BGH: Nicht am Tatort anwesend – und trotzdem Täter!
BGH: Nicht am Tatort anwesend – und trotzdem Täter!
Der BGH hat vor kurzem in einem Beschluss (v. 5.6.2012) die Verurteilung eines Drahtziehers, der nicht bei der eigentlichen Tatbegehung dabei war, aber in der Nähe wartete und das Fluchtauto fuhr, als Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB) bestätigt. Der Fall eignet sich m.E. ideal für die mündliche Prüfung – er bietet einen spannenden Hintergrund und erlaubt das Abprüfen von Standardwissen um Täterschaft und Teilnahme. Gerade weil es um eine klassische Frage – „Tatherrschaft“ – geht, die andererseits haupsächlich Wertungsfrage ist und daher Argumentation erfordert, eignet sich der Fall gut für die mündliche Prüfung. Andererseits sollte für den Kandidaten das Ergebnis – Mittäter – klar sein.
Sachverhalt (nach BGH Pressemitteilung)
Aufgrund von Hinweisen eines Tippgebers organisierte der 31jährige Angeklagte einen Überfall auf ein im Hotel Grand Hyatt in Berlin stattfindendes Pokerturnier. Entsprechend seiner Planung stürmten vier junge Mittäter am Nachmittag des 6. März 2010 mit einer Schreckschusspistole und einer Machete bewaffnet den Spielsaal und erbeuteten trotz Gegenwehr der nicht bewaffneten Wachleute, die hierbei verletzt wurden, rund 241.000 €, wobei die Täter bei ihrer Flucht weitere 449.000 € verloren hatten. Sie wurden vom Angeklagten, der in seinem Pkw in der Nähe wartete, vom Tatort weggefahren. Von dem erbeuteten Geld haben die Täter nach ihrer Verhaftung 26.000 € zurückgegeben. Der Verbleib des restlichen Geldes konnte nicht geklärt werden.
Der Angeklagte wurde vom Landgericht Berlin nach einer fast 16 Monate andauernden Hauptverhandlung wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und vier Monaten verurteilt.
Der Sachverhalt beruht auf der Pressemitteilung des BGH.
Täter ohne Tatherrschaft?
Der BGH hat die Revision des Täters ohne Begründung durch Beschluss verworfen. Die rechtliche Lösung des Falles ist also nicht innovativ, sondern es kommt auf das Verständnis der verschiedenen Theorien zur Täterschaft an, weshalb sich der Fall ideal für die mündliche Prüfung eignet.
I. Täterwille und Tatherrschaft
1. Die Rspr.: Täterwille gefolgert aus objektiven Kriterien (d.h. Tatherrschaft)
Nach der klassischen Linie der Rechtsprechung ist Täter, wer Täterwillen hat (animus auctoris). Den hat, wer die Tat als eigene will. Gehilfe ist dagegen, wer zwar einen Beitrag leistet, aber die Tat „als fremde“ will, d.h. wer sich dem Willen des Täters unterwirft (animus socii).
Ursprünglich war diese Abgrenzung der Rechtsprechung rein subjektiv, d.h. es kam tatsächlich nur auf den Willen des Täters an. Dies konnte so weit gehen, dass der Täter keinen eigenen Tatbeitrag leisten musste. Seinen Hintergrund hatte diese extrem subjektive Sichtweise darin, dass man damals noch keine Einschränkung von Tatbeiträgen im Rahmen der objektiven Zurechnung vornahm. Nach der reinen Äquivalenztheorie war damit jeder noch so kleine Tatbeitrag gleichermaßen kausal, so dass stets eine Täterstrafbarkeit selbst für Gehilfenhandlungen drohte (vgl. Beck OK-StGB/Kudlich, § 25 Rn. 12). Diese wurde dann wieder eingefangen durch die Möglichkeit, dem Gehilfen den Täterwillen abzusprechen.
Heute wiederholt die Rechtsprechung die Formel „wer die Tat als eigene will“ / „wer die Tat als fremde will“ zwar noch, stellt den Willen dann aber an Hand objektiver Kriterien fest. Vgl. etwa für die Mittäterschaft BGH NJW 1999, 3131, 3132:
„Mittäter ist gem. § 25 Absatz II StGB, wer aufgrund gemeinschaftlichen Tatentschlusses seinen Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und denjenigen des anderen als Ergänzung seines Tatbeitrags will (BGHSt 37, 289, 291 = NJW 1991, 1068; BGHSt 40, 299, S. 301 = NJW 1995, 142). Die Annahme von Mittäterschaft ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH in wertender Betrachtung der festgestellten Tatsachen zu prüfen. Dafür ist
- der Grad des eigenen Interesses an der Tat,
- der Umfang der Tatbeteiligung und
- die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zu ihr maßgeblich (BGH, NStZ 1982, 243; NStZ 1990, 130;BGHR StGB § 25 II Mittäter 26).“ (Aufgliederung der Prüfungspunkte und Aufzählungszeichen vom Autor eingefügt).
