Die Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung
Wir freuen uns, wieder einmal einen Gastbeitrag von Ass. iur. David Ullenboom veröffentlichen zu können.
I. Einführung
Mit Wirkung zum 1.1.2013 ist das „Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung“ vom 29.7.2009 in Kraft getreten. Damit hat der Gesetzgeber auf dem Gebiet des Zwangsvollstreckungsrechts den „Sprung vom 19. ins 21. Jahrhundert“[1] vollzogen. Die Informationsbeschaffung des Gläubigers über das Vermögen des Schuldners erfordert nun nicht mehr den Umweg über einen fruchtlosen Fahrnisvollstreckungsversuch, sondern wird an den Anfang des Vollstreckungsverfahrens gestellt[2]. Zudem bleibt die Informationsbeschaffung künftig nicht mehr auf Eigenangaben des Schuldners beschränkt, sondern wird um die Möglichkeit von Fremdauskünften bei Behörden und öffentlichen Stellen erweitert[3]. Die Vermögensauskunft des Schuldners (früher: „eidesstattliche Versicherung“) und das Schuldnerverzeichnis werden länderübergreifend zentralisiert und modernisiert[4]. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die Neuregelung und zeigt einzelne Probleme auf.
II. Die Sachaufklärung nach bisherigem Recht
Die Erstreitung eines Vollstreckungstitels in einem Erkenntnisverfahren ist aus Sicht des Gläubigers nur dann sinnvoll, wenn das Gesetz auch effektive Regeln zur zwangsweisen Durchsetzung dieses Titels bereithält. Für den Gläubiger besteht aber naturgemäß ein Informationsdefizit[5]: Er weiß in der Regel nicht, ob beim Schuldner überhaupt Vermögen vorhanden ist. Selbst wenn beim Schuldner Vermögen vorhanden ist, bleibt oft unklar, über welche bestimmten Vermögensgegenstände (z. B. körperliche Sachen, Forderungen und Rechte, Grundstücke) der Schuldner verfügt. Körperliche Sachen kann der Schuldner leicht verschwinden lassen. Forderungen und Rechte sind oftmals nicht verbrieft. Eigentum des Schuldners an Grundstücken ist zwar aus dem Grundbuch ersichtlich, da die Grundbuchämter aber von den Amtsgerichten nur für den jeweiligen Bezirk geführt werden und es kein zentrales Grundbuchamt gibt, müsste der Gläubiger erst einmal wissen, wo das Grundstück des Schuldners belegen ist. Dieses strukturelle Informationsdefizit verdeutlicht, dass der Gläubiger für eine effektive Vollstreckung in erheblichem Maße auf Eigenangaben des Schuldners und Fremdangaben von Dritter Seite angewiesen ist.
Nach bisherigem Recht konnte der Gläubiger nur auf eine (richtige) Selbstauskunft des Schuldners hoffen, welche dieser in Form einer eidesstattlichen Versicherung abzugeben hatte (§ 807 ZPO a. F.)[6]. Es kam erschwerend hinzu, dass einer eidesstattlichen Versicherung in der Regel ein fruchtloser Fahrnispfändungsversuch des Gläubigers vorangehen musste und zwar auch dann, wenn dieser faktisch aussichtslos war (§ 807 I Nr. 1 ZPO a. F.)[7]. Um Informationen über Lohnforderungen und Bankkonten zu erhalten, musste der Gläubiger deshalb den Gerichtsvollzieher mit einem sinnlosen und kostenintensiven Fahrnisvollstreckungsversuch beauftragen[8].
Dieses System der Informationsbeschaffung entsprach der agrarischen Wirtschafts- und Sozialordnung zur Zeit des Inkrafttretens der Zivilprozessordnung im Jahre 1879, in welcher in weiten Bevölkerungskreisen werthaltiger Besitz noch aus beweglicher Habe bestand[9]. Als Regelfall hatte das Gesetz deshalb damals die Sachpfändung vor Augen[10]. Heutzutage ist in vielen privaten Haushalten kaum noch werthaltiger Besitz vorhanden. Haushaltsgegenstände (Mobiliar, Fernseher, Radio, Computer und Kraftfahrzeuge) sind oftmals unpfändbar (§ 811 I Nr.1, 5 ZPO) bzw. die Verwertungskosten übersteigen den Wert der gepfändeten Gegenstände (§ 803 II ZPO). Interessanter für den Gläubiger wird zunehmend die Pfändung von Lohnforderungen und Bankguthaben (vgl. §§ 850 ff. ZPO). Der Regelfall ist deshalb heutzutage die Forderungspfändung[11]. Ein direkter und gezielter Zugriff auf Lohnforderungen, Bankguthaben etc. aufgrund von Eigenangaben des Schuldners war dem Gläubiger somit nach altem Recht verwehrt, er musste immer den „Umweg“ über den erfolglosen Fahrnisvollstreckungsversuch nehmen. Durch die Reform der Sachaufklärung werden die Informationsbeschaffung und der Ablauf des Zwangsvollstreckungsverfahrens nunmehr an die heutigen Verhältnisse angepasst, indem die Sachaufklärung an den Anfang des Zwangsvollstreckungsverfahrens gestellt wird.
III. Überblick über die Neuregelungen
1. Die Informationsbeschaffung wird nun in den §§ 802a-l ZPO völlig neu geregelt. Das Schuldnerverzeichnis nach §§ 915 ff. ZPO a. F. erfährt in den §§ 882b-h eine grundlegende Neuregelung. Zu beachten ist auch zumindest derzeit noch die Übergangsregelung des § 39 EGZPO[12].
