BVerfG: Rechtsprechungsüberblick im Verfassungsrecht (1. Quartal/2017)
Die Sonne zeigt sich und der Frühling erwacht endlich wieder. Damit wird es aber auch Zeit, euch mit dem ersten Rechtsprechungsüberblick in diesem Jahr wieder eine Reihe von ausgesuchten und bislang veröffentlichten Entscheidungen vor, die das Gericht in den vergangenen Monaten getroffen hat.
Wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung der folgenden Urteile und Beschlüsse solltet ihr zumindest in den Grundzügen wissen, worum es in der Sache jeweils geht. Insbesondere im Hinblick auf die Vorbereitung zur Mündlichen Prüfung ist ein aktueller Kenntnisstand der Rechtsprechung – nicht nur der des Verfassungsgerichtes – unerlässlich. Daneben fließen Entscheidungen dieses hohen Gerichtes regelmäßig in Anfangssemester- oder Examensklausuren ein. Teilweise ergibt sich auch eine Relevanz für die einschlägigen Schwerpunktbereiche.
Dargestellt wird in diesem Beitrag insofern anhand der betreffenden Leitsätze, Pressemitteilungen oder kurzen Ausführungen aus den Gründen eine überblicksartige Auswahl aktueller und bereits veröffentlichter Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts.
Beschluss vom 16. Dezember 2016 – 2 BvR 349/16
Zum Einstieg eine nicht bedeutsame aber immerhin amüsante Entscheidung zum Schmunzeln:
Die Entscheidung kurz vor Weihnachten betrifft die Nichtzulassung einer Volksabstimmung über den Austritt Bayerns aus der BRD in Bayern und gegen die Bestimmung, dass die Volksabstimmung im ganzen Bundesgebiet und nicht nur in Bayern durchgeführt werden müsste.
Beschluss vom 23. Dezember 2016 – 1 BvR 1723/14 (siehe auch die Pressemitteilung)
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anforderung an die ordnungsgemäße Erschöpfung des Rechtswegs und die substantiierte Darlegung einer möglichen Grundrechtsverletzung. Dazu sei auf die erläuternden Ausführungen aus der o.a. Pressemitteilung verwiesen:
Zur Erschöpfung des Rechtsweges:
Eine Verfassungsbeschwerde ist in der Regel unzulässig, wenn ein Rechtsmittel ‑ hier die Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision ‑, durch dessen Gebrauch die behaupteten Grundrechtsverstöße hätten ausgeräumt werden können, aus prozessualen Gründen erfolglos bleibt. Dabei ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, die Beschreitung des Rechtswegs von der Erfüllung bestimmter formaler Voraussetzungen abhängig zu machen. Auch wenn die Verwerfung einer Nichtzulassungsbeschwerde als solche nicht in jedem Falle ausreicht, um von der Unzulässigkeit auch der nachfolgenden Verfassungsbeschwerde auszugehen, muss ein Beschwerdeführer in der Verfassungsbeschwerde seinen Vortrag im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren jedenfalls im Wesentlichen mitteilen, so dass für das Bundesverfassungsgericht nachvollziehbar wird, ob die Nichtzulassungsbeschwerde offenbar unzulässig war und ob der Beschwerdeführer die verfassungsrechtliche Problematik zumindest der Sache nach dem Rechtsmittelgericht unterbreitet hat. Das ist hier nicht ausreichend geschehen.
Zur substantiierten Darlegung einer möglichen Grundrechtsverletzung:
Im Übrigen hat der Beschwerdeführer eine mögliche Grundrechtsverletzung nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Insbesondere hat er sich hinsichtlich seiner Einbeziehung in die gesetzliche Unfallversicherung nicht mit den vom Bundesverfassungsgericht bereits entwickelten Maßstäben zur Pflichtversicherung von Nebenerwerbs- oder Hobbylandwirten auseinandergesetzt.
Beschluss vom 16. Januar 2017 – 1 BvR 1593/16
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB. Der Beschwerdeführer hatte bei einem Versandhandel einen Aufnäher mit den Buchstaben A.C.A.B. sowie zwei Aufnäher mit den Zahlen 13 und 12 bestellt und befestigte diese auf einer Weste. Mit dieser Weste ausgestattet, wollte er ein Fußballspiel der zweiten Bundesliga besuchen, wurde jedoch bei der Einlasskontrolle polizeilich kontrolliert und durchsucht, weil den Beamten die Aufnäher aufgefallen waren. Das zuständige Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 80 €. Der Beschwerdeführer wendete sich schließlich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die auf das Urteil des Amtsgerichts folgenden Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts und rügt die Verletzung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Von Bedeutung sind die folgenden Ausführungen aus den Entscheidungsgründen des BVerfG:
Diese verfassungsrechtlichen Maßstäbe (Anm.: zu Art. 5 I 1 GG) haben die Gerichte durch die Annahme einer hinreichenden Individualisierung des negativen Werturteils verkannt. Sie kommen in verfassungsrechtlich nicht tragfähiger Weise zu dem Ergebnis, dass sich die hier in Rede stehende Äußerung auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe bezieht. Hierfür reicht es nicht, dass die im Stadion eingesetzten Polizeikräfte eine Teilgruppe aller Polizistinnen und Polizisten sind. Vielmehr bedarf es einer personalisierten Zuordnung. Worin diese liegen soll, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht. Für eine Konkretisierung ist nicht erforderlich, dass die eingesetzten Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen dem Beschwerdeführer namentlich bekannt sind. Es genügt aber nicht, dass der Beschwerdeführer das Fußballspiel in dem Bewusstsein, dass Einsatzkräfte der Polizei anwesend sein würden, besuchte. Es fehlen Feststellungen dazu, dass sich der Beschwerdeführer bewusst in die Nähe der Einsatzkräfte der Polizei begeben hat, um diese mit seiner Parole zu konfrontieren. Der bloße Aufenthalt im Stadion im Bewusstsein, dass die Polizei präsent ist, genügt den verfassungsrechtlichen Vorgaben an eine erkennbare Konkretisierung der Äußerung auf bestimmte Personen nicht. Es ist hieraus nicht ersichtlich, dass die Äußerung sich individualisiert gegen bestimmte Beamte richtet.
