Die Frauenquote wird Gesetz – verfassungs- und europarechtskonform?
Wir freuen uns, heute einen weiteren Gastbeitrag von Julien Lindner veröffentlichen zu können.
Am vergangenen Freitag hat der Bundestag den „Entwurf eines Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst“ angenommen. Damit soll der Unterrepräsentanz von Frauen in verantwortungsvollen Positionen in der deutschen Wirtschaft und Verwaltung abgeholfen werden. Zur Erreichung des Ziels einer paritätischen Besetzung entsprechender Gremien (§ 1 des Gesetzesentwurfs) sind im Wesentlichen drei Instrumente vorgesehen: Erstens wird ab 2016 für neu zu wählende Aufsichtsräte börsennotierter und zugleich der paritätischen Mitbestimmung nach MitbestG, MitbestErgG oder MontanMitbestG unterliegender Unternehmen eine Geschlechterquote von mindestens 30 % statuiert. Die Wahl eines Mannes wäre dann nichtig, sofern in der Folge die Quote nicht erfüllt würde (sog. „Politik des leeren Stuhls“). Zweitens wird die Festlegung von Zielgrößen für Aufsichtsräte, Vorstände und oberste Management-Ebenen börsennotierter oder mitbestimmter Unternehmen verpflichtend. Drittens werden zur Erhöhung des Frauenanteils im Öffentlichen Dienst das Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG) und das Bundesgremienbesetzungsgesetz (BGremBG) novelliert.
Die Frauenquote war bereits Gegenstand öffentlich-rechtlicher Examensklausuren und es darf davon ausgegangen werden, dass der Beschluss des oben genannten Gesetzes durch den Bundestag dem Thema eine Renaissance bescheren wird. Klassischerweise wird es insoweit um die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Postulats einer (starren) Frauenquote in Aufsichtsräten gehen, zumal die Regelung von Vertretern der Justiz bereits als „offensichtlich verfassungswidrig“ und mit dem Europarecht „unvereinbar“ bezeichnet wurde (so der Vorsitzende Richter am Verwaltungsgericht Frankfurt, Torsten von Roetteken, zitiert nach: „Die Qual mit der Quote“, in: Handelsblatt (04-03-2015), Nr. 44, S. 4). Eine ausführliche rechtliche Bewertung findet sich in der online abrufbaren Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins (DAV) zum Referentenentwurf des Gesetzes (im Folgenden genannte Rn. verweisen auf diese). Deren Ergebnisse sollen im Folgenden kurz dargestellt werden.
1.Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG
Sowohl starre als auch flexible Quoten greifen in den Schutzbereich des Grundrechts ein. Eine Rechtfertigung ist nur durch kollidierendes Verfassungsrecht möglich. Als solches kommt Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG in Betracht. Allerdings ist zweifelhaft, ob vom Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG („fördern“, „wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“) auch Maßnahmen zur Herstellung von Ergebnis- statt Chancengleichheit umfasst sind (Rn. 50). Zudem handelt es sich bei der Norm bloß um eine Staatszielbestimmung, nicht um ein Grundrecht, sodass fraglich ist, ob diese überhaupt zur Rechtfertigung schrankenlos gewährleisteter Grundrechte herangezogen werden kann. Für eine Rechtfertigung spricht dagegen, dass die Quotenregelung geschlechtsneutral formuliert ist (Rn. 52). Der Gesetzgeber hat eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die Art und Weise, wie er Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördert und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirkt. Mildere Mittel, namentlich die Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen durch selbstauferlegte Quotenregelungen, haben sich als nicht geeignet erwiesen, den Frauenanteil signifikant zu erhöhen. Ein schonender Ausgleich des Rechts des einzelnen Mannes auf individuelle Gleichbehandlung und der gesamtgesellschaftlichen Gleichstellung der Frau im Sinne praktischer Konkordanz sei jedoch nur durch eine Öffnungsklausel herzustellen, wonach eine Besetzung außerhalb der Quote erlaubt ist, wenn keine das gesetzliche bzw. durch die Anteilsinhaber bestimmte Anforderungsprofil erfüllenden Kandidaten existieren (Rn. 41, 54). Damit wird auf EuGH, Urt. v. 28. 03. 2000, Rs. C-158/97, Badeck, Bezug genommen, in welcher der EuGH entschieden hatte, dass eine automatische Begünstigung von Bewerberinnen mit der Richtlinie 76/207/EWG unvereinbar war.
