Der mediale Umgang mit dem Germanwingspiloten – Ein Zwischenruf
Das Unglück hat die Menschen erschüttert: Am Dienstag gegen 11 Uhr stürzte ein Airbus A 320 von germanwings in Südfrankreich ab und riss 150 Menschen mit in den Tod. Seither bewegte nicht nur Deutschland die Frage nach dem „Warum?“.
Gestern nun eine Antwort die für Entsetzen sorgte: Der Co-Pilot der Maschine brachte – so zumindest der aktuelle Erkenntnisstand der StA in Frankreich – bewusst die Maschine zum Absturz, nachdem er den Piloten aus der Maschine ausgesperrt hatte. Soweit die Fakten die bewegen. Nun stellt sich umso mehr die Frage nach dem „Warum?“. Eine Frage, deren Beantwortung die Menschen zurecht verlangen.
Eine Antwort konnte hierauf – naturgemäß – aber noch nicht gegeben werden, die Ermittlungen stehen – keine 72 Stunden nach dem Absturz der Maschine – noch völlig am Anfang. Eine Zeit, die viele Menschen nicht abwarten wollen und oftmals auch nicht können, zu schrecklich ist das Geschehen. Viele Medien kommen diesem Drang nach Informationen nach, indem umgehend Fotos des Co-Piloten, dessen vollständiger Name, Fotos von dessen privaten Wohnungen, vom Haus der Eltern, private Informationen etc. veröffentlicht werden. An dieser Stelle soll keine pauschale Medienschelte erfolgen, ist doch das Bedürfnis der Bevölkerung nach Informationen um das Unvorstellbare vorstellbar zu machen durchaus nachvollziehbar und nicht mit bloßem Voyeurismus gleichzusetzen. Die Medien vollziehen dieses Bedürfnis nur nach und erfüllen damit letztendlich nur Ihre Pflicht. Weder den Medien noch den Lesern ist ein Vorwurf zu machen.
Die Frage stellt sich aber – und damit komme ich zu der eigentlichen Aufgabe unserer Seite – was das Recht, welches sich eben gerade nicht von Emotionen und menschlichen Gefühlen leiten lässt, hierzu äußert.
I. Geschütze Interessen des Piloten und der Verwandten
Dabei ist klar, es stehen sich Interessen gegenüber, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Auf der einen Seite das Informationsinteresse der Bevölkerung, das letztlich die Presseorgane im Rahmen ihrer Pressefreiheit befriedigen, auf der anderen Seite das Persönlichkeitsrecht des getöteten Co-Piloten und von dessem Umfeld. Beide Positionen sind solche von Grundrechtsrang. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG ist generell auf eine freie Entfaltung der Persönlichkeit gerichtet. Allerdings – und dies ist ein erster entscheidender Punkt – steht dies nach herrschender Meinung nur Lebenden zu, für Verstorbene wird es abgelehnt ( BVerfGE 30, 173, 194; BVerfG NJW 2008, 549, 550). Allerdings können sich jedenfalls die Verwandten auf ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen.
In der bekannten Mephisto-Entscheidung zu einem Roman angelehnt an den Schriftsteller Klaus Mann (BGHZ 50, 133, 136 ff) modifiziert der Bundesgerichtshof allerdings diese Grundsätze für das postmortale Persönlichkeitsrecht und stellt fest:
Dies [die Fortgeltung des Rechts über den Tod hinaus] gelte in gleicher Weise auch für das allgemeine Persönlichkeitsrecht; denn die schutzwürdigen Werte der Persönlichkeit überdauerten die Rechtsfähigkeit ihres Subjekts, die mit dem Tode erlösche (BGHZ 15, , 249 259 = NJW 55, [L 260] = LM Nr. 8 zu § 1 LitUrhG – Cosima Wagner).
Das Persönlichkeitsrecht erfährt zwar – wie schon ein Vergleich des Ehrenschutzes nach §§ 185 bis 187 StGB mit der engeren Bestimmung des § 189 StGB zeigt – mit dem Tode der Person eine einschneidende Einschränkung, da alle diejenigen Ausstrahlungen enden, welche die Existenz einer aktiv handelnden Person bedingen. Ferner kann bei der Abwägung widerstreitender Belange im Rahmen der Abgrenzung des Persönlichkeitsrechtes nicht mehr der Schutz der persönlichen Empfindung des Angegriffenen als solcher ins Gewicht fallen.
