LSG Bayern: Klage per Email oder PDF genügt nicht dem Schriftformerfordernis
Das Landessozialgericht („LSG“) Bayern hat sich jüngst (Beschluss vom 24.02.2012 – L 8 SO 9/12 B ER ) mit der Frage auseinandergesetzt, ob ein Schriftsatz per Email oder (einer Email angehängten) PDF-Datei dem Schriftformerfordernis des § 90 SSG genügt. Ob das Schriftformerfordernis z.B. einer Klage vor dem Amtsgericht gewahrt ist, ist ein Problem der Zulässigkeit bzw. könnte im ersten Staatsexamen z.B. in einer ZPO-Zusatzfrage auftauchen. Die vorliegende Fall ist auf das „klassische“ Zivilprozessrecht übertragbar, da die gleichen Grundsätze auch dort Gültigkeit haben.
Sachverhalt (aus der Entscheidung)
Am 26.12.2011 ging beim Sozialgericht München eine E-Mail ein. Als Absender war die Adresse „r.-online.de“ angegeben. Dieser war als Anhang eine so genannte PDF-Datei beigefügt, welche einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Unterschrift der Antragstellerin enthielt. Das Sozialgericht druckte die E-Mail samt Anhang aus und vergab das Aktenzeichen S 50 SO 700/11 ER. Mit Beschluss vom 9. Januar 2012 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ab. Er sei unzulässig, weil er nicht dem Formerfordernis der Schriftlichkeit (§ 90 SGG) genüge.
Am 19.01.2012 ging beim Bayerischen Landessozialgericht eine E-Mail ein. Als Absender war auch hier die Adresse „r.-online.de“ angegeben. Die Nachricht war an das Sozialgericht München und in „Kopie (Cc)“ an das Landessozialgericht gerichtet. Als Anhang war eine so genannte PDF-Datei beigefügt, welche eine Beschwerde, einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Unterschrift der Antragstellerin enthielt. Die Poststelle des Landessozialgerichts druckte die E-Mail samt Anlage aus; es wurde das Aktenzeichen L 8 SO 9/12 B ER vergeben.
Die Antragstellerin will wissen, ob ihre Anträge Erfolg haben.
Bloße Email nicht ausreichend
Das Gericht führt hierzu aus:
Nach § 65a Abs. 1 Satz 1 SGG können dem Gericht elektronische Dokumente übermittelt werden, soweit dies für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich durch Rechtsverordnung zugelassen worden ist. Es gibt in Bayern keine derartige Rechtsverordnung. Daher können keine verfahrenserheblichen Schriftsätze durch E-Mail eingereicht werden (Wolff-Dellen, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 65a Rn. 4). Dies gilt sowohl für die Beschwerde als auch für den erstinstanzlichen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Auch der erstinstanzliche Eilantrag ist in elektronischer Form nur unter den Voraussetzungen von §65a SGG möglich (Bayer. LSG, Beschluss vom 9. März 2011 [L 7 AS 151/11 B ER] m.w.N.; siehe auch Bayer. LSG, Urteil vom 29. März 2011 [L 8 AS 75/11]).
Im Übrigen müsste eine E-Mail, die einem unterzeichneten Schriftstück gleichstehen soll, nach § 65a Abs. 1 Satz 3 und 4 SGG mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sein oder in einem anderen zugelassenen sicheren Verfahren übermittelt worden sein. Daran fehlt es im vorliegenden Fall.
Das Land NRW beispielsweise hat in der „Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei den Verwaltungsgerichten und den Finanzgerichten“ (ERVVO VG/FG) über die Parallelvorschrift des § 55a Abs. 1 S. 1 VwGO im Bereich der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (ausgewählte Gerichte – siehe hier) von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Rechtsweg per Email zuzulassen.
