BVerfG: Rechtsprechungsüberblick im Verfassungsrecht (1. Quartal/2015)
Auch für das erste Quartal des Jahres 2015 stellen wir euch natürlich gerne wieder mit diesem Rechtsprechungsüberblick eine ausgesuchte Reihe von teilweise Aufsehen erregenden Entscheidungen vor, die das Bundesverfassungsgericht in den letzten drei Monaten getroffen hat und die Anlass zum aufmerksamen Studieren geben sollten.
Insbesondere im Hinblick auf die Vorbereitung zur Mündlichen Prüfung ist ein aktueller Kenntnisstand der Rechtsprechung – nicht nur der des Verfassungsgerichtes – unerlässlich. Daneben fließen Entscheidungen dieses hohen Gerichtes regelmäßig in Anfangssemester- oder Examensklausuren ein.
Dargestellt wird in diesem Beitrag insofern anhand der betreffenden Leitsätze, Pressemitteilungen oder kurzen Ausführungen aus den Gründen eine überblicksartige Auswahl aktueller Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, welche ihr nachschlagen solltet.
Beschluss vom 17. Dezember 2014 – 2 BvR 278/11 (siehe auch die Pressemitteilung)
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die staatliche Anerkennung der Mitgliedschaft in einer als Körperschaft des öffentlichen Rechts verfassten jüdischen Kultusgemeinde und damit das Grundrecht aus Art. 4 I und II i.V.m. Art. 140 GG und Art. 137 III WRV.
Beschluss vom 14. Januar 2015 – 1 BvR 931/12 (siehe auch die Pressemitteilung)
Die Verfassungsbeschwerde hat die Frage zum Gegenstand, ob der Thüringer Landesgesetzgeber mit der im Jahr 2011 im Thüringer Ladenöffnungsgesetz neu geregelten Beschränkung der Einsatzmöglichkeiten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an Samstagen in Verkaufsstellen gegen Art. 12 I, Art. 9 III und Art. 3 I GG verstoßen hat, weil das Land für eine derartige Regelung nicht gesetzgebungsbefugt war.
Dazu die Leitsätze des BVerfG:
1. Eine landesrechtliche Begrenzung der Samstagsarbeit in Verkaufsstellen ist dem Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG zuzuordnen. Die Kompetenz für das Recht des Ladenschlusses in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG erstreckt sich nicht auf arbeitszeitrechtliche Regelungen.
2. Der Bund hat von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für Regelungen zur Arbeitszeit in Verkaufsstellen an Samstagen bisher nicht erschöpfend im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG Gebrauch gemacht.
Beschluss vom 15. Januar 2015 – 2 BvR 878/14, 2 BvR 2055/14 (siehe auch die Pressemitteilung)
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Pflicht des Vorsitzenden im Strafverfahren, in der Hauptverhandlung den wesentlichen Inhalt von Gesprächen über eine Verständigung mitzuteilen, welche laut dem BVerfG in erster Linie dazu dient, eine Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit zu ermöglichen. Im Verständigungsgesetz wäre es dem Gesetzgeber maßgeblich darauf angekommen, die Transparenz der strafgerichtlichen Hauptverhandlung und die Unterrichtung der Öffentlichkeit zu bewahren. Das Revisionsgericht hätte daher die Bedeutung und Tragweite des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 2 I GG i. V. m. Art. 20 III GG) verkannt, wenn es das Beruhen des Strafurteils auf einem Verstoß gegen die Mitteilungspflicht alleine unter dem Gesichtspunkt einer Einwirkung auf das Aussageverhalten des Angeklagten prüft.
Beschluss vom 27. Januar 2015 – 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10 (siehe auch die Pressemitteilung)
Die äußerst Klausurrelevanten Leitsätze des BVerfG zum pauschalen Kopftuchverbot für Lehrkräfte in öffentlichen Schulen im Sinne des § 57 IV 1 und 2 des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes lauten:
Der Schutz des Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) gewährleistet auch Lehrkräften in der öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule die Freiheit, einem aus religiösen Gründen als verpflichtend verstandenen Bedeckungsgebot zu genügen, wie dies etwa durch das Tragen eines islamischen Kopftuchs der Fall sein kann.