Einer (eingeschränkten) Überdauerung des Persönlichkeitsrechts steht auch nicht entgegen, dass dieses vom ehemals Berechtigten nun nicht mehr wahrgenommen werden kann, so das Urteil weiter:
Es ist nicht entscheidend, daß das Persönlichkeitsrecht – abgesehen von seinen vermögenswerten Bestandteilen – als höchstpersönliches Recht unübertragbar und unvererblich ist. Die Rechtsordnung kann Gebote und Verbote für das Verhalten der Rechtsgenossen zum Schutz verletzungsfähiger Rechtsgüter auch unabhängig vom Vorhandensein eines lebenden Rechtssubjektes vorsehen und namentlich Unterlassungsansprüche der in Rede stehenden Art durch jemanden wahrnehmen lassen, der nicht selbst Subjekt eines entsprechenden Rechtes ist, wenn der ursprüngliche Träger dieses Rechtes durch den Tod die Rechtsfähigkeit verloren hat.
Jedenfalls bei einer groben Entstellung greift damit der fortdauernde Schutz des Persönlichkeitsrechts. Mit dem Tod erlischt dieses nicht völlig, sondern dauert postmortal fort. Letztlich ist diese Sichtweise auch mit dem Bundesverfassungsgericht vereinbar, welches den Schutz zumindest über Art. 1 Abs. 1 GG fortdauern lässt (BVerfGE 30, 173, 194).
Diese Sichtweise teilt auch der Bundesgerichtshof in dem Nolde-Urteil aus dem Jahr 1989 (BGHZ 107, 384) und postuliert dabei eine Verhältnismäßigkeitsprüfung:
Es ist dabei zutreffend davon ausgegangen, daß der rechtliche Schutz der Persönlichkeit gemäß Art. 1 Abs. 1 GG zwar nicht mit dem Tode endet. Vielmehr besteht der allgemeine Wert- und Achtungsanspruch fort, so daß das fortwirkende Lebensbild eines Verstorbenen weiterhin gegen schwerwiegende Entstellungen geschützt wird (vgl. BGHZ 50, 133, 136ff – Mephisto; BGH, Urt. v. 4.6.1974 – VI ZR 68/73, GRUR 1974, 797, 798 – Fiete Schulze; BGH, Urt. v. 17.5.1984 – I ZR 73/82, GRUR 1984, 907, 908 – Frischzellenkosmetik; auch BVerfGE 30, 173, 194f – Mephisto).
Die Dauer des postmortalen Persönlichkeitsschutzes läßt sich nicht generell festlegen. Sie hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei wird es neben der Intensität der Beeinträchtigung vor allem auf die Bekanntheit und Bedeutung des durch das künstlerische Schaffen geprägten Persönlichkeitsbildes ankommen. Das Schutzbedürfnis schwindet in dem Maße, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen verblaßt und im Laufe der Zeit auch das Interesse an der Nichtverfälschung des Lebensbildes abnimmt (vgl. BGHZ 50, 133, 140f – Mephisto; BVerfGE 30, 173, 196 – Mephisto).
Im konkreten Fall werden zwar „nur“ Fotos, persönliche Informationen etc. genannt, deren Inhalt – dies sei hier vorausgesetzt – auch der Wahrheit entspricht. Dennoch kann m.E. im konkreten Fall und im konkreten Handlungsstadium hierin ein Eingriff in das allgemeine postmortale Persönlichkeitsrecht des Co-Piloten und in das Persönlichkeitsrecht der Verwandten liegen. Das postmortale Persönlichkeitsrecht muss jedenfalls soweit gehen, dass auch eine postmortale Zurschaustellung des Verstorbenen – unter Nennung von Namen, Fotos, Adresse etc. – einen Eingriff darstellt. Dies resultiert schon aus dem unmittelbaren Zusammenhang zu dem Tod und aus sämtlichen Umständen.
Daneben besteht natürlich auch ein Schutzinteresse der Verwandten. Durch die Nennung der gezeigten Informationen bzgl. des Co-Piloten wird auch ihr Persönlichkeitsrecht verletzt, da auch für sie ein normales Weiterleben offenkundig nicht mehr möglich ist.
II. Legitimes Informationsinteresse und Pressefreiheit
Dagegen streitet aber das legitime Informationsinteresse der Bevölkerung, welches letztlich durch die Pressefreiheit nach Art. 5 GG erfüllt wird.
III. Abwägung
Entscheidend muss im Ergebnis eine Abwägung sein welches Interesse überwiegt. Von entscheidender Bedeutung ist dabei, dass es sich im aktuellen Ermittlungsstadium allein um einen – wenn auch gravierenden und verhältnismäßig konkreten – Verdacht handelt.