Gem. § 802a I ZPO wirkt der Gerichtsvollzieher auf eine zügige, vollständige und Kosten sparende Beitreibung von Geldforderungen hin[13]. § 802a II 1 Nr. 1-5 ZPO zählt nun die „Regelbefugnisse“[14] des Gerichtsvollziehers auf: Der Gerichtsvollzieher kann eine gütliche Erledigung der Sache gem. § 802b versuchen (Nr.1), eine Vermögensauskunft des Schuldners gem. § 802c einholen (Nr.2), Auskünfte Dritter über das Vermögen des Schuldners gem. § 802l einholen (Nr.3), körperliche Sachen gem. §§ 808 ff. pfänden und verwerten (Nr.4) und eine Vorpfändung gem. § 845 ZPO durchführen (Nr.5). Die Aufzahlung in § 802a II ZPO ist aber nicht abschließend („unbeschadet weiterer Zuständigkeiten“). Nicht genannt wird dort insbesondere die Befugnis des Gerichtsvollziehers gem. § 755 ZPO n. F., den Wohnort des Schuldners zu ermitteln. Der Gläubiger muss in seinem Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher die in Aussicht genommenen Vollstreckungsmaßnahmen nach § 802a II ZPO konkret bezeichnen (vgl. § 802a II 2, 1. HS. ZPO). Ein „allgemeiner Vollstreckungsauftrag“ reicht nicht und ist als unzulässig zurückzuweisen (Ausnahme: gütliche Erledigung gem. § 802b ZPO auch ohne entsprechenden Auftrag)[15]. Da der Gläubiger „Herr des Vollstreckungsverfahrens“ ist (Dispositionsmaxime), darf der Gerichtsvollzieher deshalb nur solche Maßnahmen vornehmen, die ausdrücklich beauftragt sind[16]. Der Gläubiger kann seinen Auftrag auf einzelne Befugnisse beschränken („Einzelantrag“) oder auf sämtliche Befugnisse beziehen („Globalantrag“); er kann die Befugnisse in eine bestimmte Reihenfolge bringen und in ein Eventualverhältnis stellen[17]. Der Gerichtsvollzieher ist im Rahmen des geltenden Rechts an die vom Gläubiger vorgegebene Reihenfolge der Vollstreckungsmaßnahmen gebunden[18]. Der Gläubiger hat es somit in der Hand, mit seinem Vollstreckungsauftrag die Vollstreckung gezielt zu steuern[19]. Noch gibt es für den Auftrag an den Gerichtsvollzieher keine amtlichen Formulare mit Formularzwang gem. § 753 III ZPO, auch wenn das Bundesjustizministerium (BMJ) daran mit Hochdruck arbeitet, wie man hört[20].
2. Die Informationsbeschaffung wird nunmehr an den Anfang der Zwangsvollstreckung gestellt und von der Fahrnispfändung entkoppelt[21]. Gem. §§ 802a II 1 Nr. 2, 802c ZPO kann der Gläubiger den Gerichtsvollzieher nun sofort damit beauftragen, dem Schuldner die Vermögensauskunft (bisher: „eidesstattliche Versicherung“) abzunehmen.
Eine erneute Vermögensauskunft hat der Schuldner in der Regel erst nach Ablauf von zwei Jahren abzugeben („Vermögensauskunftssperre“[22]). Beauftragt ein weiterer Gläubiger innerhalb dieser Frist den Gerichtsvollzieher mit der Abnahme der Vermögensauskunft, so leitet der Gerichtsvollzieher dem weiteren Gläubiger lediglich einen Ausdruck des letzten hinterlegten Vermögensverzeichnisses zu (§ 802d I ZPO).
Wie nach altem Recht kann gegen den Schuldner, der zum festgesetzten Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht erscheint bzw. sich weigert, die Vermögensauskunft abzugeben, auf Antrag des Gläubigers gem. §§ 802g ff. ZPO Haftbefehl zur Erzwingung der Vermögensauskunft ergehen[23].
Unbeschadet bleibt gem. § 807 ZPO n. F. die Möglichkeit, wie nach bisherigem Recht eine Vermögensauskunft des Schuldners anlässlich eines erfolglosen Fahrnisvollstreckungsversuchs (Verweigerung der Durchsuchung, Masseunzulänglichkeit) zu verlangen („Kombiauftrag“[24]). In diesem Fall kann die Abgabe der Vermögensauskunft abweichend von § 802f I ZPO grundsätzlich ohne Zweiwochenfrist sofort erfolgen, wenn der Schuldner nicht widerspricht (§ 807 II ZPO n. F.)[25].
Die vom Gerichtsvollzieher erstellten elektronischen Vermögensverzeichnisse werden vom neu geschaffenen zentralen Vollstreckungsgericht verwaltet (§ 802k I 1 ZPO).
3. Neu geschaffen wurde gem. §§ 802a II 1 Nr. 3, 802l ZPO auch die Möglichkeit des Gläubigers, über den Gerichtsvollzieher auf Auskünfte Dritter (Rentenversicherungsträger, Bundeszentralamt für Steuern, Kraftfahrt-Bundesamt) über das Vermögen des Schuldners zuzugreifen.
Wie nach altem Recht (§§ 806b, 813a, b ZPO a. F.) kann der Gerichtsvollzieher gem. § 802b eine gütliche Erledigung versuchen und mit dem Schuldner eine Zahlungsfrist (Zahlungsziel) oder eine Ratenzahlung vereinbaren[26].
Ist der Wohnsitz des Schuldners oder sein gewöhnlicher Aufenthalt unbekannt so kann der Gerichtsvollzieher den Wohnsitz des Schuldners gem. § 755 ZPO ermitteln. Dies war bislang Aufgabe des Gläubigers selbst[27].
IV. Die Regelungen im Einzelnen
1. Güteversuch des Gerichtsvollziehers (§ 802b ZPO)
a) Gem. §§ 802a II 1 Nr. 1, 802b ist der Gerichtsvollzieher befugt, eine gütliche Erledigung der Sache zu versuchen. Die Vereinbarung einer Zahlungsfrist oder von Ratenzahlungen kann für den Gläubiger allemal günstiger sein, als wenn der Schuldner gar nichts zahlt oder sich auf die Unpfändbarkeit seines Vermögens und seine Pfändungsfreibeträge beruft. Zu einem Güteversuch ist der Gerichtsvollzieher auch ohne ausdrücklichen Auftrag des Gläubigers berechtigt (§ 802a II 2 ZPO; „gesetzliche Prozessvertretungsmacht“)[28]. Nur wenn der Gläubiger den Abschluss einer Zahlungsvereinbarung ausdrücklich ausgeschlossen hat, muss ein Güteversuch unterbleiben[29]. Dementsprechend muss der Gläubiger den Güteversuch in seinem Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher nur ausnahmsweise dann ausdrücklich beauftragen, wenn der Gerichtsvollzieher allein mit einem Güteversuch und nicht mit weiteren Vollstreckungsmaßnahmen beauftragt werden soll (sog. isolierter Güteantrag; § 802a II 2 ZPO)[30].
b) Der Gerichtsvollzieher soll in jeder Lage des Zwangsvollstreckungsverfahrens auf eine gütliche Erledigung bedacht sein (§ 802b I ZPO). Das Vollstreckungsverfahren beginnt mit dem Vollstreckungsauftrag des Gläubigers und der Übergabe der vollstreckbaren Ausfertigung (§§ 802a II, 1. HS., 754 ZPO). Es endet mit vollständiger Befriedigung des Gläubigers.
c) Der Gerichtsvollzieher kann dem Schuldner sodann eine Zahlungsfrist einräumen bzw. eine Ratenzahlung vereinbaren, wenn der Schuldner glaubhaft darlegt, die nach Höhe und Zeitpunkt festzusetzenden Zahlungen erbringen zu können (bloße Plausibilitätsprüfung des Gerichtsvollziehers)[31]. Das Erfordernis der „glaubhaften Darlegung“ ist also nicht identisch mit einer Glaubhaftmachung i. S. v. § 294 ZPO. Würde man eine Glaubhaftmachung i. S. v. § 294 ZPO verlangen, müsste der Gerichtsvollzieher eine Beweisaufnahme durchführen und Beweise würdigen. Dies ist mit der Rolle des Gerichtsvollziehers als Zwangsvollstreckungsorgan und mit dem Grundsatz der Formalisierung der Zwangsvollstreckung schwerlich vereinbar. Die Vereinbarung soll in einem Zahlungsplan schriftlich fixiert werden, der im Regelfall eine Tilgung innerhalb von maximal zwölf Monaten vorsehen soll. In atypischen Fällen („soll“), kann eine längere Frist vereinbart werden[32].
