Das Recht der GmbH in der Staatlichen Pflichtfachprüfung
Wir freuen uns im Monat April wieder einen Beitrag eines Mitglieds des Phi Delta Phi – Michael Hoffmann-Becking Inn Frankfurt am Main veröffentlichen zu können. Der Beitrag stammt diesmal von Michael A. Kümmel. Er hat Rechtswissenschaft in Frankfurt a.M. und Peking studiert. Im Februar 2015 hat er die staatliche Pflichtfachprüfung erfolgreich absolviert und vollendet im Augenblick sein Schwerpunktbereichsstudium im Bereich des chinesischen Rechts.
Während das Gesellschaftsrecht als solches verhältnismäßig häufig Gegenstand von Examensklausuren ist, weshalb das Erlangen vertiefter Kenntnisse elementarer Bestandteil jeder Examensvorbereitung sein sollte, lässt sich diese Gesetzmäßigkeit nicht uneingeschränkt auf das Recht der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) übertragen. Im Gegensatz zur GbR, OHG und KG werden diesbezüglich in den meisten Juristenausbildungsgesetzen lediglich „Grundzüge […] betreffend die Errichtung, Vertretung und Geschäftsführung der Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ vorausgesetzt (vgl. § 7 Nr. 2 lit. g JAG Hessen). Häufig dient das Recht der GmbH daher lediglich als Einkleidung für Probleme im Bereich des Schuld- oder Sachenrechts, weshalb sich etwaige Fragen zumeist mit konzentrierter Gesetzeslektüre lösen lassen. Eine Ausnahme davon bilden meines Erachtens jedoch Fragen rund um die Neugründung einer GmbH, die man im Rahmen der Examensvorbereitung zumindest einmal durchdacht haben sollte, da sie stark durch die Rechtsprechung geprägt sind. Von besonderem Interesse sind dabei die Fragen der Haftung in den verschiedenen Phasen der Gründung, die in diesem Beitrag überblicksartig dargestellt werden sollen.
I. Phasen der Gründung
Im Rahmen ihrer Gründung durchläuft die GmbH drei Phasen, die es streng zu trennen gilt. Zu unterscheiden sind dabei das Vorgründungsstadium, das Gründungsstadium und die endgültige GmbH. Die Einschnitte zwischen diesen Abschnitten werden durch die notarielle Beurkundung des Gesellschaftsvertrags einerseits und die Eintragung ins Handelsregister andererseits markiert.
II. Die Vorgründungsgesellschaft
1. Rechtsnatur
Im Zeitraum zwischen dem Entschluss der Gesellschafter, eine GmbH zu gründen und dem formwirksamen Abschluss des Gesellschaftsvertrags spricht man von einer Vorgründungsgesellschaft. Diese ist abzugrenzen, von der nach notarieller Beurkundung entstehenden Vorgesellschaft, weshalb sich die Rechtsverhältnisse, insbesondere in Bezug auf Haftung und Vertretung dieser Gesellschaft, nicht nach dem GmbH-Recht, sondern nach dem der Personengesellschaften richten. Je nachdem, ob in diesem Stadium bereits ein Handelsgewerbe im Sinne von § 1 II HGB betrieben wird, handelt es sich um eine OHG oder eine GbR. Der Zweck der Gesellschaft ist dabei auf den Abschluss des Gesellschaftsvertrags der GmbH gerichtet.
2. Geschäftsführung, Vertretung und Haftung
Die Geschäftsführungsbefugnis, die Vertretungsbefugnis und die Haftung der Vorgründungsgesellschaft richten sich nach den allgemeinen Regeln der §§ 705 ff. BGB oder der §§ 105 ff. iVm. §§ 705 ff. BGB, je nachdem, ob es sich um eine GbR oder eine OHG handelt. In beiden Fällen haften die Gesellschafter den Gläubigern gegenüber unmittelbar, unbeschränkt und gesamtschuldnerisch. Die sogenannte Handelndenhaftung des vertretungsberechtigten Vertreters nach § 11 II GmbHG greift in diesem Stadium hingegen noch nicht ein.
Bei der Vertretung gilt es insbesondere die Regeln über unternehmensbezogene Geschäfte zu beachten. Das bedeutet, die Gesellschaft wird auch dann verpflichtet, wenn im Namen der GmbH gehandelt wird.
Die Vorgründungsgesellschaft endet wegen Zweckerreichung nach § 726 BGB, sobald der notarielle Gesellschaftsvertrag abgeschlossen und die Vor-Gesellschaft durch Errichtung entstanden ist.