1. Erwiesene Verantwortlichkeit
Jedenfalls anders wäre die Situation zumindest dann, wenn tatsächlich der Beweis (im Sinne einer über allen Zweifeln erhabenen Wahrscheinlichkeit) des aktuell diskutierten Geschehens vorliegen würde. Hier wäre ein überwiegendes Informationsinteresse zu bejahen, sodass es auch zulässig wäre, dieses Interesse mit sachlichen und der Information dienenden Fakten zu befriedigen. Dann wäre sowohl die Nennung des Namens, als auch von Fotos und persönlichen – im Zusammenhang mit dem Absturz stehenden – Informationen zulässig. Auch das verletzte Persönlichkeitsrecht der Verwandten müsste dahinter zurücktreten. Es würde sich um ein besonderes Ereignis der Zeitgeschichte handeln.
2. Erwiesene Nichtverantwortlichkeit
Demgegenüber würde das Persönlichkeitsrecht jedenfalls dann überwiegen, wenn sich herausstellen würde, dass der Co-Pilot (wider Erwarten) doch nicht für den Absturz verantwortlich war.
3. Probleme bei bestehenden (Rest)Zweifeln
Aktuell scheint es aber äußerst wahrscheinlich, dass der Co-Pilot für den Absturz verantwortlich war, wobei die konkreten Umstände noch unklar sind. Eine absolute Sicherheit besteht – schon aufgrund der gerade erst anlaufenden Ermittlungen – aber noch nicht. Wie ist also in einem solchen Stadium zu verfahren? Hätte der Co-Pilot den Absturz überlebt, so würde für ihn – strafrechtlich – bis zu einer Verurteilung die Unschuldsvermutung gelten. Diese scheint in der aktuellen Diskussion aufgehoben zu sein. Allerdings – und auch dies muss beachtet werden – könnten natürlich bei einem zweifellos bestehenden Anfangsverdacht Ermittlungen gegen ihn aufgenommen werden, bei einem dringenden Tatverdacht (und weiteren Gründen) wäre die Verhängung von Untersuchungshaft möglich. All dies knüpft an einen Verdacht und nicht an eine erwiesene Verantwortlichkeit an. Demnach ist auch nicht auszuschließen, dass bereits bei einem Verdacht das Informationsinteresse der Allgemeinheit überwiegt. Dabei ist allerdings eine striktere Prüfung als bei der erwiesenen Verantwortlichkeit geboten. Entscheidende Bedeutung hat hier, dass die Eingriffe in das Persönlichkeitsrechts nicht mehr reversibel sind. Die Folgen bei einer sich herausstellenden Unschuld wären damit gravierend. Dies würde jedenfalls bei einem noch lebenden Verdächtigen gelten. Eine (Re)Sozialisierung wäre kaum noch möglich.
Bei einem verstorbenen Verdächtigen mag dieses Argument zwar keine direkte Rolle spielen, dennoch muss auch hier beachtet werden, dass eine Reparatur des Persönlichkeitsbilds bei sich herausstellender Unschuld kaum mehr möglich wäre.
IV. Ergebnis im konkreten Fall
Diese Aspekte wären bei der Abwägung zwingend zu beachten. Hier spricht dennoch viel für eine Veröffentlichung persönlicher Informationen. Die Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung wie vermutet ist sehr hoch; ebenso hoch ist das Informationsinteresse der Bevölkerung zur Klärung dieses schrecklichen Vorfalls. Das Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen ist dagegen hier weniger stark als wenn er überlebt hätte. Zudem findet auch eine Verzerrung seiner Persönlichkeit nicht statt.
Eine Veröffentlichung persönlicher Informationen wäre damit zulässig. Allerdings muss hier sorgsam ausgewählt werden, welche Informationen zu veröffentlichen sind. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass auch das Persönlichkeitsrecht der Eltern massiv betroffen ist. Fotos von deren Wohnhaus oder aber Informationen über ihren Beruf etc. sollten damit nicht veröffentlicht werden. Gleiches gilt auch für Informationen bzgl. des Co-Piloten, die keinen direkten Bezug zur Tat aufweisen. Die Nennung des vollständigen Namens wäre daher m.E. unzulässig. Hier überwiegt das Schutzinteresse des Verstorbenen und der Angehörigen. Die vollständige Nennung dient hier allein dem Voyeurismus der Adressaten, die damit den vollständig Namen googeln etc., um weitere Informationen zu finden. Hingegen erscheint die Veröffentlichung zumindest eines öffentlichen Fotos zulässig, da damit der mutmaßliche Täter „ein Gesicht bekommt“ und damit das Geschehen fassbarer wird, wobei hierbei aber auch an eine Anonymisierung zu denken ist.