Ein landesweites gesetzliches Verbot religiöser Bekundungen (hier: nach § 57 Abs. 4 SchulG NW) durch das äußere Erscheinungsbild schon wegen der bloß abstrakten Eignung zur Begründung einer Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität in einer öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule ist unverhältnismäßig, wenn dieses Verhalten nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist. Ein angemessener Ausgleich der verfassungsrechtlich verankerten Positionen – der Glaubensfreiheit der Lehrkräfte, der negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern, des Elterngrundrechts und des staatlichen Erziehungsauftrags – erfordert eine einschränkende Auslegung der Verbotsnorm, nach der zumindest eine hinreichend konkrete Gefahr für die Schutzgüter vorliegen muss.
Wird in bestimmten Schulen oder Schulbezirken aufgrund substantieller Konfliktlagen über das richtige religiöse Verhalten bereichsspezifisch die Schwelle zu einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität in einer beachtlichen Zahl von Fällen erreicht, kann ein verfassungsrechtlich anzuerkennendes Bedürfnis bestehen, religiöse Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild nicht erst im konkreten Einzelfall, sondern etwa für bestimmte Schulen oder Schulbezirke über eine gewisse Zeit auch allgemeiner zu unterbinden.
Werden äußere religiöse Bekundungen durch Pädagoginnen und Pädagogen in der öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule zum Zweck der Wahrung des Schulfriedens und der staatlichen Neutralität gesetzlich untersagt, so muss dies für alle Glaubens- und Weltanschauungsrichtungen grundsätzlich unterschiedslos geschehen.
Beschluss vom 24. Februar 2015 – 1 BvR 472/14 (siehe auch die Pressemitteilung)
Gegenstand dieser viel beachteten Entscheidung ist die Frage, ob es mit dem GG vereinbar sein kann, wenn die Zivilgerichte die Mutter auf der Grundlage von § 1353 I i.V.m. § 242 BGB dazu verpflichten, dem vormals rechtlichem Vater (sog. Scheinvater) nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung Auskunft über die Person des mutmaßlich leiblichen Vaters des Kindes zu erteilen, damit der Scheinvater gegen den leiblichen Vater den Unterhaltsregressanspruch nach § 1607 III BGB durchsetzen kann.
Dazu die Leitsätze des BVerfG:
1. Das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgende allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt mit der Privat- und Intimsphäre auch das Recht, selbst darüber zu befinden, ob, in welcher Form und wem Einblick in die Intimsphäre und das eigene Geschlechtsleben gewährt wird. Dies umschließt das Recht, geschlechtliche Beziehungen zu einem bestimmten Partner nicht offen-baren zu müssen.
2. Die gerichtliche Verpflichtung einer Mutter, zur Durchsetzung eines Regress-anspruchs des Scheinvaters (§ 1607 Abs. 3 BGB) Auskunft über die Person des mutmaßlichen Vaters des Kindes zu erteilen, überschreitet die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, weil es hierfür an einer hinreichend deutlichen Grundlage im geschriebenen Recht fehlt.
Beschluss vom 5. März 2015 – 1 BvR 3362/14 (siehe auch die Pressemitteilung)
Die Verfassungsbeschwerde betrifft anwaltsgerichtliche Entscheidungen und Bescheide der Rechtsanwaltskammer über die berufsrechtliche Beurteilung und Zulässigkeit einer geplanten Werbemaßnahme eines Rechtsanwalts. Dass für die Werbung von Rechtsanwälten – vor dem Hintergrund ihrer Stellung als Organ der Rechtspflege – ein Sachlichkeitsgebot gilt, sei verfassungsrechtlich unbedenklich, so das BVerfG. Für sog. Schockwerbung von Rechtsanwälten bestünden daher strenge Regeln. Vorliegend ging es um Tassen mit der durchgestrichenen Abbildung einer Frau, die mit einem Knüppel auf das entblößte Gesäß eines Kindes schlägt.
Über diesen Fall berichteten wir bereits in einem Artikel vom 25. März 2015.
Beschluss vom 19. März 2015 – 2 BvB 1/13
Dieser Beschluss des BVerfG enthält neue Entwicklungen zu dem von den Ländern eingeleiteten NPD-Verbotsverfahren. Wie auch schon im ersten Verbotsverfahren komme es hier auf den Einfluss durch den Verfassungsschutz an, dessen Fehlen aber noch nicht hinreichend belegt sei.
Dazu berichteten wir ausführlicher in einem Artikel vom 28. März 2015.
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