Keine strafrechtliche Verfolgung religiös motivierter Beschneidungen in Berlin
Nach einer Meldung von beck-aktuell hat Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) am 05.09.2012 die künftige Berliner Rechtspraxis zum Umgang mit Beschneidungen an Kindern für den Zeitraum vorgestellt, in dem noch keine bundesgesetzliche Regelung zu diesem Thema existiert (hier gehts zum Artikel). Hintergrund hierfür ist eine Entscheidung des LG Köln (Urteil v. 07.05.2012 − 151 Ns 169/11 = NJW 2012, 2128 f. = JZ 2012, 805 f.), wonach religiös motivierte Beschneidungen grundsätzlich als Körperverletzung zu behandeln und demnach strafbar sind (ein kurzer Hinweis zu diesem Urteil auf JEX findet sich hier).
1. Richtlinien der Berliner Justizverwaltung
Nach Auskunft der Berliner Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz wird das Land Berlin grundsätzlich von der strafrechtlichen Verfolgung religiös motivierter Beschneidungen absehen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
- Beide Elternteile bzw. die Sorgeberechtigten des betroffenen Kindes müssen schriftlich in den Eingriff eingewilligt haben, nachdem sie über die Risiken desselben aufgeklärt worden sind.
- Die Beschneidung muss religiös motiviert sein, was etwa in der schriftlichen Einwilligung nachgewiesen werden kann, wobei hier eine Versicherung der Eltern praxisgerecht sein dürfte. Zudem muss die religiöse Notwendigkeit der Beschneidung vor der Religionsmündigkeit des Kindes bzw. dem Zeitpunkt, in dem das Kind selbst über die Vornahme des Eingriffs entscheiden kann, dargetan werden, was z.B. durch eine Bestätigung der jeweiligen Religionsgemeinschaft erfolgen kann.
- Schließlich muss der Eingriff medizinisch fachgerecht durchgeführt werden. Hierzu gehört, dass die Beschneidung von einem approbierten Arzt vorgenommen wird und mit höchstmöglicher medizinischer Professionalität, insbesondere in einer sterilen Umgebung, mit medizinischen Instrumenten und unter Zuhilfenahme von schmerzstillenden Mitteln, durchgeführt wird.
2. Rechtsgrundlage der Weisung
In der mündlichen Prüfung kann sich nun die Frage stellen, worauf eine solche Weisung der Berliner Justizverwaltung überhaupt gestützt werden kann. Fündig wird der Prüfling bei den §§ 141 ff. GVG, die Organisation und Aufbau der Staatsanwaltschaft regeln.
Nach § 146 GVG haben die Beamten der Staatsanwaltschaft grundsätzlich den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen. Dies ist Ausdruck des Aufbaus der StA als hierarchisch strukturiertes Organ und steht im scharfen Gegensatz zur Stellung als Richter, der nur dem Gesetz unterworfen ist (vgl. Art. 97 Abs. 1 GG). Zu den dienstlichen Vorgesetzten gehören auch die Landesjustizverwaltungen, denen nach § 147 Nr. 2 GVG das Recht zur Aufsicht und Leitung hinsichtlich aller staatsanwaltschaftlicher Beamten des betreffenden Landes zusteht (sog. externe Weisungsberechtigung im Gegensatz zum internen Weisungsrecht des jeweiligen Behördenleiters). Demgemäß hat der Landesjustizminister als Kopf der Justizverwaltung die Kompetenz, Weisungen an die Staatsanwälte seines Landes auszugeben.
3. Grenzen des Weisungsrechts
Das Weisungsrecht und eine diesem entsprechende Befolgungspflicht der angewiesenen Staatsanwaltschaft gilt freilich nicht uneingeschränkt, sondern wird u.a. durch die Strafgesetze begrenzt (vgl. KK-Schmid/Schoreit, 6. Aufl. 2008, § 146 Rn. 7). Demnach darf eine Weisung etwa nicht dazu führen, dass sich der Staatsanwalt durch Unterlassen der Strafverfolgung wegen Strafvereitelung im Amt (§ 258a StGB) schuldig machen würde. Wann diese Grenze erreicht ist, wird namentlich durch das Legalitätsprinzip (§§ 152 Abs. 2, 160, 170 Abs. 1 StPO) bestimmt: Danach ist die StA grundsätzlich zur Verfolgung einer Tat aufgerufen, wenn das Gesetz eine Strafbarkeit vorsieht und kein Fall des Opportunitätsprinzips (§§ 153 ff. StPO) eingreift. Fraglich ist indes, ob die StA bzw. die ihr übergeordneten Behörden neben dem Gesetz auch an dessen Interpretation durch die Rspr., vorliegend an diejenige des LG Berlin, gebunden sind. Dies wird von einem beachtlichen Teil der Literatur verneint, und zwar mit Hinweis darauf, dass die StA gem. § 150 GVG ein von den Gerichten unabhängiges, selbständiges Rechtsorgan sei und auch Art. 20 Abs. 3 GG die vollziehende Gewalt nur an „Gesetz und Recht“, nicht auch an dessen Auslegung durch die Rspr., binde. Demgegenüber nimmt der BGH jedenfalls eine Bindung an eine feste höchstrichterliche Rspr. an, da nach dem Gewaltenteilungsprinzip nur die Gerichte zur (verbindlichen) Entscheidung über die Interpretation von Gesetzen befugt seien und anderenfalls auch die Einheit der Rechtsordnung gefährdet wäre (s. BGH, Urteil v. 23.09.1960 – 3 StR 28/60 = BGHSt 15, 155 ff.; vgl. zu beiden Ansichten auch Engländer, Strafprozessrecht, 4. Aufl. 2009, Rn. 19).
Selbst wenn man danach von der strengeren Linie des BGH ausgeht, dürfte die Weisung des Landesjustizministers vorliegend rechtmäßig und damit wirksam sein. Die Frage, ob eine religiös motivierte Beschneidung dem Tatbestand der Körperverletzung unterfällt, ist nämlich weder höchstrichterlich geklärt, noch ergibt sich bereits eine (auch nur instanzgerichtliche) „feste“ Rechtsprechung zu diesem Thema. Vielmehr existieren neben der Entscheidung des LG Köln noch überhaupt keine Urteile zu dieser Frage, während in der Literatur denjenigen Stimmen, die eine Strafbarkeit bejahen (vgl. etwa Putzke, NJW 2008, 1568 [1570]) ebenso viele Wortmeldungen gegenüberstehen, die eine Bestrafung religiös motivierter Beschneidungen ablehnen (vgl. nur die Anm. von Beulke/Dießner, ZIS 2012, 338 ff.; Muckel, JA 2012, 636 [638 f.]; Rox, JZ 2012, 806 ff., alle zum o.g. Urteil des LG Köln).
Im Ergebnis dürfte damit eine Weisung des Landesjustizministers, die die strafrechtliche Nichtverfolgung religiös motivierter Beschneidungen unter bestimmten Voraussetzungen vorsieht, sowohl formell als auch materiell rechtmäßig sein.
Das Urteil stammt vom LG Köln, nicht vom LG Berlin. Dürfte zwar sachlich keine Rolle spielen, könnte aber zu Verwirrungen führen.
Stimmt, da hatte sich ein Fehler eingeschlichen – Urteil vom LG Köln, nur die Richtlinien stammen aus Berlin…danke für den Hinweis!
Könnte das Beschneidungsurteil hier nicht mal als Grundrechtsprüfung durchexerziert werden? Das wäre echt hilfreich, danke!