d) Der Zahlungsplan bildet ein Vollstreckungshindernis (§§ 802b II 2, 775 Nr.4 ZPO)[33]. Widerspricht der Gläubiger dem ausgehandelten Zahlungsplan unverzüglich, d. h. gem. § 121 BGB ohne schuldhaftes Zögern, so entfällt das Vollstreckungshindernis[34]. Gleiches gilt, wenn der Schuldner mit den vereinbarten Zahlungen länger als zwei Wochen in Rückstand gerät (§ 802b III ZPO).
e) Dogmatisch gesehen ist die Zahlungsvereinbarung ein Vollstreckungsvertrag, kein materiell-rechtliches Rechtsgeschäft[35]. Dies entspricht am ehesten dem Interesse des Gläubigers, auch während des Laufs der Vereinbarung seinen Zinsanspruch nicht zu verlieren[36]. Würde man die Zahlungsvereinbarung als Stundung werten (§ 205 BGB), dann wäre aber mangels Fälligkeit des titulierten Anspruchs auch ein Anspruch auf Verzugszinsen für diesen Zeitraum ausgeschlossen (§ 286 I BGB). Auch wenn der Gerichtsvollzieher nach heute h. M. als Amtswalter und nicht als privatrechtlicher Vertreter des Schuldners auftritt, schließt er die Zahlungsvereinbarung kraft gesetzlicher Prozessvertretungsmacht mit Wirkung für und gegen den Schuldner (§ 754 I ZPO)[37]. Der Gläubiger kann diese Vertretungsmacht durch ausdrücklichen Ausschluss von Güteversuchen in seinem Vollstreckungsauftrag ausschließen (§ 802b I, 1. HS. ZPO). Eine wirksame Zahlungsvereinbarung kann der Gläubiger sodann nur noch durch unverzüglichen Widerspruch zu Fall bringen (§ 802b III 2 ZPO).
2. Die Vermögensauskunft gem. §§ 802c ff. ZPO
a) Das Herzstück der Reform bildet die neue Vermögensauskunft gem. § 802c ZPO[38]. Der Schuldner ist auf Verlangen des Gerichtsvollziehers verpflichtet, eine Vermögensauskunft zu erteilen, in welcher er neben Angaben zur Person (Geburtsname, Geburtsdatum, Geburtsort bzw. bei Gesellschaften Firma, Handelsregisternummer, Sitz) alle ihm gehörenden Vermögensgegenstände (körperliche Sachen, Forderungen und Rechte, Grundstücke etc.) anzugeben hat (§ 802c I, II ZPO). Die Auskunft erstreckt sich auch auf Vermögen im Ausland[39]. Er ist weiterhin verpflichtet, Angaben zu anfechtbaren Rechtsgeschäften nach dem AnfG zu erteilen (§ 802c II 3 ZPO). Nur offensichtlich unpfändbare Gegenstände braucht der Schuldner nicht anzugeben, es sei denn eine Austauschpfändung kommt in Betracht (§ 802 II 4 ZPO). Macht der Schuldner vorsätzlich oder fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben, so kann er sich wegen falscher Versicherung an Eides statt gem. §§ 156, 161 I StGB strafbar machen[40]. Daran ändert auch die gewandelte Terminologie des Gesetzes nichts, welche die frühere „eidesstattliche Versicherung“ nunmehr als Vermögensauskunft bezeichnet. Denn der Schuldner hat gem. § 802c III 1 ZPO die Richtigkeit der Vermögensauskunft an Eides statt zu versichern.
b) Zuständig für die Abnahme der Vermögensauskunft und für die Zuleitung hinterlegter Vermögensverzeichnisse ist gem. § 802e I ZPO der Gerichtsvollzieher am Wohnsitz bzw. Aufenthaltsort des Schuldners[41]. Das Verfahren zur Abgabe der Vermögensauskunft ist in § 802f ZPO geregelt. Hierzu setzt der Gerichtsvollzieher dem Schuldner eine zweiwöchige Zahlungsfrist und bestimmt zugleich für den Fall der Nichterfüllung Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft und lädt den Schuldner zu diesem Termin in seine Geschäftsräume. Der Schuldner muss die notwendigen Unterlagen dann zum Termin mitbringen (§ 802f I ZPO). Alternativ kann der Gerichtsvollzieher bestimmen, dass die Vermögensauskunft in der Wohnung des Schuldners erfolgen soll. Hiergegen steht dem Schuldner allerdings ein Widerspruchsrecht zu (§ 802f II ZPO). In der Terminsladung ist der Schuldner gem. § 802f III ZPO umfassend zu belehren. Der Gerichtsvollzieher errichtet sodann aus den Angaben des Schuldners ein Vermögensverzeichnis als elektronisches Dokument, welches er dem Schuldner vorher vorzulesen oder zur Durchsicht am Bildschirm vorzulegen hat (§ 802f V ZPO). Dieses Vermögensverzeichnis hinterlegt er bei dem zentralen Ländervollstreckungsgericht (in NRW: Amtsgericht Hagen) und leitet dem vollstreckenden Gläubiger unverzüglich einen Ausdruck zu (§ 802f VI ZPO).
Weigert sich der Schuldner, das Vermögensverzeichnis abzugeben, so wird er auf Anordnung des Gerichtsvollziehers in jedem Fall in das Schuldnerverzeichnis eingetragen (§ 882c I Nr.1 ZPO)[42]. Er kann auf Antrag des Gläubigers zur Abgabe der Vermögensauskunft wie nach altem Recht sodann durch Haftbefehl gem. §§ 802g ff. ZPO angehalten werden.
