Der innerbetriebliche Schadensausgleich – ein Fallbeispiel
Wir freuen uns nachfolgend einen Gastbeitrag von Maria Dimartino veröffentlichen zu können. Die Autorin ist Rechtsanwältin mit den Interessenschwerpunkten Individual- und Kollektivarbeitsrecht. Sie hat Rechtswissenschaften in Heidelberg und Frankfurt a.M. studiert. Ihr Referendariat hat Sie am Landgericht Wiesbaden absolviert. Sie ist als selbstständige Rechtsanwältin und Lehrbeauftrage/Tutorin tätig. Mehr Informationen über die Autorin finden Sie hier. Der Beitrag stellt das System des innerbetrieblichen Schadensausgleichs anhand der Entscheidung des BAG vom 28. Oktober 2010, 8 AZR 418/09 dar.
Die Haftungsprivilegierung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber (sog. innerbetrieblicher Schadensausgleich), gehört zum beliebten Prüfungswissen. Hier kann in der Klausur aufgezeigt werden, dass das schuldrechtliche Haftungssystem beherrscht wird und erkannt wird, dass bei einer betrieblich veranlassten Tätigkeit arbeitsrechtliche Besonderheiten eingreifen.
I. Sachverhalt
Die Arbeitnehmerin (A) ist im Rahmen eines sog. Mini-Jobs als Reinigungskraft in einer medizinischen Facharztpraxis angestellt. Ihr Bruttomonatsentgelt beträgt 320,- EUR. Als die A an einem Sonntag ihre Arbeitskollegin besuchte, welche oberhalb der Praxisräume wohnt, nahmen diese bei der Verabschiedung an der Tür einen Alarmton wahr. Dieser kam aus den darunterliegenden Praxisräumen. Die A betrat die nicht abgeschlossene Praxis und erkannte, dass der Alarmton von dem Magnetresonanztomographen (MRT) kam. Die A wollte den Alarmton ausschalten. An der Wand ist eine Steuereinheit fest montiert, welche aus vier blauen Knöpfen und einem roten Knopf besteht. Die blauen Knöpfe sind überschrieben mit: „host standby“, „alarm silence“, „system off“ und „system on“. Ein weiterer roter Knopf befindet sich deutlich höher und ist hinter einer durchsichtigen Plexiglasklappe, die vor der Betätigung angehoben werden muss. Der rote Knopf trägt die Aufschrift „magnet stop“ (Hier war strittig, ob noch weitere Informationen am roten Knopf zu lesen waren). Die A betätigte den roten Knopf dadurch wurde ein sog. MRT-Quench ausgelöst mit der Folge, dass das als Kühlmittel eingesetzte Helium freigesetzt wurde und das elektromagnetische Feld des Gerätes zusammenbrach. Die nach dieser Notschaltung entstandene Reparatur kostete 30.843,- EUR (netto). Das Gerät konnte drei Tage nicht eingesetzt werden. Der Arbeitgeber macht weiter einen Nutzungsausfallschaden i.H.v. 18.390,- EUR (netto) geltend, welcher nicht von der Versicherung übernommen wurde.
II. Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers, § 280 Abs. 1 BGB
1. Schaden
Dem Arbeitgeber ist ein kausaler Schaden i.H.v. (30.834 + 18.390 EUR) 49.224 EUR (netto) entstanden.
2. Schuldverhältnis
Zwischen den Parteien besteht ein Schuldverhältnis i.S.d. § 280 Abs. 1 BGB, ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis gem. § 611 BGB i.V.m. mit dem Arbeitsvertrag.
3. Pflichtverletzung
Die Pflicht des Arbeitnehmers, mit den vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Sachen (sowie sonstigen Sachen des Arbeitgebers) sorgfältig umzugehen, wurde von der A verletzt.
