Der Amtshaftungsanspruch im Staatshaftungsrecht – Teil III
Wir freuen uns, eine kurze Beitragsreihe von Patrick Otto veröffentlichen zu können. Nachfolgend erscheint der dritte und letzte Teil des Überblicks zum Amtshaftungsanpruch im Staatshaftungsrecht.
5. Kausaler Schaden
Zwischen der Amtspflichtverletzung und dem Schaden muss ein Kausalzusammenhang bestehen. Es gilt hierbei die auch sonst das zivilrechtliche Schadensrecht dominierende Adäquanztheorie. Diese besagt, dass ein Tun oder Unterlassen dann ursächlich für den eingetretenen Schaden ist, wenn es nicht hinweggedacht bzw. hinzugedacht werden kann, ohne dass der eingetretene Erfolg entfiele und es bei gewöhnlichem Geschehensablauf nach allgemeiner Lebenserfahrung zur Herbeiführung des Schadens geeignet war. In einigen Ausnahmefällen, in denen mit dieser Formel keine sachgerechten Ergebnisse erzielt werden können, kann auf die Figur des rechtmäßigen Alternativverhaltens zurückgegriffen werden. Die betrifft etwa den Fall, in dem eine Entscheidung rechtsfehlerhaft ergangen ist, aber bei ordnungsgemäßer Beschlussfassung genauso ergangen wäre (siehe hierzu BGH, NVwZ 1985, 682 ff.).
6. Keine Haftungsausschlüsse
Selbst wenn alle vorgenannten Voraussetzungen vorliegen, greift der Amtshaftungsanspruch dann nicht, wenn ein Haftungsausschluss vorliegt.
7. Subsidiaritätsklausel bzw. Verweisungsprivileg, § 839 I 2 BGB
Die explizit in § 839 I 2 BGB normierte Subsidiaritätsklausel besagt, dass der Amtswalter, soweit ihm lediglich einfache Fahrlässigkeit zur Last fällt, nur subsidiär haftet, also dann, wenn der Geschädigte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag. Dies ist vor allem dann gegeben, wenn mehrere Personen am schädigenden Ereignis involviert waren. Sein Korrektiv erfährt diese Ausnahmeklausel wiederum dadurch, dass der Anspruch gegenüber dem Dritten nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich möglich sein muss. Dies ist nur dann gegeben, wenn der Anspruch einerseits in absehbarer Zeit und anderseits in zumutbarer Weise durchgesetzt werden kann. Gleichwohl ist die Subsidiaritätsklausel in der Literatur und in der Rechtsprechung inzwischen auf harsche Kritik gestoßen und wird bisweilen sogar abgelehnt. Grund hierfür ist ihr teleologischer Hintergrund. Ursprünglich war sie in Zeiten der stets privaten Haftung des Amtswalters dafür gedacht, diesen zu schützen und abzuschirmen. Da es schon seit vielen Jahrzehnten die Haftungsüberleitungsnorm des Art. 34 GG gibt, ist dieser Zweck heutzutage restlos entfallen, sondern es zeigt sich nun ein konträres Bild, bei dem gerade der Staat Nutznießer dieses Haftungsprivilegs ist. Hierauf reagiert der BGH dadurch, dass er die Klausel in vielen Teilen nicht mehr anwendet, sondern auf die wesentlichen Kernbereiche beschränkt. Beispielsweise findet sie heute keine Anwendung mehr bei dienstlicher Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr (BGH, NJW 1983, 1667) sowie bei öffentlich-rechtlichen Straßenverkehrssicherungspflichten (BGH, NJW 1979, 2043 f.).
8. Spruchrichterprivileg, § 839 II BGB
Für die Rechtsprechung enthält § 839 II BGB eine eigene Sonderregelung, das sog. Spruchrichterprivileg. Danach haftet der Richter „bei einem Urteil in einer Rechtssache“ nur dann, wenn die Amtspflichtverletzung mit der Verwirklichung eines Straftatbestandes einhergeht. Zu nennen sind hier insbesondere die vorsätzliche Rechtsbeugung sowie die Richterbestechlichkeit (vgl. §§ 339, 332 II StGB). Dabei schützt diese Norm nicht den einzelnen Richter, sondern garantiert den Bestand der Rechtskraft seiner Urteile. § 839 II BGB erstreckt sich dabei über seinen Wortlaut hinaus auf alle gerichtlichen Entscheidungen, die in Rechtskraft erwachsen. Mit dieser sehr großzügigen Regelung sind Spruchrichter faktisch gesehen „aus dem Schneider“, denn es ist in der Praxis schwer nachweisbar, dass tatsächlich ein Straftatbestand verwirklicht wurde, zumal der Richter in seiner Amtsausübung unabhängig ist (sog. richterliche Unabhängigkeit, vgl. Art. 97 I GG, § 1 GVG, § 25 DRiG).