Im Einzelnen verschwimmt der Bereich zwischen zulässig und unzulässig hier aber wie man erkennen kann sehr stark.
V. Zum Schluss
Ein Fall der bewegt – so viel steht fest. Die Menschen haben ein Interesse, das nicht Begreifliche durch nähere Informationen begreifbar zu machen. Und dennoch darf bei allem Verständnis hierfür das Interesse der Verwandten des Co-Piloten und auch dessen eigenes postmortales Interesse nicht vollständig vernachlässigt werden. Der Status des Menschseins kann und darf auch einem „Amok-Piloten“ (so heute der Titel der Bild-Zeitung) nicht abgesprochen werden. Den Pranger auf dem Marktplatz haben wir zurecht seit dem Mittelalter abgeschafft. Eine Rückkehr zu diesem Denken wäre – auch wenn die menschlichen Instinkte bei einem solchen schier unfassbaren Vorfall etwas anderes sagen mögen – fatal.
Meiner Meinung ist die Namensnennung unzulässig und darüber hinaus wohl auch Bildveröffentlichung ohne Entfremdung. Ich zuckte auf jeden Fall kurz zusammen, als der franz. Staatsanwalt plötzlich vor der versammelten Weltpresse den vollständigen Namen preisgab. Gilt da in Frankreich anderes?
Namensnennung, Fotos vom Wohnhaus und am besten noch verbunden mit wilden Spekulationen sind definitiv nicht mehr vom Informationsbedürfnis bedeckt. Da überwiegt ganz klar das Persönlichkeitsrecht der Angehörigen und – eventuell – auch das postmortale Persönlichkeitsrecht des Piloten. „Andreas L.“ samt Angabe der Herkunftsstadt reichen zur hinreichenden Befriedigung des völlig legitimen Informationsbedürfnisses doch völlig aus. Eltern und Verwandte tun mir wirklich Leid: Sie müssen sich schrecklich fühlen.
dr-j, die extreme Zurückhaltung bei der Nennung von Namen – seien es Straftäter oder Opfer von Straftaten oder Unfällen – ist eine absolute deutsche Besonderheit. Überall anders auf der Welt, insbesondere in UK, USA usw., sieht man kein Problem darin, die Namen zu nennen. Selbst in der Schweiz ist man deutlich weniger zurückhaltend. Dabei kommt es nicht auf eine strafrechtliche Verantwortung an, denn auch die Namen der Opfer oder auch nur von Verkehrsunfällen werden routinemäßig genannt.
M. E. steht dahinter ein nuanciert andere Menschenbild in Bezug auf das Publikum, also die Leser: Man hält diese etwas stärker für erwachsene, verantwortungsfähige Menschen als bei uns. Deswegen sieht man keine Notwendigkeit, die genannten Personen zu „schützen“ vor diesem Publikum.
Ja, der Abwägung ist zuzustimmen. – Jedoch noch ein „Zwischenruf“: Eine entsprechende Abwägung hätte ich mir auch im Falle des S. Edathy gewünscht, der von der Staatsanwaltschaft indiskret und rechtswidrig (siehe BVerfG dazu v. Aug. 2014) behandelt wurde.
Die Abwägung ist ziemlich freischwebend und ist durch die Rechtsprechung nicht gerechtfertigt; sie weicht von ihr ab und verkennt die begrenzte Reichweite des postmortalen Persönlichkeitsschutzes. Deutlich wird dies an den Worten „Dennoch kann m. E. …“.
Der Schutz beschränkt sich auf eine schwerwiegende Entstellung des Lebensbildes, die offensichtlich hier nicht droht; es geht ja gerade um die Nachzeichnung des Lebensbildes. Die Abwägung mag bei der Berichterstattung über Lebende zutreffen; sie verfehlt die Maßstäbe der Berichterstattung über Tote jedoch von Grund auf.
Eine Betroffenheit des allg. Persönlichkeitsrechts der Verwandten wird völlig unkonturiert behauptet und ist daher rechtlich nicht nachvollziehbar. Das allg. Persönlichkeitsrecht ist kein Schutzrecht vor nachteiligen Auswirkungen von schicksalhaften Vorgängen im Nahbereich auf die die allgemeine Lebensgestaltung.
