Jur:Next Urteil: „Schlagkräftige Dresdener“
Der nachfolgende Beitrag stammt aus der gemeinsamen Kooperation mit jur:next und behandelt ein examensrelevantes Urteil des Bundesgerichtshofs zum Strafrecht.
I. Einführung – BGH, Urteil v. 22.01.2015 – 3 StR 233/14
Verabredete Schlägereinen zwischen Hooligan-Gruppierungen sind immer wieder in den Schlagzeilen der Medien. Die Meinungen hinsichtlich der Strafbarkeit solcher Handlungen gehen nicht nur in der Bevölkerung auseinander sondern auch in der Rechtswissenschaft.
Der BGH hatte sich in der vorliegenden Entscheidung mit der Vereinigung ,,Hooligans Elbflorenz‘‘ zu beschäftigen.
Dabei konkretisiert und ergänzt der BGH seine Stellung zur Sittenwidrigkeit des § 228 StGB. Zudem stuft er erstmals eine Hooligan-Gruppierung als kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 StGB ein.
II. Sachverhalt
Die Angeklagten gehörten einer größeren Personengruppe an, die unter dem Namen ,,Hooligans Elbflorenz‘‘ auftrat. Die Gruppe war straff organisiert, trug einheitliche Kleidungsstücke und traf sich regelmäßig zum Training, um sich für die körperliche Auseinandersetzungen vorzubereiten. Zudem war den einzelnen Mitgliedern eine Faszination für Gewalt und eine rechtsextreme Gesinnung zu Eigen.
Mitglieder die den Treffen mehrfach fernblieben wurden nicht sanktioniert, mussten aber damit rechnen, dass sie über neue Zusammentreffen nicht mehr informiert und somit faktisch ausgeschlossen wurden.
Die Gruppe verabredete sich regelmäßig mit anderen Hooligan-Zusammenschlüssen, um gegen diese zu kämpfen. Für diese Auseinandersetzungen galten ungeschriebene Regeln, die von den Beteiligten eingehalten wurden. Dabei waren Schläge und Tritte gegen alle Körperregionen (ausschließlich des Genitalbereichs) erlaubt. Auch Angriffe von hinten und mittels mehrerer Kämpfer gegen Einzelne waren möglich. Eingreifende Kampfrichter waren nicht vorgesehen. Waffen waren untersagt und es durfte bei den Auseinandersetzungen nur leichtes Schuhwerk getragen werden. Zudem durfte ein Kämpfer, der signalisierte nicht mehr in den Kampf einzugreifen nicht weiter angegangen werden. Bei den Aufeinandertreffen kam es zu Verletzungen der Teilnehmer, die aber in keinem der Fälle als lebensbedrohlich einzustufen waren.
III. Problemaufriss
1. Wie einleitend dargelegt, stufte der BGH eine Hooligan-Gruppierung erstmalig als kriminelle Vereinigung ein. Dies ist von durchaus weitreichender Bedeutung, führt man sich die Folgen dieser Feststellung vor Augen.
Auf Grundlage des § 129 StGB können heimliche strafprozessuale Ermittlungsverfahren (vgl. § 100a StPO) durchgeführt werden. Zudem kann eine solche Vereinigung verboten werden. Auch auf die Mitglieder hat eine solche Einstufung erhebliche Auswirkungen. So gibt der Strafrahmen der Norm bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe her, auch wenn der Einzelne keine eigenen Straftaten oder vorbereitende Aktivitäten begeht.[1]
Dabei ist eine Vereinigung im Sinne des § 129 I StGB ein auf Dauer angelegter freiwilliger organisatorischer Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung unter dem Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und sich als einheitlicher Verband fühlen.[2]
Der BGH nimmt, wie bereits die Vorinstanz, an dass die Gruppierung die personellen, organisatorischen, voluntativen und zeitlichen Kriterien erfüllt.[3]
2. Bis hierhin ist die Subsumtion, des dargestellten Sachverhalt, unproblematisch. Damit der Tatbestand des § 129 I StGB vollständig erfüllt ist, muss der Zweck der Vereinigung darauf gerichtet sein Straftaten zu begehen. Diese wurden von den Richtern in den wechselseitig zugeführten Körperverletzungen gesehen. Fraglich war aber, ob diese auch rechtswidrig verwirklicht wurden.
An dieser Stelle des Urteils finden sich Ausführungen, die über den Anwendungskreis des § 129 StGB hinausgehen. Um diese richtig einordnen zu können, muss man sich in Erinnerung rufen, dass es grundsätzlich möglich ist in eine Körperverletzung einzuwilligen (§ 228 StGB) und ihr somit die intendierte Rechtswidrigkeit zu nehmen. Diese Einwilligung ist auch hinsichtlich in einer Schlägerei wechselseitig zugefügter Körperverletzungen möglich.
