BVerfG: Verbot von „Satellitenschüsseln“ des Mieters nach konkreter Interessenabwägung
Wir freuen uns heute einen Gastbeitrag von Jörn A. Schneider veröffentlichen zu können. Er studierte an der Universität zu Köln und ist derzeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Prof. Björn Gaul tätig. Sein erstes Staatsexamen schrieb er im Februar 2013, sein Verbesserungsversuch ist für September geplant.
Sein Beitrag behandelt die Klage einer turkmenischen Familie vor dem BVerfG, die sich gegen das Endurteil des AG München (v. 12.2.2010 –461 C 12443/09, n.v.) wehrte, welches dem Vermieter der Mietwohnung einen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch hinsichtlich einer an der Gebäudefassade angebrachten Parabolantenne nach § 541 BGB zusprach.
Sachverhalt
Die Beschwerdeführer in dem zugrunde liegenden Fall (Urteil vom 31.3.2013 (1 BvR 1314/11)) waren türkische Staatsangehörige turkmenischer Abstammung. Sie hatten ohne die nach dem Mietvertrag erforderliche Zustimmung des Vermieters eine Parabolantenne an der Gebäudefassade ihrer Mietwohnung angebracht, um ein nur über Satellit empfangbares Programm, das ganztägig in türkischer und turkmenischer Sprache ausgestrahlt wird und Aktuelles und Informatives über die turkmenische Region und die dort lebenden Menschen zeigt, empfangen zu können. Hiergegen klagte der Vermieter – nach der erforderlichen Abmahnung – auf Beseitigung und Unterlassung gemäß §§ 541, 1004, 242 BGB und erhielt vor dem AG München Recht.
Schutzbereich und Eingriff
Das BVerfG überprüft gerichtliche Urteile nur hinsichtlich einer Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht. Die Verfassung verlangt, dass bei der Auslegung seitens der Zivilgerichte und namentlich bei der Konkretisierung der Generalklauseln die betroffenen Grundrechte berücksichtigt werden, damit ihr wertsetzender Gehalt für die Rechtsordnung auch auf der Rechtsanwendungsebene zur Geltung kommt (vgl. den Lüth – Fall). Unter dieser Prämisse müssen auch die Zivilgerichte eine Grundrechtsbeeinträchtigung in ihrer Rechtsbeurteilung berücksichtigen. Im vorliegenden Fall war also bei der Auslegung und Anwendung der §§ 541 und 242 BGB, auf deren Grundlage das Amtsgericht die Beschwerdeführer zur Unterlassung der Anbringung der Parabolantenne verurteilt hat, einerseits dem Grundrecht der Informationsfreiheit Rechnung zu tragen und andererseits das Grundrecht des Eigentümers aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu berücksichtigen.
Träger des Grundrechts nach Art. 5 Abs. 1 S. 1, 2. Hs GG ist jede natürliche oder juristische Person, die sich ungehindert Informationen beschaffen will. Jeder hat das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten. Allgemein zugänglich ist eine Informationsquelle, wenn sie geeignet und bestimmt ist, der Allgemeinheit, also einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis, Informationen zu verschaffen (BVerfGE 27, 71, 83 f.). Zu den allgemein zugänglichen Quellen, auf die sich die Informationsfreiheit erstreckt, gehören insbesondere Hörfunk- und Fernsehprogramme. Eine Differenzierung zwischen in- und ausländischen Informationsquellen findet nicht statt. Allgemein zugänglich sind daher auch alle ausländischen Rundfunkprogramme, deren Empfang in Deutschland möglich ist (BVerfG v. 31.3.2013 – 1 BvR 1314/11 Rz. 16). Wenn der Empfang von technischen Anlagen abhängt, sind sowohl die Beschaffung, die Installation und die Nutzung solcher Anlagen von Art. 5 Abs. 1, S.1, 2. Hs. geschützt.
Danach stand die Installation und Nutzung der Parabolantenne durch die türkische Familie unter dem Schutz von Art. 5 Abs. 1, S.1, 2.Hs GG. In diesen Schutzbereich müsste hoheitlich eingegriffen worden sein.
