BGH: Sicherungsverwahrung bis Inkrafttreten einer verfassungskonformen Regelung nur eingeschränkt möglich
Die Sicherungsverwahrung: Eine unendliche Geschichte
Nachdem die (nachträgliche) Sicherungsverwahrung vom EGMR (Urteil vom 17.12.2009, Az.:19359/04) für menschenrechtswidrig erklärt wurde (s. hier), hatte sich der Gesetzgeber für eine Reform entschieden, die zum 1.1.2011 in Kraft getreten ist. Diese Reform sah eine Streichung der nachträglichen Sicherungsverwahrung (§ 66b StGB), eine Ausweitung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung (§ 66a StGB) und eine Beschränkung der normalen Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) auf schwere Gewalt- und Sexualdelikte vor. Auch diese Regelung ist jedoch grundrechtswidrig, wie schließlich auch das BVerfG (Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09, NJW 2011, 1931) bestätigte. Die Verfassungsrichter gaben damit ihre ursprüngliche Haltung (s. hier) auf und schlossen sich der Interpretation des EGMR an.
Übergangslösung des BVerfG
Bis nun also endlich eine verfassungskonforme Regelung geschaffen wird, hat das BVerfG eine Übergangslösung geschaffen. Die Karlsruher Richter entschieden:
1. In den sog. Altfällen, in denen die Unterbringung der Sicherungsverwahrten über die frühere Zehnjahresfrist hinaus fortdauert sowie in den Fällen der nachträglichen Sicherungsverwahrung darf die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung bzw. deren Fortdauer nur noch angeordnet werden, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung im Sinne von § 1 Absatz 1 Nr. 1 des Therapieunterbringungsgesetzes (ThUG) leidet. Die Vollstreckungsgerichte haben unverzüglich das Vorliegen dieser Voraussetzungen der Fortdauer der Sicherungsverwahrung zu prüfen und anderenfalls die Freilassung der betroffenen Sicherungsverwahrten spätestens zum 31. Dezember 2011 anzuordnen.
2. Die übrigen Vorschriften über die Anordnung und Dauer der Sicherungsverwahrung dürfen während der Übergangszeit nur nach Maßgabe einer strikten Prüfung der Verhältnismäßigkeit angewandt werden, die in der Regel nur gewahrt ist, wenn die Gefahr künftiger schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten des Betroffenen besteht.
Das neue Urteil des BGHSt
Daran anknüpfend hat nun der BGHSt (Urteil vom 19. Oktober 2011 – 2 StR 305/11) entschieden, dass diese strengen Vorgaben bei einem Serienbankräuber nicht erfüllt sind. Für die Beurteilung komme es nicht auf die Bezeichnung des gesetzlichen Tatbestandes als „schwerer Raub“ an, sondern darauf, ob konkrete Gefahren einer Verletzung der Rechtsgüter Leib, Leben oder sexuelle Selbstbestimmung gegeben seien. Gefahren für Vermögen oder Eigentum würden hingegen nicht ausreichen; ebenso wenig bloße Beeinträchtigungen der psychischen Befindlichkeit oder der Freiheit der Willensbetätigung. Eine Drohung mit Gewalt gegen Leib oder Leben sei nach diesem für die vorübergehende Fortgeltung der verfassungswidrigen Norm besonders strengen Maßstab nur dann als „schwere Gewalttat“ anzusehen, wenn objektiv die Gefahr körperlicher Gewalteinwirkung bestehe oder der Täter diese Möglichkeit einkalkuliere (so der BGHSt in der Pressemitteilung Nr. 166/2011).
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