BGH: Neues zum Schadensersatz nach Verkehrsunfall – Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts
Wir freuen uns, einen Gastbeitrag von Yannik Beden veröffentlichen zu können. Der Autor ist Wissenschaftliche Hilfskraft und Doktorand am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Universität Bonn.
Schadensrechtliche Problemstellungen werden in Examensklausuren regelmäßig im Zusammenhang mit Straßenverkehrsunfällen behandelt. Mit Urteil vom 23. Mai 2017 – VI ZR 9/17 hat der BGH eine äußerst examensrelevante Entscheidung zur Frage der Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts unfallbeschädigter Taxis getroffen. Das Schadensersatzrecht gehört als Teil des allgemeinen Schuldrechts zu den Rechtsgebieten, bei denen Korrektoren vertieftes Wissen der Prüflinge voraussetzen. Eine eingehende Auseinandersetzung mit der hier besprochenen Entscheidung ist deshalb unerlässlich.
I. Sachverhalt
Der Entscheidung lag folgender (gekürzter) Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger – ein Taxiunternehmer aus NRW – nimmt die Beklagte auf Ersatz eines KFZ-Schadens aus einem Verkehrsunfall vom 5. August 2013 in Anspruch. Bei dem Unfall erlitt das Taxi des Klägers (Mercedes Benz E 200, Erstzulassung 1999, insgesamt 280.000 km Laufleistung) einen Schaden am Frontbereich. Die volle Haftung der Beklagten für den Unfallschaden ist zwischen den Parteien dem Grunde nach unstreitig.
Die geschätzten Reparaturkosten beliefen sich auf 4.590,18 €, während der Wiederbeschaffungswert eines vergleichbaren Fahrzeugs ohne Taxiausrüstung 2.800 € brutto betrug. Die zusätzlichen Kosten für eine Umrüstung eines Ersatzfahrzeugs zum Taxi waren 1.835,08 €. Der Kläger entschied sich zur Abrechnung anhand der fiktiven Ersatzbeschaffungskosten. Zwischen den Parteien war streitig, ob der Kläger über den Wiederbeschaffungswert eines vergleichbaren (serienmäßigen) Fahrzeugs hinaus auch die fiktiven Umrüstungskosten erstattet verlangen kann.
II. Rechtliche Vorüberlegungen
§ 249 Abs. 1 BGB statuiert, dass der Schaden im Grundsatz durch Herstellung eines gedachten schadensfreien Zustands auszugleichen ist sog. „reale Naturalerfüllung“. Aus § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ergibt sich, dass bei der Beschädigung einer Sache anstatt der realen Naturalerfüllung der dazu erforderliche Geldbetrag verlangt werden kann, sog. „rechnerische Naturalerfüllung“ [BeckOK/Flume, § 249 BGB Rn. 1]. Ist die Naturalrestitution unmöglich oder zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend, ist der Schädiger gem. § 251 Abs. 1 BGB zum Ersatz des Wertinteresses verpflichtet. Der maßgebliche Unterschied zwischen § 249 Abs. 1, 2 S. 1 BGB und § 251 Abs. 1 BGB besteht in der Methode der Wertermittlung: Während die Schadensrestitution nach § 249 BGB auf den Wiederbeschaffungswert abstellt, ist für die Schadenskompensation nach § 251 Abs. 1 BGB der Zeitwert der beschädigten Sache maßgeblich.
Problematisch ist die Naturalrestitution regelmäßig, wenn gebrauchte Sachen vollständig zerstört werden. Einer gebrauchten Sache haften in der Regel individuelle Eigenschaften an, sodass die Beschaffung eines identischen Ersatzgegenstands nicht vorstellbar ist. Fraglich ist jedoch, ob deshalb die Zerstörung einer gebrauchten Sache stets zur Unmöglichkeit der Naturalrestitution nach § 249 BGB führt. Hiergegen spricht bereits die Konzeption des Schadensersatzrechts: Das primäre Regelungsziel der §§ 249ff. BGB ist die Befriedigung des Integritätsinteresses des Geschädigten. Stellt man zu strenge Anforderungen an die Gleichartigkeit und Gleichwertigkeit der Ersatzsache, wäre § 249 Abs. 1 BGB in den meisten Fällen nicht anwendbar. Die Folge wäre dann, dass statt des Integritätsinteresses regelmäßig das Wertinteresse des Geschädigten befriedigt werden würde. Dieses Ergebnis ist mit der gesetzlichen Regelungssystematik nicht vereinbar und war vom Gesetzgeber wohl kaum gewollt. Nach der herrschenden Meinung reicht es deshalb für eine Naturalrestitution aus, dass der Schädiger einen Zustand herbeiführt, der einem (hypothetischen) schadensfreien Zustand möglichst nahe kommt [BGH, Urt. v. 8. 5. 2003 – IX ZR 334/01, juris; Staudinger/Schiemann (2004) Rn. 182; MüKo/Oetker, § 249 BGB Rn. 325 m.w.N.].
