EuGH: Ein- UND Ausbaukosten bei der Nachlieferung!!
Der EuGH hat am 16.6.2011 (Az. C-65/09 und C-87/09) entschieden, dass im Anwendungsbereich der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie der Verkäufer im Fall einer Ersatzlieferung für eine mangelhafte Kaufsache, die der Käufer gutgläubig in eine andere Sache eingebaut hat, die Kaufsache aus der anderen Sache ausbauen und die als Ersatz gelieferte Sache wieder einbauen muss. Alternativ kann er die für Ein- und Ausbau nötigen Kosten tragen. In einigen Tagen wird sich Nicolas hierzu ausführlich äußern. Wegen der extrem hohen Examensrelevanz hier schon einmal vorab ein Exzerpt aus der juris-Pressemitteilung:
„Die [Verbrauchsgüterkauf] (Richtlinie 1999/44/EG […]) sieht vor, dass der Verkäufer dem Verbraucher für jede Vertragswidrigkeit des Verbrauchsguts haftet, die zum Zeitpunkt seiner Lieferung besteht. Bei Vertragswidrigkeit hat der Verbraucher Anspruch auf die unentgeltliche Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung, sofern dies nicht unmöglich oder unverhältnismäßig ist. Die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung hat innerhalb einer angemessenen Frist und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher zu erfolgen. Kann der Verbraucher die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands nicht erlangen, so kann er eine angemessene Minderung des Kaufpreises oder eine Vertragsauflösung verlangen.“
hart. Das geht mal gar nicht in das dogmatische Konzept des modifizierten Erfüllungsanspruchs. Was macht der BGH nun? Er hat in seiner damaligen Entscheidung ausführlich dargelegt, warum ein solcher Anspruch nicht besteht, nämlich weil bei einem schlichten Verkauf auch nicht der Einbau de Sache Vertragsgegenstand ist.
Ob der Verkäufer auf Grundlage dessen die Nacherfüllung gem. § 439 III verweigern kann?
@ Rieger: Er macht das, was er auch bzgl. der Hinsendekosten beim Widerruf eines Fernabsatzgeschäfts gemacht hat: richtlinienkonforme Rechtsfortbildung. Dass hier trotzdem der Gesetzgeber einschreiten muss, ist m.E. unabkömmlich. Der EuGH hat im Vorabentscheidungsverfahren über die Auslegung und Anwendung von EU – Primär, Sekundär- und Tertiärrecht zu entscheiden. Der BGH stellt sich in diesem Fall jedoch als Erfüllungsgehilfe des EuGH dar, indem dadurch mittelbar contra legem entschieden wird. Das kann nicht sein.
§ 439 Abs. 1 BGB sowie die Gesetzesbegründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz und darüber hinaus auch der Sinn und Zweck einer Nachfristsetzung zeichnen sich dadurch aus, dem Verkäufer eine zweite Chance zu bieten. Diese kann jedoch nur insoweit bestehen, als dass sie auch mit dem ursprünglichen LeistungsERFOLG konform ist. Einbau sowie Ausbau werden jedoch gerade nicht geschuldet!
Ich muss Rieger da wirklich zustimmen, ich weiß nicht, wie der VIII. Senat hier die Kurve bekommen will.
Und was mir gerade noch in den Sinn kommt. Der EuGH unterminiert mal eben fein das System der Schadensersatzes statt bzw. neben der Leistung und gibt daraus resultierende Ansprüche verschuldensunabhängig.
@Rieger: es ging im Wesentlichen um die Frage, ob die Richtlinie den Begriff der absoluten Unverhältnismäßigkeit umfasst.
Dazu 2 Zitate:
„Daher ist festzustellen, dass zwar Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie an sich so offen gefasst ist, dass er auch Fälle der absoluten Unverhältnismäßigkeit erfassen kann, dass aber Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 den Begriff „unverhältnismäßig“ ausschließlich in Beziehung zur anderen Abhilfemöglichkeit definiert und damit auf Fälle der relativen Unverhältnismäßigkeit eingrenzt“
„Nach alledem ist Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie dahin auszulegen, dass er ausschließt, dass eine nationale gesetzliche Regelung dem Verkäufer das Recht gewährt, die Ersatzlieferung für ein vertragswidriges Verbrauchsgut als einzig mögliche Art der Abhilfe zu verweigern, weil sie ihm wegen der Verpflichtung, den Ausbau dieses Verbrauchsguts aus der Sache, in die es eingebaut wurde, und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts in diese Sache vorzunehmen, Kosten verursachen würde, die verglichen mit dem Wert, den das Verbrauchsgut hätte, wenn es vertragsgemäß wäre, und der Bedeutung der Vertragswidrigkeit unverhältnismäßig wären“
d.h. Nacherfüllung nach §439 III kann nicht verweigert werden; §275 III müsste dann sinngemäß auch ausscheiden
ich meinte §275 II
Zu deinem Ergänzungspost Kant: Exakt das meinte ich! Daran wars ja damals gescheitert. Der Verkäufer konnte die Mangelhaftigkeit schon nicht erkennen, weswegen ein Schadensersatzanspruch scheiterte und es nur bei Neulieferung (auch: ohne Einbau!) blieb.
