Abschaffung der Störerhaftung – Haftungsfragen für offene WLAN-Hotspots bleiben examensrelevant
Nach langer Diskussion hat sich die Große Koalition auf ein neues WLAN-Gesetz geeinigt, welches bereits im Herbst 2016 in Kraft treten könnte. Medienberichten zufolge soll nun die sog. Störerhaftung, die bis dato ein Hemmnis für den Ausbau offener WLAN-Hotspots darstellte, abgeschafft werden. Künftig sollen also private und nebengewerbliche Betreiber offener WLAN-Zugänge nicht mehr für Rechtsverletzungen ihrer Nutzer verantwortlich gemacht werden können – eine sicherlich begrüßenswerte Entwicklung!
Da das aktuelle Vorhaben nicht nur gesellschaftlich interessant ist, sondern auch insbesondere in der mündlichen Prüfung Potenzial hat, im Rahmen allgemeiner zivilrechtlicher Normen (§§ 1004, 823 I BGB) abgeprüft zu werden, sollen die rechtlichen Grundlagen der (derzeit noch bestehenden) Störerhaftung vorliegend noch einmal näher beleuchtet werden.
I. Haftungsgrundsätze der Störerhaftung
Da wegen über das Internet begangener Rechtsverletzungen wie Verletzungen des Markenrechts, des Urheberrechts oder des allgemeinen Persönlichkeitsrechts häufig keine Ansprüche gegen den Schädiger geltend gemacht werden können, weil dieser nicht ermittelt werden kann – da die bloße Ermittlung der IP-Adresse hierzu nicht genügt –, versuchen Geschädigte, gegen den Betreiber des Internetzugangs vorzugehen. Allerdings scheitern Schadensersatzansprüche wie § 823 I BGB i. d. R. am fehlenden Verschulden des Vermittlers.
Ein Anspruch auf Unterlassung analog § 1004 I 1 BGB (oder spezialgesetzlich z.B. § 97 I UrhG, der sich an § 1004 BGB orientiert) könnte sich allerdings aus den vom BGH entwickelten Grundsätzen der Störerhaftung ergeben. Als Störer gilt, wer ohne Täter oder Teilnehmer zu sein, in irgendeiner Weise willentlich und adäquat-kausal zur Verletzung eines geschützten Rechtsguts beiträgt. In dem Betrieb eines ungesicherten Internetzugangs liegt jedenfalls eine für die Rechtsverletzung mitursächliche Handlung des Vermittlers. Zudem wird hierbei eine Verletzung von Prüfungspflichten vorausgesetzt, wobei der konkrete Umfang dieser sich danach bestimmt, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenem nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist (BGH v. 17.5.2001 – I ZR 251/99, BGHZ 148, 13). Welche konkreten Maßnahmen der Betreiber eines WLAN-Zugangs ergreifen soll, ist nicht gesetzlich geregelt, sondern wird von der Rechtsprechung anhand des Kriteriums der Zumutbarkeit bzw. einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls festgelegt. Nach Ansicht des BGH genügt jedoch die „Unterstützung oder Ausnutzung der Handlung eines eigenverantwortlichen Dritten, sofern der Inanspruchgenommene die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit zur Verhinderung dieser Handlung hatte“ (BGH v. 8.1.2014 – I ZR 169/12, BGHZ 200, 76), um eine Haftung zu begründen.
1. Ungesichertes WLAN
In der Entscheidung Sommer unseres Lebens (BGH v. 12.5.2010 – I ZR 121/08, siehe auch hierzu unseren Artikel v. 14.5.2010) hat der BGH erstmals festgelegt, dass eine Pflicht besteht, den WLAN-Anschluss durch ein Passwort zu sichern und somit den Zugriff durch unbefugte Dritte zu verhindern. Die Verletzung dieser Sorgfaltspflicht führt zu einem Unterlassungsanspruch gem. § 97 I 1 UrhG sowie einem Anspruch auf Ersatz der Abmahnkosten gem. § 97a II UrhG. Dem privaten Betreiber eines WLAN-Netzes könne zwar nicht zugemutet werden, die Netzwerksicherheit fortlaufend dem neuesten Stand der Technik anzupassen und dafür entsprechende finanzielle Mittel aufzuwenden. Die Prüfpflicht beziehe sich aber auf die Einhaltung der im Zeitpunkt der Installation des Routers für den privaten Bereich marktüblichen Sicherungen, wobei sich dieser Sorgfaltsmaßstab auch auf die allgemeine Störerhaftung analog § 1004 I 1 BGB übertragen lässt.
2. Überlassung des Zugangs an Familienangehörige
Diese Grundsätze sind wohl aber nicht auf das Überlassen eines Internetanschlusses an Familienangehörige übertragbar (vgl. BGH v. 8.1.2014 – I ZR 169/12, BGHZ 200, 76 – BearShare; s. auch v. 15.11.2012 – I ZR 74/12, NJW 2013, 1441 – Morpheus), da insofern ein grundrechtlich geschütztes familiäres Vertrauensverhältnis (Art. 6 I GG) besteht, in dem keine Überwachungspflichten gefordert werden dürfen. Sogar hinsichtlich Minderjährigen gilt, dass Eltern grundsätzlich keine Pflicht trifft, die Nutzung des Internets durch ihr Kind zu überwachen oder diesem den Zugang zum Internet zu versperren, sofern nicht konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass Rechtsverletzungen begangen werden (BGH v. 15.11.2012 – I ZR 74/12, NJW 2013, 1441 – Morpheus).