Beim zentralen Vollstreckungsgericht wird das Vermögensverzeichnis zwei Jahre lang gespeichert und anschließend gelöscht, wenn nicht vorher eine erneute Vermögensauskunft abzugeben ist, welche sodann zu hinterlegen ist. Einsichtsberechtigt sind nur Gerichtsvollzieher, Vollstreckungsgerichte, Insolvenzgerichte, Registergerichte und Strafverfolgungsbehörden, nicht hingegen die Gläubiger selbst (vgl. § 802k II ZPO)[43]. Das neu geschaffene Vermögensverzeichnis ist streng zu unterscheiden vom Schuldnerverzeichnis gem. § 882b ff. ZPO. Ersteres ist eine justizinterne Datei zur Sachaufklärung der Zwangsvollstreckung, welche nur vom Gerichtsvollzieher und bestimmten weiteren Behörden eingesehen werden darf[44]. Letzteres ist eine öffentliche Schuldner-Warndatei, welche Auskunft über die Kreditwürdigkeit des Schuldners geben soll und deshalb grundsätzlich von Jedermann mit berechtigtem Interesse, insbesondere Gläubigern und Geschäftspartnern, einsehbar ist[45]. Aus diesen Unterschieden erklärt sich auch, dass das Vermögensverzeichnis selbst dann erst nach Ablauf der Zweijahresfrist gelöscht wird, wenn der Schuldner vorher die vollständige Befriedigung des Gläubigers nachweist (anders § 882e III Nr.1 ZPO beim Schuldnerverzeichnis). Da das Vermögensverzeichnis der Sachaufklärung dient und gerichtsintern bleibt[46], erleidet der Schuldner dadurch keine Nachteile[47]. Die Einzelheiten des Vermögensverzeichnisses regelt § 802k IV i. V. m. der Vermögensverzeichnis-VO.
c) Eine erneute Vermögensauskunft kann gem. § 802d I ZPO grundsätzlich erst nach Ablauf von zwei Jahren (früher gem. § 903 ZPO a. F. drei Jahre) verlangt werden, es sei denn der Gläubiger macht eine wesentliche Veränderung der Vermögensverhältnisse des Schuldners glaubhaft, was wegen des strukturellen Informationsdefizits praktisch schwierig sein dürfte („Vermögensauskunftssperre“[48]). Wird innerhalb der Zweijahresfrist durch einen anderen Gläubiger erneut die Vermögensauskunft verlangt, so leitet der Gerichtsvollzieher dem Gläubiger lediglich einen Ausdruck des letzten hinterlegten Vermögensverzeichnisses zu (§ 802d I 2 ZPO)[49]. Zugleich informiert er den Schuldner von der Zuleitung an den neuen Gläubiger und belehrt in über die Möglichkeit einer Eintragung ins Schuldnerverzeichnis gem. § 882c ZPO. Der Ausdruck kann somit u. U. schon zwei Jahre alt sein, was seinen Wert für die Informationsgewinnung erheblich schmälern kann. Mit der h. M. ist davon auszugehen, dass der Gerichtsvollzieher dem Schuldner vor der Zuleitung des alten Vermögensverzeichnisses an den neuen Gläubiger über den Wortlaut des § 802d I 2 ZPO hinaus eine zweiwöchige Zahlungsfrist setzen muss (Analogie zu § 802f I ZPO)[50]. Grundsätzlich kann es keinen Unterschied machen, ob der Schuldner die Vermögensauskunft erstmalig abgibt oder ob ein Ausdruck des hinterlegten Vermögensverzeichnisses an einen Folgegläubiger weitergeleitet wird[51]. In beiden Fällen muss dem Schuldner die Möglichkeit gegeben werden, weitere Zwangsvollstreckungsmaßnahmen durch eine freiwillige Zahlung abzuwenden (Gleichbehandlung)[52]. Zumal ihm auch bei Zuleitung der Vermögensauskunft gem. § 802d I 2 ZPO die Eintragung im Schuldnerverzeichnis droht, wenn sich aus dem zugeleiteten Ausdruck ergibt, dass offensichtliche Masseunzulänglichkeit besteht (§ 882c I Nr.2, 2. HS. ZPO)[53]. Auch hier muss der Schuldner die Möglichkeit erhalten, eine Eintragung im Schuldnerverzeichnis mit seinen negativen Folgen durch Erfüllung der Gläubigerforderungen (z. B. indem der Schuldner sich den geschuldeten Betrag bei Freunden oder Verwandten „leiht“) zu verhindern.
Aus Datenschutzgründen darf der Gläubiger den Ausdruck nur zu Vollstreckungszwecken verwenden und hat ihn nach vollständiger Befriedigung zu löschen, worüber er vom Gerichtsvollzieher zu belehren ist (§ 802d I 3 ZPO). Der Gerichtsvollzieher setzt den Schuldner über die Zuleitung des Ausdrucks in Kenntnis und belehrt in darüber, dass er mit einer Eintragung in das Schuldnerverzeichnis zu rechnen hat, falls das vorhandene Vermögen zur Befriedigung des neuen Gläubigers offensichtlich unzulänglich ist bzw. falls er nicht innerhalb eines Monats die Befriedigung der Gläubigerforderungen nachweist (§§ 802d I 4, 882c I Nr.2 und 3 ZPO).
d) Unbeschadet bleibt gem. § 807 ZPO n. F. die Möglichkeit, wie nach bisherigem Recht eine Vermögensauskunft des Schuldners anlässlich eines erfolglosen Fahrnisvollstreckungsversuchs (Verweigerung der Durchsuchung, Masseunzulänglichkeit) zu verlangen („Kombiauftrag“[54]). In diesem Fall kann die Abgabe der Vermögensauskunft abweichend von § 802f I ZPO grundsätzlich ohne Zweiwochenfrist sofort erfolgen, wenn der Schuldner nicht widerspricht (§ 807 II ZPO n. F.)[55]. Widerspricht der Schuldner der sofortigen Vermögensauskunft, bestimmt der Gerichtsvollzieher ohne Setzung einer Zahlungsfrist Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft (§ 807 III ZPO n. F.). Da aber auch hier in der Regel aufgrund des engen Terminplans des Gerichtsvollziehers ein Termin frühestens zwei Wochen später erfolgen wird, führt der Kombiauftrag kaum zu einer Zeitersparnis gegenüber dem Verfahren nach § 802c ZPO[56]. Da der im Falle des § 807 ZPO mitbeauftragte Fahrnisvollstreckungsversuch zudem eine relativ lange Vorlaufzeit hat, dürfte die Vorgehensweise nach § 807 ZPO n. F. deutlich länger dauern als eine sofortige Vermögensauskunft gem. § 802c ZPO[57]. Weggefallen ist die Möglichkeit gem. § 807 I Nr.4 ZPO a. F. eine eidesstattliche Versicherung bei wiederholtem Nichtantreffen des Schuldners in seiner Wohnung zu verlangen. Der Gläubiger kann den Gerichtsvollzieher aber ohnehin gem. § 802c jederzeit mit der Abnahme der Vermögensauskunft beauftragen, sodass dem Gläubiger durch die Streichung der Vorschrift kein Nachteil erwächst. Es besteht für den Gläubiger also fortan ein Wahlrecht (sofortige Vermögensauskunft oder Kombiauftrag)[58].
