BVerfG: Rechtsprechungsüberblick im Verfassungsrecht (1. Quartal/2016)
Gerne stellen wir euch auch wieder für das erste Quartal des Jahres 2016 mit diesem Rechtsprechungsüberblick eine ausgesuchte Reihe der bislang veröffentlichten Entscheidungen vor, welche das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen drei Monaten getroffen hat und die Anlass zum aufmerksamen Studieren geben sollten.
Insbesondere im Hinblick auf die Vorbereitung zur Mündlichen Prüfung ist ein aktueller Kenntnisstand der Rechtsprechung – nicht nur der des Verfassungsgerichtes – unerlässlich. Daneben fließen Entscheidungen dieses hohen Gerichtes regelmäßig in Anfangssemester- oder Examensklausuren ein.
Dargestellt wird in diesem Beitrag insofern anhand der betreffenden Leitsätze, Pressemitteilungen oder kurzen Ausführungen aus den Gründen eine überblicksartige Auswahl aktueller Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, welche ihr nachschlagen solltet.
Beschluss vom 08. Dezember 2015 – 1 BvR 1864/14 (siehe auch die Pressemitteilung)
Mit diesem Beschluss hat das BVerfG eine Verfassungsbeschwerde gegen § 3 Satz 1 Nr. 13 des Tierschutzgesetzes (TierSchG), wonach es verboten ist, ein Tier für eigene sexuelle Handlungen zu nutzen oder für sexuelle Handlungen Dritter abzurichten oder zur Verfügung zu stellen und dadurch zu artwidrigem Verhalten zu zwingen, nicht zur Entscheidung angenommen. Die Beschwerdeführer machten in diesem Zusammenhang geltend, dass sie sich zu Tieren sexuell hingezogen fühlten, der Ordnungswidrigkeitentatbestand jedoch ein Eingriff in ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) sei. Angesichts des vom Gesetzgeber verfolgten Schutzzwecks ist der durch das Verbot vermittelte Eingriff allerdings gerechtfertigt, entschied das BVerfG. Damit können entsprechende Verstöße nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 TierSchG weiterhin als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu 25.000,00 EUR geahndet werden.
Beschluss vom 15. Dezember 2015 – 2 BvR 2735/14 (siehe auch die Pressemitteilung)
Die vor dem BVerfG erhobene Verfassungsbeschwerde hat die Auslieferung des Beschwerdeführers nach Italien auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls, der zur Vollstreckung eines in Abwesenheit des Beschwerdeführers ergangenen Strafurteils erlassen wurde, zum Gegenstand. Diesbezüglich führte das Verfassungsgericht in seinem Beschluss aus, dass der Schuldgrundsatz, nach dem jede strafrechtliche Sanktion den Nachweis von Tat und Schuld in einem prozessordnungsgemäßen Verfahren voraussetzt, in der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG wurzelte und daher auch bei der Auslieferung zur Vollstreckung eines in Abwesenheit ergangenen Strafurteils in Vollzug des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl gewahrt werden müsse. Der durch das BVerfG gewährleistete Grundrechtsschutz könne sich im Einzelfall also auch auf unionsrechtlich determinierte Hoheitsakte erstrecken, wenn dies zur Wahrung der durch Art. 79 Abs. 3 GG verbürgten Verfassungsidentität unabdingbar geboten sei. Insoweit wurde der Beschluss des OLG Düsseldorf über die Auslieferung des Beschwerdeführers, der in Italien in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe von 30 Jahren verurteilt worden war, aufgehoben und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
Siehe auch unseren Artikel vom 10. Februar 2016.
Beschluss vom 16. Dezember 2015 – 2 BvR 1958/13 (siehe auch die Pressemitteilung)
Aus beamtenrechtlicher Sicht durchaus interessant, hat das BVerfG mit diesem Beschluss im Rahmen eines eines Konkurrentenstreits entschieden, dass ein Dienstposten mehreren Besoldungsgruppen zugeordnet werden könne, wenn hierfür ein sachlicher Grund besteht. Dazu folgende Leitsätze:
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Eine Dienstpostenbündelung (sogenannte Topfwirtschaft) ist nur zulässig, wenn für sie ein sachlicher Grund besteht. Ein solcher sachlicher Grund kann insbesondere dann angenommen werden, wenn der von der Dienstpostenbündelung betroffene Bereich Teil der sogenannten „Massenverwaltung“ ist, bei der Dienstposten in der Regel mit ständig wechselnden Aufgaben einhergehen.
