Kurzüberblick: BVerfG zu Versammlungen auf Flughäfen
Mit einer besonders examensrelevanten Thematik hatte sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom heutigen Tage (22.02.2011), Az. 1 BvR 699/06 zu befassen. Der Fall könnte 1:1 als Examensklausur im Öffentlichen Recht gestellt werden.
Zum Sachverhalt: Die Betreibergesellschaft des Frankfuter Flughafes Fraport AG (zu 70% im Eigentum der öffentlichen Hand) hatte der Beschwerdeführerin gegenüber ein „Flughafenverbot“ erteilt; Meinungskundgabe und Demonstrationen wurden untersagt. Das Verbot bezog sich dabei auch auf die Bereiche des Flughafens, die frei zugänglich sind und in denen sich hauptsächlich Restaurants, Geschäfte oder ähnliche Einrichtungen befanden. Konkret hat die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit einer drohenden Abschiebung Flugblätter verteilt, um der Sache damit öffentlich gehör zu verschaffen. Der BF wurde daraufhin ihre Tätigkeit auf dem Flughafengelände untersagt. Der zivilgerichtliche Rechtsschutz der BF (AG, LG, BGH) blieb in der Folge ohne Erfolg. Die Befugnis zur Untersagung folge vorliegend aus § 858 ff., 903, 1004 BGB und damit dem Hausrecht der Betreibergesellschaft. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die BF eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 GG.
Wir hatten bereits über den Fall berichtet, vorliegend soll die Argumentation des BVerfG nachvollzogen werden: Das BVerfG hat vorliegend entscheiden, dass die BF in ihrem Recht aus Art. 8 Abs. 1 GG verletzt ist.
Das BVerfG führt aus, dass die Fraport AG der Grundrechtsbindung unterliege. Allein die Tatsache, dass hier privatrechtliche Nutzungsverhältnisse geschaffen würden, können zu keinem anderen Ergebnissen führen (keine Flucht ins Privatrecht). Die Fraport sei gem. Art. 1 Abs. 3 an die Grundrechte gebunden. Das gelte auch für gemischwirtschaftliche Unternehmen (vorliegend 70% Staatseigentum). Erforderlich sei allerdings, dass das Unternehmen von der öffentlichen Hand beherrscht werde. Entscheidend dafür seien die Mehrheitsverhältnisse und die Eingriffsmöglichkeiten. Hier müsste auf den Sachverhalt Bezug genommen werden. Ohne zu tief ins Gesellschaftsrecht einzusteigen, kann dies bei einer Quote von 70% sicher bejaht werden. Bezug genommen werden muss also nicht auf die mittelbare Wirkung der Grundrechte.
Zum Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG führt das BverfG aus, dass das Versammlungsrecht grundsätzlich für die Meinungsbildung in einer freiheitlich demokratischen Grundordnung unerlässlich ist. Geschützt sie die gemeinsame (körperliche) Meinungsäußerung nach außen. Dazu gehöre auch das Recht, Ort, Zeit und Art und Weise der Kundgabe selbst wählen zu dürfen. Indes müsse nicht zu jedem beliebigen Ort Zugang verschafft werden. Dies gilt insbesondere für solche Örtlichkeiten, die der Allgemeinheit nicht offen stehen oder schon auf Grund ihrer Natur her nicht geeignet sind, Versammlungen aufzunehmen. Das BverfG hält aber explizit fest, dass Versammlungen an den Orten erlaubt sein müssen, an denen ein allgemeiner, öffentlicher Verkehrs auszumachen sei. Entscheidend für diese Abgrenzung sei das „Leitbild des öffentlichen Forums“, so das BVerfG. Es komme also darauf an, ob der besagte Ort dazu genutzt werde, allgemeine Kommunikation auszutuschen bzw. dass dort gerade eine solche Kommunikation stattfinde. Dies sei dann der Fall, wenn durch die Schaffung von Örtlichkeiten wie Geschäften oder Gastronomie ein Umfeld geschaffen werden, dass zum Flanieren einlade. Hier werde ein Ort der Begegnung und Kommunikation geschaffen.
Im konkreten Fall bejaht der Senat diese Voraussetzungen, jedenfalls für die genannten öffentlich zugänglichen Bereiche. Die Sicherheitsbereiche seien hier ausgeschlossen. Überzeugend ist dabei vor allem die Bezugnahme des Senats auf die Werbung des Flughafens:
„City in the City“, „Airport Shopping für alle!“, „Auf 4.000 Quadratmetern zeigt sich der neue Marktplatz in neuem Gewand und freut sich auf Ihren Besuch!“
Hier wir bewusst ein Raum der Begegnung und Kommunikation geschaffen, der auch öffentlich zugänglich ist. Damit sieht das BVerfG vorliegend den Schutzbereich des Grundrechts als berührt an. Noch einmal herausgestellt werden muss die Problematik: Dass es sich hier bei der Kundgabe von Meinungen und dem Verteilen von Flugblättern grundsätzlich um eine Versammlung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG handelte, ist wohl unstreitig. Einzig und allein der Ort, an dem diese stattfinden sollte, musste vorliegend näher beleuchtet werden.
Ansonsten hält das BVerfG fest:
- Die Ermächtigungsgrundlagen des BGB können vorliegend als gesetzliche Grundlage dienen. Bei der Auslegung sind allerdings die Grenzen des Art. 8 Abs. 1 GG zu beachten.
- Es liegt eine Versammlung „unter freiem Himmel vor“. Zu den Räumlichkeiten hat ein allgemeines Publikum Zugang.
- Auch Art. 5 Abs. 1 GG sieht das BVerfG vorliegend als verletzt an. Das individuelle Recht der Meinungskundgabe stehe jedem Bürger grundsätzlich dort zu, wo er sich gerade befinde. Die Schutzbereichsberührung sei darin zu sehen, dass der BF der Zugang zum Flughafen untersagt werde, wenn sie dort (im Flughafen) Flugblätter verteile und damit ihre Meinung kundtue.
Eine überzeugende und detaillierte Auseinandersetzung mit dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit, wie ich finde. Es lohnen sich einmal die Originalausführungen des BVerfG (Rn. 61 f.). Die Examensrelevanz ist als hoch zu bezeichnen.
Ich halte dieses Urteil auch für eine höchst erfreuliche Klarstellung zu den Fragen um eine „Flucht ins Privatrecht“ – selbst dann, wenn man bedenkt, dass gerade im Versammlungsrecht die diskrepanz zwischen den ehrenwerten, hehren Vorgaben des Verfassungsgerichts und der Realität dann doch ab und an auseinanderdriften.
Spannend dürfte sein, welche Auswirkungen das Urteil auf einen im Ansatz vergleichbaren Problemkreis hat: Die Achtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Form der informationellen Selbstbestimmung (Art. 2 I iVm Art. 1 I GG) durch Betreiber von Einkaufszentren im Falle der dortigen flächendeckenden Überwachung. Dass mit dem Urteil eine Stärkung auch der mittelbaren Grundrechtsbindung Privater einhergeht, halte ich für wahrscheinlich.