3. Haftbefehl gem. §§ 802g ff. ZPO
Wie nach altem Recht ist es ohne Änderungen möglich, gegen den Schuldner zur Erzwingung der Vermögensauskunft gem. §§ 802g ff. ZPO einen Haftbefehl zu erlassen[59]. Während der Haftverbüßung muss der Schuldner auf Verlangen jederzeit die Möglichkeit erhalten, die Vermögensauskunft beim zuständigen Gerichtsvollzieher abzugeben. Gibt er die Vermögensauskunft sodann ab, ist er unverzüglich aus der Haft zu entlassen (§ 802i I, II ZPO). In diesem Fall ist auch das Schuldnerverzeichnis von Amts wegen zu berichtigen, da der Eintragungsgrund des § 882c I Nr.1 ZPO entfallen ist (§ 882e III Nr.2 ZPO). Ggf. wird der Schuldner auf Anordnung des Gerichtsvollziehers nun erneut eingetragen, wenn nunmehr einer der Eintragungsgründe des § 882c I Nr.2 und 3 (offensichtliche Masseunzulänglichkeit, kein Zahlungsnachweis innerhalb Monatsfrist) vorliegt. Hat der Schuldner die sechsmonatige Höchsthaftdauer verbüßt, so ist er danach gegenüber einem anderen Gläubiger entsprechend § 802d I ZPO zur Abgabe der Vermögensauskunft erst nach Ablauf von zwei Jahren nach Ende der Haft verpflichtet (§ 802j III ZPO).
4. Auskünfte Dritter gem. § 802l ZPO
a) Kommt der Schuldner seiner Pflicht zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht nach oder ist eine Vollstreckung in die dort aufgeführten Gegenstände nicht erfolgversprechend, so besteht nach neuem Recht die Möglichkeit, den Gerichtsvollzieher gem. § 802l ZPO mit der Einholung von Drittauskünften bei Behörden und öffentlichen Stellen zu beauftragen. Die Bereitschaft des Schuldners zu wahrheitsgemäßen Eigenangaben wird sich dadurch spürbar erhöhen, da seine Angaben objektiv bei Dritten überprüft werden können[60]. Die Einholung von Fremdauskünften ist subsidiär gegenüber der Vermögensauskunft des Schuldners („Subsidiarität der Fremdauskunft gegenüber der Selbstauskunft“)[61]. Weiterhin ist Voraussetzung für eine Fremdauskunft, dass diese für die Vollstreckung erforderlich ist und die Bagatellgrenze von 500 EUR der zu vollstreckenden Forderung erreicht wird (§ 802l I 2 ZPO). Hierbei werden mehrere titulierte Forderungen desselben Gläubigers addiert[62]. Kosten der Zwangsvollstreckung (§ 788 ZPO) und Nebenforderungen (z. B. Zinsen, Prozesskosten) bleiben bei der Bagatellgrenze unberücksichtigt. Nicht zu den Nebenforderungen gehören z. B. mittitulierte vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten[63].
b) Liegen diese Voraussetzungen vor, so kann der Gerichtsvollzieher gem. § 802l I 1 Nr.1-3 ZPO bei den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung[64] (Arbeitslohn des Schuldners), beim Bundeszentralamt für Steuern (Konten und Wertpapierdepots des Schuldners) und beim Kraftfahrt-Bundesamt (Kraftfahrzeuge des Schuldners) vollstreckungsrelevante Informationen einholen[65]. Über das Bundeszentralamt für Steuern, erfährt der Gläubiger nur, ob der Schuldner über ein Konto verfügt. Den Kontostand und ob es sich um ein sog. P-Konto handelt, erfährt er hingegen nicht (vgl. § 802l I Nr.2 ZPO i. V. m. § 93b AO i. V. m. § 24c KWG)[66]. Auch in diesem Fall ist der Gläubiger also gezwungen, auf Verdacht eine „angebliche“ Guthabenforderung zu pfänden. Beim Kraftfahrt-Bundesamt erfährt der Gläubiger nur die Haltereigenschaft des Schuldners, über das Eigentum am Fahrzeug ist damit noch nichts gesagt[67]. Da der Halter aber i. d. R. Gewahrsam am Fahrzeug hat und der Gerichtsvollzieher gem. § 808 I ZPO die Eigentumsverhältnisse nicht prüft, kann der Gläubiger den Gerichtsvollzieher ohne Weiteres mit der Pfändung des Fahrzeugs beauftragen. Steht das Fahrzeug in Wahrheit im Dritteigentum, muss sich der Dritte gem. § 771 ZPO wehren.
Die Informationen leitet der Gerichtsvollzieher unverzüglich an den Gläubiger weiter, welcher sodann die geeigneten Vollstreckungsmaßnahmen veranlassen kann. Der Schuldner erfährt von der Abfrage bei Dritten erst nach vier Wochen, der Gläubiger hat somit ausreichend Vorsprung, Vollstreckungsmaßnahmen in die Wege zu leiten bevor der Schuldner ggf. Vermögen bei Seite schafft (vgl. § 802l III ZPO).
5. Ermittlung des Wohnsitzes des Schuldners gem. § 755 ZPO
a) § 755 ZPO n. F. erlaubt nun dem Gerichtsvollzieher, Auskünfte bei Behörden über den Wohnsitz des Schuldners einzuholen, bislang war dies Sache des Gläubigers[68]. Dies setzt einen entsprechenden Auftrag des Gläubigers voraus[69]. Zuständig ist der Gerichtsvollzieher am letzten bekannten Wohnsitz des Schuldners[70]. Ermittelt der Gerichtsvollzieher sodann erfolgreich einen neuen Schuldnerwohnsitz außerhalb seines Bezirks, so hat er die Sache von Amts wegen an den zuständigen Gerichtsvollzieher weiterzuleiten[71]. Die Wohnungsermittlung darf nach h. M. nicht isoliert als einzige Vollstreckungsmaßnahme beim Gerichtsvollzieher in Auftrag gegeben werden, sondern nur zusammen mit einer Vollstreckungsmaßnahme nach § 802a II ZPO bzw. §§ 883 ff. ZPO, für welche der Gerichtsvollzieher funktional zuständig ist (Fahrnispfändung, Vorpfändung, Herausgabevollstreckung)[72]. Die Befugnis nach § 755 ZPO soll keine selbständige Zwangsvollstreckungsmaßnahme, sondern eine bloße Hilfsbefugnis für Vollstreckungsmaßnahmen nach §§ 802a II, 883 ff. ZPO sein[73]. Das ist nicht ganz zweifelsfrei, Wortlaut und systematische Stellung der Vorschrift geben ein solches Ergebnis nicht ohne Weiteres her. § 755 ZPO ist zunächst eine „weitere Zuständigkeit“ i. S. v. § 802a II 1, 1. HS. ZPO. Aufgrund seiner systematischen Stellung im 1. Abschnitt des 8. Buches („Allgemeine Vorschriften“), gilt die Vorschrift nicht nur für die Fahrnisvollstreckung, sondern für sämtliche Zwangsvollstreckungsarten. Auch bei der Pfändung von Forderungen nach §§ 829, 835 ZPO und der Vollstreckung von Titeln nach §§ 887-890 ZPO besteht ein Bedürfnis des Gläubigers, den Wohnsitz des Schuldners vom Gerichtsvollzieher ermitteln zu lassen. Da der Gesetzgeber die Informationsbeschaffung des Gläubigers in der Zwangsvollstreckung insgesamt verbessern wollte[74], gilt § 755 ZPO richtigerweise für sämtliche Vollstreckungsarten. Ebenso kann die Wohnungsermittlung entgegen der h. M. zunächst isoliert in Auftrag gegeben werden. Steht der Wohnsitz sodann fest, kann der Gläubiger den Gerichtsvollzieher mit weiteren Maßnahmen (z. B. Ladung zur Vermögensauskunft) betrauen. Eine Adressermittlung durch den Gerichtsvollzieher außerhalb des Zwangsvollstreckungsverfahrens, d. h. ohne dass der Gläubiger im Besitz eines Vollstreckungstitels ist, ist aber nicht möglich. Wichtig ist die Ermittlung des Wohnsitzes v. a. für die Zustellung von Ladungen, Belehrungen etc. durch den Gerichtsvollzieher an den Schuldner (z. B. gem. § 802f IV ZPO), für die Fahrnispfändung gem. § 808 ZPO und für Güteversuche des Gerichtsvollziehers gem. § 802b ZPO. Eine Ermittlung des Wohnsitzes wird somit beschleunigt[75]. Durch den Rückgriff auf behördliche Drittauskünfte wird die Validität der erlangten Informationen zudem erhöht.