II. Privilegierung nach dem Telemediengesetz (TMG)
Besondere Bedeutung kommt im Kontext der Haftung für Rechtsverletzungen Dritter im Internet dem TMG zu. Für sog. Access Provider, also Diensteanbieter, die Zugang zur Nutzung von Informationen vermitteln (worunter nach h. M. auch das Zurverfügungstellen eines offenen WLAN-Zugangs fällt, vgl. auch Mantz/Sassenberg, NJW 2014, 3537; Hoeren/Jakopp, ZRP 2014, 72), findet sich in den §§ 7 ff. TMG als Umsetzung der E-Commerce-RL 2000/31/EG eine Privilegierung. Gem. § 8 TMG sind Access Provider für die Übermittlung von Informationen nicht verantwortlich, sofern sie die Übermittlung nicht veranlasst (§ 8 I Nr. 1 TMG), den Adressaten der übermittelten Information nicht ausgewählt (Nr. 2) und die übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert haben (Nr. 3). Ungeklärt war bis jetzt jedoch, ob auch Privatpersonen und Nebengewerbliche unter den persönlichen Anwendungsbereich der Norm fallen. Zudem findet die Privilegierung auf Unterlassungsansprüche wie die Störerhaftung nach ständiger Rechtsprechung des BGH gerade keine Anwendung (s. z.B. BGH v. 1.4.2004 – I ZR 317/01, BGHZ 158, 343). Ob dies nun durch das neue Gesetz geändert wird, und ob nun endgültig klargestellt wird, dass alle WLAN-Betreiber unter die Privilegierung des § 8 TMG fallen, bleibt abzuwarten, bis das neue Gesetz final verabschiedet ist. Den Medienberichten zufolge sollen jedenfalls künftig auch private und nebengewerbliche Anbieter das Providerprivileg genießen, wohl indem der Abs. 4 des § 8 TMG des umstrittenen Referentenentwurfs vom 11.3.2015, der forderte, dass WLAN-Anbieter zumutbare Maßnahmen ergreifen müssen, um Rechtsverletzungen der Nutzer zu verhindern, ersatzlos weggestrichen wird. Machen Sie erfolgreich Wetten auf der Website der Österreichischen Spielbanken spielautomaten
III. Ansicht des EuGH
Den Anstoß für das neue Gesetz hat wohl Generalanwalt Szpunar des Europäischen Gerichtshofs gegeben, der sich in seinem Schlussantrag zur Rechtssache C-484/14 gegen die Störerhaftung ausspricht. Das LG München I hatte mit seinem Beschluss v. 18.9.2014 (Az. 7 O 14719/12) dem EuGH die Frage vorgelegt, ob und inwiefern ein gewerblich handelnder Betreiber eines offenen WLAN für Urheberrechtsverstöße seiner Nutzer haftet, insb. ob die Privilegierung des § 8 TMG anwendbar ist. Szpunar führt u.a. dazu aus, dass
„[…]eine Verallgemeinerung der Verpflichtung, WLAN-Netze zum Schutz von Urheberrechten im Internet zu sichern, für die Gesellschaft insgesamt von Nachteil sein könnte und dass dieser Nachteil den möglichen Vorteil für die Inhaber dieser Rechte überwiegen könnte.
Zum einen ist die Bandbreite der von vielen Personen genutzten öffentlichen WLAN-Netze verhältnismäßig begrenzt, so dass es dort nicht zu vielen Beeinträchtigungen von Rechten an urheberrechtlich geschützten Werken und Gegenständen kommt. Zum anderen bieten WLAN-Hotspots zweifellos ein wichtiges Innovationspotenzial. Jede Maßnahme, die die Entwicklung dieser Tätigkeit bremsen könnte, ist deshalb im Hinblick auf ihren potenziellen Nutzen gründlich zu prüfen.“
Seiner Ansicht nach könne ein WLAN-Betreiber zwar gerichtlich verpflichtet werden, eine Rechtsverletzung zu verhindern, jedoch seien hierbei die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Effektivität zu beachten. Aus EU-rechtlicher Sicht schränke die Pflicht zur Überwachung, wie sie in der deutschen Störerhaftung vorgesehen ist, die unternehmerische Freiheit zu stark ein. Auch wenn noch keine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vorliegt, deutet der Schlussantrag des Generalanwalts jedenfalls auf eine Einschränkung der Störerhaftung hin – die ja jetzt in Form des neuen Gesetzes wohl sowieso gänzlich abgeschafft wird.
IV. Zusammenfassung
Nach dem neuen Gesetz, das auch private und nebengewerbliche WLAN-Anbieter von der Verantwortlichkeit für Rechtsverletzungen Dritter befreit, müssen jene ihren WLAN-Zugang nicht mehr mit einem Passwortschutz oder einer Vorschaltseite sichern, was den Betrieb offener Hotspots – wie sie in anderen Ländern bereits gang und gäbe sind – ermöglicht.
Für eine mündliche Prüfung sollte die Störerhaftung angesichts der Aktualität des Themas im Auge behalten werden, da sie beispielsweise im Zusammenhang mit dem allgemeinen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch des § 1004 BGB angesprochen werden kann.
Grds. hätte wohl noch das Urteil des BGH vom 12.05.2016 – I ZR 86/15 – in dem Artikel mit enthalten sein müssen. BGH zur Störerhaftung des Anschlussinhabers beim Überlassen des WLAN-Passwortes.