9. Rechsmittelversäumnis, § 839 III BGB
Ein weiterer Haftungsausschluss betrifft gem. § 839 III BGB den Fall, in dem es der Geschädigte vorsätzlich oder fahrlässig unterlässt, den Schaden durch Einlegung von Rechtsmitteln einzuwenden. Der Verschuldensmaßstab wird hierbei danach definiert, was im jeweiligen Verkehrskreis von dem Betroffenen nach Bildung und Herkunft verlangt werden kann. Die Konstellation des Rechtsmittelversäumnisses betrifft indes in erster Linie Widerspruch und Anfechtungsklage, jedoch auch alle weiteren Rechtsschutzinstrumente inkl. des Eilrechtsschutzes. Die Versäumung des Rechtsmittels muss letztlich aber auch kausal für den Schaden sein. Dahinter steht der Rechtsgedanke des Mitverschuldens, sodass § 254 BGB in der Regelung des § 839 III BGB eine Verschärfung erfährt. Daneben tritt in teleologischer Hinsicht das allgemeine Rechtsprinzip „Primärrechtsschutz vor Sekundärrechtsschutz“.
10. Rechtsfolge
Rechtsfolge des § 839 BGB ist, dass der Staat den entstandenen Schaden zu ersetzen hat. Umfang und Begrenzungen werden indes durch die Vorschriften des BGB geregelt. Damit gelten auch z.B. die §§ 194 ff. BGB (Verjährung), § 253 II BGB (Schmerzensgeld) sowie § 254 BGB (Mitverschulden). Einzige Ausnahme ist, dass Schadensersatz nur in Geld gewährt werden kann, nicht wiederum durch eine Naturalrestitution i.S.d. § 249 BGB, indem die Amtshandlung erneut vorgenommen oder unterlassen wird. Dies folgt allein schon aus der Natur der Amtshaftung als Kombination aus Beamtenhaftung und Staatshaftung. Insoweit kann vom Staat nur das gefordert werden, was auch vom privaten Beamten erbracht werden kann. Der Beamte kann jedoch als Privatmann keine Amtshandlung vornehmen.
IV. Die Haftung des Amtswalters im Innenverhältnis
Art. 34 S. 2 GG erlaubt es dem Staat, den Amtswalter in Innenregress zu nehmen, soweit diesem Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt. Eine Haftung für einfache Fahrlässigkeit ist hingegen nicht möglich (sog. Haftungsprivileg). Dies gilt wiederum nicht für private Unternehmer, vor allem Beliehene, da diese sich selbst auf den Vertrag mit der öffentlichen Hand einlassen und dann auch wie jeder andere Private zu behandeln sind. Die Inanspruchnahme ist in beiden Konstellationen allerdings nur dann möglich, wenn der Staat bereits im Außenverhältnis an den Geschädigten geleistet hat (Ausgleich des Haftungsschadens). Art. 34 S. 2 GG ist dabei freilich nicht selbst die Anspruchsgrundlage, sondern diese folgt aus den Spezialgesetzen. Die Inanspruchnahme selbst muss dabei vor den Zivilgerichten geltend gemacht werden und darf nicht durch Leistungsbescheid festgesetzt werden (vgl. Art. 34 S. 3 GG).
V. Fazit
Zusammenfassend zeigt sich, dass der Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG, um mit der griechischen Mythologie zu sprechen, keine Medusa ist, bei dessen Anblick man zu Stein erstarren müsste, sondern mit einem soliden Grundverständnis von der Struktur und den wesentlichen Problemen zu meistern ist. Wichtig ist dabei vor allem, die einzelnen Tatbestandsmerkmale nicht sklavisch auswendig zu lernen und dann gebetsmühlenartig abzuspulen, sondern anhand des konkreten Falls zu einer individuellen Lösung zu gelangen. Dennoch ist festzustellen, dass das Gro der Studenten die Amtshaftung, wenn überhaupt, erst kurz vor dem Examen wirklich durchdringt, bis dahin dieser Bereich jedoch eher ein böhmisches Dorf ist. Aus diesem Befund heraus ist es mehr als angezeigt, dass der Bundesgesetzgeber ein einheitliches Staatshaftungsgesetz schafft, welches auch den Amtshaftungsanspruch und die dazu inzwischen kaum überschaubare Schar an Rechtsprechung übersichtlich und nachvollziehbar im Gesetz verankert. Dass dies tatsächlich geschieht ist wiederum unwahrscheinlich, da bislang alle Vorstöße erfolglos blieben. So antwortete die Bundesregierung zuletzt im Jahr 2004 auf eine Kleine Anfrage, dass keine Notwendigkeit für die Schaffung eines Staatshaftungsgesetzes bestehe (vgl. BT-Drs. 15/3952).
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