Der Amtshaftungsanspruch im Staatshaftungsrecht – Teil I
Wir freuen uns, eine kurze Beitragsreihe von Patrick Otto veröffentlichen zu können (Studium in Hannover; Studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht (Prof. Dr. Volker Epping) sowie am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft (Prof. Dr. Veith Mehde).
Nachfolgend erscheint der erste Teil des Überblicks zum Amtshaftungsanpruch im Staatshaftungsrecht.
Die Krux mit dem Staatshaftungsrecht – ein Überblick zum Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG
Das „Staatshaftungsrecht“ oder auch das „Recht der staatlichen Ersatzleistungen“ gehört bis heute zu den komplizierten Bereichen des Pflichtfachstoffs im Öffentlichen Rechts. Zwar folgt aus dem Rechtsstaatprinzip, dass staatliches Unrecht und hieraus folgende Schäden beseitigt oder ausgeglichen werden müssen, dennoch hat der Gesetzgeber bis heute kein eigenes Staatshaftungsgesetz des Bundes erlassen. Der einzig normierte Anspruch ist der aus Amtshaftung, welcher aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG folgt. Dieser Beitrag verfolgt den Anspruch, die klausur- und examensrelevanten dieses Anspruchs darzustellen und somit dem studentischen Leser einen fundierten Überblick zu verschaffen. Arrondiert wird der Beitrag durch Vertiefungshinweise.
I. Einführung
Es war einmal vor langer Zeit… so fangen für gewöhnlich Märchenerzählungen an, jedoch kann damit auch der Anfang des Staatshaftungsrecht beschrieben werden, dessen Geschichte alles andere als märchenhaft ist. Bereits zu Beginn der 1980er Jahre verabschiedete der Deutsche Bundestag das Staatshaftungsgesetz des Bundes, das am 01.01.1982 in Kraft trat. Damit schien das Problem der zahlreichen diffizilen und dogmatisch kompliziert zu konstruierenden Anspruchsgrundlagen prima facie gelöst, wenn nicht das BVerfG gewesen wäre. Dieses machte dem Gesetzgeber einen Strich durch Rechnung und erkläre das Staatshaftungsgesetz am 19.10.1982 (BVerfG, NJW 1983, 25) mangels Gesetzgebungskompetenz des Bundes für verfassungswidrig, sodass das Gesetz schon bevor es überhaupt ansatzweise zur Geltung kommen konnte, außer Kraft getreten ist. Inzwischen wurde mit der Verfassungsnovelle im Jahr 1994 zwar die Kompetenz hierfür in Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG geschaffen, jedoch hat der Gesetzgeber hiervon bisher keinen Gebrauch gemacht. Dieser Umstand wird in der Presse- und Medienlandschaft vorwiegend negativ konnotiert. So spricht etwa die FAZ sogar von einem „dunklen Fleck auf der weißen Weste des Rechtsstaats“ (vgl. den Artikel in der FAZ). Jedoch führt dies auch für Student und Dozent wie auch für die Rechtspraxis zu einer misslichen Lage, da selbst der geschriebene Amtshaftungsanspruch inzwischen sehr stark durch Richterrechtsfortbildung sein individuelles Gepräge erhalten hat. Die Kasuistik ähnelt sehr stark dem case law, welches ansonsten eher im anglo-amerikanischen Rechtskreis anzutreffen ist, und nicht dem hiesigen civil law. In Klausuren sind Fragen zur Amtshaftung zumeist als Zusatzfrage hinter einer umfassenden verwaltungsprozessualen Prüfung anzutreffen. Deshalb ist dieser Anspruch häufig nicht der klare Schwerpunkt der Klausur, jedoch ist es durch eine gute Darstellung stets möglich, noch einige Punkte zu holen, die am Ende über die Prädikatsnote entscheiden können. Mithilfe des nachstehenden Beitrags soll hierzu eine Systematisierung erfolgen und auf die Kernprobleme hingewiesen werden.
