Karlsruhe dankt nicht ab – Karlsruhe gebietet vielmehr der Rechtserosion Einhalt
Wir freuen uns erneut einen Gastbeitrag von Dr. Stefan Städter [1] zu einem europarechtlichen bzw. europapolitischem Thema veröffentlichen zu können. Der Autor ist derzeit Referendar in Berlin sowie Mitarbeiter beim Institut EUROPOLIS.
1. Hintergrund
Mit Datum vom 7.2.2014 teilte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Hauptsacheverfahren ESM/EZB zwei Beschlüsse – und zwar vom 17.12.2013 sowie vom 14.1.2014 – mit. Danach hat sich der Zweite Senat dazu entschlossen, nicht nur die rechtshängigen Verfahren in Sachen ESM/EZB abzutrennen und erstmals dem Gerichtshof der Europäischen Union die streitentscheidenden Fragen zur primärrechtlichen Vereinbarkeit des sog. OMT-Programms des EZB mit den Art. 123ff. AEUV vorzulegen (Art. 267 AEUV). Der Zweite Senat wird zudem am 18.3.2014 in dieser Sache sein lang erwartetes Urteil verkünden. Da jedoch bis zum 18.3.2014 noch keine Antwort des Gerichtshofes des Europäischen Union auf die Vorlagefrage vorliegen dürfte, kann sich die entsprechende Sachentscheidung allenfalls auf die Beschwerdegegenstände im Übrigen, d.h. den ESM ohne EZB-Maßnahmen sowie den Fiskalvertrag, beschränken.
2. Kritische Betrachtung
Nach der Entscheidung der Bundesverfassungsrichter den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des OMT-Programms der EZB einzubeziehen [2], melden sich zahlreiche Beobachter zu Wort, die darin ein „fatales Signal“ sehen. Nicht nur, dass ein Souveränitätsverlust Deutschlands drohe. Vielmehr, so folgert u.a. der emeritierte Tübinger Ökonom Professor Starbatty, habe das Bundesverfassungsgericht mit dieser Entscheidung „de facto abgedankt“ [3]. „Niemand“, so die ausdrücklichen Worte des Beschwerdeführers Starbatty, „braucht das Verfassungsgericht mehr anzurufen, weil alle Verstöße gegen das Grundgesetz, die etwa die gemeinschaftliche Haftung, den Euro oder europäische Belange betreffen, zum EuGH weitergeleitet werden.“
Zwar mögen derartige Äußerungen die Medienticker füllen. Indessen sind sie mit der rechtlichen Realität kaum in Einklang zu bringen. Sie belegen einzig die rückwärtsgewandten Rechtsauffassungen, die insbesondere die Existenz des Unionsrechts und ihrer Gerichtsbarkeit vollends negieren. Erstens – und diesbezüglich scheint bei den Kritikern der Beschlüsse vom 17.12.2013 sowie vom 14.1.2014 mehr als nur eine kleine Wissenslücke zu bestehen – ist die Einbeziehung der Karlsruher Richter keinesfalls als ein Souveränitätsverlust zu deuten. Im Gegenteil: Art. 267 Abs. 3 AEUV schreibt diese Vorgehensweise nämlich explizit vor. Danach ist jedes letztinstanzliche Gericht, also auch das deutsche Bundesverfassungsgericht, verpflichtet dem Gerichtshof der Europäischen Union vorzulegen, sobald im Rahmen eines rechtshängigen Verfahrens über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Unionsorgane zu befinden ist. Da in den Verfassungsbeschwerden, wie sich insbesondere in der mündlichen Verhandlung vom 11./12.6.2013 zeigte, die Frage der Vereinbarkeit des OMT-Programmes mit den primärrechtlichen Bestimmungen der Art. 123ff. AEUV streitgegenständlich ist, blieb dem Zweiten Senat – wenn er die Unionsverträge nicht verletzen möchte – gar nichts anderes übrig als diesen unionsrechtlich vorgeschriebenen Weg zu beschreiten.
