Das BVerfG und die konkrete Normenkontrolle: Zurückweisung einer Vorlage zum Adoptionsrecht
Sachverhalt
Das dem Amtsgericht Berlin-Schöneberg vorliegende Ausgangsverfahren betraf die Frage, ob ein homosexuelles Paar, das in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebt, seine zwei volljährigen ehemaligen Pflegekinder adoptieren könne. Dieses anhängige Verfahren wurde vom Amtsgericht jedoch mit Beschluss vom 08.03.2013 (24 F 172/12; 24 F 250/12) ausgesetzt, um dem BVerfG im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle die Frage vorzulegen, ob ein Ausschluss der gemeinschaftlichen Adoption für eingetragene Lebenspartner überhaupt mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Zur Sache selbst äußerte sich die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG in seinem Beschluss vom 23.01.2014 (1 BvL 2/13; 1 BvL 3/13) im Ergebnis allerdings nicht, denn es verwarf die Vorlage aufgrund unzureichender Erfüllung der Begründungsanforderungen durch das Amtsgericht als unzulässig.
Da die Anforderungen an eine konkrete Normenkontrolle – zumindest im Überblick – bereits Erstsemestern und natürlich auch Examenskandidaten bekannt sein müssen, die Richter des Amtsgerichts offenbar aber nicht in der Lage waren eine ordnungsgemäß begründete Vorlage abzufassen, bietet es sich an dieser Stelle durchaus einmal an zur konkreten Normenkontrolle ein übersichtsartiges Schema darzustellen.
Anforderungen an die konkrete Normenkontrolle
Zulässigkeit
1. Zuständigkeit des BVerfG
Für das Verfahren der konkreten Normenkontrolle ist das BVerfG gemäß Art. 100 I GG, § 13 Nr. 11 BVerfGG zuständig.
2. Vorlageberechtigung
Zur Vorlage berechtigt bzw. verpflichtet sind grundsätzlich alle deutschen Gerichte, d.h. alle staatlichen Spruchstellen, die sachlich unabhängig sind und in einem formell gültigen Gesetz mit Aufgaben eines Gerichtes betraut sowie als Gerichte bezeichnet werden. Hierunter fallen insoweit Bundes- und Landesgerichte aller Gerichtsbarkeiten und Instanzen einschließlich der Landesverfassungsgerichte sowie Berufs- und Ehrengerichte von Körperschaften des Öffentlichen Rechts, nicht aber private Schiedsgerichte nach der ZPO, kirchliche Gerichte oder unabhängige Stellen der Exekutive.
3. Verfahrensgegenstand
Der jeweilige Verfahrensgegenstand kann in allen Vorlagefällen nur ein geltendes Gesetz (verkündet und in Kraft getreten) sein, das ein deutscher Gesetzgeber nachkonstitutionell erlassen hat. Im Falle von untergesetzlichem oder vorkonstitutionellem Recht entscheiden die Instanzgerichte selbst im Rahmen eines freien richterlichen Prüfungsrechts, es sei denn, der nachkonstitutionelle Gesetzgeber hat das Gesetz von seinem Bestätigungs- oder Aufnahmewillen erfasst, was aus dem Inhalt des Gesetzes selbst oder aus dem engen sachlichen Zusammenhang zwischen den geänderten und den unverändert gebliebenen Gesetzesbestimmungen objektiv zu schließen sein muss. Die Vorlage von sekundärem Gemeinschaftsrecht ist zwar grundsätzlich denkbar, jedoch auf Grund der Solange-Entscheidung des BVerfG faktisch ausgeschlossen.
4. Vorlagegrund
a. Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit
Bevor das Gericht eine Vorlage zum BVerfG in Betracht zieht, ist grundsätzlich eine verfassungs- bzw. bundesrechtskonforme Auslegung der streitgegenständlichen Norm durchzuführen, sodass das Gericht zunächst zu prüfen hat, ob eben eine solche Auslegung des betreffenden Gesetzes möglich ist. Als authentischer Interpret der Verfassung ist in diesem Zusammenhang vorrangig die Rechtsprechung des BVerfG zugrunde zu legen. Kommt es hiernach dennoch zur Überzeugung der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes, so muss diese Überzeugung klar zum Ausdruck kommen; bloße Zweifel genügen nicht.
b. Entscheidungserheblichkeit
Die fragliche Norm muss im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens (jede Tätigkeit eines Gerichts, bei der in einem gerichtlich geregelten Verfahren und unter Anwendung von Rechtsnormen eine Entscheidung zu treffen ist) auf die Gerichtsentscheidung einen derartigen Einfluss haben, dass die Entscheidung bei Gültigkeit der fraglichen Norm anders getroffen werden müsste als bei deren Ungültigkeit. Abgestellt wird dabei insbesondere auf den Tenor der Entscheidung. Zur Beurteilung über die Entscheidungserheblichkeit werden hohe Anforderungen angesetzt, allerdings ausgehend von der Sichtweise des vorlegenden Gerichts.
