EuGH stärkt Klagebefugnis von Verbänden
Der EuGH hat mit Urteil vom heutigen Datum (Az. C‑115/09) die Klagebefugnis von Verbänden gestärkt.
Vorliegend hatte das OVG Münster dem EuGH (im Kern) die Frage vorgelegt, ob eine Nichtregierungsorganisation (vorliegend der BUND) im Rahmen des § 61(jetzt § 64) BNatschG auch dann klagebefugt ist, wenn vorliegend die Verletzung einer Vorschrift im Raum steht, die nur die Interessen der Allgemeinheit schützt, also nach deutschem Verwaltungsrecht keinen Drittschutz aufweist. Der EuGH hat dies unter Rückgriff auf das zu Grunde liegende Sekundärrecht bejaht und festgehalten, das eine Vorschrift, die zwar die Klagebefugnis für Verbände vorsieht, diese aber an die Rechtsverletzung eines Dritten koppelt gegen das zu Grunde liegende Sekundärrecht verstößt. Zwar sei klar, dass die Verbände im Ergebnis die gleichen Rechte wie eine betroffene Person wahrnehmen dürften, darüber hinaus müsse aber auch eine Klagebefugnis gegeben sein, wenn „nur“ Rechte verletzt sind, die dem Schutze der Allgemeinheit dienen. Denn die zu schützenden Rechtsvorschriften, die ihrerseits auf Unionsrecht beruhen seien, zu einem großen Teil solche nicht drittschützenden Normen. Eine fehlende Klagebefugnis verstoße daher vorliegend gegen die Ziele des zu Grunde liegenden Unionsrechts.
Die Entscheidung kann in der Datenbank des EuGH nachgelesen werden. Vorliegend soll darauf nicht weiter im Detail eingegangen werden, da der umweltrechtliche Hintergrund sehr speziell ist und es meiner Meinung nach nicht zu erwarten ist, dass dieser Fall exakt so im Examen läuft. Gerade die Verbindung von „formaler“ Klagebefugnis und „materiellem“ Drittschutz macht die Entscheidung dennoch lesenswert.
In der Klausur, die unter Umständen einen vereinfachten Rechtsrahmen zur Verfügung stellt (sicher abgedruckt!), heißt es zuerst, nicht in Panik zu geraten. Im Rahmen einer profanen Anfechtungsklage kann die vorliegende Problematik einer Modifikation durch Unionsrecht bzw. eine nicht ausreichende Umsetzung des Sekundärrechts durchaus Thema sein. Man sollte sich einfach am Schema festhalten, bedeutet also:
- Klagebefugnis: Der BUND könnte vorliegend nach § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt sein. Dazu müsste er vorliegend in eigenen Rechten verletzt sein. Hier wird man zu dem Ergebnis kommen, dass der BUND nicht in eigenen Rechten verletzt ist. Im Zweifel handelt es sich um ein Infrastrukturprojekt, gegen das sich in erste Linie die Anwohner wehren könnten. Hier kommt es darauf an, dass man noch nicht zu vorschnell den „richtigen“ Weg einschlägt. Eine saubere Herleitung ist erforderlich. Damit Klagebefugnis (-).
- Es gibt dem Grundsatz nach keine Prozessstandschaft. Eine Klagebefugnis könnte sich aber vorliegend aus § 64 Abs. 1 BNatschG ergeben; nach dieser Vorschrift ist keine eigene Rechtsverletzung des Vereins erforderlich. Die restlichen Tatbestandsmerkmale müssen sauber subsumiert werden. Damit Klagebefugnis (+).
- Hier könnte ich mir dann eine fiktive nationale Regelung vorstellen, die die Klagebefugnis des Vereins explizit an die Verletzung irgendeines subjektiven Rechts eines Dritten knüpft (zB. Nachbarschaftsrechte). Man müsste die Befugnis also im Ergebnis doch verneinen und dann zu dem Schluss kommen, dass die Verbände nur die subjektiven Rechte Dritter geltend machen können. Damit Klagebefugnis (-).
- Das kann aber nicht sein; solche Recht sind im Zweifel nicht ersichtlich und er Fall muss weiter gehen. Dann muss argumentiert werden, denn eines ist klar: Kein Hilfsgutachten. Mit Hilfe der abgedruckten Texte und notfalls des effet-utile muss man zu dem Schluss kommen, dass gerade die Umweltschutzoranisationen die Rechtsverletzungen geltend machen können, die gerade keinen Einzelnen, sondern die „Natur im Gesamten“ betreffen. Hier gilt: Auch die Richtlinientexte genau und gut durchlesen (es wird ja in der Regel nur abgedruckt, was auch nützlich ist) und wie im nationalen Recht auslegen. Wichtig hier: Am Text bleiben und vergleichen, Reibungspunkte herausarbeiten und dann die richtigen Schlüsse ziehen. Im Ergebnis Klagebefugnis (+)
Vielleicht etwas abgefahren, aber so könnte man sich eine Examensklausur vorstellen. Vor allem das Schema: Regel-Ausnahme-Rückausnahme-Rückrückausnahme ist hier reizvoll.
Ob und wie dieses Thema Gegenstand einer Examensklausur sein kann, vermag ich nicht zu beurteilen. Da hier die Schutznormtheorie und damit eine Bastion des deutschen (Prozess-)Rechts aufgrund europäischer Vorgaben durchbrochen wird, halte ich die Problemstellung in diesem Punkt allerdings für sehr reizvoll, diese abzufragen. Ein OVG-Richter sagte neulich in einer Verhandlung, wenn gleich in anderem Zusammenhang, dass man ohnehin im Bereich des Fachplanungs- und Anlagenrechts seit einiger Zeit nur noch Rückzugsgefechte (vor dem europäischen Recht) führt.
Wichtiger ist mir aber der Hinweis darauf, dass es hier (überhaupt) nicht um das naturschutzrechtliche Verbandsklagerecht (§ 64 BNatSchG) ging, sondern die fragwürdige deutsche Rechtsnorm sich in § 2 Abs. 1 UmwRG findet und die euoroparechtliche in Art. 10a RL 85/337/EWG. Die Einführung dieses Artikels beruht seinerseits auf der Richtlinie 2003/35/EG, die nicht nur zu einer Änderung der UVP-Richtlinie, sondern auch zur Änderung der IVU-Richtlinie (Art. 15a 96/61/EG, konsolidiert in Richtlinie 2008/1/EG. dort Art. 16 und sodann neugefasst und mit anderen Richtlinien zusammengeführt in der Richtlinie 2010/75/EU, dort Ar.t 25) führte.
Der Fall könnte abweichend von der UVP-Pflicht also auch nur im Rahmen eines auch nicht uvp-pflichtigen immissionschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens nach § 10 BImSchG eine Rolle spielen. Zu beachten ist hier, dass die 4. BImSchV, die für die Bestimmung der Genehmigungspflicht und die Verfahrenswahl maßgeblich ist, in Teilen von den Maßgaben der Anlage 1 zum UVPG abweicht.
habt ihr auch eine Email Adresse, wo ich euch den SV von ÖR II NRW schicken kann =?
Hallo StEx: Die Adresse lautet: mail@juraexamen.info
Besten Dank bereits im Voraus!