BGH: Neues aus Karlsruhe
Eine Reihe von BGH-Entscheidungen in Zivilsachen aus den letzten Tagen weisen eine mehr oder minder hohe Examensrelevanz auf, weshalb ich sie hier kurz vorstellen möchte:
Produzentenhaftung – „Airbag-Fall“
Bereits vom 16.6.2009 datiert eine neue Entscheidung des BGH zur Produzentenhaftung eines Fahrzeugherstellers für Schäden, die durch einen fehlerhaften Airbag verursacht wurden. Die Entscheidungsgründe liegen jetzt vor, das Urteil ist für die amtliche Sammlung vorgesehen und steht in einer Reihe mit Entscheidungen wie „Hühnerpest“, „Honda“, „Wasserflasche“ oder „Milupa“. Sehr schön differenziert die Revisionserwiderung der Beklagten nach möglichen Fehlern bei der Konstruktion, Produktion, Instukrion und Produktbeobachtung, lehnt diese aber natürlich ab. Nachdem der 6. Senat einige Vorfragen zu möglichen Ansprüchen aus dem Produkthaftungsgesetz klärt, die (auch) mit dem intertemporalen Recht zu tun haben. Sodann legt der Vi. Senat dar, dass der Fehlerbegriff des Produkthaftungsgesetzes mit dem der deliktischen Produzentenhaftung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB identisch sei. Kern des Urteils ist die Frage, ob ein Konstruktionsfehler vorlag, weil der Hersteller aus wirtschaftlichen Gründen nicht alle technisch möglichen Maßnahmen ausgeschöpft hatte. Der BGH meint, die „Möglichkeit der Gefahrvermeidung [sei] gegeben, wenn nach gesichertem Fachwissen der einschlägigen Fachkreise praktisch einsatzfähige Lösungen zur Verfügung stehen.“ Der Hersteller sei aber „nicht dazu verpflichtet, solche Sicherheitskonzepte umzusetzen, die bisher nur „auf dem Reißbrett erarbeitet“ oder noch in der Erprobung befindlich sind.“ Auf den Einwand, die im konkreten Fall möglichen Maßnahmen seien unwirtschaftlich, reagiert der VI. Senat mit einer Einzelfallabwägung. Jedenfalls dort, wo Leib und Leben bedroht seien, müsse man an den Hersteller hohe Anforderungen stellen. In der sache handelt es sich um eine Kosten-Nutzen-Rechnung.
Abschließend wendet sich der BGH einer Haftung wegen eines möglichen Instruktionsfehlers zu. Auch hier betont er zunächst den Gleichlauf von ProdhaftG und § 823 Abs. 1 BGB. Im zu entscheidenden Fall hatte der Hersteller bereits früher Fahrzeuge zur Nachbesserung zurückgerufen. Der VI. Senat sah sich allerdings gezwungen, die Sache zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Examensrelevanz: Sehr hoch
Fundstelle: BGH, Urteil vom 16. Juni 2009 – VI ZR 107/08, www.bundesgerichtshof.de
Verbraucherbegriff – Freiberufler und gemischte Tätigkeit
In einer Pressemitteilung vom 30.9.2009 (Nr. 200/2009) liest man von einer weiteren examensrelevanten Entscheidung, deren Gründe noch nicht vorliegen. Es geht dabei um den Verbraucherbegriff des § 13 BGB. Eine Anwältin – Freiberuflerin – erwarb über das Internet einige Lampen. Als Lieferadresse gab sie die einer Kanzlei an, nannte ihren Namen aber ohne Namenszusatz. Später wollte sie den Kaufvertrag nach § 355 Abs. 1, § 312d Abs. 1, § 312b Abs. 1 BGB widerrufen. Fraglich war nur, ob die Anwältin Verbraucherin i.S.d. § 13 BGB war. Der VIII. Senat führt dazu in der Pressemitteilung aus: „Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass eine natürliche Person, die – wie die Klägerin – sowohl als Verbraucher (§ 13 BGB) als auch in ihrer freiberuflichen Tätigkeit als Unternehmer (§ 14 BGB) am Rechtsverkehr teilnimmt, im konkreten rechtsgeschäftlichen Handeln lediglich dann nicht als Verbraucher anzusehen ist, wenn dieses Handeln eindeutig und zweifelsfrei ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit zugeordnet werden kann. Dies ist zum einen dann der Fall, wenn das in Rede stehende Rechtsgeschäft objektiv in Ausübung der gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit der natürlichen Person abgeschlossen wird (§ 14 BGB). Darüber hinaus ist rechtsgeschäftliches Handeln nur dann der unternehmerischen Tätigkeit der natürlichen Person zuzuordnen, wenn sie dies ihrem Vertragspartner durch ihr Verhalten unter den konkreten Umständen des Einzelfalls zweifelsfrei zu erkennen gegeben hat.“ Im konkreten Fall wurde die Anwältin als Verbraucherin eingestuft.
