Der Fall Edathy im Prüfungsgespräch
Für anstehende mündliche Prüfungen interessant ist der derzeit in der Presse kursierende Sachverhalt um die Ermittlungen gegen den zurückgetretenen SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy, dem vorgeworfen wird, im Besitz von Kinderpornographie gewesen zu sein (siehe dazu hier). Neben strafprozessualen Klassikern wie dem Grundsatz in dubio pro reo (dazu hier), kann der aktuelle Sachverhalt hervorragend herangezogen werden, um Prüflinge mit der Auslegung einer weniger bekannten Norm sowie dem Standardtatbestand der Strafvereitelung (im Amt) zu konfrontieren.
Verletzung des Dienstgeheimnisses
Im Zusammenhang mit dem Fall Edathy ist derzeit fraglich, ob sich der frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich gemäß § 353b Abs. 1 S. 1 StGB wegen Verletzung eines Dienstgeheimnisses strafbar gemacht haben kann (dazu hier). Der frühere Bundesinnenminister hatte durch seine Position nämlich Kenntnis von dem o.g. Ermittlungsverfahren und teilte diesbezügliche Information vorab dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel mit (dazu hier). Nach § 353b StGB macht sich strafbar, wer als Amtsträger ein Geheimnis unbefugt offenbart und dadurch wichtige öffentliche Interessen gefährdet. Die strafrechtliche Diskussion kann man in diesem Fall an den Tatbestandsmerkmalen „Geheimnis“, „offenbaren“, „unbefugt“ sowie „Gefährdung öffentlicher Interessen“ aufhängen.
Geheimnis im Sinne des § 353b StGB ist jede Tatsache, deren Kenntnis nicht über einen begrenzten Personenkreis hinaus geht. Keine Geheimnisse sind hingegen Tatsachen, die offenkundig sind bzw. sich aus allgemeinen Quellen herleiten lassen. Die Tatsache, dass Ermittlungen gegen Sebastian Edathy anhängig waren, stellte zum damaligen Zeitpunkt, als das Thema noch nicht in der Presse war, insofern ein Geheimnis dar.
Offenbaren ist die Mitteilung an einen Unbefugten. Unbefugt in diesem Sinne meint die Weitergabe ohne Rechtfertigung. Bei § 353b StGB ist insofern etwa eine Weitergabe zur Wahrung berechtigter Interessen nicht unbefugt im Sinne des Tatbestandes. Argumentiert werden kann in diesem Zusammenhang unter anderem mit einem Informationsanspruch der Bundestagsabgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 GG. Sofern man ein derartiges Recht des Bundestagsabgeordneten Sigmar Gabriel anerkennt, könnte im Falle der Weitergabe des Geheimnisses durch Hans-Peter Friedrich eine Weitergabe aus berechtigtem Interesse bejaht und damit die Unbefugtheit abgelehnt werden. Andere Argumentationslinien in Richtung einer Gegenansicht sind selbstverständlich ebenfalls statthaft. Der Argumentation sind hier keine Grenzen gesetzt.
Eine Gefährdung öffentlicher Interessen liegt vor, wenn etwa das Vertrauen der Allgemeinheit in die Unparteilichkeit bzw. Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung erschüttert wird. Es handelt sich um einen sehr dehnbaren Rechtsbegriff, der eine Gesamtwürdigung im Einzelfall erfordert. In diesem Zusammenhang können alle in der Presse genannten Argumente aufgegriffen und im Rahmen einer wertenden Abwägung berücksichtigt werden. Darüber hinaus kann im Rahmen der Prüfung diskutiert werden, inwiefern ein derartig weit gefasster Rechtsbegriff mit dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) vereinbar ist, wobei eine entsprechend restriktive und damit verfassungskonforme Auslegung des Tatbestandsmerkmals sicherlich zielführend sein wird.
Strafvereitelung
Beim Fall Edathy steht weiterhin eine mögliche Strafvereitelung i.S.d. § 258 StGB im Raum (siehe dazu hier). Dieser Tatbestand, den Examenskandidaten im Gegensatz zu § 353b StGB sicher beherrschen sollten, könnte insbesondere dann erfüllt sein, wenn Hans-Peter Friedrich oder eine andere Person Sebastian Edathy im Hinblick auf die laufenden Ermittlungen gewarnt hätte, so dass der Verdächtige die Möglichkeit hatte, vor anstehenden Durchsuchungen Beweise zu vernichten. Sofern eine derartige Warnung von einem Staatsanwalt, Richter oder Polizist kam, kann zudem der Tatbestand der Strafvereitelung im Amt erfüllt sein, vgl. § 258a StGB.