3. Verhältnis zur Vor-GmbH
Mangels Identität zwischen der Vorgründungsgesellschaft und der Vor-GmbH verbleiben die Aktiva und Passiva bei den Gründern und müssen, sofern etwas anderes gewünscht ist, durch Einzelübertragung bzw. Schuldübernahme auf die Vor-GmbH bzw. die entstandene GmbH übergeleitet werden.
III. Die Vor-GmbH
1. Rechtsnatur
Zwischen dem Zeitpunkt des notariellen Abschlusses des Gesellschaftsvertrages und der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister kann eine beträchtliche Zeitspanne liegen. Drei bis sechs Monate werden von der Praxis als Minimum genannt, wobei jedoch auch Zeiträume von über einem Jahr keine Seltenheit sind. Ausweislich § 11 I GmbHG besteht die GmbH in diesem Zeitraum als solche nicht; die neue Rechtsperson ist also noch nicht entstanden. Vielmehr liegt in dem Zeitraum zwischen der Errichtung der Gesellschaft durch Abschluss des notariell beurkundeten Gesellschaftsvertrages und der Entstehung der GmbH durch ihre Eintragung ins Handelsregister eine sogenannte Vor-GmbH vor. Dabei handelt es sich nach herrschender Meinung weder um eine GbR noch um eine OHG, sondern um eine Rechtsform sui generis, die gleichfalls rechtsfähig ist. Neben dem Gesellschaftsvertrag finden auf sie die Normen des GmbH-Rechts Anwendung, soweit diese nicht gerade die Eintragung ins Handelsregister voraussetzen oder ihre Anwendung sonst mit dem Gründungsstadium nicht vereinbar ist. Die Vor-GmbH bildet bereits ein eigenes Vermögen, nämlich das Mindestkapital, das aus den Mindesteinlagen bzw. den entsprechenden Einlageforderungen besteht.
2. Innenverhältnis
Die Beschlussfassung im Innenverhältnis erfolgt durch Mehrheitsbeschluss nach § 47 I GmbHG, soweit der Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt. Änderungen des Gesellschaftsvertrags müssen hingegen einstimmig in der (notariellen) Form des § 2 GmbH erfolgen.
3. Stellvertretung
Vertreten wird die Vor-GmbH durch ihre Geschäftsführer, deren Vertretungsmacht allerdings durch den Gesellschaftszweck beschränkt wird. Sie besteht folglich nur für solche Geschäfte, die zur Eintragung erforderlich sind. Die Gründer sind indes nicht gehindert, die Vertretungsmacht der Geschäftsführer im Gesellschaftsvertrag oder durch einstimmigen Beschluss zu erweitern. Diese Ermächtigung ist nicht formbedürftig, da die Regelung der Organvertretungsmacht nur für die Dauer der Vorgesellschaft Bedeutung hat.
4. Haftung
Die Haftung im Rahmen der Vor-GmbH stellte eine der zentralen Fragen des GmbH-Rechts dar. Dabei empfiehlt es sich zwischen der Gesellschaft, dem Handelnden (regelmäßig der Geschäftsführer) und den Gesellschaftern zu unterscheiden.
a. Die Gesellschaft
Zunächst haftet die Vor-GmbH als rechtsfähiges Gebilde selbst für ihre Verbindlichkeiten.
b. Der Handelnde
Für den Handelnden kann sich eine Haftung unter dem Gesichtspunkt der Handelndenhaftung nach § 11 II GmbHG ergeben. Handelnder ist dabei derjenige, der als oder wie ein Geschäftsführer, also wie ein vertretungsberechtigtes Organ handelt. Entgegen der früheren Rechtsprechung schließen sich ein Handeln im Namen der Vor-GmbH (etwa mit dem Zusatz GmbH i. Gr.) und eine Haftung nach § 11 II GmbHG nicht mehr gegenseitig aus.
Nicht mehr ausreichend für eine Haftung der Gesellschafter nach § 11 II GmbHG ist hingegen das bloße Einverständnis der Gründungsgesellschafter in die Geschäftsaufnahme.
Zu beachten ist, dass die Norm in erster Linie eine Sicherungsfunktion erfüllt. Die von der Gesellschafterhaftung abzugrenzende Organhaftung soll den Gläubigern einen Ausgleich dafür geben, dass die Kapitalgrundlage der zunächst haftenden Vorgesellschaft noch nicht in gleichem Maße wie bei der eingetragenen GmbH vorhanden ist. Daraus folgt, dass die Haftung mit der Eintragung der Gesellschaft ins Handelsregister erlischt und folglich nur im Falle eines Scheiterns der GmbH bedeutsam wird.