Der Schluss ist schließlich reine Polemik, die neben der Sache liegt.
Ich sage nur „Si tacuisses …“ und würde dem Autor raten: Wenn im im Juristischen Bereich bleiben (und nicht Journalist werden) will, sollte er den Text lieber entfernen…
Ihre Sorge um meine juristische Karriere ehrt mich. Seien Sie aber gewiss, dieser Beitrag wird da sicher nicht im Wege stehen.
Zu Ihrer inhaltlichen Kritik: Bei einem Überlebenden würden wir doch hier gar nicht diskutieren. Wieso ist es dann bei einem nun Verstorbenen so abwägig, gleiches zu fordern. Überdies bin ich der Ansicht, dass ich durchaus ein vielschichtiges Meinungsbild dargestellt habe. Zudem wird ja explizit dargelegt, dass der Bereich zwischen zulässig und unzulässig verschwimmt.
Abschließend zum Vorwurf der Polemik: Wo beginnt diese denn? Sicher, der Schluss ist zugespitzt, aber steht Juristen nicht auch – zum besseren Verständnis – eine solche zu, wenn sie denn der Sache dient? Ich mein, ja. Überdies bin ich auch nicht der Ansicht, dass eine juristische Darlegung eine unnötige Verkomplizierung enthalten muss; vielmehr zeigt die Resonanz auf diesen Beitrag n der Zielgruppe (Studenten und Referendare), dass er dort genau den Nerv getroffen hat.
Ich sehe das anders.
„[…] wobei die konkreten Umstände noch unklar sind. Eine absolute Sicherheit besteht – schon aufgrund der gerade erst anlaufenden Ermittlungen – aber noch nicht.“
Wie konkret müssen die Umstände Ihrer Meinung nach denn sein? Was müssen Sie denn (noch) wissen um den von der französischen Staatsanwaltschaft vorgelegten Sachverhalt als „erwiesen“ anzusehen?
Wir haben
– achtminütigen Sinkflug (in normalem Winkel) ohne Kontakt zum Tower, der lt. Staatsanwalt manuell eingeleitet wurde
– einen ausgesperrten Kapitän, der – nach normalen Umständen – nur dann nicht in das Cockpit gelangt, wenn die Tür durch das betätigen eines Schalters blockiert wird
– einen normal atmenden Co-Pilot
Zudem ist der zeitliche Faktor völlig unerheblich. In welchem Status die Ermittlungen sind, ist Entscheidung der Staatsanwaltschaft. Dieser war scheinbar nicht der Ansicht „erst am Anfang“ seiner Ermittlungen zu sein, als er gestern das Zwischenergebnis präsentierte.
Ein „Beweis“ liegt auch dann vor, wenn alle anderen Theorien ausscheiden.
Also selbst wenn wir Ihre rechtliche Meinung so stehen lassen, besteht bei der Subsumtion erheblicher Erklärungsbedarf.
Sehr geehrter Herr Bauer,
ich denke, sie sind da etwas vorschnell. Wie lang ist der Absturz denn her? – Ganze drei Tage. Und was haben wir: Einen ausgewerteten Voicerecorder und eine abgestürzte Maschine, die 10 Minuten im Sinkflug war. Das war’s. Für eine strafrechtliche Verurteilung – und nur das kann ja hier der Parallelmaßstab sein, würde dies noch nicht reichen, bzw. es würden die näheren Umstände geklärt werden, da sonst jeder fähige Strafverteidiger noch bestehende Widersprüche aufdecken würde. Nun soll aber etwas anderes gelten? Ich meine nein. Wir sind – wie ich dargelegt habe – im Stadium des (dringenden) Tatverdachts; der Nachweis ist sicher noch nicht geführt.
Verstehen sie mich nicht falsch – auch ich halte das Geschehen wie geschildert für sehr wahrscheinlich, aber als Richter könnte man m.E. einen endgültigen Schuldspruch noch nicht treffen, gerade weil sicher noch (Rest)zweifel bestehen, die in den nächsten Tagen und Wochen beseitigt werden können.
Selbst wen der Staatsanwaltschaft ein Zwischenergebnis präsentiert, so zeigt dies ja gerade, dass er noch immer im Ermittlungsverfahren ist.
