Grundsätze der Strafzumessung
Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Sabrina Prem veröffentlichen zu können, der in Teilen die politische Auffassung der Verfasserin wiedergibt. Sie studierte Rechtswissenschaften in Düsseldorf und ist zurzeit als Rechtsreferendarin am Landgericht Düsseldorf tätig.
Bundesjustizminister Marco Buschmann will Gewalt gegen Frauen künftig strenger bestrafen. Dazu soll der Katalog des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB um „geschlechtsspezifische“ und „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Beweggründe erweitert werden. Laut Entwurf dient die Aufnahme der Klarstellung der bereits jetzt geltenden Rechtslage, wonach Hass gegen Frauen und LSBTI-Personen als Tatmotiv unter die Formulierung der „sonst menschenverachtenden“ Beweggründe fällt und schon jetzt strafschärfend zu berücksichtigen sei. Anlass ist die Zahl der Gewalttaten gegen Frauen innerhalb von Partnerschaften, die in den letzten Jahren gestiegen ist. Auch von Hassreden, namentlich im Internet, sind Frauen in spezifischer Weise betroffen. Lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Personen sowie andere queere Menschen (LSBTI) sind ebenfalls zunehmend Opfer von Hassdelikten.
Anlässlich dieser Forderungen sowie dem nun den Verbänden zur Kenntnis und Stellungnahme übersandte Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) bietet es sich an, die Grundsätze der Strafzumessung nach § 46 Abs. 2 StGB neuerlich (auch unter dem Blickwinkel „Gewalt gegen Frauen“) zu beleuchten.
§ 46 StGB normiert die Grundsätze der Strafzumessung. Strafzumessung meint dabei den Weg von dem gesetzlich normierten Strafrahmen des ausgeurteilten Deliktes hin zur konkreten Strafe des Angeklagten. Bei der Strafzumessung wird das verschuldete Unrecht der Tat gewichtet und in ein bestimmtes Strafmaß umgesetzt. Es wird bestimmt, mit welcher konkreten Strafe die Tat geahndet wird.
Um das Wesen der Strafzumessung nicht nur abstrakt nachzuvollziehen, bedienen wir uns eines Beispiels: Wird jemand wegen Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB angeklagt, weil er z.B. seiner Partnerin ein blaues Auge geschlagen hat, um sie zu dominieren oder schlicht aus Abneigung gegenüber dem weiblichen Geschlecht, dann sagt der Wortlaut des § 223 Abs. 1 StGB fürs Erste nur folgendes: „Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Der mögliche gesetzliche Strafrahmen (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe) ist damit zunächst recht weit. Es kann eine Geldstrafe oder aber eine Freiheitsstrafe ausgeurteilt werden.
Dabei richtet sich die Verhängung einer Geldstrafe nach § 40 StGB: § 40 Abs. 1 StGB besagt dabei, dass die Geldstrafe in Tagessätzen verhängt wird. Sie beträgt mindestens fünf und, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt, höchstens dreihundertsechzig volle Tagessätze. Die Höhe eines Tagessatzes bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters. Dabei geht es in der Regel von dem Nettoeinkommen aus, das der Täter durchschnittlich an einem Tag hat oder haben könnte. Ein Tagessatz wird auf mindestens einen und höchstens dreißigtausend Euro festgesetzt. Hat das Gericht keine genaue Auskunft über die Einkünfte des Täters, können diese, das Vermögen und andere Grundlagen für die Bemessung eines Tagessatzes geschätzt werden.
Die Verhängung einer Freiheitsstrafe richtet sich wiederum nach den §§ 38, 39 StGB: § 38 StGB unterscheidet dabei zunächst zwischen der zeitigen und der lebenslangen Freiheitsstrafe. Nach § 38 Abs. 1 StGB ist die Freiheitsstrafe zeitig, wenn das Gesetz nicht lebenslange Freiheitsstrafe androht. Das Höchstmaß der zeitigen Freiheitsstrafe ist fünfzehn Jahre, ihr Mindestmaß ein Monat. § 39 StGB hilft dem Gericht bei der Bemessung der Freiheitsstrafe. Eine Freiheitsstrafe unter einem Jahr wird nach vollen Wochen und Monaten, eine Freiheitsstrafe von längerer Dauer nach vollen Monaten und Jahren bemessen.
Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten wird allerdings nur in besonderen Ausnahmefällen ausgeurteilt. Gemäß § 47 Abs. 1 StGB verhängt das Gericht eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten nur, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen.
Kehren wir zurück zu dem Beispiel: Das Gericht könnte also eine Geldstrafe zwischen 5 und 360 Tagessätzen abhängig von der Höhe des Einkommens des Angeklagten ausurteilen. Oder aber eine Freiheitsstrafe von 1 Woche bis zu fünf Jahren.
Doch woher weiß das Gericht nun, was angemessen ist?
Welche Strafe in welcher Höhe schlussendlich ausgeurteilt wird, bemisst sich nach der Strafzumessung und den Grundsätzen des § 46 StGB. Dabei bildet § 46 StGB nur einen (wenn auch ausschlaggebenden) Teil der gerichtlichen Strafzumessung ab. Das Gericht muss zuvor den gesetzlichen Strafrahmen zugrunde legen und dabei ausfindig machen, ob minderschwere oder besonders schwere Fälle vorliegen. Ein minder schwerer Fall ist dann gegeben, wenn das Unrecht der Tat deutlich hinter dem durch den Tatbestand regelmäßig verübten Unrecht zurückbleibt. Beispielhaft dafür ist § 213 StGB. Einen besonders schweren Fall normiert etwa § 263 Abs. 3 StGB. Das Gericht muss mithin den Regelstrafrahmen festlegen. Erst danach kann es in die Abwägung nach § 46 StGB eintreten. Auf genau diese Abwägung wollen wir uns hier konzentrieren:
Das Gericht überlegt dann, welche konkrete Strafe es für tat- und schuldangemessen hält. Bei der Strafzumessung geht das Gericht entsprechend § 46 Abs. 1 StGB von der Schuld des Angeklagten im Sinne der persönlichen Vorwerfbarkeit aus und berücksichtigt die Wirkungen, die von der Strafe auf das künftige Leben des Angeklagten in der Gesellschaft zu erwarten sind.