c. Die Gesellschafter
Damit können die Gesellschaftsgläubiger während der Gründungsphase auf das bis dahin gebildete Gesellschaftsvermögen zurückgreifen und im Übrigen die Geschäftsführer nach § 11 II GmbHG in Anspruch nehmen, sofern sie von der Vor-GmbH nicht befriedigt werden. Dies birgt jedoch die Gefahr, dass die Gläubiger leer ausgehen, wenn die Mindesteinlagen bereits in der Gründungsphase verbraucht wurden und die Geschäftsführer zu einer Zahlung nicht in der Lage sind. Da das Gesellschaftsvermögen der Vor-GmbH den Gesellschaftsgläubigern regelmäßig keine mit dem Vermögen der vollendeten GmbH vergleichbare Sicherung bietet, wird das Hinzutreten einer weiteren Haftungsmasse in Form des Privatvermögens der Gesellschafter nach einhelliger Ansicht als erforderlich betrachtet. Mangels konkreter gesetzlicher Grundlage musste die Ausgestaltung jedoch von der Rechtsprechung geklärt werden, wobei drei Fallvarianten zu unterscheiden sind.
aa. Die Eintragung ist erfolgreich: Unterbilanzhaftung (vgl. BGHZ 80, 129, 140)
Im Bereich der Kapitalgesellschaften gilt das ungeschriebene Prinzip der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung. Es ist ein Kerngedanke des Kapitalgesellschaftsrechts, dass die Gesellschaft mit ihrem garantierten Mindestkapital als unerlässlicher Betriebs- und Haftungsgrundlage ins Leben treten muss. Daraus folgt für die GmbH, dass ihr, wenn sie mit der Eintragung ins Handelsregister entsteht, das satzungsmäßige Stammkapital unversehrt zur Verfügung stehen muss (sog. Unversehrtheitsgrundsatz).
Da das satzungsmäßige Stammkapital aber zwischen Errichtung und Eintragung ganz oder teilweise verbraucht worden sein kann, müssen die Gesellschafter anteilig für die Differenz haften, die sich durch den Verbrauch zwischen der Höhe des Stammkapitals und dem Wert des Gesellschaftsvermögens zum Zeitpunkt der Eintragung ergibt. Daraus folgt, dass bereits verbrauchte Mittel in bar nachzuschießen sind. Dieser auszugleichende Fehlbetrag ist auch nicht auf die Höhe des Stammkapitals begrenzt, sondern umfasst jede darüber hinausgehende Überschuldung.
Der Begriff der Unterbilanzhaftung rührt daher, dass die wertmäßige Unversehrtheit des Kapitals durch die Eröffnungsbilanz festgestellt und der Ausgleich eines etwaigen Verlustes dadurch gesichert wird, dass eine Unterbilanz ex lege nach dem Verhältnis (pro rata) ihrer Anteile von den Gesellschaftern in bar aufzufüllen ist.
Die Rechtsprechung hat sich dabei für das Modell einer Innenhaftung der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft entschieden und damit einer Außenhaftung in analoger Anwendung des § 128 HGB eine Absage erteilt.
bb. Die Eintragung scheitert: Verlustdeckungshaftung
Das Institut der Unterbilanzhaftung hat sich durchgesetzt und steht nicht mehr ernsthaft zur Diskussion. Sie behandelt jedoch nur den Fall, dass die GmbH überhaupt zur Eintragung gelangt. Wird der Gründungsvorgang zuvor abgebrochen oder scheitert er aus sonstigen Gründen, so liegt kein Fall der Unterbilanzhaftung vor, da die Gesellschaft, deren Kapital wertmäßig unversehrt im Eintragungszeitpunkt vorliegen soll, gar nicht eingetragen wird. Daraus folgt jedoch die Frage, welche Ansprüche den Gläubigern dann noch zustehen, wenn es die Ausgleichpflicht der Gesellschafter gegenüber der GmbH nicht mehr gibt.
(1) Frühere Rechtsprechung (vgl. BGHZ 72, 45, 49 f.): Beschränkte persönliche Außenhaftung
Nach der früheren Rechtsprechung des BGH und des BAG hafteten die Gesellschafter der Vor-GmbH für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft persönlich und unmittelbar, jedoch war ihre Haftung auf die Stammeinlage beschränkt. Dadurch dass der Geschäftsführer im Namen der Vor-GmbH handele, komme deutlich der Wille der Gesellschafter zum Ausdruck, nur bis zur Höhe ihrer Einlage haften und die Vertretungsmacht des Geschäftsführers entsprechend begrenzen zu wollen. Die Gläubiger hätten daher nur ein schutzwürdiges Vertrauen bezüglich der Haftung des einzelnen Gesellschafters in Höhe seiner jeweiligen Stammeinlage.