– Gibt es eigentlich prozessual eine Möglichkeit, dieses Verfahren wieder aufzuenehmen?
– Warum hat der BGH nicht schon damals vorgelegt?
Könntest Du zu der Widerrufssache ein AZ/Fundstelle mal eine Fundstelle posten.
Im Übrigen: Willensdogma und Verschuldensprinzip gelten als _die_ Grundsätze des BGB. Letzteres wird hier vollständig durchbrochen. Dem Verkäufer eine Garantiehaftung auferlegt. Ist vielleicht ein Fall für die So-Lange Rspr. des BverfG. Der Präsident des BVerfG hat ja letztens noch betont, an einer ultra-vires Kontrolle weiter festhalten zu wollen. Ist dann wohl Auslegungsfrage, ob auch solche elemanteren Grundsätze, die zwar nicht Verfassungsrecht sind, aber das deutsche Zivilrecht maßgeblich prägen, einen solchen Gegenstand bilden können.
m.E. ist auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten – wenn nicht an anderer Stelle korrigiert wird – die Lösung des EuGH nicht nachvollziehbar. Sofern von Verbrauchern Beifall geklatscht wird, sollte man an die dadurch bedingten Preissteigerungen denken, die durch eine Einkalkulierung dieses Risikos bedingt werden.
@Rieger und Kant: Merkt Ihr eigentlich, das Ihr Euch ziemlich lächerlich macht, weil Ihr eine Richtlinie (gilt in 27 Mitgliedstaaten) nach den (sogenannten) dogmatischen Grundsätzen des BGB auslegen wollt? Wake up!
@ EU – Fan: Du weißt aber schon, dass ein Richter an Recht und Gesetz gebunden ist und Richtlinen der EU lediglich an die Mitgliedsstaaten adressiert sind? Es ist dogmatisch schon schwer nachvollziehbar, wie der BGH diese Kurve kriegen möchte.
Und dieses Geblubber von wegen: „Man müsse ja größer denken“ ist doch Käse. Es kann doch nicht sein, dass ich irgendwo Fliesen kaufe, die dann defekt sind und der Verkäufer muss herkommen und sie aus- und neue Fliesen wieder einbauen. Das hat nichts mehr mit NACHERFÜLLUNG (wie der Begriff schon sagt, muss ich den ursprünglichen Leistungserfolg im Nachhinein herbeiführen), sondern stellt sich als verschuldensunabhängiger Schadensersatz neben der Leistung dar.
Von daher hat das nuir mittelbar was mit dem BGB, sondern eher etwas mit dem Grundgesetz zu tun. Ist ja auch nur unsere „Verfassung“. Scheiß drauf.
Wake up!
@ Kant: Wo genau liegt das Problem? Der EuGH hat in seiner Entscheidung festgestellt, dass die Nacherfüllung nach der Richtlinie eben nicht nur die Neulieferung, sondern auch den Ein- und Ausbau der mangelhaften Sache umfasst. Dies ist mit anderen Sprachfassungen, bspw. der englischen und der französischen („re(m)placement“) gut vereinbar.
Die Abgrenzung zwischen Schadensersatz neben der Leistung und Schadensersatz statt der Leistung richtet sich bekanntlich danach, ob ein Schadensposten im Falle der Nacherfüllung entfiele.
Kommt der Verkäufer seiner Pflicht zum Ein- und Ausbau trotz Fristsetzung nicht nach, so schuldet er also Schadensersatz statt der Leistung nach § 281 BGB. Dieser ist bekanntlich nicht verschuldensunabhängig.
Kurzum: Diejenigen, die nun „verschuldensunabhängiger Schadensersatz“ rufen, verkennen, dass die Richtlinie und damit der EuGH bestimmt, wo die Grenze zwischen Nacherfüllungspflicht und Schadensersatz neben der Leistung liegt.
Die Richtlinie überlagert somit das deutsche Dogma, nach dem der Nacherfüllungsanspruch nicht weiter gehen kann als der ursprüngliche Erfüllungsanspruch. Im Übrigen war dieses Dogma ja auch in Deutschland schon an mehreren Stellen durchbrochen, siehe bspw. kürzlich die BGH-Entscheidung zum möglichen Auseinanderfallen von Erfüllungsort der Ersterfüllung und der Nacherfüllung, oder die Pflicht zur Behebung sog. „Weiterfresserschäden“.
