BGH: Widerrufsrecht des Verbrauchers im Fernabsatz besteht auch bei sittenwidrigem Vertrag über ein Radarwarngerät
Der BGH hat in einer Entscheidung vom 25.11.2009 entschieden, dass bei einem Fernabsatzgeschäft auch dann ein Widerrufsrecht des Verbrauchers besteht, wenn es einen Kaufvertrag über ein Radarwarngerät zum Gegenstand hat, der eigentlich wegen Sittenwidrigkeit nichtig ist.
Sachverhalt
Nach einem telefonischen Werbegespräch vom 1. Mai 2007 bestellte die Klägerin am darauf folgenden Tag per Fax einen Pkw-Innenspiegel mit einer unter anderem für Deutschland codierten Radarwarnfunktion zum Preis von 1.129,31 € (brutto) zuzüglich Versandkosten. Der von der Klägerin ausgefüllte Bestellschein enthält unter anderem den vorformulierten Hinweis: „Ich wurde darüber belehrt, dass die Geräte verboten sind und die Gerichte den Kauf von Radarwarngeräten zudem als sittenwidrig betrachten.“ Die Lieferung des Gerätes erfolgte per Nachnahme am 9. Mai 2007. Am 19. Mai 2007 sandte die Klägerin das Gerät an die Beklagte zurück und bat um Erstattung des Kaufpreises. Die Beklagte verweigerte die Annahme des Gerätes und die Rückzahlung des Kaufpreises. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin unter anderem die Verurteilung der Beklagten zur Rückzahlung des Kaufpreises zuzüglich 8,70 € Rücksendungskosten, insgesamt 1.138,01 €. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat der Klage stattgegeben. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.
Entscheidung
Grundsätzlich ist der Kaufvertrag über den Erwerb eines Radarwarngeräts nach der Rechtsprechung des Senats sittenwidrig und damit nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Der Kauf eines Radarwarngeräts, das aufgrund seiner Codierung zum Einsatz im deutschen Straßenverkehr bestimmt ist, diene der Begehung eines nach § 23 Abs. 1 b der StVO verbotenen Verhaltens im Straßenverkehr, durch das Geschwindigkeitskontrollen unterlaufen und Geschwindigkeitsübertretungen mit den damit verbundenen Gefahren für Leib und Leben Dritter begünstigt werden. Ein solches Rechtsgeschäft, das letztlich darauf gerichtet sei, die Sicherheit im Straßenverkehr zu beeinträchtigen, verstöße gegen die guten Sitten und sei deshalb von der Rechtsordnung nicht zu billigen (§ 138 Abs. 1 BGB). Zwar untersagt § 23 Abs. 1 b StVO nicht schon den Erwerb eines Radarwarngeräts, sondern erst dessen Betrieb oder betriebsbereites Mitführen im Kraftfahrzeug. Jedoch sei dies eine unmittelbare Vorbereitungshandlung für dessen Betrieb. Deshalb sei bereits ein solcher Erwerb rechtlich zu missbilligen – so der BGH in seinem Urteil vom 23. Februar 2005 (VIII ZR 129/04, NJW 2005, 1490 f.) Dies entspricht auch der nahezu einhelligen Auffassung in der Rechtsprechung der Instanzgerichte und im rechtswissenschaftlichen Schrifttum.
Das Recht der Klägerin, sich von dem Fernabsatzvertrag zu lösen, wird davon jedoch nicht berührt. Ein Widerrufsrecht nach §§ 312d, 355 BGB beim Fernabsatzvertrag ist unabhängig davon gegeben, ob die Willenserklärung des Verbrauchers oder der Vertrag wirksam ist. Der Sinn des Widerrufsrechts beim Fernabsatzvertrag besteht darin, dem Verbraucher ein an keine materiellen Voraussetzungen gebundenes, einfach auszuübendes Recht zur einseitigen Loslösung vom Vertrag in die Hand zu geben, das neben den allgemeinen Rechten besteht, die jedem zustehen, der einen Vertrag schließt.
Der Senat ist der Auffassung entgegengetreten, nach der sich der Verbraucher bei einer Nichtigkeit des Vertrages dann nicht auf sein Widerrufsrecht berufen könne, wenn er den die Vertragsnichtigkeit nach §§ 134, 138 BGB begründenden Umstand jedenfalls teilweise selbst zu vertreten habe. Ein Ausschluss des Widerrufsrechts wegen unzulässiger Rechtsausübung kann nur bei besonderer Schutzbedürftigkeit des Unternehmers in Betracht kommen. Daran fehlt es jedoch, wenn – wie in diesem Fall – beiden Parteien ein Verstoß gegen die guten Sitten zur Last fällt.