2. Vereinbarkeit mit Art. 9 Abs. 1 GG
Aktiengesellschaften sind Vereinigungen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 GG. Ein Eingriff in den Schutzbereich liegt daher vor. Was eine Rechtfertigung angeht, ist allerdings im Hinblick auf das Mitbestimmungsurteil des BVerfG (BVerfGE 50, 290, NJW 1979, 699), wonach sogar die teilweise Bestimmung der Mitglieder des Gesellschaftsorgans durch Dritte verfassungskonform ist, davon auszugehen, dass die (starre) Frauenquote im Ergebnis nicht gegen Art. 9 Abs. 1 GG verstößt (Rn. 55)
3. Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG
Sowohl Bürger als natürliche Personen als auch Aktiengesellschaften als juristische Personen, Art. 19 Abs. 3 GG, werden durch Art. 12 Abs. GG geschützt. Während für die Aktiengesellschaft ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit besteht, sind Bewerber in ihrer Berufswahlfreiheit betroffen (vgl. Rn. 56 ff.). Der DAV weist darauf hin, dass jedenfalls in Bezug auf letztere die Intensität des Eingriffs eine Rechtfertigung durch Gemeinwohlbelange unter Umständen nicht zulasse (Rn. 57). Hiergegen könnte argumentiert werden, dass nicht der Zugang zum Berufsstand als solches ausgeschlossen wird, sondern im Gegenteil ein erheblicher Anteil an Stellen weiterhin disponibel ist. Eine Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG schließt der DAV aus.
4. Vereinbarkeit mit Art. 14 Abs. 1, 2 GG
Eigentum im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG ist auch das Anteilseigentum in Form von Aktien. Ein Eingriff in den Schutzbereich scheidet gleichwohl aus, wenn man auch insoweit auf das Mitbestimmungsurteil des BVerfG (s. o.) rekurriert. Dort hatte das BVerfG entschieden, dass die Arbeitnehmermitbestimmung keine qualitative Veränderung des Inhalts des Mitgliedschaftsrechts darstelle (BVerfGE 50, 290, 344 ff.). Dies könnte per argumentum a maiore ad minus auf die (starre) Frauenquote übertragen werden (Rn. 59). Dann käme es jedoch zu einer Kumulierung von gesetzlicher Mitbestimmung und Frauenquote. Der DAV leitet hieraus wiederum das Erfordernis einer Öffnungs- und Härtefallklausel ab (Rn. 60).
5. Vereinbarkeit mit Unionsrecht
Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit, Art. 49, 63 AEUV, sind nicht verletzt, da es sich bei der Frauenquote um eine unterschiedslos geltende Standortbedingung handelt (Rn. 5). Problematisch ist dagegen die Vereinbarkeit mit der Richtlinie 2006/54/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Gleichbehandlungs-Richtlinie – GRL). Eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist nach Art. 4 GRL grundsätzlich verboten. Allerdings erlaubt Art. 3 GRL ausdrücklich Maßnahmen zur Gewährleistung der vollen Gleichstellung von Männern und Frauen im Arbeitsleben. Die Vorschrift verweist auf Art. 141 Abs. 4 AEUV (nunmehr Art. 157 Abs. 4 AEUV), demnach hindert „[i]m Hinblick auf die effektive Gewährleistung der vollen Gleichstellung von Männern und Frauen im Arbeitsleben […] der Grundsatz der Gleichbehandlung die Mitgliedstaaten nicht daran, zur Erleichterung der Berufstätigkeit des unterrepräsentierten Geschlechts oder zur Verhinderung bzw. zum Ausgleich von Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn spezifische Vergünstigungen beizubehalten oder zu beschließen“. Diese Voraussetzungen sind, so der DAV, ohne eine Öffnungsklausel nicht erfüllt, da die starre Quote auch solche Fälle erfasst, in denen die von einer Ungleichbehandlung betroffenen Personen sich nicht in einer vergleichbaren Position befinden, wie es Art. 2 Abs. 1 lit. a GRL voraussetzt, die starre Quote also nicht die Qualifikation der Bewerber in den Blick nimmt (Rnrn. 23 ff.). Unionsrechtskonformität könne daher nur durch Einfügung einer Öffnungsklausel (s. o. unter I.) hergestellt werden (Rn. 41).