Allerdings ist die Einwilligung ausgeschlossen, wenn die Tat gegen die guten Sitten verstößt.[4] Dabei fällt dem geübten Rechtsanwender auf, dass es sich dabei um einen sehr weiten und unbestimmten Rechtsbegriff handelt, der sich hinsichtlich des Bestimmtheitsgebotes an der Grenze zur Verfassungswidrigkeit bewegt.[5] Dieses Problem sieht auch der BGH an und führt dazu aus: ,,Wann eine Tat gegen die guten Sitten verstößt, ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof nicht immer einheitlich beurteilt worden. Anfangs spielten (…) vor allem die Beweggründe eine wesentliche Rolle (…). Daneben wurde aber auch stets die Schwere der Verletzung in den Blick genommen(…). ‘‘[6]
Die Rechtsprechung entfernte sich somit immer weiter von einer moralischen Zweckbewertung der Körperverletzung und bestimmte die Sittenwidrigkeit nach objektiven Kriterien.[7] Dabei soll nach heutiger Ansicht die Sittenwidrigkeit der Einwilligung bejaht werden, wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung (ex ante Sicht) die Körperverletzung den Einwilligenden in eine konkrete Todesgefahr bringt.
Diese recht eindeutige Definition wurde schon bald darauf dahingehend vom 1.Strafsenat erweitert, dass bei der Bewertung auch die Eskalationsgefahr von gruppendynamischen Prozessen berücksichtigt werden muss.[8]
Subsumiert man diese Definition unter den vorliegenden Sachverhalt, stellt man fest, dass eine konkrete Todesgefahr kaum zu bejahen ist. Auch die Eskalationsgefahr muss als gering angesehen werden, da die Teilnehmer sich an die getroffenen Absprachen hielten und diese einem Ausarten der Situation entgegenwirkten.
3. Der BGH erweitert nun in der vorliegenden Entscheidung die objektiven Kriterien um das Wertungsmuster des § 231 StGB. Insoweit soll es ausreichen, um die Sittenwidrigkeit zu begründen, wenn der Einwilligende im Sinne des § 231 StGB voraussichtlich in die konkrete Gefahr einer schweren Körperverletzung (gemäß § 226 StGB) gebracht wird.
Dies begründet der BGH damit, dass in der Konstruktion des Straftatbestandes des § 231 StGB zum Ausdruck kommt, dass das sozialethisch verwerfliche Verhalten bereits in der Beteiligung an einer Schlägerei besteht, weil dadurch erfahrungsgemäß so häufig die Gefahr schwerer Folgen geschaffen wird, dass die Beteiligung als solche schon strafwürdiges Unrecht darstellt.[9] Denn in diesem Gesetzesverstoß, liegt eine Missachtung der gesetzgeberischen Wertung des § 231 StGB, die das Sittenwidrigkeitsurteil unabhängig davon begründet, ob der aus der Norm ergebenen gesteigerten Gefahr für Leib und Leben durch Vorkehrungen, mit denen die Eskalation der Auseinandersetzung verhindert werden soll, entgegengewirkt werden kann.[10]
Unter Heranziehung dieser Argumentationskette gelangt der 3.Strafsenat zur Unbeachtlichkeit der Einwilligung der Beteiligten, da eine Sittenwidrigkeit im Sinne des § 228 StGB vorliegt.
IV. Folgen für die Ausbildung
Der BGH schafft durch seine Entscheidungen hinsichtlich der Einwilligung Einzefallkasuistiken. Die ,,Fallgruppe‘‘ der Schlägerei erweitert die schon bestehenden Kriterien der konkreten Todesgefahr und gruppendynamischen Eskalationsgefahr.
Der Rechtsbegriff der Sittenwidrigkeit ist unbestimmt und daher auslegungsbedürftig. Dies beinhaltet immer die Gefahr einer moralischen Zweckbestimmung. Der Rechtsanwender sollte daher nicht nur die Fallgruppen der Rechtsprechung kennen, sondern auch die Argumentationsketten des BGH nachvollziehen. Dies ermöglicht es in der Klausur oder der mündlichen Prüfung eine nachvollziehbare und fundierte Lösung zu präsentieren.
[1] Fischer, Strafgesetzbuch, § 129 Rn.24.
[2] Fischer, Strafgesetzbuch, § 129 Rn.6.
[3] BGH 3 StR 233/14 Rn. 25.
[4] Fischer, Strafgesetzbuch, § 228 Rn.8.
[5] Schönke/Schröder, StGB, § 228, Rn.2.
[6] BGH 3 StR 233/14 Rn. 36.
[7] BGHSt 49, 166 ff.
[8] NJW 2013, 1379.
[9] BGH 3 StR 233/14 Rn. 44.
[10] BGH 3 StR 233/14 Rn. 47.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!