Jur:Next Urteil: DÜGIDA vs. Oberbürgermeister
Wir freuen uns, auch heute wieder einen Beitrag aus der gemeinsamen Kooperation mit jur:next veröffentlichen zu können. Nachfolgend wird ein Beschluss des OVG NRW besprochen, der wegen der hohen Relevanz des Eilrechtsschutzes in der Ersten Staatsprüfung Anlass bietet, sich anhand einer politisch aktuellen Situation in das Thema einzudenken.
Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen vom 12. Januar 2015 ·
Az. 15 B 45/15
Leitsatz: „Zulässigkeit und Grenzen von staatlichen Aufrufen an die Bevölkerung zu Kundgebungen oder ähnlichen politischen Aktionen sind jedoch bislang in der verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung nicht hinreichend geklärt. Zwar wird die Antragstellerin durch den Aufruf des Antragsgegners jedenfalls in ihren Grundrechten aus Art. 5 und 8 GG berührt. Sie kann aber ihre Versammlung gleichwohl wie geplant durchführen.“
I. Zum Sachverhalt
Der PEGIDA-Ableger DÜGIDA hatte für den 12.01.15 eine Demonstration mit dem allseits bekannten Thema der Islamisierung des Abendlandes geplant. Der Oberbürgermeister der Stadt Düsseldorf wollte dies nicht ohne weiteres hinnehmen. Angelehnt an die Maßnahme des Erzbistums Köln den Dom zu verdunkeln, sollten auch hier sämtliche städtische Einrichtungen als Zeichen der Ablehnung das Licht ausschalten. Auf der Internetseite der Stadt Düsseldorf wurden die Bürger gar zu einer Gegendemonstration aufgerufen. Darüber hinaus wurden auf der öffentlichen Plattform auch die regional ansässigen Betriebe dazu aufgefordert gegen DÜGIDA das Licht auszuknipsen. Ein Antrag einer Demonstrantin D auf einstweilige Untersagung des Handelns des OB von Düsseldorf hatte vor dem ansässigen VG Erfolg.[1] Das Stadtoberhaupt legte jedoch Beschwerde gegen die Untersagung beim OVG in Münster ein, welcher am 12.01.15 stattgegeben wurde.
II. Problemaufriss
Zunächst ein kurzer Überblick zur Zulässigkeit des verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes:
Gem. § 123 V VwGO ist die einstweilige Anordnung nach § 123 I VwGO subsidiär zu § 80 V VwGO. Dieser Fall tritt ein, wenn in der Hauptsache eine Anfechtungsklage statthaft wäre, also sich das Begehren des Klägers auf die Abwehr eines nicht erledigten Verwaltungsakts richtet. Mangels Regelungsgehalts der Aufforderungen des OB im Internet an die Unternehmen ist eine Verwaltungsaktqualität zu verneinen. Bei der Anweisung das Licht in den Verwaltungsgebäuden auszuschalten handelt es sich ferner um eine innerbehördliche Maßnahme, der folglich eine Aussenwirkung fehlt. Vorliegend wäre somit nur eine Leistungsklage in Form des öffentlichrechtlichen Abwehr- und Unterlassungsanspruchs statthaft in der Hauptsache. Die einstweilige Anordnung ist nach § 123 Abs. 1 VwGO zur Sicherung einer vorhandenen Rechtsposition (S. 1) als auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes (S. 2) möglich. Die Anordnung nach Satz 1 ergeht bspw. bei sicherungsfähigen Unterlassungsansprüchen (Sicherungsanordnung). Eine solche nach Satz 2 hingegen zur Erweiterung des Rechtskreises bspw. durch Verpflichtungsverhältnisse (Regelungsanordnung). Das OVG bejaht vorliegend ohne weitere Prüfung eine Regelungsanordnung. Dafür spricht, dass man das Verlangen der D auf ein Lichtanlassen als ein „Mehr“ im Vergleich zur bereits genehmigten und gesicherten Versammlung sehen könnte. Dagegen spricht jedoch klar die dargestellte Unterlassungskonstellation. Die D möchte ihre bereits gesicherte Rechtsposition aus Art. 8 I GG vor einer Gefährdung durch das Handeln des OB schützen. Damit liegt der Fall einer Sicherungsanordnung vor, wobei letztlich jedoch mit guten Argumenten beiden Alternativen gefolgt werden kann. D ist auch gemäß § 42 II VwGO analog antragsbefugt, da sie auch im etwaigen Hauptsacheverfahren möglicherweise in ihrem Rechten aus Art. 8 I, 5 I 1 GG gefährdet wäre. Richtiger Antragsgegner nach § 78 I Nr. 1 VwGO analog ist die Stadt D als Rechtsträger des als in seiner Funktion als Behörde handelnden OB. Das Rechtsschutzbedürfnis im einstweiligen Rechtsschutz kann fehlen, wenn es einfachere Wege zur Erreichung des Begehrens des Antragstellers, bspw. durch einen Antrag bei der Behörde gibt oder auch das Hauptsacheverfahren insgesamt offensichtlich unzulässig wäre. Diesbezügliche Annahmen gibt es nicht, sodass der Antrag der D auf Erlass einer Sicherungsanordnung auch insgesamt zulässig ist.