Examensrelevanz: Sehr hoch
Fundstelle: BGH, Urteil vom 30. September 2009 – VIII ZR 7/09, n.v.
Mietrecht – Kein Anspruch auf „Mietschuldenfreiheitsbescheinigung“ gegen ehemaligen Vermieter
Der Sachverhalt der Pressemitteilung Nr. 199/2009 ist schnell erzählt: Ein Mieter wechselte die Wohnung, der neue Vermieter verlangte eine „Mietschuldenfreiheitsbescheinigung“. Der ehemalige Vermieter weigerte sich, diese dem Mieter auszustellen. Zu Recht? Anspruch hat der Mieter auf eine Quittung, § 368 BGB. Diese stellte der ehemalige Vermieter auch aus. Doch der Mieter wollte mehr. Hatte er Anspruch auf eine „Mietschuldenfreiheitsbescheinigung“? Mögliche Anspruchgrundlage sind §§ 535, 241 Abs. 2 BGB und ein gewohnheitsrechtlicher Anspruch. Dazu der VIII. Zivilsenat: „Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein Anspruch auf Erteilung der begehrten „Mietschuldenfreiheitsbescheinigung“ nicht besteht. Der Mietvertrag der Parteien enthält hierzu keine Regelung. Eine solche Verpflichtung besteht auch nicht als mietvertragliche Nebenpflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB. Eine Verpflichtung zur Auskunft über das Bestehen oder Nichtbestehen von Mietschulden würde voraussetzen, dass der Mieter über Art und Umfang seiner Mietverbindlichkeiten im Ungewissen ist. Hieran fehlt es, weil der Mieter – wie hier die Kläger – unter Zuhilfenahme eigener Zahlungsbelege sowie der von dem Vermieter gemäß § 368 BGB geschuldeten und erteilten Quittungen über die von dem Mieter geleisteten Zahlungen ohne weiteres feststellen kann, ob alle mietvertraglich geschuldeten Zahlungen geleistet sind, und auch in der Lage ist, die Erfüllung seiner aus dem Mietvertrag folgenden Zahlungsverpflichtungen zu belegen. Die Abgabe einer in ihren Wirkungen unter Umständen weiter reichenden Erklärung kann einem Vermieter hingegen schon wegen einer möglichen Gefährdung eigener Rechtspositionen nicht zugemutet werden. Denn es erscheint nicht fern liegend, dass eine solche Bescheinigung auch als Ausgleichsquittung angesehen werden könnte, durch die der Vermieter auf alle eventuell noch bestehenden Ansprüche gegen den Mieter verzichten würde, oder dass darin ein „Zeugnis gegen sich selbst“ liegt, das für ihn beweisrechtlich nachteilig wäre, falls nachträglich noch Streit über den Bestand oder die Erfüllung von Mietforderungen entstehen sollte. Auch eine allgemeine Pflicht zur Ausstellung einer solchen Bescheinigung wegen einer dahin entstandenen Verkehrssitte war im zu entscheidenden Fall nicht anzunehmen. Das Berufungsgericht hatte eine solche Verkehrssitte nicht festgestellt. Das Vorbringen der Kläger, wonach ein Vermieter in Dresden mit einem Bestand von 42.000 Wohnungen von jedem neuen Mietinteressenten die Beibringung einer „Mietschuldenfreiheitsbescheinigung“ verlangt, reicht für die Annahme einer solche Verkehrssitte nicht aus, da diese voraussetzt, dass sich innerhalb aller beteiligten Kreise und nicht nur eines Teiles, sei er auch quantitativ erheblich, dazu eine einheitliche Praxis durchgesetzt hat.“
Examensrelevanz: Medium
Fundstelle: Urteil vom 30. September 2009 – VIII ZR 238/08, n.v.
Zwei gute Anmerkungen und Erläuterungen zum Airbag-Fall mit Downloadmöglichkeit unter:
https://www.notar-helmig.de/de/aktuelles.html
und ebenfalls dort unter Publikationen. Reinschauen lohnt auf jeden Fall!
Viel Spaß bei der Examensvorbereitung!