5. Ordnungsgemäßer Vorlageantrag
Kommt ein Gericht zur Überzeugung der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes, so muss es von sich aus das Vorlageverfahren ergreifen und dem BVerfG das Gesetz zur Überprüfung vorlegen, wobei dann § 23 BVerfGG und zudem eine strenge formgerechte Vorlagebegründung nach § 80 II BVerfGG gelten. Ein Antrag der Prozessparteien ist nicht erforderlich und überdies auch nicht genügend (§ 80 III BVerfGG).
6. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis
Eine Vorlageunzulässigkeit in diesem Sinne besteht nur dann, wenn die Verfassungsmäßigkeit des vorgelegten Gesetzes bereits vom BVerfG entschieden wurde (siehe § 31 II 1 BVerfGG).
Begründetheit
Der Antrag im Verfahren der konkreten Normenkontrolle ist begründet, wenn der geltend gemachte Verfassungsverstoß vorliegt, was stets dann der Fall ist, wenn die vorgelegte Norm entweder in formeller oder in materieller Hinsicht gegen die Verfassung verstößt. Der Prüfungsmaßstab ist bei der Überprüfung von Bundesrecht insofern das GG und bei der Überprüfung von Landesrecht zudem das Bundesrecht, einschließlich bundesrechtlicher Rechtsverordnungen. Nach § 82 BVerfGG gelten die §§ 77-79 BVerfGG entsprechend.
Ausführungen des BVerfG zur Sache
Das BVerfG setzte innerhalb des Vorlagenantrags des Amtsgerichts am Punkt der Vorlagebegründung an und stellte diesbezüglich fest, dass diese nicht den Anforderungen des § 80 Abs. 2 BVerfGG genügt. Dort heißt es:
„Die Begründung muß angeben, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig ist und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist. Die Akten sind beizufügen.“
Diesen Anforderungen folgend habe das Amtsgericht jedoch weder die einschlägige Fachliteratur noch die Rechtsprechung des BVerfG zur Sukzessivadoption eingetragener Lebenspartner (Urteil vom 19.02.2013, Az. 1 BvL 1/11 und 1 BvR 3247/09) in ausreichendem Maße berücksichtigt. Insbesondere dies hätte jedoch zur Grundlage der rechtlichen Ausführungen des Gerichts gemacht werden müssen, unabhängig davon, dass in der besagten Entscheidung des BVerfG offen gelassen wurde, ob der Ausschluss der gemeinschaftlichen Adoption durch zwei eingetragene Lebenspartner mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Diese Sachfrage war zwar nicht der Gegenstand des Verfahrens, doch seien dort teilweise ähnliche bzw. identische verfassungsrechtliche Vorfragen betroffen. Da insofern eine sachliche Nähe zu dem hier vorliegenden Verfahren besteht, hätte sich das Amtsgericht zumindest mit der zuvor getroffenen Entscheidung des BVerfG in der Form auseinandersetzen müssen, wie sich die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Rechtslage zu den dortigen Erwägungen verhält. Angesichts der nur kurzen Zeitspanne zwischen dem Urteil des BVerfG und dem Beschluss des Amtsgerichts mag man jedoch auch darüber spekulieren, ob dem Gericht dieses Urteil überhaupt bekannt war.
In Zukunft werden sich die Instanzgerichte von daher eingehender mit der Rechtsprechung des BVerfG auseinandersetzen müssen, um den formalen Anforderungen an eine konkrete Normenkontrolle zu genügen. Dass das BVerfG den Gerichten hier nunmehr die Daumenschrauben anlegt, passt insoweit zu den erst kürzlich getroffenen Ausführungen des Präsidenten des BVerfG zur Belastungsgrenze des Gerichts, denn eine konkrete Normenkontrolle aufgrund formaler Gründe als unzulässig zu verwerfen erspart dem BVerfG zumindest sich in der Sache äußern zu müssen.
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