4. Vertretenmüssen
Die Verschuldensvermutung des § 280 Abs.1 S. 2 BGB greift im Arbeitsrecht nicht ein. Das Verschulden des Arbeitnehmers muss gem. § 619 a BGB positiv festgestellt werden. Grundsätzlich hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, vgl. § 276 Abs. 1 BGB. Hier hatte das LAG als Vorinstanz bereits festgestellt, dass die A die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den Gesamtumständen in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und unbeachtet gelassen hat, was in der konkreten Situation für jedermann erkennbar gewesen sei. Das BAG sah dies ebenso:
“Der Beklagten musste klar sein, dass sie in der Bedienung des MRT nicht eingewiesen war, über keine sonst erworbene Sachkunde verfügte und die Bedeutung der einzelnen Schaltknöpfe nicht kannte. Die wahllose Bedienung eines zumindest durch einen Plexiglasdeckel besonders gesicherten Schalters musste die Gefahr bergen, dass dadurch mehr passiert als das einfache Abschalten des Alarmtons […].“
5. Zwischenergebnis
Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers gegenüber A i.H.v. 49.224,- EUR (netto) gem. § 280 Abs. 1 BGB (+).
6. Privilegierung der Haftung des Arbeitnehmers
a) Dogmatische Herleitung
Dieses Ergebnis erscheint unbillig, da der Wert des beschädigten Arbeitsmittels in einem krassen Missverhältnis zum Entgelt des Arbeitnehmers steht. Um eine derartige Schieflage zu beseitigen wurden unter ständiger Rechtsfortbildung und unter Berücksichtigung des Grundgedankens des § 254 BGB (Mitverschulden) die Grundsätze des sog. innerbetrieblichen Schadensausgleiches entwickelt.
b) Anwendungsvoraussetzungen
aa) Betrieblich veranlasste Tätigkeit
A handelte bei einer betrieblich veranlassten Tätigkeit, dem steht nicht entgegen, dass sie außerhalb der Arbeitszeit an einem Sonntag den Knopf betätigte.
„Als betrieblich veranlasste gelten solche Tätigkeiten, die arbeitsvertraglich übertragen worden sind oder die der Arbeitnehmer im Interesse des Arbeitgebers für den Betrieb ausführt. Das Handeln braucht dabei nicht zum eigentlichen Aufgabenbereich des Beschäftigten gehören, ausreichend ist, wenn er im wohl verstandenen Interesse des Arbeitgebers tätig wird. Das Handeln ist betrieblich veranlasst, wenn bei objektiver Betrachtungsweise aus der Sicht des Schädigers im Betriebsinteresse zu handeln war, sein Verhalten unter Berücksichtigung des Verkehrsüblichkeit nicht untypisch und keinen Exzess darstelle. Der betriebliche Charakter der Tätigkeit geht nicht dadurch verloren, dass der Arbeitnehmer bei der Durchführung der Tätigkeit grob fahrlässig oder vorsätzlich seine Verhaltenspflichten verletzt, auch wenn ein solches Verhalten grundsätzlich nicht im Interesse des Arbeitgebers liegt“[…].
bb) Haftungsumfang/Grad des Verschuldens
Da es sich hier um eine betrieblich veranlasste Tätigkeit handelte greifen die Grundsätze über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung ein (sog. innerbetrieblicher Schadensausgleich). Hiernach wird der Umfang der Arbeitnehmerhaftung vom Grad des Verschuldens abhängig gemacht.
(1) Leichte Fahrlässigkeit
Bei leichtester Fahrlässigkeit haftet der Arbeitnehmer nicht.
(2) Mittlere Fahrlässigkeit
Bei mittlerer Fahrlässigkeit ist der Schaden in aller Regel zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu verteilen.
(3) Grobe Fahrlässigkeit
Bei grober Fahrlässigkeit hat der Arbeitnehmer i.d.R den gesamten Schaden zu tragen, jedoch können Haftungserleichterungen, die von einer Abwägung im Einzelfall abhängig sind, in Betracht kommen.
(4) Vorsatz
Hat der Arbeitnehmer vorsätzlich den Schaden verursacht, so haftet dieser grundsätzlich im vollen Umfang. Der Vorsatz muss sich sowohl auf die Pflichtverletzung als auch den Schadenseintritt beziehen.