In der Begründetheit müssen ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund gegeben sein. Ein Anordnungsanspruch besteht wenn die Klage in der Hauptsache nicht offensichtlich unbegründet ist. Demnach ist hier die Unterlassungsklage der D summarisch zu prüfen. Sowohl Art. 8 I GG als auch dessen einfach gesetzliche Konkretisierung in § 1 VersG garantieren das subjektive öffentliche Recht der Freiheit einer Versammlung. Bei der PEGIDA- Demo handelt es sich um ein Zusammentreffen zur politischen Meinungskundgabe und somit bereits nach der engsten Definition um eine Versammlung. Es stellt sich die Frage, ob in diese Rechtsposition hoheitlich eingegriffen worden sein könnte. Der Düsseldorfer OB veröffentlichte die Aufforderungen auf der städtischen Internetplattform und gab innerbehördliche Anweisungen aus, sodass er in seiner hoheitlichen Funktion als gemeindliche Behörde (§ 62 II 2, 63 I GONW) handelte. Gesichert wird durch Art. 8 I GG das umfassende Recht Ort, Zeit und Umfang einer Versammlung frei zu gestalten. Auch in Dunkelheit öffentlicher und gewerblicher Gebäude kann die D ihre Versammlung wie geplant durchführen, da Straßen- und Wegebeleuchtung ihren Marsch sichern. Sinn und Zweck der Versammlungsfreiheit ist jedoch neben der organisatorischen Durchführung eine bestimmte meinungsbildende Wirkung nach außen tragen zu können. Einer vorher öffentlich „ausgeknipsten“ Veranstaltung ist dies nicht in gleicher Weise möglich, wie unter den Alltagsvoraussetzungen, die gerade die Besonderheit einer solchen Kundgebung hervorheben. Ihr wird in diesem Sinne die ausübende Wirkung erschwert. Auch wird sie von staatlicher Seite nicht in gleicher Weise wie eine gewöhnliche Demonstration behandelt. Diese vorliegende Beeinträchtigung der Rechtsposition aus Art. 8 I GG war auch gerade in funktionaler Weise das Ziel des Handelns des OB. Ein darüber hinaus gehender Eingriff in die Meinungsfreiheit aus Art. 5 I GG, kann, wenn man wiederum auf die Wirkungsweise und die Darstellung der Demonstration als beeinträchtige Äußerung abstellt, gleichfalls bejaht werden.