Ein Eingriff ist jedes staatliche Handeln, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht. Vorliegend hat das AG München durch das Urteil das freiheitliche Recht der Beschwerdeführer beschnitten. Somit liegt ein Eingriff vor.
Verfassungsmäßige Rechtfertigung
Die Kommunikationsfreiheiten aus Art. 5 Abs. 1 GG unterliegen den Schrankentrias aus Art. 5 Abs. 2 GG. In Betracht kommt vorliegend eine Beschränkung durch die allgemeinen Gesetze, namentlich den Vorschriften über Mietverhältnisse gem. §§ 535 ff. BGB. Zudem erhalten auch die unter Gesetzesvorbehalt stehenden Grundrechte nach h.M. eine Beschränkung durch kollidierendes Verfassungsrecht.
Nicht jeder Eingriff ist aber sogleich bei Vorliegen einer Schranke gerechtfertigt. Hier kommt es im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung (Schranken-Schranke) auf eine Bewertung unter Berücksichtigung aller Aspekte des Einzelfalles an.
Bei Abwägung der widerstreitenden Interessen haben sich in der Rechtsprechung einige Grundsätze herausgebildet:
- Die Anbringung einer Parabolantenne an der Balkonbrüstung der gemieteten Wohnung ohne Zustimmung des Vermieters ist vertragswidrig, wenn der Vermieter nicht – aufgrund einer aus § 242 BGB herzuleitenden Nebenpflicht aus dem Mietvertrag – verpflichtet ist, die Anbringung einer Parabolantenne durch den Mieter zu dulden (BGH v. 2.3.2005 – VII 118/04).
- In der Regel entspricht es den Anforderungen, wenn die Zivilgerichte den Vermieter dann nicht für verpflichtet halten, eine Parabolantenne des Mieters zu dulden, wenn er dem Mieter einen Kabelanschluss bereitstellt (vgl. BVerfGE 90, 27, 35 f.).
- Andererseits gilt, dass der Vermieter die Zustimmung zur Errichtung dann erteilen muss, wenn er keinen Kabelanschluss bereitstellt (BGH v. 16.5.2007 – VIII ZR 207/04, NJW-RR 2007, 1243 ff.).
- Es liegt eine Verkennung des Grundrechts der Informationsfreiheit bei Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Vorschriften vor, wenn der Zugang zu den über Satellit verbreiteten Heimatprogrammen eines ausländischen Mieters bereits mit der Begründung verweigert wird, die Errichtung einer Parabolantenne stelle eine Sondernutzung der Wohnung dar, die den vertragsmäßigen Gebrauch der Mietsache überschreite (vgl. BVerfGE 90, 27, 35 ff.).
- Ist eine angemessene Zahl von Programmen aus der jeweiligen Heimat nicht über den vom Vermieter bereitgestellten Kabelanschluss, sondern nur über eine Parabolantenne zu empfangen, so ist das Interesse der ausländischen Mieter am Empfang von Rundfunkprogrammen ihres Heimatlandes bei der Abwägung mit den Eigentümerinteressen des Vermieters zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 90, 27, 36).
Erforderlich ist aber immer eine fallbezogene Abwägung unter Beachtung aller Besonderheiten des Einzelfalles. Eine schematische Lösung verbietet sich (BGH v. 16.5.2007 – VIII ZR 207/04, NJW-RR 2007, 1243 ff.).
Beim Streit um die Anbringung von Parabolantennen an Mietwohnungen kommt es vor allem darauf an, was unter Berücksichtigung von Treu und Glauben als vertragsgemäßer Gebrauch einer Wohnung im Sinn des § 536 BGB anzusehen ist. Dabei sind die Eigentumsinteressen des Vermieters an der auch optisch ungeschmälerten Erhaltung des Wohnhauses und die Informationsinteressen des Mieters an der Nutzung zugänglicher Informationsquellen zu berücksichtigen. Da beide Interessen durch Grundrechte geschützt sind, von denen keines dem anderen generell vorgeht, hängt die Entscheidung davon ab, welche Beeinträchtigung im Rahmen des vom Gesetzgeber abstrakt vorgenommenen Interessenausgleichs im konkreten Fall schwerer wiegt (vgl. BVerfGE 90, 27, 35 ff.).