Zweitens verkennt der Kritiker, dass es sich bei Art. 267 Abs. 3 AEUV um eine Norm handelt, die nicht nur die Einheit der Unionsrechtsordnung sichern soll, sondern vor allem auch aufgrund der Ratifikation seitens der Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“ Eingang in die Unionsverträge fand. Die Souveränität von der Starbatty spricht, ist deshalb mehr als deplatziert, weil die Mitgliedstaaten diesbezüglich ausdrücklich auf ihre Souveränität verzichtet haben. Wer dies bestreitet, sollte den Wortlaut und die entsprechende juristische Kommentierung zu Art. 19 EUV zu Rate ziehen. Das Unionsrecht steht zudem – anders als es sich diese Beschwerdegruppe um Herrn Starbattygern wünscht– keinesfalls zur Disposition und zwar weder seitens der Unionsorgane noch seitens der Mitgliedstaaten. Gem. Art. 2 EUV ist die Europäische Union eine Rechtsgemeinschaft, die als eine rechtlich geordnete Gestaltung unserer europäischen Welt bewusst an die Stelle von Politik und Macht trat. Grundvoraussetzung für die Existenz der Rechtsgemeinschaft ist hierbei in erster Linie die unbedingte Einhaltung des Regelwerkes.
Folgt man nunmehr dem Ansinnen Starbattys, indem man Art. 267 Abs. 3 AEUV in Abrede stellt, so setzt man den unheilvollen Weg der Flexibilisierung rechtlicher Maßstäbe weiter fort: Was als Rechtsbruch durch die sog. Euroretter Lagarde, Trichet oder Draghi hinsichtlich der No-Bail-Out-Regel (Art. 125 AEUV) bzw. des Verbots der monetären Finanzierung (Art. 123 AEUV) begann, würde letztlich durch eine weiteren Vertragsbruch und zwar seitens des Bundesverfassungsgerichts gekürt. Der institutionelle Schaden könnte kaum größer sein.
Die Sichtweise des Karlsruhe-Kritikers ist aus den vorgenannten Gründen mehr als befremdlich und stellt sein schriftsätzlich und im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgetragenes Begehren in Frage. Denn wer braucht schon Beschwerdeführer, die jene Mittel proklamieren, die sie angeblich bekämpfen? Möchte man tatsächlich Souveränität verteidigen, dann fordert dies in erster Linie den Rechtsstaat und zwar in all seinen Facetten. Soll das verbindliche Unionsrecht nicht zum bloßen soft law verkümmern, so bedarf es, und da liegt Karlsruhe goldrichtig, daher in erster Linie einer Rückkehr zum Recht.
Mit ihrer Entscheidung den Gerichtshof der Europäischen Union anzurufen, haben die Karlsruher Richter daher einen ersten, wenn auch nicht leichten, Schritt in die richtige Richtung gemacht: Chapeau! Möge der Gerichtshof der Europäischen Union daran anknüpfen und die medial omnipräsenten Schwarzmaler der Fehleinschätzung strafen.
[2] https://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20131217_2bvr139012.html; https://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20140114_2bvr272813.html
Guter Beitag. Ich denke dazu: Das BVerfG setzt dem EuGH schon die Waffe auf die Brust, wie in Solange I und beachtet dennoch den EuGH, erkennt ihn an. Logisch ist der Beschluss nicht, da eine ultra vires Prüfung auf Evidenz ausgerichtet ist. Wie evident ist aber eine Sache, wenn sie einfach durch eine andere Auslegung behoben werden kann?
Der Artikel sagt, es liege kein Souveränitätsverlust vor. Ausserdem gehe der Vorwurf des Souveränitätsverlustes fehl, weil die Mitgliedstaaten ja selbst auf Souveränität verzichtet hätten. Wenn das stimmen sollte, müsste man sich vielleicht chon entscheiden, was von beidem denn nun zutreffen soll.
Nach dem BVerfG soll doch die Souveränität der Mitgliedstaaten nur bis zu einem ultra-vires-Fall zurücktreten o.ä. Über einen solchen soll nun aber der EuGH selbst das letzte Wort haben und damit über die Frage, ob man sich noch im Rahmen der Kompetenzen der EU und damit des EuGH bewegt, Hierin eine weitere Souveränitätseinschränkung zu vermuten, scheint vielleicht nicht so sehr befremdlich, wie der Artikel besagen will. Das Vorlageverfahren ist von den Mitgliedstaaten kraft derer Souveränität installiert, muss also letztlich deren Souveränität unterstellt bleiben und kann nicht aus sich selbst heraus und damit einer Souveränität der EU zwingend sein. Will man nun die Souveränität der Mitgliedstaaten stets auch in Kompetenzfragen zwingend dem Vorlageverfahren unterwerfen schiene das doch im Grunde eben quasi wie ein die Souveränität der Mitgliedstaaten unterlaufender Zirkelschluss o.ä.