Fraglich ist demnach, ob der Eingriff rechtswidrig war, also insbesondere von der D zu dulden sein könnte. Anmeldepflichtige und nicht verbotene Versammlungen können grds. nur unter den tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 14 ff. VersG beschränkt werden. Eine mögliche Duldungspflicht gegnüber dem Handeln des OB findet sich hier und somit insgesamt nicht. Die öffentlichen Aufrufe könnten jedoch als im politischen Meinungskampf gerechtfertigt sein. Dies wäre nicht der Fall, wenn das Amt des Bürgermeisters, das der OB wie dargestellt ausgenutzt hat, dem staatlichen Neutralitätsgebot unterworfen ist. Das BVerfG hatte erst kürzlich entschieden, dass auch im öffentlichen Meinungskampf zwischen politischen Vertretern und parteilich organisierten Bürgern das staatliche Neutralitätsgebot aus Art. 20 I, II und Art. 21 I GG zu beachten ist. [2] Ob diese Grundsätze auf einen kommunalen Vertreter gegenüber einer politischen Organisation anwendbar sind, wurde, wie auch das OVG feststellt, bisher nicht entschieden.[3] Klar ist, dass Grundsätze der verfassungsmäßigen Ordnung über Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG auch für die Länder und Kommunen gelten. Zwar zielt der Grundsatz auf die besondere Stellung der Parteien und deren Freiheit in Wahlkampfzeiten ab, dies darf jedoch nicht ausschließen, dass die demokratische Willensbildung, die auch gerade durch politische Organisationen erst entstehen kann, gleichfalls geschützt sein muss. Ferner sind Gründe warum dieses verfassungsrechtlich normierte Gebot, das so an Funktion und Ausübung eines Mandats eine Neutralitätspflicht knüpft, nicht auch für einen Gemeindevorsteher gegenüber einer politischen Organisation gelten soll nicht ersichtlich. In beiden Fällen geht es um die Ausnutzung der hoheitlichen Amtsstellung zur Beeinflussung politischer Willensbildung. In beiden Fällen führt dies so zu einem öffentlichkeitswirksamen Vorteil gegenüber den politischen Gegnern. Ausnahmen gelten nur dann, wenn es um offensichtlich verfassungsfeindliche Bestrebungen geht, die innerhalb der Demokratie zu bekämpfen ausdrücklich erlaubt ist (Art. 20 IV GG).[4] All diese Ausführen finden sich wenn überhaupt nur unvollständig in der Entscheidung des OVG wieder. Demnach liegt ein rechtswidriger Eingriff in Art.8 I, 5 I GG vor, ein Erfolg in der Hauptsache wäre zu erwarten und ein Anordnungsanspruch besteht.
Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn eine Eilentscheidung nötig ist, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gefahren zu verhindern (Interessenabwägung). Zunächst ist richtig, dass es sich aufgrund der Kürze der Zeit vorliegend um eine endgültige Entscheidung handelt, das die Hauptsache letztlich vorwegnimmt.[5] Dies liegt jedoch offensichtlich in der Natur der Sache einer Eilentscheidung, die mit einem zeitlich stark befristeten Unterlassungsbegehren verbunden ist. Nach ständiger Rechtsprechung muss das Abwarten für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge haben. Ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens war offensichtlich mit nicht mehr zu beseitigenden Nachteilen verbunden, da die Versammlung unmittelbar bevorstand. Zudem wurde der nicht unerhebliche Einfluss auf Art und Umfang der Kundgebung bereits dargestellt. Die schon erwähnten gegenteiligen Argumente können aber auch hier zu einer Ablehnung eines Anordnungsgrunds kommen. Sicher ist jedoch, dass die Feststellung durch das OVG: „Sie [die D] (Anm. d. Verf.) kann aber ihre Versammlung gleichwohl wie geplant durchführen“[6], welche zugleich mit dem Ausbleiben einer Würdigung der Hauptsache einherging, offensichtlich unzureichend ist. Das Gericht verwies dafür zwar auf die Kürze der Zeit, wollte aber Mehr oder Minder sagen: „ Ist doch nicht so schlimm, stellen Sie sich nicht so an!“
Nach dem Vorliegen eines Anordnungsgrundes ist dessen Glaubhaftmachung gemäß den §§ 920, 294 ZPO erforderlich. Die Rechtsfolgen einer einstweiligen Anordnungen stehen grds. im Ermessen des Gerichts (§ 123 III iVm § 938 I ZPO). Bezüglich des Ob der Anordnung ist nach ganz herrschender Auffassung bei Bejahung der vorhergehenden Merkmale kein Raum. Jedenfalls muss aber der Inhalt der Entscheidung vom Gericht bestimmt werden. Hier dürfen grds. keine Vorwegnahme und auch kein Überschreiten des Begehrens der Hauptsache erfolgen. Vorliegend handelte es sich wie dargestellt jedoch gerade um einen solchen Ausnahmefall, sodass ein Abwarten in der Hauptsache unzumutbar war. Schließlich konnte damit hier die Anordnung getroffen werden, dass der OB sowohl seine öffentliche Aufforderung als auch seine innerbehördliche Anweisung zur „Lichtblockade“ gegen DÜGIDA zu unterlassen bzw. zurückzunehmen hat.