Grundsätzlich reicht also die Bereitstellung eines Kabelanschlusses. Auf Seiten des Vermieters ist insbesondere zu berücksichtigen, welche Qualität der Beeinträchtigung beizumessen ist. Auf Seiten des Mieters insbesondere, inwieweit sich dieser bereits unter den Gegebenheiten umfänglich informieren kann.
Im vorliegenden Fall konnte die Familie zwar türkische, jedoch nicht vollumfänglich turkmenische Sender empfangen. Entscheidend für den Fall war die Argumentation, man sei turkmenischer und nicht türkischer Identität. Dies hatte das ursprüngliche Gericht verannt und die turkmenische Sprache mit der türkischen gleichgesetzt. Unter Zugrundelegung der o.g. Grundsätze kam das Gericht zu dem Entschluss, dass im vorliegenden Fall die Bereitstellung des Kabelanschlusses dem besonderen Informationsinteresse dieser dauerhaft in Deutschland lebenden Turkmenen nicht ausreichend Rechnung trägt. Ihr Interesse, die Programme ihrer turkmenischen Heimat zu empfangen, um sich über das dortige Geschehen zu unterrichten und die kulturelle und sprachliche Verbindung aufrechterhalten zu können, überwiegt gegenüber dem Vermieterinteresse. Eine andere Möglichkeit, ein entsprechendes Programm zu empfangen bestand nicht. Somit sah das BVerfG den Vermieter zur Duldung der Parabolantenne im Rahmen einer mietvertraglichen Nebenpflicht nach § 242 BGB verpflichtet und verwies die Sache zurück an das AG München. Insbesondere kann sich der Vermieter, so das BVerfG, auch nicht mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Nutzung anderer (kostenpflichtiger) Informationsquellen wie Zeitungen oder Internet von der Duldungspflicht frei machen.
Anmerkung des Autors
Die Thematik sollte jedem Prüfling in den Grundzügen geläufig sein, da sie sowohl im zivilrechtlichen, als auch im verfassungsrechtlichen Gewand abgefragt werden kann. Wie das BVerfG so hatte sich auch der BGH in der Vergangenheit mit der Frage auseinanderzusetzen, inwieweit der Vermieter unter Berufung auf sein Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 GG die Anbringung von Parabolantennen vertraglich ausschließen kann- oder andersherum- inwieweit sich Mieter über ein vertragliches Verbot vor dem Hintergrund der Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S.1, 2. Hs. GG hinwegsetzen darf. Letztendlich geht es in den meist sehr ähnlich gelagerten Fällen also um eine Abwägung zwischen dem Eigentumsgrundrecht des Vermieters, dem Recht des Mieters auf freie Information und sonstigen schützenswerten Positionen der Parteien.
stellt man hier als Schranke auf das „allgemeine Gesetz“ iSd Art. 5 II GG oder auf die verfassungsimmanente Schranke „kollidierende GRte des Vermieters“ (also Art. 14 GG) ab?? Bei letzterem müsste man die Lehre von der praktischen Konkordanz anwenden, bei Ersterem die klassische VHK.Prüfung. Was den nun? Im Aufsatz wird dies nicht deutlich.
Es handelt sich hier um eine VB gegen ein zivilgerichtliches Urteil, d.h. es findet so oder so keine VHM-Prüfung im eigentlichen SInne statt. Gegenstand der Überprüfung ist ja nur die Frage, ob die Fachgerichte die Grundrechte und deren Ausstrahlungswirkung ins Zivilrecht bei Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts hinreichend berücksichtigt haben. Das ist unter Abwägung der kollidierenden Grundrechtspositionen zu ermitteln.
Das ist aber gerade nicht dasselbe wie die VHM Prüfung bei (unmittelbaren) staatlichen Eingriffen etwa durch belastenden Verwaltungsakt.
Davon unabhängig ist die Frage, ob und wie ein Grundrecht überhaupt einschränkbar ist. Ob man nun „allgemeine Gesetze“ oder „verfassungsimmanente Schranken“ wählt spielt also keine Rolle für die Frage der weiteren Prüfung.