Die Tatherrschaft ergibt sich dabei insbesondere aus der Bedeutung der Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschehens (BGH NJW 2007, 1220; BGH NStZ 2006, 577; BGH NStZ-RR 2007, 58; NStZ-RR 2007, 320, BGH NStZ-RR 2008, 152; BGH NStZ-RR 2009, 254).
2. Die Literatur: (Objektive) Tatherrschaft
Die Rechtsprechung nähert sich damit sehr stark der Literatur an, die heute ganz herrschend vertritt, dass es nicht auf den (subjektiven) Täterwillen, sondern (ausschließlich oder jedenfalls hauptsächlich) auf die objektive Tatherrschaft ankommt. Wer Tatherrschaft hat, ist Täter, ansonsten sind Beteiligte lediglich Teilnehmer.
Täter ist danach, wer die Tat beherrscht, das Tatgeschehen damit „in den Händen hält“, über „ob“ und „wie“ der Tat maßgeblich entscheidet, mithin als „Zentralgestalt des Geschehens“ bei der Tatbestandsverwirklichung fungiert (grundlegend Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 7. Aufl. 19999, S. 25).
Im Einzelnen ist hier aber vieles wieder umstritten. Zunächst ist unklar, inwiefern bei der Feststellung der Tatherrschaft subjektive Elemente Berücksichtigung finden können – einige verstehen die Tatherrschaft rein objektiv, andere eine finale Tatherrschaft unter Einbeziehung subjektiver Elemente, also ein vom Vorsatz umfasstes In-den-Händen-Halten des tatbestandlichen Geschehensablaufs (vgl. Beck OK-StGB/Kudlich, § 25 Rn. 13).
Herrschend ist wohl eine Gesamtbetrachtung, die subjektive und objektive Elemente kombiniert, aber primär auf das objektive Geschehen abstellt. Auch soweit man eine rein objektive Betrachtung fordert, folgt aus §§ 15, 16 Abs. 1 S. 1 StGB, dass der Täter Kenntnis der Umstände haben muss, die ihn objektiv zum Täter machen.
Zu berücksichtigen ist auch, dass Tatherrschaft – je nach der sich konkret stellenden Abgrenzungsfrage – unterschiedlich zu verstehen ist – für die Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und Anstiftung gelten im Detail etwas andere Kriterien als für die Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe (vgl. Schönke/Schröder-Heine, StGB, § 25 Rn. 69ff.).
Auf diese Fragen kommt es aber in der mündlichen Prüfung nicht an. Wichtig ist nur, die großen Linien – Tatherrschaft (hauptsächlich objektiv) und Täterwillen (vordergründig subjektiv) – zu kennen und diese anwenden zu können. Ein Übermaß an Detailwissen ist für die Diskussion sogar eher hinderlich.
3. Verbleibende Unterschiede?
Wie gesagt hat sich die Rechtsprechung der Literatur im Ergebnis wesentlich angenährt, indem sie den Täterwillen aus denselben (hauptsächlich objektiven) Kriterien folgert, welche die Literatur zur Herleitung der Tatherrschaft verwendet. Zum Teil wird in manchen Urteilen sogar auf die „vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft“ abgestellt (vgl etwa BGHSt 35, 347, 353 = NJW 1989, 912, 914 = NStZ 1989, 176, 177; BGH NJW 1999, 2449; BGHSt 47, 383, 385 = NJW 2002, 3788; BGH NStZ-RR 2003, 253). Für die Mehrzahl der Fälle kommen Literatur und Rechtsprechung zu dem gleichen Ergebnis. Dabei neigt die Rechtsprechung bei der Abgrenzung zwischen mittelbarer Täterschaft und Anstiftung eher zur Verwendung der Tatherrschaftslehre, während die Rspr. bei der Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe häufiger auch die subjektive Seite betont (vgl. Beck OK-StGB/Kudlich, § 25 Rn. 15.1)
4. Notwendigkeit des Beitrages im Ausführungsstadium?
Es verbleiben aber Fälle, in denen die beiden Theorien jedenfalls tendenziell zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen und vor allem eine unterschiedliche Argumentation angezeigt ist.