Beschluss vom 17. Januar 2017 – 2 BvL 1/10 (siehe auch die Pressemitteilung)
Das BVerfG hat mit diesem Beschluss entschieden, dass die im Besoldungsrecht des Landes Rheinland-Pfalz vorgesehene „Wartefrist“, wonach ein Beamter oder Richter, dem ein Amt ab den Besoldungsgruppen B 2 oder R 3 übertragen worden ist, für die Dauer von zwei Jahren das Grundgehalt der nächstniedrigeren Besoldungsgruppe erhält, mit Artikel 33 Abs. 5 GG unvereinbar und damit nichtig ist.
Beschlüsse vom 17. Januar 2017 – 2 BvL 2/14 u.a.
Von Interesse für die Studenten älteren Semesters:
Die Verfahren betreffen die Rückmeldegebühren des Landes Brandenburg gemäß § 30 Abs. 1a Satz 1 des Gesetzes über die Hochschulen des Landes Brandenburg (Brandenburgisches Hochschulgesetz – BbgHG) idF des Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Beseitigung des strukturellen Ungleichgewichts im Haushalt (Haushaltsstrukturgesetz 2000 – HStrG 2000) vom 28. Juni 2000. Die Regelung der Rückmeldegebühren ist mir Art. 2 Abs. 1 iVm den Art. 104a ff. GG sowie mit Art. 3 Abs. 1 des GG unvereinbar und nichtig, soweit danach bei jeder Rückmeldung Gebühren von 100 Deutschen Mark beziehungsweise 51 Euro pro Semester erhoben wurden.
Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 (siehe auch die Pressemitteilung)
In der Entscheidung zum NPD-Verbotsverfahren sei auf unseren Artikel vom 20. Januar 2017 verwiesen.
Beschlüsse vom 9. Februar 2017 – 1 BvR 2897/14 u.a. (siehe auch die Pressemitteilung)
Die hier getroffenen Entscheidungen ergingen zur Abbildung von Prominenten im öffentlichen und im privaten Raum durch die Presse. Die wesentlichen Erwägungen seien der o.a. Pressemitteilung wie folgt entnommen:
Die Zivilgerichte müssen im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung das Gewicht der Pressefreiheit bei der Berichterstattung über Ereignisse, die von großem öffentlichen Interesse sind, ausreichend berücksichtigen. Von Bedeutung ist dabei unter anderem, ob sich die abgebildete Person im öffentlichen Raum bewegt. Betrifft die visuelle Darstellung die Privatsphäre oder eine durch räumliche Privatheit geprägte Situation, ist das Gewicht der Belange des Persönlichkeitsschutzes erhöht. Über die sich hieraus näher ergebenden Anforderungen hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts in zwei heute veröffentlichten Beschlüssen entschieden.
Beschluss vom 22. Februar 2017 – 1 BvR 2875/16 (siehe auch die Pressemitteilung)
Die im Ergebnis unzulässige Verfassungsbeschwerde betrifft die Nichteinhaltung der Beschwerdefrist. Die Beschwerdeführerin wendete sich vorliegend gegen eine in NRW zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene Vorschrift, wobei die Vorgängervorschrift zu der angegriffenen Regelung allerdings bereits zum 1. März 1998 in Kraft getreten war. Das BVerfG führte im Grundsatz dazu aus, dass rein redaktionelle Änderungen eines Gesetzes, die den materiellen Gehalt und den Anwendungsbereich einer Norm nicht berühren, die Frist zur Einlegung einer Verfassungsbeschwerde nicht neu in Lauf setzen können. Die Verfassungsbeschwerde wurde daher nicht zur Entscheidung angenommen.
Beschluss vom 08. März 2017 – 2 BvR 483/17 (siehe auch die Pressemitteilung)
Die erfolglose Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen den Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Yildirim am 18. Februar 2017 in Oberhausen. Das BVerfG führte im Hinblick auf Staatsoberhäupter und Mitglieder ausländischer Regierungen aus, dass diese weder von Verfassungs wegen noch nach einer allgemeinen Regel des Völkerrechts einen Anspruch auf Einreise in das Bundesgebiet hätten und sich in ihrer amtlichen Eigenschaft auch nicht auf Grundrechte berufen könnten. Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch bereits deshalb unzulässig, weil der Beschwerdeführer nicht hinreichend substantiiert dargelegt konnte, dass er vorliegend selbst betroffen ist.
Zu dieser Thematik sei im Übrigen auf unseren Artikel vom 11. März 2017 verwiesen.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!