Hans-Jürgen Papier zum Parteiverbot der NPD
Die Welt-Online berichtet über ein Interview mit dem früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier. Der Bericht fasst die Historie rund um die Problematik eines Verbots der NPD anschaulich zusammen. Examensrelevant ist in diesem Kontext insbesondere die folgende Aussage von Papier:
Die NPD – und nicht nur einer ihrer Funktionäre – müsste in diese mörderischen Anschläge in irgendeiner Form verwickelt sein.“ Dieser Nachweis werde nicht einfach zu erbringen sein, so Papier. „Da müssten die Ermittlungen noch mehr ergeben.“
Wortlaut des Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG
Papier verdeutlicht an dieser Stelle, dass ein Parteiverbot i.S.d. Art. 21 Abs. 2 GG nur in besonderen Einzelfällen zulässig ist. Gleichwohl ist die o.g. Äußerung im Lichte des Wortlauts des Art. 21 Abs. 2 GG zunächst nicht ganz korrekt. Ein Parteiverbot kann dem Wortlaut der Norm nach entweder auf die Ziele einer Partei oder aber auf das Verhalten ihrer Anhänger gestützt werden.
Letztere Alternative ist allerdings nur dann einschlägig, wenn das Verhalten der Anhäger der Partei als solcher auch zugerechnet werden kann. So können nach Auffassung des BVerfG Entgleisungen einzelner Mitglieder oder Funktionäre durchaus zu vernachlässigen sein (vgl. BVerfGE 5, 85, 143). Hiermit wäre die oben zitierte Aussage von Papier wieder in ein rechtes Licht gerückt. Die Feststellung, dass sich nur bestimmte Anhänger der NPD „Grundgesetzfeindlich“ verhalten haben, kann somit noch kein Verbot i.S.d. Art. 21 Abs. 2 GG begründen. Letztlich ist aufgrund der restriktiven Auslegung des BVerfG, die sich aus der besonderen Bedeutung politischer Parteien ergibt, somit doch auf die Partei als Gesamtheit abzustellen.
Probleme in der Praxis
Die Problematik, die sich in der Praxis stellt, ist weniger eine Unterscheidung zwischen den zwei diskutierten Tatbestandsalternativen. Eine Bedrohung der freiheitlich demokratischen Grundordnung durch die NPD ließe sich im Prinzip u.U. schon in einem Parteiverbotsverfahren nachweisen.
Das Problem liegt eher auf verfahrensrechtlicher Ebene. Die NPD wird nämlich vom Verfassungsschutz beobachtet (insbesondere durch sog. V-Leute; s. dazu hier). Wenn nun aber Funktionäre der für verfassungswidrig zu erklärenden Partei zugleich als Informanten des Verfassungsschutzes tätig sind, ergibt sich ein Spannungsverhältnis, ähnlich wie es bei Beweisverwertungsverboten nach der StPO der Fall ist (vgl. etwa BVerfGE 104, 370). Aus genau diesem Grund hat das BVerfG bereits das damalige Verbotsverfahren eingestellt (vgl. BVerfGE 107, 339).
Das Problem, das sich stellt, ist somit das Folgende: Einerseits werden die V-Leute benötigt, um interne Äußerungen und Zielsetzungen der NPD nachzuweisen. Andererseits können aber genau diese Beweismittel nicht verwertet werden bzw. die Überwachung führt bereits zu einem unheilbaren Verfahrensverstoß per se. Sofern nur auf öffentlich zugängliche Äußerungen, Publikationen und sonstige frei verfügbare Beweismittel abgestellt wird, fehlt es wohl indes am notwendigen Nachweis der Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG.
Fraglich ist, wie in einem neuen Verfahren zu urteilen wäre. Hierfür kommt es erneut darauf an, wie viele der Beweismittel letztlich durch Kontaktpersonen des Verfassungsschutz eingebracht werden bzw. auch, wie intensiv die Überwachung ist. Die Ansicht von Papier, dass das BVerfG abermals ein erhebliches verfahrensrechtliches Problem aufdecken wird, ist hier nicht von der Hand zu weisen. Es bleibt also abzuwarten, ob tatsächlich ein neues Verbotsverfahren eingeleitet wird.
Im Examen
Wer also im Rahmen einer Klausur oder mündlichen Prüfung mit der Parteiverbotsproblematik konfrontiert wird, sollte nicht voreingenommen an die Sache herangehen und die Möglichkeit eines Verbots auf Tatbestandsebene direkt verneinen. Es sollte vielmehr entsprechend des Wortlauts der Norm genau differenziert und definiert werden. Anschließend erst folgt die Subsumtion, die freilich anhand des vorliegenden (verwertbaren) Beweismaterials in beide Richtungen gehen kann.
Zugleich gilt es als Prüfling stets zu betonen, dass ein Verbot nur durch das BVerfG erklärt werden kann, vgl. Art. 21 Abs. 2 S. 2 GG. Insbesondere wenn Behörden sich entgegen der Monopolstellung des BVerfG anmaßen, eine Partei vertrete eine kämpferische Haltung gegenüber der freiheitlich demokratische Grundordnung des GG, wird meist eine rechtsfehlerhafte Entscheidung ergangen sein (s. vertieft zu diesen Problemkreisen hier).
Danke für diese kurze und prägnante Examens-Lerneinheit 🙂