b) Die Adressermittlung hat zweistufig zu erfolgen. Zunächst kann der Gerichtsvollzieher beim Einwohnermeldeamt der letzten bekannten Schuldneradresse Auskünfte einholen (§ 755 I ZPO). Möglich ist auch eine EMA-Anfrage durch den Gläubiger selbst[76]. Ist dies nicht erfolgreich (z. B. der Schuldner ist unbekannt verzogen), so kann der Gerichtsvollzieher bei den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung und beim Kraftfahrtbundesamt Adressdaten des Schuldners erfragen (§ 755 II 1 Nr.2 und 3 ZPO). Ähnlich wie bei § 802l ZPO ist jedoch das Erreichen einer Bagatellgrenze von 500 EUR der zu vollstreckenden Forderungen erforderlich (§ 755 II 4 ZPO). Die eingeholte EMA-Auskunft erlaubt nur dann einen Übergang zur zweiten Stufe der Adressermittlung, wenn sie aktuell ist, sie sollte deshalb nicht älter als zwei bis vier Wochen sein[77]. Deshalb empfiehlt es sich, den Gerichtsvollzieher für den Fall der Erfolglosigkeit der EMA-Auskunft sofort zur Nachfrage beim Rentenversicherungsträger und beim Kraftfahrt-Bundesamt zu beauftragen.
c) Ist der Schuldner nicht deutscher Staatsangehöriger, so ist ebenfalls eine Anfrage beim Ausländerzentralregister und anschließend auch bei der zuständigen Ausländerbehörde zulässig (§ 755 II 1 Nr.1 ZPO). Bei EU-Ausländern bestehen wegen des Freizügigkeitsrechts (§ 2 FreizügG/EU) Sonderregeln, welche eine Informationsgewinnung bei den Ausländerbehörden einschränken (§ 755 II 2, 3 ZPO).
6. Das neue Schuldnerverzeichnis gem. § 882b ff. ZPO
Das Schuldnerverzeichnis gem. §§ 915 ff. ZPO a. F. wird nunmehr in §§ 882b-h ZPO n. F. geregelt und völlig neu gestaltet[78]. Die Verwaltung des Schuldnerverzeichnisses wird bei den zentralen Vollstreckungsgerichten der Länder zentriert (§ 802k ZPO). Das Schuldnerverzeichnis kann über eine kostenpflichtige, länderübergreifende Abfrage im Internet unter www.vollstreckungsportal.de eingesehen werden (§ 882h I 2 ZPO)[79]. Eintragungen in das Schuldnerverzeichnis erfolgen im Bereich der zivilen Einzelzwangsvollstreckung auf Anordnung des Gerichtsvollziehers (§§ 882b I Nr.1, 882c). In das neue Schuldnerverzeichnis werden Angaben zur Person des Schuldners (Name, Vorname, Geburtsname, Geburtsdatum, Geburtsort und Wohnsitz bzw. bei Gesellschaften Firma, Handelsregisternummer und Sitz), Aktenzeichen des Erkenntnisverfahrens und Gericht und der zur Eintragung führende Grund (unterlassene Vermögensauskunft, Unzulänglichkeit des Schuldnervermögens, fehlender Nachweis der Gläubigerbefriedigung innerhalb von einem Monat) eingetragen (vgl. §§ 882b II, III, 882c I ZPO)[80]. Fehlende Angaben ermittelt der Gerichtsvollzieher von Amts wegen bei den in § 755 ZPO genannten Stellen und dem Handelsregister (§ 882c III ZPO).
Anders als früher, führen die Abgabe einer Vermögensauskunft (früher: „eidesstattliche Versicherung“) und der Erlass eines Haftbefehls nicht mehr automatisch zu einer Eintragung im Schuldnerverzeichnis[81]. Eine Eintragung erfolgt nur, wenn der Schuldner die Vermögensauskunft pflichtwidrig nicht abgibt, wenn sich aus dem Vermögensverzeichnis offensichtliche Masseunzulänglichkeit ergibt oder wenn die Forderung nicht innerhalb eines Monats nach Abgabe beglichen wird (§ 882c I ZPO). Der Erlass eines Haftbefehls gem. § 802g ZPO (§ 901 ZPO a. F.) wird also nicht mehr in das Schuldnerverzeichnis eingetragen, da er kein „zur Eintragung führender Grund“ mehr ist[82]. Eine Eintragung erfolgt nach neuem Recht somit erst, wenn die Vollstreckung endgültig gescheitert ist[83]. Die Aussagekraft des Schuldnerverzeichnisses wird dadurch spürbar erhöht. Die Reform vollzieht somit eine klare Trennung zwischen der Informationsbeschaffung des Gläubigers einerseits (vgl. §§ 802a ff. ZPO) und den rechtlichen Folgen einer erfolglosen Zwangsvollstreckung für den Schuldner andererseits (§§ 882b ff. ZPO)[84]. Eine Löschung der Eintragung erfolgt i. d. R. erst nach Ablauf von drei Jahren (§ 882e I ZPO). Eine vorzeitige Löschung kann nur erfolgen, wenn der Schuldner die vollständige Befriedigung des Gläubigers nachweist, der Eintragungsgrund von Anfang an fehlte oder nachträglich weggefallen ist (z. B. Vermögensauskunft durch inhaftierten Schuldner) oder die Ausfertigung einer vollstreckbaren Entscheidung vorgelegt wird, aus welcher sich ergibt, dass die Eintragungsanordnung des Gerichtsvollziehers auf den Widerspruch des Schuldners hin aufgehoben wurde (§ 882e III ZPO). Einsicht in das Schuldnerverzeichnis erhält jeder, der ein berechtigtes Interesse darlegt (§ 882f ZPO). Der Kreis der Einsichtsberechtigten ist hier also viel weiter als im Falle des Vermögensverzeichnisses (s. oben).