PDF-Dokument ebenfalls nicht ausreichend
Das Gericht grenzt den vorliegenden Fall zunächst von der Einreichung eines „Computerfaxes“ ab, welches nach dem BGH dem Schriftformerfordernis genügt, denn dieser
[…] hat ausgeführt, maßgeblich für die Beurteilung der Wirksamkeit des elektronisch übermittelten Schriftsatzes sei nicht eine etwa beim Absender vorhandene Kopiervorlage oder eine nur im Textverarbeitungs-PC befindliche Datei, sondern allein die auf seine Veranlassung am Empfangsort (Gericht) erstellte körperliche Urkunde. Vorliegend wurde die fragliche Datei – anders als in dem vom Gemeinsamen Senat entschiedenen Fall – nicht auf ein Telefaxgerät übertragen, welches sie automatisch in eine körperliche Urkunde umwandelt. Sie wurde vielmehr in das E-Mail-Postfach des Gerichts übertragen, wo sie ausschließlich in digitaler Form archiviert wird. Die Datei wird nur ausgedruckt und damit in eine körperliche Urkunde umgewandelt, wenn Bedienstete des Gerichts gesonderte Befehle in die EDV-Anlage eingeben. Eine körperliche Urkunde wird damit nicht mehr auf Veranlassung des Absenders erstellt; die Erstellung setzt vielmehr zwingend ein aktives Handeln des Empfängers voraus, auf das der Absender keinen Einfluss hat.
Allerdings stellt sich das LSG Bayern der BGH-Rechtssprechung insofern entgegen, als dass es nicht genügen lässt, dass das Dokument beim Gericht ausgedruckt und dem Verfahren ein Aktenzeichen gegeben wurde, um eine ordnungsgemäße Klageerhebung/Antragstellung anzunehmen. Der BGH (Beschluss vom 15. Juli 2008, X ZB 8/08) und das LSG Sachsen (Beschluss vom 18. Januar 2011, L 5 AS 433/10 B) (Zitat unten) waren noch der Meinung, dass
[…] das Sozialgericht die E-Mail nebst anliegender PDF-Datei ausgedruckt und unter dem Aktenzeichen S 1 AR 15/09 geführt [hat]. Die Klageschrift lag ihm mithin in einer der Schriftform genügenden Form vor (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juli 2008, X ZB 8/08, Rn. 12, Juris). Der Ausdruck verkörpert die Klage in einem Schriftstück und schließt mit der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ab. Ähnlich wie im Falle einer Übermittlung eines Schriftsatzes per Computerfax ist auch hier die nur in Kopie wiedergegebene Unterschrift unschädlich. Das Sozialgericht war zwar nicht verpflichtet, die E-Mail und die anhängende PDF-Datei zu öffnen und auszudrucken. Die Klägerin konnte sich nicht darauf verlassen. Nimmt das Gericht allerdings den elektronisch übermittelten Schriftsatz entgegen, muss es ihn auch mit kopierter Unterschrift als genügend betrachten. Der Zugang zum Gericht würde sonst in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigende Weise erschwert (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 18. April 2007, 1 BvR 110/07 Rn. 15, zum Computerfax, Juris).“
Das sieht das LSG Bayern jedoch anders.
Dieser Rechtsprechung ist entgegenzuhalten, dass die Einhaltung der Formvorschriften nicht von einem Verhalten des Gerichts abhängen darf. Formvorschriften dienen der Rechtssicherheit (vgl. etwa Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, a.a.O.). Ihre Einhaltung obliegt demjenigen, der eine wirksame Erklärung abgeben möchte. Wer bestimmte Formen wahrt bzw. nicht wahrt, muss grundsätzlich erkennen können, welche Folgen dies hat. Hätte es der Adressat einer Erklärung – hier: das Gericht – in der Hand, die Einhaltung von Formvorschriften zu beeinflussen – hier: indem es übermittelte Dateien ausdruckt oder dies unterlässt -, wäre dies der Rechtssicherheit in hohem Maße abträglich.
Fazit
Da das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, bleibt abzuwarten, ob die Antragstellerin Rechtsmittel einlegen wird. Da sich das LSG Bayern bewusst und m.E. vertretbar gegen die Rechtsprechung des BGH stellt, wird der Problemkreis examensrelevant bleiben. In der Klausur wird es wohl weniger auf das Ergebnis, sondern eher auf eine gute Argumentation ankommen. Die Parallelvorschrift zu § 65a Abs. 1 S. 1 SGG ist § 130a Abs. 2 ZPO.
Es handelt sich hier nicht um ein Urteil, sondern um einen Beschluss in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Dagegen sind keine Rechtsmittel gegeben, die die Antragstellerin noch einlegen könnte (§ 177 SGG).
Mitlerweile ist entschieden, dass ein an eine e-mail angehängtes PDF-Document, welches die Klageschrift und die Unterschrift (eingescannt) enthält, ausreicht. Entsprechende Fundstelle bei Thomas/Putzo zu § 130