Voraussetzung für eine etwaige Strafbarkeit nach § 258 bzw. § 258a StGB ist jedoch in jedem Fall das Vorliegen einer strafbaren Haupttat. Wenn Sebastian Edathy eine strafbare Haupttat, etwa der Besitz kinderpornographischer Schriften i.S.v. § 184b StGB, nicht nachgewiesen werden kann, fehlt es an einem Anknüpfungspunkt für eine mögliche Strafvereitlung. Die Warnung von Sebastian Edathy darüber, dass ein Ermittlungsverfahren gegen ihn anhängig ist, wäre dann straffrei. Die Warnung eines Verdächtigen durch Beamte könnte aber zumindest beamtenrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, so dass im Rahmen einer mündlichen Prüfung bei dieser Gelegenheit noch hervorragend die Grundzüge des deutschen Berufsbeamtentums abgefragt werden könnten (siehe zu einer bedeutsamen Facette dieses Themengebiets etwa hier).
Examensrelevanz
Aktuelle Sachverhalte, die in der Presse aufgearbeitet werden, stellen oftmals den Gegenstand von mündlichen Examensprüfungen dar. Aus diesem Grunde sollten in den Monaten vor der mündlichen Prüfung und ganz besonders in den letzten Wochen davor überregionale Tageszeitungen bzw. entsprechende Quellen im Internet von den Prüflingen durchforstet werden, um ideal auf die aktuellen Sachverhalte vorbereitet zu sein. Die bloße Lektüre der Sachverhalte allein reicht natürlich noch nicht aus. Darüber hinaus sind die Prüflinge gehalten, sich zu den jeweiligen rechtlichen Implikationen der aktuellen Fälle Gedanken zu machen.
Sehr geehrter Herr Werkmeister,
aus meiner Sicht wäre es ein
gravierender Fehler bei Nichtvorliegen einer strafbaren Vortat durch
Edathy die Strafbarkeit von Friedrich und Gabriel pauschal zu verneinen,
da im Rahmen des 258 auch der Versuch strafbar ist. Sofern hier die vom
258 geforderte Absicht oder Wissentlichkeit vorgelegen haben sollte,
geht der (gemeinschaftliche) Versuch auch durch. In der Praxis dürfte es
vermutlich an der Wissentlichkeit scheitern, da die Beteiligten leugnen
dürften, sicher gewusst zu haben, dass die Information zu Edathy
vordringt und die Bestrafung verhindert.
Wg. der Gefährdung eines
„wichtigen öffentlichen Interesses“ im Rahmen des 353b würde ich kein allzu großes Fass
aufmachen, da der staatliche Strafanspruch unstreitig ein
verfassungsrechtlicher Auftrag ist, der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip
und der staatlichen Schutzpflicht gegenüber den Rechtsgütern aller
Rechtsgenossen ergibt.
Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen
Edathy würde ich noch das Problem thematisieren, ob die Feststellung von
legalem Verhalten (Besitz von nicht strafbewehrten Nacktbildern von
Kindern) für den Anfangsverdacht bzgl. einer Straftat ausreichen kann.
Das Problem wurde auch in den Medien angesprochen. Die Frage würde ich
mit Blick auf den von der Rechtsprechung eingeräumten weiten
Beurteilungsspielraum der Ermittlungsbehörden und den Verweis auf deren
kriminalistische Erfahrungswerte bejahen. Kann man aber mit guten
Argumenten auch anders sehen, weil man im Rahmen der Alltagsdelikte dann
gegen jeden Bürger ein Ermittlungsverfahren einleiten könnte, der
Handwerker beschäftigt oder ein Arbeitszimmer von der Einkommensteuer
absetzt. Denn dass dort regelmäßig Steuern hinterzogen werden, ist
ebenfalls ein kriminalistischer Erfahrungswert.
Viele Grüße
Peter Augustin
Der § 353b setzt in Absatz 1 einen Amtsträger oder einen für den öffentlichen Dienst besonders verpflichteten voraus. Ist ein Bundestagsabgeordneter ein Amtsträger? Diese Frage wird meines Wissens auch kontrovers diskutiert.
BundesAMT des Inneren 😉
Friedrich war zumindest Bundesminister. Das macht ihn in jedem Fall zu einem Amtsträger.
Friedrich war fraglos Amtsträger, fraglich ist es jedoch bei Gabriel. Abgeordnete sind unstreitig keine Amtsträger, vgl. Fischer, § 11 Rn. 16 u. § 353b. Rn. 5. Es kann aber sowieso dahinstehen, da Gabriel die Information wohl nicht in seiner Eigenschaft als Abgeordneter des BT sondern als Vorsitzender der SPD mitgeteilt wurde (hierbei genau auf den Sachverhalt achten).