Der Erbschein im Examen
Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Philipp Friedlein veröffentlichen zu können. Philipp Friedlein ist Student an der Universität Münster und steht unmittelbar vor den Klausuren des Ersten Staatsexamens.
Aktueller Bezug: der Fall Gurlitt
Wenn man derzeit durch die Tageszeitungen oder deren entsprechende Onlineportale blättert, kommt man nicht an den neuesten Entwicklungen rund um das Erbe des Kunstsammlers Cornelius Gurlitt vorbei. Als eine der letzten Neuigkeiten wurde gemeldet, dass eine Cousine einen Erbschein beim Nachlassgericht in München für das Erbe Gurlitts beantragt hat (s. hier). Dieser Beitrag greift diese Thematik auf und soll dazu dienen, sich einen Überblick über den Erbschein im Hinblick auf das Examen, insbesondere die mündliche Prüfung, zu verschaffen.
Grundsätzliches und Inhalt
Der Erbschein ist in den §§ 2353 ff. BGB geregelt. Beim Erbscheinsverfahren handelt es sich um ein Antragsverfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit. Gemäß § 23a II Nr. 2 GVG ist Nachlassgericht das Amtsgericht. Die örtliche Zuständigkeit des Nachlassgerichts bestimmt sich nach dem Bezirk in welchem der Erblasser seinen Wohnsitz zum Zeitpunkt des Erbfalles hatte – im Falle des Erblassers Gurlitt also das Nachlassgericht München. Hatte ein deutscher Erblasser keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, so ist das Amtsgericht Berlin Schöneberg zuständig.
Neben dem Erben sind weiterhin der Erbteilserwerber, der Erbeserbe und auch Gläubiger des Erblassers antragsberechtigt. Nicht antragsberechtigt sind hingegen ein Pflichtteilsberechtigter und ein Vermächtnisnehmer.
Der Erbschein benennt den/die Erben, den Umfang des Erbrechts und welchen Verfügungsbeschränkungen (z.B. Nacherbfolge, Ersatzerbfolge) der Erbe unterliegt. Er trifft indes keine Aussagen darüber, welche Gegenstände oder Rechte zum Erbe gehören. Er enthält den Namen und Todestag des Erblassers und den/die Erben in möglichst genauer Bezeichnung. Ein gemeinschaftlicher Erbschein für Miterben enthält ferner die Quote des Erbes, § 2357 BGB.
All diese eher technischen Fragen sind für die Klausur von untergeordneter Bedeutung, sie können aber im Rahmen der mündlichen Prüfung als „juristische Allgemeinbildung“ abgefragt werden. In den Klausuren sind vor allem die Vorschriften in §§ 2365, 2366 BGB ein beliebter Prüfstoff, denn diese lassen sich ideal mit allgemeinen Schuldrechtsproblemen und sachenrechtlichen Fragen verknüpfen.
Vermutung der Richtigkeit gem. § 2365 BGB
Gemäß § 2365 BGB wird vermutet, dass der ausgestellte Erbschein richtig und vollständig ist. Dadurch entfaltet der Erbschein Legitimationswirkung für den Erben.
Zu unterscheiden sind positive und negative Vermutungen: Positiv vermutet wird, dass dem im Erbschein genannten das beurkundete Erbrecht auch zusteht. Negativ wird vermutet, dass nur die genannten Beschränkungen bestehen. Ist keine Beschränkung eingetragen, gilt der Erbe als nicht verfügungsbeschränkt. Der Erbschein ändert jedoch nicht die materielle Rechtslage. Eine tatsächliche Erbenstellung wird durch Nennung im Erbschein nicht erreicht. Die Richtigkeitsvermutung bedeutet eine Beweislastumkehr, ist widerlegbar (§ 292 ZPO) und gilt solange bis ein Gegenbeweis erbracht wird.
Klausurklassiker: Öffentlicher Glaube gem. § 2366 BGB
Darüber hinausgehend ist der öffentliche Glaube des Erbscheins gemäß §§ 2366, 2367 BGB als eine wichtige Rechtsfolge zu beachten. § 2366 BGB bewirkt eine Schutzfunktion für gutgläubige Dritte, die mit dem Erbscheinbesitzer Verfügungsgeschäfte (also Übertragung, Belastung, Aufhebung oder inhaltliche Veränderung) abschließen. Über § 2367 BGB wird der öffentliche Glaube des Erbscheins für Leistungen an den Erbscheinserben erstreckt. Auf Verpflichtungsgeschäfte sind die §§ 2366, 2367 BGB hingegen nicht anwendbar. Der Schutzbereich hat aber nur den Umfang der Vermutung des § 2365 BGB. Gegenüber diesen Dritten gilt der Inhalt des Erbscheins als richtig. Dies gilt auch für Leistungen des Dritten aufgrund eines Nachlassrechts, § 2367 BGB. Sind mehrere widersprüchliche Erbscheine im Umlauf, hat keiner öffentlichen Glauben (vgl. hierzu BGHZ 33, 314). Dieser entfällt jedoch nur soweit sich die Erbscheine inhaltlich widersprechen.
Weiterer Gutglaubensschutz nach den allgemeinen Vorschriften
Der Erbschein hilft, wie gesehen, nur über das fehlende Erbrecht des Scheinerben hinweg. Er gibt hingegen keine Auskunft darüber, ob der betroffene Gegenstand des Verfügungsgeschäfts zum Nachlass gehört. Neben den §§ 2366, 2367 BGB sind daher ergänzend die allgemeinen Gutglaubensvorschriften (§§ 892, 893, 932-936 BGB) anwendbar. Dies hat zur Folge, dass der gutgläubige Erwerber genauso gestellt wird, als wenn er vom wahren Erben erwerben würde (Berechtigung zur Veräußerung).
