtheitsgebot
– Verankerung: Allgemein im Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 III GG; speziell bei Verordnungsermächtigungen, Art. 80 I 2 GG.
– Hier: Konkrete Ermächtigung zur jährlichen Anpassung der Distanzklassen durch Bundesregierung wohl in Ordnung.
III. Ergebnis: (-)
- Gesamtergebnis: (-)
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