Hier spricht man deutsch… (außer am FG Hamburg) – Klage kann auch auf polnisch zulässig sein
Die Gerichtssprache ist deutsch. Dies macht § 184 GVG ohne Zweifel deutlich. Warum dies vielleicht nicht immer so ist, zeigt unser Artikel anhand einer überraschenden Entscheidung des FG Hamburg.
Was § 184 GVG im Grundsatz bedeutet, dürfte klar sein: Sämtliche Schriftstücke sind in deutscher Sprache einzureichen. Hieraus leitet die Rechtsprechung ab, dass in nicht in deutscher Sprache verfasstes Schriftstück keine Rechtsfolgen auslösen kann. Eine Klage gilt damit als nicht erhoben, eine Frist gilt damit als nicht gewahrt. Ansonsten würde dieser Grundsatz massiv ausgehöhlt.
I. Grundsatz: Deutsch als Rechtssprache
Nur die mündliche Verhandlung kann in Ausnahmefällen auch in einer anderen Sprache geführt werden, wie § 185 Abs. 2 GVG verdeutlicht. Aus diesem Grund sind bereits einige mündliche Verhandlungen – insbesondere in Wirtschaftssachen – auf englisch geführt wurden: https://www.juve.de/nachrichten/verfahren/2010/05/nl101910 Für andere Sprachen dürfte auch diese Norm kaum Bedeutung haben.
Sämtlicher Schriftverkehr muss aber weiterhin auf deutsch erfolgen. Dies scheint das FG Hamburg nun erstmalig nicht so zu sehen. In einer Entscheidung vom 15.3.2017 (4 K 18/17) ließ es eine in polnischer Sprache verfasste Klageschrift als fristwahrend und rechtswirksam genügen. Die Klage ging hier beim FG Hamburg ein, enthielt aber Begriffe wie „Hauptzollamt“ als Eigennamen in deutscher Sprache sowie ein entsprechendes Aktenzeichen, war aber sonst vollständg auf polnisch gehalten. Dennoch schlussfolgerte das Gericht hieraus (zutreffend), dass es sich um eine Klage handelte und ließ eine Übersetzung ins deutsche anfertigen. Die Klage wurde damit nicht als bereits nicht eingelegt behandelt. Das Gericht sah sich dabei als verpflichtet an, Schriftsätze wie den hiesigen, die Hinweise auf das Rechtsschutzbegehren enthalten, zu übersetzen und als wirksam zu behandeln. Begründet wurde dies mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG sowie dem Benachteiligungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 GG).
Das Gericht hält hier dogmatisch richtig nicht die polnische Klage für fristwahrend, sondern den Eingang der angeforderten Übersetzung:
Die wirksame und auch fristwahrende Klageerhebung folgt vielmehr daraus, dass der Senat von Amts wegen eine Übersetzung des innerhalb der Frist des § 47 Abs. 1 FGO eingegangenen und in polnischer Sprache verfassten Schriftsatzes veranlasst hat, die übrigens noch innerhalb der Klagefrist eingegangen ist.
Letztlich liegt damit an sich eine Vereinbarkeit mit § 184 GVG vor, da schlussendlich die Klage auf deutsch erfolgt ist.
II. Aber FG Hamburg: Pflicht zur Übersetzung
Äußerst fraglich ist allerdings, ob tatsächlich eine Pflicht zur Einholung einer Übersetzung geboten ist. Dies würde in letzter Konsequenz bedeuten, dass ein Schriftstück lediglich ein Aktenzeichen oder den Begriff „Klage“ enthalten muss, um eine Übersetzung einzuleiten, die zu einer wirksamen Prozesshandlung führt. Das FG Hamburg stützt sich hierbei auf eine Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 1975 (2 BvR 1074/74):
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seinem Beschluss vom 10.06.1975 (2 BvR 1074/74, BVerfGE 40, 95 ff.) betont, dass der in der Bundesrepublik Deutschland lebende Ausländer in Verfahren vor Gerichten der Bundesrepublik Deutschland die gleichen prozessualen Grundrechte sowie den gleichen Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren und auf umfassenden und effektiven Rechtsschutz wie jeder Deutscher hat (Rz. 10). Dies muss in gleicher Weise in Bezug auf Ausländer gelten, die nicht in der Bundesrepublik Deutschland leben, aber mit deutschen Behörden – sei es auf strafrechtlichem Gebiet oder, wie hier, in steuerrechtlicher Hinsicht – in Berührung gekommen sind.
Dem ist zunächst zuzustimmen. Allerdings erscheinen die hieraus gezogenen Schlüsse zu weitgehend:
Die auch für diese Personengruppe geltende Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens in Art. 20 Abs. 3 GG, das in Art. 3 Abs. 3 GG verankerte Benachteiligungsverbot wegen der Sprache und die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG zwingen daher zu einer verfassungskonformen Auslegung und Handhabung des § 184 Satz 1 GVG. Mit Blick auf diese Gewährleistungen, die nicht nur formal das Recht begründen, den Rechtsweg zu den Gerichten zu beschreiten, sondern auch auf Effektivität angelegt sind und damit auch ausländischen Klägern eine tatsächliche gerichtliche Überprüfung der sie betreffenden Steuer- und Abgabenbescheide eröffnen, hat sich der erkennende Senat im Streitfall veranlasst gesehen, von Amts wegen eine Übersetzung des in polnischer Sprache verfassten Schriftsatzes des Klägers einzuholen. […]
Es würde eine mit Blick auf die Gewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu rechtfertigende Formalie bedeuten, den Kläger entweder zu einer Übersetzung seiner Klageschrift nebst Unterschrift oder zur Unterschrift der vom Senat veranlassten Übersetzung aufzufordern und ihm sodann – der des deutschen Prozessrechts nicht kundige und der deutschen Sprache nicht mächtige Kläger hätte die Klagefrist unverschuldet versäumt – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, zumal die Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens auch erfordern dürfte, diese gerichtlichen Schreiben bzw. Verfügungen dem Kläger in eine ihm verständliche Sprache zu übersetzen.
Das FG ist das erste Gericht, dass hier nun eine Benachteiligung sieht und damit (faktisch) auch entsprechende fremdsprachige Klagen zulässt. Eine solche Benachteiligung ist hier aber schon äußerst zweifelhaft, da alle Prozessbeteiligten an die gleichen sprachlichen Voraussetzungen anknüpfen müssen. Insofern erscheint der Ansatzpunkt äußerst fraglich. Jedenfalls dogmatisch zutreffend ist allerdings der – etwas komplizierte – Weg des FG Hamburg, hier nicht unmittelbar die fremdsprachige Klage zuzulassen, sondern auf die deutsche Übersetzung abzustellen. Über den Rest lässt sich trefflich streiten.
III. Fazit
Für eine kurze Diskussion in der mündlichen Prüfung eignet sich dieser Fall perfekt. Hier können Prozessmaximen und allgemeines Systemverständnis abgefragt werden. Einmal verstanden und gelesen dürfte der Fall auch keine Probleme aufweisen. 10 Minuten Lektüre sind hier folglich sinnvoll investiert.
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