Die Wirkungen des Erbscheins lassen sich anhand der drei klassischen Konstellationen für die Veräußerung beweglicher Sachen illustrieren:
- Ein Scheinerbe veräußert eine Sache, die zum Nachlass gehört.
2366 BGB umfasst wie gesehen den guten Glauben an die Erbenstellung. Da der Gegenstand zum Nachlass gehört, erwirbt der Käufer Eigentum an der Sache nach §§ 2366, 929 ff. BGB. Dies gilt natürlich nur insoweit, als er nicht bösgläubig hinsichtlich des § 2366 BGB ist. Hier gilt die Besonderheit, dass Bösgläubigkeit nur bei positiver Kenntnis der Unrichtigkeit des Erbscheins besteht. § 2366 BGB ist damit enger als § 932 II BGB. Entscheidender Zeitpunkt für den guten Glauben ist die Vollendung des Erwerbs. § 2366 BGB hat den Zweck die §§ 857, 935 BGB zu überwinden. Veräußert ein Scheinerbe nämlich einen Gegenstand, kommt dieser dem wahren Erben abhanden. § 2366 BGB ermöglicht dennoch den gutgläubigen Erwerb im Interesse des Rechtsverkehrs.
- Ein Scheinerbe veräußert eine Sache, die nicht zum Nachlass gehört (Sache wurde vom Erblasser geliehen).
Der Scheinerbe wird wegen § 2366 BGB als wahrer Erbe angesehen. Ein gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten gemäß §§ 2366, 932 I scheitert nicht an § 935 I BGB. Allerdings setzt ein Erwerb nach §§ 2366, 932 I BGB die Gutgläubigkeit bzgl des Eigentums an der Sache iSv § 932 II BGB voraus. In diesem Fall muss der Erwerber also doppelt gutgläubig sein.
- Ein Scheinerbe veräußert eine Sache, die nicht zum Nachlass gehört (Sache wurde vom Erblasser gestohlen).
Wie oben wird der Scheinerbe als wahrer Erbe angesehen. Da jedoch die Sache vom Erblasser gestohlen wurde, war dieser schon nicht Eigentümer und der Erbe konnte es nach § 1922 BGB auch nicht werden. In Betracht käme erneut allenfalls ein gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten nach §§ 2366, 932 I BGB. Ein solcher scheitert allerdings jedenfalls an § 935 I BGB.
Gutglaubensschutz im Grundbuch, § 892 BGB
Auch hier gilt der öffentliche Glaube des Erbscheins. Allerdings geht der des Grundbuchs dem des Erbscheins vor. So kann ein Käufer trotz seiner Gutgläubigkeit an die Richtigkeit des Erbscheins nicht vom Scheinerben erwerben, wenn ein Dritter im Grundbuch eingetragen ist. Ist der Scheinerbe jedoch bereits im Grundbuch eingetragen, finden nur noch die §§ 892, 893 BGB Anwendung. War jedoch noch der Erblasser eingetragen, so gelten sowohl die §§ 2366, 2367 BGB (bzgl der Berechtigung) als auch die §§ 892, 893 BGB (Grundstück oder Recht daran gilt als zum Erbschein gehörig). Erwirkt der wahre Erbe einen Widerspruch gegen die Eintragung des Scheinerben, kann nicht mehr gutgläubig vom Scheinerben aufgrund des Erbscheins erworben werden.
Folgen des fehlerhaften Erbscheins
Es existieren drei Möglichkeiten einen fehlerhaften Erbschein zu beseitigen. Zum einen die Einziehung gemäß § 2361 I BGB, zum anderen die Kraftloserklärung nach § 2361 II BGB und schließlich das Herausgabeverlangen der wirklichen Erben, § 2362 BGB.
Voraussetzung ist jeweils die Unrichtigkeit des Erbscheins. Eine solche liegt vor, wenn die Voraussetzungen für eine Erteilung nicht mehr oder noch nie vorgelegen haben (z.B. falsche Angabe der Erben). Verfahrensfehler führen nur in schweren Fällen zur Einziehung (z.B. unzuständiges Nachlassgericht). Naheliegen würde in solchen Fällen zunächst eine einfache Berichtigung des Erbscheins vor der Einziehung. Eine solche darf jedoch nur ausnahmsweise bei Schreibfehlern oder anderen unwesentlichen Änderungen, die den Inhalt nicht berühren durchgeführt werden.
Für die Einziehung zuständig ist dasjenige Nachlassgericht, welches den Schein ausgestellt hat. Für den Beginn des Einziehungsverfahrens ist kein Antrag nötig. Das Nachlassgericht ermittelt von selbst (§ 2361 III BGB) oder auf Anregung, bspw. seitens der richtigen Erben.
Fazit
Der Erbschein wird in der Examensvorbereitung eher stiefmütterlich behandelt. Zugegebenermaßen sind die Klausuren, in denen ein Schwerpunkt auf dem Erbschein liegt, überschaubar. Dies ändert jedoch nichts an der Relevanz für die mündliche Prüfung. Gerade die Kombination mit dem Sachenrecht kann für Prüfer einen interessanten Punkt in der mündlichen Prüfung darstellen. Diese Übersicht soll helfen, die wichtigsten Merkmale noch einmal in kurzer Form zu wiederholen.
Bei Interesse gibts mehr Infos zum Erbschein hier: https://www.hereditas.net/wissen/erbschein/