II. Grundlegendes zur Amtshaftung aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG
Beim Anspruch aus Amtshaftung gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG tritt ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten eines Beamten oder sonstigen öffentlich Bediensteten (Oberbegriff: Amtswalter) zutage, durch welches ein Schaden verursacht wird. Dabei haftet der Amtswalter wiederum nicht mit seinem Privatvermögen, sondern die Haftung wird über Art. 34 GG auf den Staat übergeleitetet, sodass dieses Rechtsinstitut eine mittelbare/derivative Staatshaftung darstellt. Peine treibt den Begriff der mittelbaren Staatshaftung dabei auf die Spitze, indem er ausführt, dass die Haftung nur für eine logische Sekunde den Amtswalter selbst treffe und danach sofort auf den Staat übergeleitet werde. Gäbe es den Art. 34 GG wiederum nicht, träfen den Amtswalter die auch für jeden anderen Staatsbürger geltenden Haftungsregeln der §§ 823, 826 BGB. Sinn und Zweck der Normenkette des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ist es daher, dem Geschädigten einen leistungsfähigen Schuldner (= den Staat) zu verschaffen und den Amtswalter selbst von der Haftung freizustellen, sodass an einigen Stellen auch von dem Begriff Schuldübernahme die Rede ist. Diese Haftungskonstruktion dient vor allem dazu, den einzelnen Amtswalter zu schützen, da hohe Haftungssummen keine Seltenheit sind und somit auch eine Privatinsolvenz schnell vorliegen kann. Eine Haftung mit dem Privatvermögen wird daher auch allgemein mit Blick auf die haftungsrechtlichen Institute des BGB für Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) und Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) als unangemessen hart kritisiert.
Von der Regelungstechnik her wird § 839 BGB indes als haftungsbegründende Norm und Art. 34 GG als daran anknüpfende Haftungsverlagerung auf den Staat verstanden, sodass beide eine gemeinsame Anspruchsgrundlage bilden und zusammen geprüft werden. Dieses mitunter krude System, eine Norm des BGB mit einer aus dem GG zu verbinden, hat historischen Hintergrund. So wurde im 18. und 19. Jahrhundert der Staat von der h. M. als unrechtsfähig angesehen, sodass der Beamte immer persönlich haften müsse. Bei Entstehung des BGB am Ende des 19. Jahrhunderts wurde daher der § 839 BGB geschaffen. Erst als sich die Auffassung durchsetze, dass der Staat für das Fehlverhalten seiner Beamten einzustehen hat, wurde die Haftungsüberleitung über Art. 34 GG in der Verfassung geregelt.
III. Die Tatbestandsmerkmale und die Rechtsfolgen im Detail
1. Ausübung eines öffentlichen Amtes
a) Das öffentliche Amt
Die Zusammenschau von § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG legt für die Ausübung eines öffentlichen Amtes einen haftungsrechtlichen Beamtenbegriff zugrunde. Daher fallen hierunter nicht nur Beamte im statusrechtlichen Sinne (= Beamte, die durch Verwaltungsakt ernannt werden), sondern auch Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes und all diejenigen, die politische Ämter ausüben (etwa Minister oder Parlamentarier). Hinzu treten Privatpersonen, die in Ausübung eines öffentlichen Amtes handeln (Beliehene oder auch beliehene Unternehmer genannt) sowie selbst Verwaltungshelfer, soweit sie im Sinne der Werkzeugtheorie den Weisungen der Verwaltung derart unterworfen sind, dass sie als deren Werkzeug fungieren und daher als verlängerter Arm des Staates angesehen werden können. Unter diese Definition des Werkzeugs subsumierbar sind etwa Studentenwerke. Zu Zeiten der Zivildienstpflicht war auch der Zivildienstleistende als Verwaltungshelfer stets sehr praxisrelevant. Besonders umstritten war hierbei lange Zeit der Abschleppunternehmer, bei dem die Werkzeugtheorie aufgrund seines hohen Maßes an Eigenständigkeit auf Kritik gestoßen ist. Daher relativierte der BGH diese bereits wieder im Jahr 1993 und formulierte eine neue Formel: Je stärker der hoheitliche Charakter der Aufgabe in den Vordergrund trete, je enger die Verbindung zwischen der übertragenen Tätigkeit und der von der Behörde zu erfüllenden hoheitlichen Aufgabe und je begrenzter der Entscheidungsspielraum des Unternehmers sei, desto näher läge es, ihn als Beamten im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen. Insgesamt gesehen geht die Ausübung des öffentlichen Amtes deshalb von der Prämisse aus, dass nicht der Status der handelnden Person maßgeblich ist, sondern allein die Zuordnung ihres Handelns zum öffentlichen Recht. Dieses sehr extensive Verständnis vom öffentlichen Amt ist in seiner Begründung und im Ergebnis vor allem in heutigen Zeiten sehr überzeugend, in denen es „die Verwaltung“ nicht mehr gibt, sondern zahlreiche neue Handlungsformen geschaffen werden, die häufig nicht mehr durch Beamte ausgeübt werden.