I.d.F. sind sowohl das LAG, als auch das BAG von grober Fahrlässigkeit ausgegangen (s.o.).
cc) Haftungsbegrenzung im Einzelfall
Bei der Haftungsbegrenzung sind die persönliche Situation des Arbeitnehmers und die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Haftung soll den Arbeitnehmer nicht in den Ruin treiben. Zu berücksichtigen war, dass bei einem sog. Mini-Job regelmäßig der gesamte Verdienst zur Existenzerhaltung benötigt wird und Reserven, Rücklagen oder Sparquoten nicht bestehen. Das bestehen einer privaten Haftpflichtversicherung ist bei der Beurteilung des Haftungsmaßstabes nicht zu berücksichtigen, da eine freiwillig abgeschlossene Privatpflichtversicherung sich nicht auf die interne Betriebsrisikoverteilung auswirkt.
dd) Pauschale Höchstbegrenzung der Haftung?
„Eine starre Haftungsbegrenzung wäre auch mit der dogmatischen Herleitung der Beschränkung der Haftung im Arbeitsverhältnis nicht zu vereinbaren. Der Rechtsgedanke des § 254 BGB, der eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalles erfordert, schließt feste summenmäßige Haftungsbeschränkungen aus […].“ (BAG, Urteil v. 15.11.2012, 8 AZR 705/11)
Eine pauschale Höchstbegrenzung für eine Haftung wird vom BAG ganz überwiegend abgelehnt. Trotzdem orientiert sich die Rechtsprechung der Arbeits- und Landesarbeitsgerichte häufig an einem Maßstab von einem Bruttomonatsentgelt bei mittlerer Fahrlässigkeit und drei Bruttomonatsentgelten bei grober Fahrlässigkeit, diese muss jedoch im Einzelfall dargelegt und begründet werden und darf nicht pauschal ausgeurteilt werden (vgl. Hess. LAG v. 2. April 2013, Az. 13 Sa 857/12).
III. Ergebnis
Unter Berücksichtigung der persönlichen Situation und der Umstände des Einzelfalls wurde die Haftung der A auf ein Bruttojahresgehalt i.H.v. (320 EUR x 12) 3.840,- EUR festgesetzt.
IV. Fazit
Die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleiches wenden unbillige Härten ab, die einen Arbeitnehmer ansonsten bei einer betrieblich veranlassten Tätigkeit treffen würden. Eine Haftungsbegrenzung bedarf immer einer Einzelfallbetrachtung, pauschale Höchstgrenzen sind abzulehnen.
Eventuell könnte noch anzudenken sein, dass hier etwa wegen eines „astehnischen“, (zumindest irrtümlichen Putativ)-Notwehr-Exzesses überhaupt nichts vorwerfbar verschuldet sein könnte: die Reinigungskraft im Minijob könnte eine Gefahr und ein diesbezügliches Verschulden eines anderen gemäß d. § 823 ff BGB als fahrlässigen „Angriff“ eventuell iSv. Notwehr für möglich gehalten haben.
Hallo, Bimbam sehr kreativer Ansatz… aber wir haben hier bereits ein Vertragsverhältnis (Arbeitsvertrag) aus dem die Minijobberin haftet.
Eine unerlaubte Handlung habe ich nur zur Begründung eines Angriffes iSv. Notwehr/Nothilfe angeführt. Ein Angriff iSv. Notwehr ist ja verbreitet grundsätzlich als „Beeinträchtigung rechtlich geschützter Interessen“ definiert o.ä.. Durch das Verbot unerlaubter Handlungen geschützte Interessen könnten solch rechtlich geschützte Interessen iSv. Notwehr/Nothilfe sein. Ein Angriff iSv. Notwehr scheint vorliegend allerdings näher nur zwischen Arzt und Dritten oder oder Arztmitarbeitern und Arzt. o.ä erwägbar. Hier könnte ja noch Raum für eine unerlaubte Handlung sein. Ein Arbeitsvertrag zwischen Arzt und Minijobberin scheint das kaum ausschließen zu können.
Das Ganze wiederum wären nur mögliche Erwägungen bezüglich eines Verschuldens der Minijobberin im Rahmen ihres Arbeitsvertrages mit dem Arzt. Die Minijobberin könnte hier kein Verschulden treffen, wenn sie durch Nothilfe gerechtfertigt wäre, oder wenn für sie ein Verschulden nach den Regeln über den Notwehrexzess ausscheiden würde o.ä.
Unter Punkt 2. Schuldverhältnis schreiben Sie:
„…. gem. § 611 BGB i.V.m. mit dem Arbeitsvertrag.“ da ist ein „mit“ zu viel