BGH: Kein Zurückbehaltungsrecht ohne vorherige Mängelanzeige
Der BGH hat in einem Urteil vom 3. November (VIII ZR 330/09) entschieden, dass die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts wegen Mängeln der Wohnung stets eine vorherige Mangelanzeige voraussetzt.
Sachverhalt
M war Mieter einer Wohnung des V. Für die Monate April, Juni und Juli 2007 zahlte sie keine und für Mai 2007 lediglich einen Teil der Miete. Die Wohnung war mit Schimmel befallen, was dem Vermieter allerdings nicht mitgeteilt wurde. Im Mai erklärte V die fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs und verlangte Räumung und Herausgabe der Wohnung. M widersprach der Kündigung unter Hinweis auf den Schimmelpilzbefall in mehreren Zimmern.
Einordnung in den Klausurfall
V könnte gegen M einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gem. §§ 546 Abs. 1, 549 Abs. 1 BGB.
I. Mietvertrag wirksam zustande gekommen (+)
II. Beendigung des Mietverhältnisses durch außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 543 Abs. 2 Nr 2. BGB (+)
„für zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug ist oder“
III. Anspruch durchsetzbar?
Hier war nun zu problematisieren, ob der Anspruch des V möglicherweise wegen Einrede des nichterfüllten gegenseitigen Vertrages gem. § 320 BGB seitens der M nicht durchsetzbar ist.
Hierfür müsste M überhaupt erst ein Zurückbehaltungsrecht einmal zustehen.
Kein Zurückbehaltungsrecht ohne vorherige Mängelanzeige
Der BGH entschied in diesem Urteil, dass ein Zurückbehaltungsrecht der M an Mietzahlungen aus § 320 BGB, welche sie für einen Zeitraum vor der Anzeige des – dem Vermieter nicht bekannten -Schimmelpilzbefalls der Wohnung schuldet, ausscheide.
Sinn und Zweck des Zurückbehaltungsrechts
Sinn und Zweck des Zurückbehaltungsrechts sei es nämlich, auf den Schuldner (hier den V) Druck zur Erfüllung der eigenen Verbindlichkeit (hier die Mängelbeseitigung) auszuüben. Solange dem Vermieter ein Mangel aber nicht bekannt sei, könne das Zurückbehaltungsrecht die ihm zukommende Funktion nicht erfüllen. Ein Zurückbehaltungsrecht des Mieters bestehe daher erst an den nach der Anzeige des Mangels fällig werdenden Mieten.
Ergebnis: Mithin hat V einen Anspruch gegen M auf Räumung und Herausgabe der Wohnung aus §§ 546 Abs. 1, 549 Abs. 1 BGB.
Quelle: Pressemitteilung des BGH
Kleine Ergänzung:
Das Zurückbehaltungsrecht nach § 320 BGB darf hierbei nicht mit der Mietminderung gem. 536 BGB verwechselt werden. Die Minderung bedarf keiner vorherigen Anzeige gegenüber dem Vermieter.
Okay – und wie war das nochmal mit der Mietminderung? Eine Minderungserklärung ist ja seit der Reform nicht mehr erforderlich. Hatte der Vermieter denn wegen des erheblichen Mangels überhaupt einen Mietanspruch, der zur Kündigung berechtigte? Das wäre ja unter „Anspruch erloschen“ noch zu prüfen, oder?
Ja. Die Entscheidung liegt ja im Volltext noch nicht vor. Ich vermute, die Minderung reicht nicht aus, um den Kündigungsgrund entfallen zu lassen (Zahlungsverzug wird also wahrscheinlich trotz Minderung einen „nicht unerheblichen Teil“ der Miete betragen). Dogmatisch bin ich mir nicht sicher, ob die Minderung unter „Anspruch erloschen“ oder „Anspruch entstanden“ fällt. Man könnte meinen, für „Mängelmonate“ entsteht der Mietzahlungsanspruch garnicht in voller Höhe, da sich die Miete ja de jure reduziert.
Ferner spielt dann noch § 536c BGB mit rein, wonach den Mieter eine Mängelanzeigepflicht und bei Verletzung eine Schadensersatzpflicht trifft. Das heißt: Zwar tritt die Minderung immer automatisch ein, unterlässt der Mieter aber die Mängelanzeige, so muss er den dadurch entstandenen Schaden ersetzen. Dieser kann wiederum im Minderungsbetrag gesehen werden, wenn der Vermieter den Mangel bei ordnungsgemäßer Anzeige frühzeitig hätte beseitigen und damit ab dann wieder die volle Miete verdienen können.
Oder?
Danke für Eure Kommentare.
Im Sachverhalt der BGH Pressemitteilung war von einer Mietminderung nicht die Rede. Deswegen hatte ich diese hier in diesem Artikel auch nicht erwähnt. Für den Fall, dass der Sachverhalt auch über die Möglichkeit einer Mietminderung spricht, würde die Lösung m.E. nach wie folgt aussehen:
Voraussetzung für die außerordentliche Kündigung ist das Bestehen eines wichtigen Grundes.
Hier Zahlungsverzug, §§ 543 Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 3 lit.a, 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB.
M hat für zwei aufeinander folgende Termine keine Miete entrichtet.
Fraglich ist jedoch, ob dem V zum Zeitpunkt der Kündigung überhaupt ein fälliger, durchsetzbarer Anspruch zustand, § 286 Abs. 1 BGB.
Fälligkeit: Gem. § 556b Abs. 1 S. 1 BGB spätestens am dritten Werktag -> Fälligkeit daher grds. (+)
Jedoch möglicherweise Recht des M zur Minderung gem. § 536 Abs. 1 S. 1 BGB?
Hier Mangel (+)
Rechtsfolge der Minderung nach § 536 Abs. 1 ist Kürzung des Anspruchs auf Miete
(P) Rechtzeitige Anzeige des Mangels gem. § 536c Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S.2 Nr. 1 BGB erfolgt?
Hier (-)
Zwischenergebnis: Mietminderung gem. § 536 Abs. 1 S. 1 BGB (-)
Zwischenergebnis: Bestehen eines wichtigen Grundes (+)
Danach dann weiter prüfen, ob Anspruch durchsetzbar ist.
Bei allem Respekt, das ist falsch. Deine Lösung berücksichtigt nicht, dass die Mängelanzeige nach § 536c BGB für die Rechtsfolge des § 536 BGB nicht (!) erforderlich ist. Das Minderungs-„Recht“ gibt es seit der Mietrechtsreform von 2001 nicht mehr, die Minderung tritt, wie ct schon sagte, ipso iure ein (anders in § 441 BGB). Vgl. MüKo-BGB/Häublein, § 536 Rn. 27. Deshalb ist die Minderung in der Klausur auch unabhängig davon zu prüfen, ob der Sachverhalt einen entsprechenden Vortrag des Mieters enthält!
Hmm okay, bein nochmaligem Lesen des § 536c II 2 Nr. 1 BGB ist deine Lösung zwar richtig, von einem „Minderungsrecht“ und einem „Sachverhaltshinweis“ zu sprechen ist aber m.E. dennoch verboten und hat mich auf den falschen Pfad gebracht.
Bezieht sich das Urteil auch auf Genossenschaftswohnungen.Wo die Bewohner ja Nutzer und keine Mieter sind?