BGH, Urteil vom 25. November 2009 – VIII ZR 318/08
Andere Fallkonstellation: BGH-Urteil aus dem Jahr 2005
Dieser Fall unterscheidet sich in seiner Fallkonstellation von einem Urteil des BGH vom 23. Februar 2005 – VIII ZR 129/04, NJW 2005, 1490. Dort ging es ebenfalls um die Rückabwicklung eines sittenwidrigen Kaufvertrages über ein Radarwarngerät. Jedoch hatte die Klägerin nicht ein Widerrufsrecht nach § 312 d BGB geltend gemacht. Vielmehr ging es in diesem Fall um die Rückabwicklung des wegen Sittenwidrigkeit nichtigen Kaufvertrages wegen angeblicher Mängel. Vertragliche Mängelgewährleistungsansprüche kamen wegen Nichtigkeit des Vertrages nicht in Betracht. Auch ein Anspruch auf Rückzahlung des zur Erfüllung des nichtigen Vertrages geleisteten Kaufpreises stand der Klägerin nicht zu. Nach § 817 Satz 2 BGB ist der Rückforderungsanspruch ausgeschlossen, wenn beiden Parteien ein Verstoß gegen die guten Sitten zur Last fällt. Zwar zog die Beklagte (Verkäuferin) infolge der Anwendung des § 817 Satz 2 BGB aus dem sittenwidrigen Vertrieb von Radarwarngeräten wirtschaftliche Vorteile. Jedoch traf der Ausschluss des Rückforderungsanspruchs die Klägerin, wie der BGH ausgeführt hat, auch unter Berücksichtigung dieses Umstands nicht unbillig, da die Klägerin ebenfalls sittenwidrig handelte und dem verbotenen Verhalten noch näher stand als die Beklagte, weil sie das Radarwarngerät zu dem Zweck erwarb, es entgegen dem Verbot in der StVO zu verwenden.
BGH, Urteil vom 23. Februar 2005 – VIII ZR 129/04
Examensrelevanz
Zwei sehr interessante und examensrelevante BGH-Entscheidungen, die man gut auch in Form eines Grundfalls mit einer Abwandlung (BGH-Urteil aus dem Jahr 2005) im Rahmen einer Zivilrecht Examensklausur prüfen könnte. Bei einer möglichen Fallfrage „Was kann die Klägerin unternehmen?“ in der Klausur wäre die Schwierigkeit gewesen, überhaupt erst einmal drauf zu kommen, dass ein Widerrufsrecht nach §§ 312d, 355 BGB beim Fernabsatzvertrag gegeben sein könnte, unabhängig davon, ob die Willenserklärung des Verbrauchers oder der Vertrag als ganzes wirksam ist oder nicht.
Sauwichtiges Urteil!
Dogmatisch allerdings heikel: Um sich von einem Vertrag mittels Widerruf lösen zu können braucht man streng genommen erstmal einen wirksamen Vertrag… Wenn § 138 BGB einschlägig ist, fehlt es gerade an einem solchen. Der BGH arbeitet insofern mit einer Fiktion.
Andererseits lassen die Vorschriften der §§ 312d, 355, 357 BGB nicht erkennen, dass ein Widerruf zwingend einen wirksamen Vertrag voraussetzt.
§ 312d BGB lautet zwar „Dem Verbraucher steht bei einem Fernabsatzvertrag ein Widerrufsrecht nach § 355 zu.“, so dass man davon ausgehen kann, dass ein wirksamer Fernabsatzvertrag vorliegen muss. Die Vorschrift ist nach dem BGH aber wohl so zu verstehen, dass es auf die Wirksamkeit des Vertrages gerade nicht ankommt.
Ziemlich tricky und ohne Kenntnis des Urteils wird man auf eine solche Lösung m.E. wohl nicht so einfach kommen.
Ich finde die Lösung in keiner Weise dogmatisch bedenklich. Sie läßt sich wunderbar mit der Kipp’schen Lehre von der Doppelnichtigkeit dogmatisch begründen.
Hatte das Problem gerade in einer Probeklausur und bin (leider) wie beim Rücktrittsrecht aus 323 wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass man bei 312 d auch einen wirksamen Vertrag braucht. 😛
Naja, falls das Problem im Examen bei mir drankommen sollte, weiß ich wenigstens jetzt bescheid.
Werde das aber zum Anlass nehmen, mal öfter hier auf eurer tollen Seite vorbeizuschauen! 😀
Wenn man den Rechtsgedanken des BGH fortführt, so müsste auch ein Widerruf im Falle von z.B. Drogenbestellungen oder Fernabsatzkäufen anderer verbotener Gegenstände anzuerkennen sein. Man darf gespannt sein, wann sich der erste geprellte Haschisch-Konsument meldet 🙂
Haha – das nenne ich Problembewusstsein…
Das bietet sich extrem gut für eine Examensklausur an….
Beide BGH-Urteile kamen heute bei uns in Köln dran. Sowohl die Problematik mit dem Widerruf als auch die Geltendmachung der Mängelgewährleistungsrecht. Zum Glück hatte ich das bei Euch gelesen. Danke für Eure tolle Seite!
Sicher der Falsche Ort
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MfG Bob (Bitte Kommentar löschen)
Wie könnte es denn mit einer „Rückabwicklung“ nach GoA-Vorschriften aussehen?