Das Schuldnerverzeichnis gem. §§ 882b ff. ZPO ist abzugrenzen von in der Praxis weit verbreiteten privatwirtschaftlichen Schuldnerauskunfteien (z. B. Schufa, Creditreform).
Wer als Schuldner im Schuldnerverzeichnis eingetragen ist, ist de facto kreditunwürdig. Er wird i. d. R. keinen Bankkredit mehr erhalten. Auch bei Geschäften der Daseinsvorsorge (z. B. Anmietung einer Wohnung) wird er erhebliche Nachteile erfahren. Schuldner haben deshalb oftmals ein erhebliches Interesse daran, die Eintragung im Schuldnerverzeichnis zu verhindern oder zumindest zu verzögern, um diese „Prangerwirkung“[85] des Verzeichnisses zu vermeiden.
Die Einzelheiten des Schuldnerverzeichnisses sind aufgrund der Ermächtigung in § 882h III ZPO in der neu erlassenen Schuldnerverzeichnisführungsverordnung (SchuFV) geregelt.
V. Das neue Rechtsbehelfssystem
a) Aufseiten des Gläubigers wird das bisherige Rechtsbehelfssystem beibehalten. Weigert sich der Gerichtsvollzieher eine Maßnahme nach § 802a II ZPO (z. B. Vermögensauskunft des Schuldners, Drittauskunft bei Behörden) vorzunehmen, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, so kann der Gläubiger gem. § 766 II ZPO Vollstreckungserinnerung einlegen[86]. Gleiches gilt, wenn der Gerichtsvollzieher die vom Gläubiger vorgegebene Reihenfolge der Vollstreckungsmaßnahmen missachtet. Hierüber entscheidet das örtliche Vollstreckungsgericht gem. § 764 ZPO[87]. Dieses darf nicht mit dem neu geschaffenen „zentralen Vollstreckungsgericht“ in § 802k ZPO verwechselt werden. Das örtliche Vollstreckungsgericht ist Zwangsvollstreckungsorgan und entscheidet über Erinnerungen nach § 766 ZPO. Das zentrale Vollstreckungsgericht (in NRW: Amtsgericht Hagen) ist eine zentrale Verwaltungsstelle für die Vermögensverzeichnisse und das Schuldnerverzeichnis[88].
b) Aufseiten des Schuldners wurde das Rechtsbehelfssystem teilweise neu gestaltet. Der frühere Rechtsbehelf des „Widerspruchs“ gem. § 900 IV 1 ZPO a. F. wegen Bestreitens der gesetzlichen Voraussetzungen zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung ist entfallen[89]. Der Schuldner kann sich fortan nur noch mit der Erinnerung gem. § 766 ZPO wehren[90]. Das ist konsequent, da die Abnahme der Vermögensauskunft nunmehr sofort möglich ist und nicht mehr an einen vorherigen fruchtlosen Fahrnisvollstreckungsversuch gekoppelt ist. Da die Abnahme der Vermögensauskunft gem. §§ 802a II 1 Nr.2, 802c, 802f ZPO also nunmehr genau wie z.B. die Pfändung und Verwertung körperlicher Sachen (§ 802a II 1 Nr.4 ZPO) eine gleichberechtigte Vollstreckungsmaßnahme ist, war ein besonderer Rechtsbehelf für die Vermögensauskunft entbehrlich. Der Schuldner kann somit im Falle der Aufforderung zur Abgabe der Vermögensauskunft mittels Erinnerung gem. § 766 I ZPO insbesondere rügen, dass die allgemeinen oder besonderen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung nicht vorliegen oder Vollstreckungshindernisse bestehen. Die Erinnerung hat keine aufschiebende Wirkung, erforderlich ist deshalb ein gesonderter Vollstreckungsschutzantrag des Schuldners gem. § 766 I 2 i. V. m. § 732 II ZPO[91].
c) Lediglich, wenn der Gerichtsvollzieher gem. § 802f II 1 ZPO bestimmt, dass die Vermögensauskunft in der Wohnung des Schuldners abzugeben ist, steht dem Schuldner dagegen der befristete Rechtsbehelf des „Widerspruchs“ zu (§ 802f II 2). Dieser hat aufschiebende Wirkung (arg e contrario § 802f II 3 ZPO).
Auch gegen eine Eintragungsanordnung des Gerichtsvollziehers nach § 882c ZPO steht dem Schuldner der befristete „Widerspruch“ zu (bislang war die Eintragung gem. § 915c ZPO a. F. unanfechtbar)[92]. Dieser ist beim örtlichen Vollstreckungsgericht gem. § 764 ZPO einzulegen[93]. Der Widerspruch hemmt nicht die Vollstreckung, sodass der Gerichtsvollzieher nach Fristablauf die Eintragungsanordnung elektronisch an das zentrale Vollstreckungsgericht übermittelt[94]. Der Schuldner kann jedoch gem. § 882d II 1 ZPO einstweiligen Rechtsschutz beim örtlichen Vollstreckungsgericht beantragen[95]. Setzt das Vollstreckungsgericht die Vollziehung der Eintragungsanordnung einstweilen aus, so besteht ein Eintragungshindernis (§ 882d II 2 ZPO).
VI. Neues Vollstreckungsmanagement
1. Die Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung zwingt insbesondere Gläubiger und ihre Rechtsanwälte zum „umdenken“[96]. Die verbesserten Möglichkeiten der Informationsbeschaffung erfordern insbesondere ein verändertes neues Vollstreckungsmanagement[97]. Dafür empfiehlt sich insbesondere, dass der Vollstreckungsgläubiger dem Gerichtsvollzieher einen gestaffelten Vollstreckungsauftrag[98] erteilt. Der Gerichtsvollzieher sollte zunächst angewiesen werden, eine gütliche Einigung zu versuchen (§§ 802a II 1 Nr.1, 802b), soweit dies nicht von vornherein völlig aussichtlos ist. Scheitert ein Güteversuch, so sollte der Gerichtsvollzieher für diesen Fall sofort beauftragt werden, den Schuldner zur Abgabe der Vermögensauskunft aufzufordern (§§ 802a II 1 Nr.2, 802c ZPO)[99]. Stellt sich nach dem Einblick in das Vermögensverzeichnis heraus, dass nach der Selbstauskunft des Schuldners kein ausreichendes Vermögen vorhanden ist, so sollte der Gerichtsvollzieher in diesem Fall mit der Einholung von Drittauskünften gem. §§ 802a II 1 Nr.3, 802l ZPO über Arbeitslohn, Konten und Wertpapierdepots und Kraftfahrzeuge des Schuldners beauftragt werden[100]. Hat der Gläubiger sodann einen (möglichst umfassenden) Überblick über die Vermögens- und Einkommenslage des Schuldners, kann er den Gerichtsvollzieher gezielt mit Zwangsvollstreckungsmaßnahmen (Pfändung körperlicher Sachen, Vorpfändung von Arbeitslohn, Konten und Depots etc.) beauftragen (§ 802a II 1 Nr.4 und 5 ZPO)[101].