Ich denke, dass dieses Urteil fächerübergreifend (d.h. nicht nur im Zivilrecht) für zahlreiche kritische Stelungnahmen sorgen wird, mit denen Kant und ich uns auf Linie bewegen (werden).
Sofern man sich den Problemen allerdings wie EU-„Fan“ verschließen möchte, indem man schlicht auf die Auslegungskompetenz des EUGH verweist, zeugt dies nicht gerade von eigener Kompetenz.
Im Übrigen ist die Kritik an mir und Kant schon im Ansatz nicht stichhaltig. Sofern ich den Text überblicke haben wir nämlich keine EU-Artikel ausgelegt, sondern auf die substanziellen Auswirkungen der gegebenen Auslegung auf das deutsche Schuldrecht verwiesen, die mit hergebrachten Grundsätzen schonungslos bricht.
Sofern aber auch die Rechtsidentität eines Landes durch Urteile des EuGH in Frage gestellt wird, – – was hier m.E. sehr gut vertretbar ist handelt es sich auch, worauf Kant zutreffend hinweist, um einen Verfassungskonflikt, bezüglich dessen das BVerfG sich erst kürzlich noch weitere Kontrolle vorbehalten hat.
Ganz unabhängig davon frage ich mich welches hirnrissige Verständnis EU-Richter – bis hierhin wurde das Ergebnis erst einmal schlicht zur Kenntnis genommen, – von einem „vertragsgemäßem Zustand“ i.S.d. Richtlinie haben.
Abgesehen davon habe ich heute Morgen einen Shuttleflug auf den Mond gebucht, habe nämlich gestern eine (vom Verkäufer unerkannt defekte: hrhrhr) Europafahne gekauft. Die werde ich jetzt dort aufstellen und erst dann entdecken, dass sie kaputt ist. Dann lass ich mir Kosten des Hinflugs vom Verkäufer erstatten und lass mich auf dem Rückflug mitnehmen, wenn er zur Nacherfüllung selbst anfliegt, um durch Austausch der Flagge den vertragsgemäßen Zustand herzustellen.
Guter Plan?
Naja, bei einem Flug zum Mond wegen einer Fahne wird § 439 III BGB eingreifen, also kein guter Plan 😉
lies mal den beitrag von korrektur, danke.
Aber bei dir gibt es nicht nur eine einzig mögliche Art der Abhilfe.
All das hatten wir doch schon bei Mangold, Quelle, Kücükdeveci…
„…die Rechtsidentität eines Landes durch Urteile des EuGH in Frage gestellt wird“ (Rieger, Post 10): Hat Deutschland der Richtlinie 1999/44/EG nicht zugestimmt? Hat Deutschland dem EG/EGV/AEUV nicht zugestimmt? Hat sich Deutschland nicht der Umsetzungspflicht bzgl. Richtlinien und der Auslegungshoheit des EuGH unterworfen? Woraus schöpft sich denn die „Rechtsidentität“ (Was ist das?) des deutschen Landes?
Meiner Meinung nach ist dieses Urteil keine Frage von Kompetenzüberschreitungen des EuGH („ausbrechender Rechtsakt“).
Deutschland ist vielmehr nicht willens oder nicht fähig, Richtlinien richtig umzusetzen. Deutschland ist nicht willens und nicht fähig, rechtzeitig Einfluss auf den Inhalt von Richtlinien zu nehmen (nämlich in Brüsell, bevor sie verabschiedet werden). Berlin wacht erst auf, wenn die Umsetzungsfrist abläuft (z.B. AGG).
Zum konkreten Fall: Wer die Entscheidung des EuGH kritisieren will, muss die Richtlinie auslegen. Diese spricht aber nunmal nicht von „Nacherfüllung“ (auch nicht in der deutschen Sprachfassung). Dazu hat Mausi eigentlich alles gesagt.
Der BGH wird jetzt vermutlich zum Instrument der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung greifen. Konkret ist eine Analogie zu § 439 Abs. 2 BGB denkbar. Die hat das OLG Karlsruhe ja auch schon einmal bejaht ( 12 U 144/04, MDR 2005, 135).
§ 467 S.2 a.F. hatte dies wohl schon erfasst und der bgh 1983 aufgrund von goA und Verzugsschaden entsprechend entschieden: njw ´83, 1479
also hat wohl eher der gesetzgeber bei dem smg mist gebaut…
habs gefunden: dachziegelfall, bghz 87,104
die regelung des § 467 a.F. hat der Gesetzgeber als systemfremde Vorschrift bewusst nicht in das neue Kaufrecht aufgenommen (RegE, BT-Drucks. 14/6040, S. 225), das Aufbringen der Dachziegel wurde als Vertragskosten eingeordnet und auf dieser Grundlage ein verschuldensunabhängiger Ersatzanspruch bejaht.