Ein Klassiker dieser Fälle ist die Frage, inwieweit Beiträge im Vorfeld der Tatbegehung einbezogen werden können. Das ist relevant etwa für die Täterschaft des „Bandenchefs“, der nicht selbst am Tatort anwesend ist.
Die Rechtssprechung hat hier kein prinzipielles Problem. Täterwillen erfordert keine tatsächliche Ausführungsherrschaft, diese dient nur dazu, um den Täterwillen zu ermitteln. Sie hatte daher auf der Grundlage ihrer damals noch deutlicher subjektiven Sichtweise wenig Schwierigkeiten, den „Bandenchef“ oder Organisator eines Diebesunternehmens, der, ohne Anwesenheit bei der Tatdurchführung, im Vorbereitungsstadium die Tat insgesamt wesentlich mitgestaltet hat, als Mittäter einzuordnen:
„Der Angekl. handelte mit Täterwillen. Er hatte den Plan zur Verübung von Viehweidediebstählen ausgearbeitet und stellte die Transportmittel zur Verfügung; er besaß die Möglichkeit der Verwertung der Beute und zahlte den Zeugen ihren Anteil am Erlös aus. Damit war der Angekl. der Kopf der Bande; er war mithin Dieb und damit Vortäter nach § 259 StGB, konnte also insoweit nicht Hehler sein.“ (BGH NJW 1985, 502).
Man beachte aber auch insofern, dass sich subjektive und objektive Elemente (wie der Einfluss des Plans auf die Tatbegehung) vermischen. Letztlich stellt die Rechtsprechung heute im Wesentlichen darauf ab, wie bedeutend die Vorarbeiten des Organisators für das Geschehen im Endeffekt waren. Dabei kommt es sowohl auf den Tatplan an wie auch auf das, was sich dann tatsächlich abgespielt hat (dazu noch unten).
Für die Tatherrschaftslehre ist die Argumentation schwieriger.
Versteht man Tatherrschaft als (Mit-)Herrschaft über das Ausführungsstadium der Tat (so ewa Roxin, Strafrecht AT, Bd. 2, 2003, S. 81f. m.w.N.), so gerät man beim Bandenchef in Schwierigkeiten. Denn soweit er nicht mit den anderen Tätern in Verbindung steht, kann er das Geschehen während des Ausführungsstadiums nicht beeinflussen. Somit fehlt es grundsätzlich an einer Herrschaft über das Ausführungsstadium (anders bspw. nach Roxin, wenn der Chef telefonisch oder sonst wie in Kontakt mit den Tätern steht).
Davon abzugrenzen ist allerdings, dass auch diese Ansicht keine Beteiligung unmittelbar bei der tatbestandsmäßigen Handlung selbst erfordert. Schließlich werden nach § 25 Abs. 2 StGB allen Mittätern die Handlungen der anderen und damit auch deren tatbestandsmäßiges Handeln zugerechnet. Entscheidend ist vielmehr, welche Bedeutung die Beteiligung des Täters bei der Tatbegehung als solche hat. Hier kommt es vor allem auf den Tatplan an: Nehmen Räuber etwa zwei Experten für Schusswaffen mit, die für den Fall bereitgehalten werden, dass sich Widerstand zeigt, und halten sie deren Beteiligung insgesamt für notwendig für das Gelingen des Tatplans, so haben auch diese Tatherrschaft, selbst wenn ihre Dienste im Ergebnis nicht gebraucht werden. Ähnliches kann gelten, wenn etwa einer der Täter an einem anderen Ort ein als entscheidend eingestuftes Ablenkungsmanöver startet, ohne das die Tatbegehung der anderen nicht funktionieren kann. Ein schönes Beispiel wird auch von Schönke/Schröder-Heine, StGB § 25 Rn. 69 nach Roxin gegeben: Beteiligt sich z.B. ein Sprengstoffspezialist an einem Bankeinbruch, um eingreifen zu können, wenn es nicht gelingt, den Tresor mit einem Nachschlüssel zu öffnen, so ist er Mittäter, auch wenn er selbst nicht eingreifen musste.
Insgesamt kommt es immer auf die Bedeutung und den Einfluss des Tatbeitrages bei der aktuellen Ausführung der Tat an. In erster Linie richtet sich dessen Bedeutung nach dem Tatplan, aber die h.M. bezieht in einer Gesamtbetrachtung auch den tatsächlichen Geschehensablauf mit ein.