2. Alternativ kann der Gläubiger, falls ihm bereits bewegliches Vermögen des Schuldners bekannt ist (selten!), den Gerichtsvollzieher sofort mit der Pfändung körperlicher Sachen bzw. Vorpfändung von Forderungen beauftragen (§ 802a II 1 Nr.4 und 5 ZPO). Anlässlich der Fahrnispfändung kann er den Gerichtsvollzieher sogleich beauftragen, den Schuldner gem. § 807 ZPO n. F. zur sofortigen Vermögensauskunft aufzufordern. Dem kann dann ein Auskunftsersuchen bei Dritten gem. §§ 802a II 1 Nr.3, 802l ZPO nachfolgen. Stellt sich sodann heraus, dass der Schuldner über weiteres, bislang unbekanntes Vermögen verfügt, so kann dieses sodann vom Gerichtsvollzieher gezielt gepfändet werden.
VII. Relevanz der Reform für das Assessorexamen
Die unmittelbare Relevanz der Reform für zwangsvollstreckungsrechtliche Assessorklausuren dürfte sich in Grenzen halten. Die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gem. § 807 ZPO a. F. und die anschließende Eintragung im Schuldnerverzeichnis nach §§ 915 ff. ZPO a. F. ist bislang nach eigener Anschauung in Examensklausuren – trotz erheblicher praktischer Relevanz – thematisch kaum aufgegriffen worden. Das dürfte in ähnlichem Maße auch für die Neuregelungen in den §§ 802a ff. und §§ 882b ff. ZPO gelten. Im Zentrum von zwangsvollstreckungsrechtlichen Klausuren steht in der Regel die Prüfung der Erfolgsaussichten eines zwangsvollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfs (insbesondere §§ 766, 767 und 771 ZPO). Die Überprüfung z. B. der §§ 802a ff. ZPO im Rahmen einer Erinnerung nach § 766 ZPO kann schwerlich eine fünfstündige Klausur füllen. Anders als z. B. der sehr klausurrelevante § 811 ZPO haben die §§ 802a ff. ZPO kaum einen tieferen materiellen Gehalt, sondern beinhalten überwiegend Ordnungs- und Verfahrensvorschriften. Die Buchstabenparagraphen der §§ 802a ff. ZPO sind zudem relativ kompliziert und erschließen sich demjenigen, der sich mit der gesetzlichen Systematik dieser Vorschriften vorher noch nicht auseinandergesetzt hat, nicht ohne Weiteres.
Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass die Landesjustizprüfungsämter die aktuelle Reform zum Anlass nehmen werden, einmal Klausuren aus diesem Bereich zu stellen. Gerade nach Wegfall des Widerspruchs gem. § 900 IV 1 ZPO a. F. und dessen Substituierung durch den Rechtsbehelf der Erinnerung gem. § 766 ZPO könnte man die Thematik in einen bekannten Rechtsbehelf „einpacken“. Inhaltlich könnte dann z. B. der Schuldner, welcher zur Abgabe einer Vermögensauskunft aufgefordert wurde, nach Rechtsschutzmöglichkeiten fragen. Der Klausurersteller könnte dann z. B. bei den allgemeinen Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen (Titel, Klausel, Zustellung) und bei den besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen (z. B. §§ 751, 756 ZPO) Probleme einbauen. Als Vollstreckungshindernis könnte insbesondere die Wirksamkeit einer Zahlungsvereinbarung gem. § 802b ZPO zu prüfen sein. Nimmt man den „Übertölpelungseffekt“ der Referendare hinzu, ließe sich so sicherlich eine ansehnliche und schwere Examensklausur entwerfen. Angesichts der fundamentalen Bedeutung der Reform für die Fahrnisvollstreckung (Paradigmenwechsel), ist das Thema zudem auch für die mündliche Prüfung sehr gut geeignet. Dort könnte der Prüfer das Verständnis für die Grundstrukturen der Neuregelung abfragen und einen Rechtsvergleich mit der bisherigen Rechtslage erörtern. Insofern ist den Referendaren zu raten, sich zumindest mit den Grundstrukturen der Reform der Sachaufklärung auseinanderzusetzen. Auch die Rechtsprechung dürfte sich sicher bald vermehrt mit den umstrittenen Fragen der Reform beschäftigen.
VIII. Fazit
Mit der Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung hat der Gesetzgeber den „Sprung vom 19. Ins 21. Jahrhundert“[102] geschafft. Die Informationsgewinnung für den Gläubiger wurde beschleunigt und auf Drittauskünfte von Behörden und öffentlichen Stellen erweitert. Die rechtlichen Folgen eines erfolglosen Vollstreckungsversuchs für den Schuldner werden klar von der Informationsbeschaffung getrennt und voneinander entkoppelt. Die Informationsverwaltung wird bei zentralen Vollstreckungsgerichten zentralisiert und veraltete Papierverzeichnisse durch moderne elektronische Dateien ersetzt. Der Aspekt der gütlichen Streitbeilegung wird stärker herausgestellt.
Die Effizienzsteigerung der Zwangsvollstreckung wird auf Dauer auch zu einer Anhebung der Zahlungsmoral von Schuldnern führen[103]. Zudem wird die Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung, welche in der Vergangenheit durch private Informationsdienste (z. B. Detekteien, Inkassodienstleister etc.) dominiert war, wieder in staatliche Hände gelegt und dadurch die Gleichbehandlung von kleinen Gläubigern (welche sich private Informationsermittlung oft nicht leisten können) und Großgläubigern wieder hergestellt[104].
Auch das Spannungsfeld zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Schuldners und dem Interesse des Gläubigers an einer effektiven und zügigen Zwangsvollstreckung wird durch datenschutzrechtliche Bestimmungen und die Einfügung von Bagatellgrenzen, insbesondere soweit ohne Wissen des Schuldners Drittauskünfte eingeholt werden, einem tragfähigen Ausgleich zugeführt.
Im Großen und Ganzen kann man die Reform der Sachaufklärung deshalb als gelungene Neuregelung des Gesetzgebers bezeichnen.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!