b) In Ausübung dessen
Das schädigende Ereignis muss in Ausübung eines öffentlichen Amtes stattgefunden haben und nicht nur bei Gelegenheit oder anlässlich einer hoheitlichen Tätigkeit. Fernerhin muss ein äußerer und innerer Zusammenhang bestehen. Der äußere Zusammenhang setzt voraus, dass die Schädigung in räumlich-zeitlicher Beziehung zur hoheitlichen Betätigung erfolgt und dass die Handlung selbst vom objektiven, äußeren Geschehensvorgang her noch als dem Bereich hoheitlicher Betätigung zugehörend angesehen werden kann. Dies liegt etwa dann nicht vor, wenn ein Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes innerhalb des Dienstgebäudes, aber außerhalb seiner gewöhnlichen Arbeitszeit, eine private Verabredung wahrnimmt, bei der ein Schaden entsteht. Der innere Zusammenhang verlangt darüber hinaus, dass die schädigende Handlung und die Aufgabenerfüllung als einheitlicher, vom hoheitlichen Aufgabencharakter geprägter Lebenssachverhalt erscheinen. Dies scheidet dann aus, wenn die Handlung nur während des Dienstes erfolgt, aber zur eigentlichen öffentlichen Aufgabenerfüllung keinen Bezug hat. So wurde etwa vom BGH entschieden, dass der innere Zusammenhang dann fehlt, wenn ein Polizeibeamter aus persönlichen Gründen während seines Dienstes auf einen Dritten schießt (BGH, NJW 1954, 716). Ein weiteres Beispiel hierfür sind die sog. „Schwarzfahrten“, bei denen der Dienstwagen zu persönlichen Zwecken genutzt wird (BGH; NJW-RR 1994, 860 (Ls.)). Mit diesem Dualismus wird der Versuch der öffentlichen Hand und der Rechtsprechung unternommen, die Haftung dahingehend einzuschränken, dass private Schädigungshandlungen nicht zur Belastung öffentlicher Kassen führen. Virulent wurde hierbei vor allem der sog. Fluglotsenfall, bei dem Fluglotsen Schäden im Rahmen eines „Bummelstreiks“ verursacht hatten. Diesen hat der BGH m.E. zutreffend zugunsten der Fluglotsen entschieden und die Staatshaftung bejaht (BGH, NJW 1977, 1875). Die Judikate des BGH sind somit zwar zunächst einmal begrüßenswert, vermögen aber in der konkreten Ausgestaltung nicht immer zu überzeugen. So wurde in einem weiteren Fall der innere und äußere Zusammenhang bei einer Richterin abgelehnt, die im Zusammenhang mit einer Fahrt zu einem dienstlichen Ortstermin einen Unfall fabrizierte (BGH, VersR 1965, 1101 f.).
Der zweite Teil des Beitrags folgt in einer Woche, also am 5. Oktober 2015, an dieser Stelle!
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