BGH zu § 985 BGB bei NS-Raubkunst
Mit Urteil vom 16.03.2012 (Az. V ZR 279/10) entschied der BGH, dass der Eigentümer eines durch nationalsozialistisches Unrecht entzogenen Kunstwerks, dieses nach allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften (§ 985 BGB) von dem heutigen Besitzer herausverlangen kann, wenn das Kunstwerk nach dem Krieg verschollen war und deshalb nicht nach den Vorschriften des alliierten Rückerstattungsrechts zurückverlangt werden konnte.
Die Entscheidung kann im Hinblick auf Examensklausuren getrost vernachlässigt werden. Kandidaten für anstehende mündliche Prüfungsgespräche sollten sich hingegen zur Sicherheit zumindest die u.g. wichtigsten Passagen der Pressemitteilung des BGH anschauen, um im Fall der Fälle mit ausreichend Argumentationsmaterial gerüstet zu sein:
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Die Entscheidung betrifft die kulturhistorisch wertvolle Plakatsammlung des jüdischen Zahnarztes Dr. Hans Sachs, die sich heute im Besitz des Deutschen Historischen Museums, einer Stiftung Öffentlichen Rechts, befindet. Das Reichspropagandaministerium ließ die Sammlung 1938 aus der Wohnung von Dr. Sachs in Berlin-Schöneberg wegnehmen. Dr. Sachs emigrierte Ende 1938 in die USA. Nach dem Krieg war die Sammlung verschollen. Für ihren Verlust bekam Dr. Sachs 1961 im Vergleichsweg eine Wiedergutmachungszahlung von 225.000 DM nach dem Bundesrückerstattungsgesetz. Erst später erfuhr er, dass Teile der Sammlung in einem Museum der DDR aufgetaucht waren. Dr. Sachs starb 1974 und wurde von seiner Frau beerbt. Sie starb 1998, ohne nach der Wiedervereinigung irgendwelche Ansprüche wegen der Sammlung erhoben zu haben. Sie wurde von dem Kläger, dem Sohn Dr. Sachs“, beerbt.
[…]
Der Bundesgerichtshof ist, wie schon das Kammergericht, davon ausgegangen, dass Dr. Sachs das Eigentum an der Plakatsammlung zu keiner Zeit verloren hat. Insbesondere ließ sich nicht feststellen, dass er die Sammlung, die sich bis zur Wegnahme im Jahr 1938 in seinem Besitz befand, zuvor an einen zum Ankauf bereiten Bankier übereignet hatte. Der Zugriff des Reichspropagandaministeriums änderte die Eigentumsverhältnisse nicht, denn es handelte sich um eine Wegnahme ohne förmlichen Enteignungsakt. Dass die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz von 1941, in welcher der Verfall jüdischen Vermögens angeordnet wurde, wegen ihres Unrechtsgehalts keine Rechtswirkungen zu erzeugen vermochte, hat der Bundesgerichtshof bereits 1955 entschieden.
Die besonderen Regelungen über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts verdrängen nicht den zivilrechtlichen Eigentumsherausgabeanspruch (§ 985 BGB) des Klägers. Das Vermögensgesetz findet hier keine Anwendung, weil die Wegnahme der Plakatsammlung nicht im (späteren) Beitrittsgebiet, sondern im Westteil Berlins stattfand. Die Vorschrift des Art. 51 Satz 1 der Rückerstattungsanordnung für das Land Berlin (REAO*) und das Bundesrückerstattungsgesetz schließen den Anspruch ebenfalls nicht aus. Zwar hat der Bundesgerichtshof in den 1950er Jahren entschieden, dass Ansprüche, die sich aus der Unrechtmäßigkeit einer nationalsozialistischen Enteignungsmaßnahme ergeben, grundsätzlich nur nach Maßgabe der zur Wiedergutmachung erlassenen Rückerstattungs- und Entschädigungsgesetze und in dem dort vorgesehenen Verfahren verfolgt werden können. Diesen Vorschriften kommt aber dann kein Vorrang gegenüber einem Herausgabeanspruch nach § 985 BGB zu, wenn der verfolgungsbedingt entzogene Vermögensgegenstand – wie hier und anders als in den bislang durch den Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen – nach dem Krieg verschollen war und erst nach Ablauf der Anmeldefrist für Rückerstattungsansprüche (hier gemäß Art. 50 Abs. 2 Satz 1 REAO am 30. Juni 1950) wieder aufgetaucht ist.
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Der Herausgabeanspruch ist entgegen der Auffassung des Kammergerichts nicht verwirkt. Dass er in den ersten 16 Jahren nach der Wiedervereinigung nicht geltend gemacht worden ist, genügt nicht hierfür nicht.
Müssten die Ansprüche nicht schon längst verjährt sein? Und kommt nicht auch eine Ersitzung in Betracht?