III. Bedeutung für die Ausbildung
Der verwaltungsgerichtliche Eilrechtsschutz ist ein Dauerbrenner im Examen, da hier die einzelnen Ö- Rechtsgebiete übergreifend beherrscht werden müssen. Sind jedoch die dargestellten Grundzüge der §§80 V, 123 I klar, kann mit guter Argumentation und Überblick gepunktet werden. Das Urteil des OVG selbst ist aus den genannten Gründen zwar nicht lesenswert, jedoch besitzt die Fallkonstellation höchste Aktualität und somit auch Relevanz für die Erste Staatsprüfung.
[1] VG Düsselsdorf: Beschl. v. 9.01.2015, Az. 1 L 54/15.
[2] BverfG, Urteil vom 16.12.2014, Az. 2 BvE 2/14.
[3] Rn. 8.
[4] So bspw. bei einem Aufruf eines Bürgermeisters zu einer Gegendemonstration gegen einen verfassungsfeindlichen Verein: Beschluss des OVG vom 12.06.2005 · Az. 15 B 1099/05.
[5 ] Rn. 6.
[6] So das OVG in diesem Urteil lapidar in Rn. 9.
Zum Papiertiger „Vorwegnahmeverbot“ vgl. Schoch/Schneider/Bier, § 123 VwGO, Rn. 141ff. mit umfangreichen Nachweisen aus Lehre und Rechtsprechung.
Alle schreiben’s hin, keiner weiß Bescheid – willkommen im Jurastudium.
mal eine Frage… wäre hier nicht ein VA begründbar, weil es ja eben nicht nur um interne Vorgänge, bzw. Außenwirkung geht ? und somit ein 80 Ver Antrag ?
Es geht bei der Frage VA oder nicht darum, ob der Inhalt externe Vorgänge betrifft oder zum Anlass nimmt, sondern ob er tatsächlich Rechtswirkungen nach aussen entfaltet. Wenn Sie meinen, dass das Ausschalten der Beleuchtung von Gebäuden Rechtswirkungen entfaltet, würde ich die Begründung dazu gerne hören. Darüber hinaus ist es nicht allein relevant für einen Antrag nach § 80 V ob ein VA vorliegt, sondern ob eine Anfechtungssituation gegeben ist. Da es vorliegend (nach meiner Auffassung) um eine Verpflichtungssituation geht, kann nur 123 einschlägig sein. Gegenteiliges kann natürlich mit entsprechend guter Begründung von Ihnen dargestellt werden.
Beste Grüße der Verfasser
Habe eine Frage: Hier wurde ja das ganze zunächst als Sicherungsanordnung behandelt. Im Rahmen des Antragsgrundes wird dagegen wieder auf die Voraussetzungen für die Regelungsanordnung abgestellt. Wie könnte man den Antragsgrund bei der Sicherungsanordnung begründen? Für mich ist das schwierig, weil ja auf eine „Veränderung des bestehenden Zustands“ (§ 123 I 1 VwGO) abzustellen ist, die Äußerungen vorliegend aber schon gemacht wurden?
Wäre sehr dankbar für Vorschläge 😉
Es kann etwas unklar bleiben, wieso man bei politisch gewählten Beamten, immer besonders auf eine staatliche Neutralität beharren können soll. Dies – politischer Wahlbeamter und strikte staatliche Neutralität – können ein wenig im Widerspruch zueinander stehen und die Grenze hierbei kann noch eventuell unklar scheinen. Es kann vorliegend dagegen zudem eine staatlich gerechtfertigte, teilweise Aufhebung von Verkehrssicherungspflichten zur Vermeidung von Verletzungen o.ä. vorliegen. Dies unter Umständen im Hinblick auf die Vermeidung von entsprechenden Verletzungen aus eher sachfremden und daher eher unzulässigen Erwägungen.