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Der Dienstherr muss sich bewusst machen, welche Dienstposten von der Bündelung betroffen sind und welche Aufgaben in dieser Spannweite anfallen. Andernfalls besteht nicht die – für die Zulässigkeit einer Dienstpostenbündelung wiederum erforderliche – Möglichkeit einer angemessenen Leistungsbewertung.
Beschluss vom 21. Dezember 2015 – 2 BvR 2347/15 (siehe auch die Pressemitteilung)
Aufgrund einer Folgenabwägung hat das Verfassungsgericht mit diesem Beschluss den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den seit dem 10. Dezember 2015 gültigen § 217 StGB abgelehnt. Demnach macht sich derjenige strafbar, welcher in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, abgelehnt. Die Tat wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Beschluss vom 12. Januar 2016 – 1 BvR 3102/13 (siehe auch die Pressemitteilung)
Das Verfassungsgericht hat im Hinblick auf § 56 Abs. 1 Satz 1 Insolvenzordnung (InsO) entschieden, dass der darin geregelte Ausschluss juristischer Personen von der Bestellung zum Insolvenzverwalter mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf folgende Leitsätze:
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Der Ausschluss juristischer Personen von der Bestellung zum Insolvenzverwalter durch § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO verstößt weder gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) noch gegen das Grundrecht auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG).
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Mit der Durchsetzung berechtigter Forderungen dient das Insolvenzverfahren auch der Verwirklichung des Justizgewährungsanspruchs und ist in die Garantie effektiven Rechtsschutzes einbezogen.
Siehe auch unseren Artikel vom 03. Februar 2016.
Beschluss vom 12. Januar 2016 – 1 BvL 6/13 (siehe auch die Pressemitteilung)
In einem Verfahren der konkreten Normenkontrolle auf Vorlage des BGH hat das BVerfG in diesem Beschluss entschieden, dass § 59a Abs. 1 Satz 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) insoweit verfassungswidrig und nichtig sei, als er Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten verbietet, sich mit Ärztinnen und Ärzten sowie mit Apothekerinnen und Apothekern zur gemeinschaftlichen Berufsausübung in einer Partnerschaftsgesellschaft zu verbinden. Zu beachten sind folgende Leitsätze:
Das Sozietätsverbot aus § 59a Abs. 1 Satz 1 BRAO verletzt das Grundrecht der Berufsfreiheit, soweit es Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten eine gemeinschaftliche Berufsausübung mit Ärztinnen und Ärzten oder mit Apothekerinnen und Apothekern im Rahmen einer Partnerschaftsgesellschaft untersagt.
Beschluss vom 29. Januar 2016 – 1 BvQ 6/16
Das BVerfG hat den hier gegenständlichen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Begründung abgelehnt, dass durch das Auferlegung eines Fackelverbots keine Gefährdung des Demonstrationserfolgs in einer einen schweren Nachteil im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG bewirkenden Weise vorliege. Der Antragstellerin wurde zuvor untersagt, bei dem von ihr angemeldeten Aufzug Gegenstände jeglicher Art mit Ausnahme handelsüblicher Tabakwaren, aber insbesondere Fackeln abzubrennen.
Beschluss vom 26. August 2015 – 2 BvF 1/15 (siehe auch die Pressemitteilung)
In diesem Normenkontrollverfahren hat das BVerfG auf Antrag des Berliner Senats die Löschung der im Rahmen des Zensus 2011 erhobenen Daten vorläufig gestoppt. Dabei gilt die Außervollzugsetzung von § 19 des Zensusgesetzes 2011 bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch für sechs Monate.
Beschluss vom 17. Februar 2016 – 1 BvL 8/10 (siehe auch die Pressemitteilung)
Das BVerfG hat mit diesem Beschluss ausgeführt, dass die Regelungen über die Akkreditierung von Studiengängen des Landes NRW, wonach Studiengänge durch Agenturen „nach den geltenden Regelungen“ akkreditiert werden müssen, mit dem Grundgesetz (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) unvereinbar seien, denn die wesentliche Entscheidungen zur Akkreditierung von Studiengängen müsse der Gesetzgeber selbst treffen. Dazu folgender Leitsatz:
Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG steht zwar Vorgaben zur Qualitätssicherung von Studienangeboten grundsätzlich nicht entgegen. Wesentliche Entscheidungen zur Akkreditierung darf der Gesetzgeber jedoch nicht weitgehend anderen Akteuren überlassen, sondern muss sie unter Beachtung der Eigenrationalität der Wissenschaft selbst treffen
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