6. Schlussbetrachtung
Die Stellungnahme des DAV überzeugt. Gerade im Hinblick auf das Erfordernis einer Öffnungsklausel lässt sich selbstverständlich auch Abweichendes vertreten. Wichtig in der Klausur ist, dass möglichst alle Sachverhaltsangaben für die Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung fruchtbar gemacht werden. Dann dürfte bezüglich der Verfassungsmäßigkeit der starren Frauenquote – gerade im Hinblick auf die durchaus kritischen Stimmen aus der Literatur (s. etwa Habersack/Kersten, „Chancengleiche Teilhabe an Führungspositionen in der Privatwirtschaft – Gesellschaftsrechtliche Dimensionen und verfassungsrechtliche Anforderungen“, BB 2014, 2819) – auch eine ablehnende Auffassung gut vertretbar sein.
Seit wann ist denn Art. 3 Abs. 3 GG ein „schrankenlos gewährtes Grundrecht“, in dessen „Schutzbereich“ eingegriffen werden könnte?
Die von Ihnen genannten Formulierungen sind tatsächlich etwas missverständlich. Für die in Art. 3 GG geregelten Gleichheitssätze gelten einige Besonderheiten: Eine getrennte Prüfung von Schutzbereich und Eingriff nimmt das BVerfG nicht vor, auch überträgt es die Schrankensystematik der Freiheitsrechte nicht auf Art. 3 GG.
Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG ist insofern ein schrankenlos gewährleistetes Grundrecht, als anders als im Rahmen des Abs. 1 eine Rechtfertigung grundsätzlich nur durch kollidierendes Verfassungsrecht möglich ist. Mit einem Eingriff in den Schutzbereich ist hier das Vorliegen einer rechtlich relevanten Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem wegen einem der genannten, verbotenen Differenzierungskriterien gemeint.
Für alleinstehende Frauen bestehen keine Nachteile gegenüber alleinstehenden Männern. Starre Quotenregelungen sind folglich verfassungswidrig: Eine positive Diskriminierung auf der einen Seite ist stets eine negative Diskriminierung auf der anderen Seite.
Haben die Autoren vom DAV überhaupt ausreichende Deutschkenntnisse, um ein solches Gutachten zu fertigen?
Art. 3 Abs. 2 GG spricht von Gleichberechtigung. Gleichberechtigung ist nicht Gleichstellung. Aber trotzdem wird es im folgenden munter durcheinander gewürfelt, obwohl tatsächlich aufgefallen ist, dass es auf einmal um Ergebnisgleichheit und nicht mehr um Chancengleichheit geht.
Im Übrigen braucht man für einen Grundrechtseingriff eine Rechtfertigung (Notwendigkeit). Eine Unterrepräsentation ist nicht automatisch eine Diskriminierung, sagt das Bundesamt für Statistik. Ohne ausreichende Rechtfertigung ist es verfassungswidrig. Argumente, die eine tatsächliche Diskriminierung belegen, wurden nicht vorgebracht.