(2) Heutige Rechtsprechung (vgl. BGHZ 134, 333.): Verlustdeckungshaftung als unbeschränkte Innenhaftung
Die heutige Rechtsprechung vertritt hingegen das Konzept der anteiligen unbegrenzten Innenhaftung. Dabei haften die Gesellschafter der Vor-GmbH unbegrenzt, aber nicht direkt den Gläubigern gegenüber, sondern nur im Verhältnis zur Gesellschaft. Zum einen entspreche dies dem Innenhaftungskonzept der GmbH und zum anderen sei dadurch ein Gleichlauf zur Gesellschafterhaftung im Rahmen der oben genannten Unterbilanzhaftung gegeben. Überdies könne damit ein Gläubigerwettlauf um die Verwirklichung der Haftung („Windhundprinzip“) vermieden werden.
Eine Ausnahme besteht allerdings dann, wenn die Vor-GmbH vermögenslos ist, wenn weitere Gläubiger nicht vorhanden sind oder wenn eine Einmann-Vor-GmbH gegeben ist. In diesen Fällen ist dem Gläubiger der unmittelbare Zugriff gestattet.
cc. Die Absicht der Eintragung wird aufgegeben („unechte Vorgesellschaft“)
Davon abzugrenzen ist die Haftung im Rahmen einer unechten Vorgesellschaft. Von einer unechten Vor-GmbH spricht man dann, wenn die Gesellschafter die Absicht, die Gesellschaft ins Handelsregister eintragen zu lassen, aufgeben, aber gleichwohl den Geschäftsbetrieb des Unternehmens fortsetzen. Wo der Zweck der Eintragung nicht mehr verfolgt wird, kann auch die Vor-GmbH nicht fortbestehen. Daraus folgt mit dem Zeitpunkt der Änderung des Gesellschaftszwecks die Umwandlung der Vorgesellschaft in eine OHG bzw. GbR, je nach Art und Umfang des von der Gesellschaft betriebenen Geschäftsbetriebs (§ 1 II HGB). Diese Gesellschaft ist Rechtsnachfolger der Vor-GmbH und haftet für deren Verbindlichkeiten. Zugleich tritt eine persönliche Außenhaftung der Gesellschafter für alle Schulden der Gesellschaft nach § 128 HGB bzw. § 128 HGB analog ein. Das bedeutet, dass die Gesellschafter unbeschränkt und unmittelbar persönlich für alle Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften; mithin auch für solche, die zu der Zeit begründet wurden, als die Gesellschaft noch eine Vor-GmbH und keine OHG/GbR war.
5. Verhältnis zur GmbH
Im Gegensatz zur Vorgründungsgesellschaft ist die Vor-GmbH identisch mit der durch die Eintragung entstehenden GmbH. Daher gehen mit der Handelsregistereintragung alle Rechte und Pflichten, alle Ansprüche und Verbindlichkeiten der Vor-GmbH ipso iure auf die entstandene GmbH über, ohne dass es eines gesonderten Übertragungsaktes bedürfte.
IV. Die GmbH
Mit der Eintragung ins Handelsregister entsteht schließlich die GmbH, § 11 I GmbHG.
1. Vertretung im Innen- und Außenverhältnis
Die Geschäftsführer vertreten als handelnde Organe die Gesellschaft nach Maßgabe der §§ 35 ff. GmbHG als Vertreter nach außen und führen die Geschäfte im Innenverhältnis nach den Weisungen der Gesellschafterversammlung und im Rahmen von Gesetz und Satzung (§ 37 I GmbHG). Ihre Kompetenzen im Verhältnis zur Gesellschafterversammlung bestimmen sich nach dem Gesellschaftsvertrag (§ 45 I GmbHG).
2. Haftung
Für Gesellschaftsschulden haftet den Gläubigern nur die Gesellschaft. Während die persönliche Haftung der Gesellschafter für Gesellschaftsschulden nach § 13 II GmbHG ausgeschlossen ist, haftet die GmbH unbeschränkt für ihre Verbindlichkeiten mit ihrem ganzen Vermögen.
„Die Vor-GmbH bildet bereits ein eigenes Vermögen, nämlich das Mindestkapital, das aus den Mindesteinlagen bzw. den entsprechenden Einlageforderungen besteht.“ – Das ist so nicht zutreffend. Zum Vermögen der Vor-GmbH zählen natürlich auch die Einlagen, die den Mindesteinlagebetrag überschreiten und dennoch bereits vor Eintragung erbracht worden sind. Und wenn die Vor-GmbH im Rechtsverkehr auftritt, was nach heute ganz h.M. möglich ist, kann sie ebenfalls noch vor Eintragung weiteres Vermögen hinzu erwerben.
Super Beitrag! Wirklich sehr verständlich und übersichtlich!