Die konkrete Abwägung richtet sich nach § 46 Abs. 2 StGB: das Gericht hat alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände zu berücksichtigen. Dabei kann es sich folgende Fragen stellen: Was hat der Angeklagte getan? Wie hat er es getan? Warum hat er es getan? Vereinfacht und unjuristisch gesagt, kann man den Katalog des § 46 Abs. 2 StGB wie Richtlinien verstehen, die dem Gericht bei der Abwägung zu einer konkreten Strafe helfen. Alles was für und gegen den Täter spricht, wird in eine Waagschale geworfen und ausgewertet. § 46 Abs. 2 StGB zählt verschiedene Umstände auf, die besonderes Gewicht im Rahmen der Strafzumessung erhalten sollen. Handelt ein Täter beispielsweise rassistisch, wiegt das schwer zu seinen Lasten; dass seine Strafe höher ausfällt, wird dann wahrscheinlicher. Doch auch andersrum können Umstände des § 46 Abs. 2 StGB in die Abwägung fallen: so ist beispielsweise auch das Vorleben oder das Nachtatverhalten des Täters zu berücksichtigen. War der Täter stets ein Musterbürger oder ist er nach der Tat sofort einsichtig, reuig und bemüht, kann sich dies günstig für ihn auswirken und seine Strafe milder ausfallen.
Kehren wir erneut zurück zu dem Beispiel: Nehmen wir an, der Täter ist ein Durchschnittsbürger, ist noch nicht strafrechtlich auffällig geworden und zeigt sich vor Gericht einsichtig hinsichtlich seines Schlages gegen seine Partnerin. Dann ist seine Prognose zunächst einmal gut. Seine Strafe wird vermutlich nicht sonderlich hoch ausfallen. Eine Geldstrafe mit ein paar wenigen Tagessätzen. Dass er sie mittels des Schlages dominieren wollte oder aus Frauenhass zu dem Schlag ausholte, bleibt dabei vermutlich in den meisten Fällen eher unbeachtet. Wenn nun aber § 46 Abs. 2 StGB den Umstand der geschlechtsspezifischen Beweggründe enthalten und man einen solchen Beweggrund bei dem Täter feststellen würde, dann würde dies die Strafzumessung für den Täter nachteilig beeinflussen. In die vom Gericht vorgenommene Abwägung würde ebendieser Umstand einfließen müssen und die Strafe vermutlich – zumindest zu einem gewissen Teil – erhöhen. Da der Beweggrund auch ausdrücklich und nicht nur verklausuliert im StGB enthalten wäre, würde dessen Missachtung zu einer fehlerhaften Strafzumessung führen. Diese wiederum könnte mittels Rechtsmittel von der Betroffenen gerügt werden. Gewalt wegen Hass gegen Frauen oder gegen LSBTI Menschen würde ferner deliktsübergreifend zu berücksichtigen sein, denn § 46 StGB wird bei jedem Delikt im Rahmen der jeweiligen Strafzumessung angewandt. Nicht nur die Gerichte, sondern auch die Staatsanwaltschaften würden sensibilisiert. Frauenhass als Tatmotiv würde nicht mehr unter den Tisch fallen, bagatellisiert werden oder als „Familiendrama“ abgestempelt werden. Staatsanwaltschaften würden hinsichtlich der vermuteten Strafandrohung diese Beweggründe einbeziehen.
Die Historie des § 46 Abs. 2 StGB zeigt vortrefflich, dass Gesetze aufgrund der gesellschaftlichen Bedürfnisse und der politischen Lage zu ändern, erweitern oder anzupassen sind. Bis August 2015 war § 46 Abs. 2 StGB noch reichlich kurzgefasst. Dass die Beweggründe und Ziele des Täters als strafschärfende Umstände in Betracht zu ziehen waren, war normiert. Hingegen gab es keinerlei Konkretisierung dieser Beweggründe. Dem Gericht wurden keine weiteren Abwägungskriterien an die Hand gegeben. Dies änderte sich mit dem 01.08.2015. Das Bedürfnis nach Klarstellung und Gewichtung wurde erkannt. Politisch und gesellschaftlich brisante Themenfelder wurden aufgenommen. Auch im letzten Jahr wurde § 46 Abs. 2 StGB noch einmal erweitert. Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus wurden in den Grundsätzen der Strafzumessung verankert. Die nun geplante Erweiterung resultiert aus dem erschütternden Ausmaß frauenfeindlicher Gewalt. Denn Gewalt gegen Frauen ist weiterhin eine der am häufigsten verbreiteten Menschenrechtsverletzungen der Welt. Auch in Deutschland: Alle 45 Minuten ist eine Frau körperlicher Gewalt durch ihren Partner ausgesetzt. Jeden Tag versucht ein Mann, seine Partnerin zu töten. Jeden dritten Tag stirbt eine Frau durch die Gewalt ihres (Ex-)Partners. Die Erweiterung wäre zugunsten der Gesellschaft, zugunsten der Betroffenen, zugunsten des Bruchs eines Schweigens und für eine Entwicklung hin zu einer Gleichstellung der Geschlechter und einem bewussten, strafrechtlich verankerten Umgang mit Gewalt gegen Frauen. Wieso sollte man hier also an einer Erweiterung sparen?