Herr Städter,
wie können Sie sowas behaupten, wo doch das BVerfG selbst sagt:
„Der Senat neigt deshalb zur Annahme eines Ultra-vires-Aktes, …“
was eigentlich ausreicht, um seine Verwerfungskompetenz zu begründen, da darin ein hinreichend begründeter Kompetenzverstoß der EU i.S.d. Mangold-Beschlusses des BVerfG liegt. Wenn es selbst schon seine Messlatte so mutig festlegt und sich gewisse Reservekompetenzen im Verhältnis zum EUGH (Zu Recht) vorbehält, so ist es auch gehalten, diese selbst konsequent einzuhalten.
Alles andere ist schlichtweg ein Abdanken im Sinne von Herrn Starbattys Kritik. Es geht nämlich nicht darum, ob man die Existenz des Art. 267 AEUV leugnet. Das tut nämlich gar niemand. Im Gegenteil wissen die Kritiker sehr wohl, dass es so etwads wie eine Vorlagepflicht gibt, Herr Städter, das ist keine Neuigkeit. Herr Starbatty bemängelt vielmehr, dass nunmal – richtigerweise – die Voraussetzungen des Art. 267 AEUV nicht vorlagen. Denn wenn Sie ihn genauer lesen, stellen Sie fest, dass er mehr Voraussetzngen hat, als das TB-Merkmal „letztentscheidendes Gericht“.
Es ist schlichtweg inkonsequent und ein sehr trauriger Rückzieher des BVerfG wenn es erst mit breiter Brust in seiner Lissabon-Entscheidung und im Mangold- Beschluss von „ultra vires Kontrolle“ „ausbrechenden Rechtsakten“ u.ä. Gründen für eine Kompetenzanmaßung nennt – dann aber wenn es tatsächlich darauf ankommt, sich nicht traut, seine Drohungen auch wahr zu machen.
So hat es seine Glaubwürdigkeit verloren. Es wird bestimmt nie wieder jemand im EuGH wegen einem „wegweisenden“ Urteil des BVerfG zittern…
Das gesamte ESM-Konstrukt ist europarechtswidrig. Es wurde zur Vermeidung/Umgehung der Rechtswidrigkeit als völkerrechtlicher Vertrag abgeschlossen und stand von Anfang an auf wackeligen Füßen.
Es ist traurig, dass sich das BVerfG dies nicht endlich mal klarstellt und Regeln aufstellt.
Wozu brauchen wir noch ein BVerfG, wenn wir Leute wie Sie haben, die sowieso alles besser wissen?
weil wir solche Leute wie sie habe, die von nichts eine Ahnung, aber zu allem eine Meinung haben.
Glückwunsch
Hallo Zusammen,
Der Weg zum European Patent Attorney
!
1. Vor der Anmeldung eines
europäischen Patents:
2. Anmeldung:
3. Eingangs- und Formalprüfung
4. Recherche
5. Veröffentlichung der
Anmeldung
6. Sachprüfung
7. Patenterteilung
8. Validierung
9. Einspruch
10. Beschränkung/ Widerruf
11. Beschwerde
Dieser Verlauf ist wirklich nicht
einfach, aber unter dem Strich lohnt es sich, hierfür eine Fachmann
zu engagieren!
VG
Stefan
Leider geht der Beitrag auf die verfassungsrechtliche Grenzen in Bezug auf die Übertragung von Hoheitsrechten (§ 79 III GG) nicht ein. Die Entscheidung des BVerfG liegt zwar auf einer Linie mit den im Honeywell-Beschluss aufgestellten Grundsätzen über eine Ultra Vires-Kontrolle, jedoch stellt sich die Frage, ob es nicht sachgerechter wäre die Kompetenzüberschreitung von europäischen Organen, die in den Kernbereich der natationeln Souveränität (Haushaltsrecht des Bundestages) eingreifen könnten, am Maßstab des Grundgesetzes zu beurteilen. Schließlich zeigt dieses selbst in § 79 III GG die Grenzen bezüglich der Übertragbarkeit von Hoheitsrechten bzw. deren Aushöhlung auf.
V.a. haben die Beschwerdeführer das BVerfG ja gerade wegen eines ihrer Ansicht nach vorliegenden ultra-vires Aktes angerufen, so dass es eigentlich Sache des BVerfG sein sollte, die OMF am Maßstab des Art. 79 GG zu messen und dies gerade NICHT dem EuGH zu überlassen.
Ich finds nur schade, dass das BVerfG mit seiner ehernen Tradition gebrochen hat, den EuGH schlichtweg nicht zu konsultieren. In dieser Sache hat Herr Strabatty nämlich Recht. Es ist sehr wohl ein bezeichnendes Signal, wenn das BVerfG dem EuGH vorlegt. Art. 267 AEUV hin oder her. Nötig war es m.E. nicht. Denn den Art. 79 GG wird der EuGH nicht prüfen können.