Das ist der Unterschied zur früheren formal-objektiven Theorie, welche nur darauf abstellte, ob der Täter tatbestandsmäßige Handlungen selbst vornahm.
Die (überwiegende) Gegenansicht lässt es dagegen genügen, wenn der Tatbeitrag die Ausführung der Tat insgesamt (mit-)bestimmt, auch wenn er im Vorbereitungsstadium erbracht wurde. Begründet wird dies mit der großen faktischen und normativen Bedeutung von Organisation und Planung. Stehen Plan und Organisation, sind die einzelnen Rollen im Rahmen allseits bewusster Tatkoordination zugewiesen und akzeptiert, so „rollt die Ausführung fast von alleine“ (Schönke/Schröder-Heine, StGB, § 25 Rn. 83 unter Berufung auf Kühl 20/111).
Jedenfalls ausreichend ist aber ein Tatbeitrag bei oder unmittelbar nach der Tatbegehung wie das Fahren eines Fluchtautos.
II. Anwendung auf den Fall
1. BGH: Täterwille gefolgert aus den objektivem Umständen
Im Fall des BGH würde man mit der Rechtsprechung recht leicht zu einer Mittäterschaft kommen.
- Der Täter hatte ein eigenes Interesse an der Tat, er erhielt einen hohen Anteil der Beute.
- Er hat die Tat vorgeschlagen und den Geschehensablauf geplant und er wurde nach seinen Vorgaben umgesetzt.
- Zu beachten ist insofern auch, dass der deutlich älter war als die anderen Mittäter, die daher durchaus als seine „Gehilfen“ in der Ausführung aufgetreten sind.
- Schließlich hat er auch einen eigenen Beitrag durch das Fahren des Fluchtautos erbracht. Dieser erfolgte zwar nach Vollendung, aber vor Beendigung der Tat. Leider ist nicht bekannt, welche Bedeutung diesem Aspekt von den Mittätern beigemessen wurde. Hielt man das Fahren des Fluchautos jedoch für entscheidend für das Geschehen (was sehr wahrscheinlich der Fall war bei dem recht brutalen und sehr auffällig durchgeführten Überfall), liegt schon deshalb Mittäterschaft vor (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 139).
2. Literatur: Tatherrschaft (+/-)
Auch aus Sicht der Literatur wird man Tatherrschaft annehmen können.
Nach allen Ansichten wäre das der Fall, wenn das Fahren des Fluchtautos alleine ausreicht, um Tatherrschaft bejahen zu können. Das wird in dem Fall wohl nahe liegen.
Ansonsten muss man differenzieren: Soweit ein tatsächlicher Einfluss im Ausführungsstadium gefordert wird, muss man die Planung außen vor lassen, da sie keine aktuelle Einflussnahme bei der Tatbegehung erlaubt. Daher kann man, wenn man gleichzeitig das Fahren des Fluchtautos für unzureichend hält, Tatherrschaft und damit eine Mittäterschaft verneinen.
Die hL dagegen bezieht auch die Organisationsleistung mit ein. Damit würde sie wohl mit einer vergleichbaren Argumentation wie die Rspr. zu Tatherrschaft kommen. Einziger argumentativer Unterschied ist, dass der Obersatz nicht „Täterwille gefolgert aus Tatherrschaft“ ist, sondern direkt in die Prüfung der Tatherrschaft eingestiegen wird.
Folgender Satz im zweiten Absatz ist merkwürdig:
„…und erbeuteten trotz Gegenwehr der nicht bewaffneten Wachleute, die hierbei verletzt wurden, rund 241.000 €, wobei die Täter bei ihrer Flucht weitere 449.000 € verloren hatten.“
Die Täter erbeuten erst 241.000 € und VERLIEREN dann bei ihrer Flucht WEITERE 449.000 €? Habe ich ein Brett vor dem Kopf? Ich kann die Logik nicht erkennen…
Ich bin über den Satz auch zunächst gestolpert… Wahrscheinlich unglücklich formuliert…. dachte mir aber dann, dass die Täter ca. 700.000€ erbeuteten, wobei letztlich nur 241.000€ nach der Flucht übrig blieben, weil sie den Rest verloren hatten…
Eine andere Aufstellung der Beträge wäre da evt. hilfreich gewesen 😉
Das habe ich auch nicht ganz verstanden, stand aber so in der Pressemitteilung des BGH..