Vielen Dank für die Antwort. Aber nochmal: Die zeitliche Komponente kann keine Rolle spielen. Dass erst drei Tage vorbei sind ist unerheblich. Erheblich ist allein die Qualität der Beweise. Oben schilderte ich bereits die Tatsachen. Die Indizien, die mit übergroßer Wahrscheinlichkeit zutreffen lassen diesen Schluss noch viel eher zu. Dies einzige Frage die im Raum stünde wäre die Schuldunfähigkeit. Ansonsten ist die Beweislage erdrückend. (hier werden wir wohl unterschiedlicher Meinung bleiben).
Ist Ihrer Ansicht nach ein Urteil (oder ein endgültiger Bericht) einziges Abwägungskriterium was die Wage zu Lasten des Piloten verschieben kann?
Zumal Sie einen entscheidenden Unterschied übersehen: Der Staatsanwalt ist derjenige der letztlich auch den Abschlussbericht formuliert. Er ist also (auch) Richter. Der Zwischenbericht hat also meiner Meinung nach eine höhere Kredibilität als eine bloße Anklage.
Wo ist denn der Unterschied zu dem NSU Verfahren? Wäre Ihrer Ansicht nach die Veröffentlichung der Namen von Uwe Mundlows und Bönhardt nicht in gleicher Weise rechtswidrig?
Immerhin gibt es dort noch kein abgeschlossenes Verfahren und meiner Ansicht nach weit aus mehr Zweifel als vorliegend. Sicherlich werden Sie die Berichterstattung verfolgt haben.
Mein Ausbilder (Strafrichter) eröffnete jede Urteilsbegründung mit den Worten „Ich habe keine Zweifel….(dass es sich so zugetragen hat, wie in der Anklageschrift beschrieben)“.
Die erste grundlegende Erkenntnis der strafrechtlichen Praxis ist, dass „in dubio pro reo“ nur zum Tragen kommt, wenn das Gericht Zweifel hat. Diese Fälle sind jedoch so selten, dass man sie über das Jahr an einer Hand abzählen kann.
P.S.: Ein einziges Indiz reicht locker für eine Verurteilung aus.
Wenn der mediale Pranger auch nur einen Selbstmörder vom Mitnahmesuizid abhält, dann können die transmortalen Rechte des Herrn L. – zumindest von mir aus – gerne zurückstehen.
Mephisto hin oder her, ihr werdet später auch den gleichen Weg gehen, wie Fahrschüler die nach bestandener Fahrprüfung ihren Fahrstiel ändern.
Aus tatsächlicher, (rechts-) vergleichender Perspektive interessant, dass in GB die Abwägung scheinbar gänzlich anders ausfällt: Die Namen des Piloten und der (mutmaßlichen) Freundin werden genannt, zudem Kinderbilder des Co-Piloten
https://www.dailymail.co.uk/news/article-3017223/The-killer-pilot-happy-toddler-smiling-teenager.html
Auch Markus Kompa sieht keinen presserechtlichen Verstoß.
https://www.kanzleikompa.de/2015/03/30/anmerkungen-zu-flug-4u9525/
(letzter Absatz)
Lesenswerter Beitrag, aber mich würde noch interessieren, welche rechtlichen Möglichkeiten der Tote, bzw. seine Hinterblieben nun praktisch hätten. Die Abwägung alleine würde doch erst bei der mittelbaren Drittwirkung zum Tragen kommen, oder? Ist hier § 823 I BGB einschlägig? Auf was könnte denn hier geklagt werde? Auf Schadensersatz, Unterlassen oder Richtigstellung? Ich mein selbst wenn die Angehörigen recht bekommen, die Namensnennung, Bildveröffentlichungen etc. kann man schwer wieder Rückgängig machen.
Ja ganz recht, das ganze würde nur durch eine Klage der Nachkommen durchzusetzen sein. Diese könnten Unterlassung nach § 1004 BGB aber auch Schadensersatz bzw. Entschädigung verlangen.
Das tatsächliche Problem ist natürlich, das eine vollständige Löschung aus dem Netz nicht mehr erfolgen kann; dies ist aber nicht als Begründung geeignet, einen solchen Anspruch per se zu verneinen.
Unterlassung aus § 1004 BGB wäre möglich. Nach der Rechtsprechung scheidet hingegen ein Anspruch aus § 823 I BGB bei post mortem eingetreten APR-Verletzungen immaterieller Art aus. Es sei denn, es liegt eine eigenständige Verletzung des APR der Hinterbliebenen vor. (vgl. BGH NJW 2012, 1728 ff.)
Der postmortale Schutz ist ein stumpfes Schwert und daher zurecht Kritik in der Literatur ausgesetzt.