Streitig ist allerdings, wie groß die Abweichungen des herbeigeführten vom (fiktiven) schadensfreien Zustand sein dürfen. Dieser Streit spielt insbesondere – wie auch in diesem Fall – eine Rolle bei der Zerstörung von Gebrauchtwagen: Teile des Schrifttums vertreten die Auffassung, dass bei völliger Zerstörung eines gebrauchten KFZ eine Naturalrestitution denklogisch ausgeschlossen sei [Giesen, NJW 1979, 2065 (2066); Haug VersR 2000, 1329 (1333); MüKo/Oetker, § 251 BGB Rn. 10]. Eine ausschließliche wirtschaftliche Äquivalenz der Ersatzsache trage dem Integritätsinteresse des Geschädigten nicht ausreichend Rechnung; vielmehr seien aus Sicht des Gläubigers Marke, Modell, individuelle Ausstattung, Baujahr, Laufleistung usw. maßgeblich. Legt man die Messlatte für eine Restitution derart hoch, kommt regelmäßig nur eine Schadenskompensation nach § 251 Abs. 1 BGB – Ersatz des Zeitwerts – in Betracht.
Im Gegensatz hierzu geht der BGH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass für die Naturalrestitution eine Beschaffung eines (im Wesentlichen) wirtschaftlich gleichwertigen gebrauchten Ersatzfahrzeugs ausreicht [zuletzt BGH Urt. v. 23. 5. 2017 – VI ZR 9/17, juris]. Die Anforderungen der Rechtsprechung an die Gleichartigkeit – und Wertigkeit des Ersatzwagens sind also im Vergleich zur oben dargestellten Literaturmeinung deutlich geringer.
III. Problem: Ermittlung des Wiederbeschaffungsaufwands
Entscheidet sich der Geschädigte nun bei vollständiger Zerstörung seines KFZ dazu, die Naturalrestitution gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB durch Zahlung der Kosten für eine (fiktive) Ersatzbeschaffung eines gleichwertigen und gleichartigen Gebrauchtwagens vorzunehmen (rechnerische Naturalerfüllung), stellt sich die Frage nach der korrekten Ermittlung des Wiederbeschaffungsaufwands. Dieser wird vom BGH wie folgt definiert:
Wiederbeschaffungsaufwand = Wiederbeschaffungswert des Unfallwagens in unbeschädigtem Zustand – Restwert des beschädigten Fahrzeugs
Für die Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts kommt es dem BGH zufolge darauf an, welcher Preis auf dem Gebrauchtwagenmarkt für ein Fahrzeug, welches dem Unfallwagen entspricht, zu zahlen ist. Maßgeblich sei insofern die „wirtschaftliche Gleichwertigkeit der Ersatzbeschaffung unter objektiven Gesichtspunkten“. Auf bestimmte Ausstattungsmerkmale komme es nur dann an, wenn sie auf dem Markt objektiv werterhöhend wirken. Hier lag das zentrale Problem des Falles: Zwar gibt es einen Markt für gebrauchte Mercedes E 200, die eine mit dem Unfallwagen vergleichbare wirtschaftliche Wertigkeit aufweisen. In der Vorinstanz stellte das Berufungsgericht allerdings fest, dass es keinen Markt für gleichwertige Ersatzfahrzeuge mit Taxiausrüstung gibt. Ob der Taxiausrüstung – als individuelles Ausstattungsmerkmal – eine marktwerterhöhende Wirkung zukommt, ließ sich also mangels Existenz eines entsprechenden Markts nicht feststellen. Es stellte sich mithin die Frage, welche Auswirkungen die Taxiausrüstung des Unfallwagens auf die Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts hat.
IV. Lösung des BGH
Das Gericht hält an dem Erfordernis einer objektiven Marktwerterhöhung bei Sonderfunktionen und –ausstattungen fest. Allerdings sei auf der anderen Seite „gerade eine wirtschaftliche Gleichwertigkeit im Rahmen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung nur gegeben, wenn das Ersatzfahrzeug das beschädigte Fahrzeug in seiner konkreten, ihm vom Geschädigten in objektiv nachvollziehbarer Weise zugedachten und wirtschaftlich relevanten Funktion ersetzen kann.“
Konkret bedeutet das aus Sicht des BGH Folgendes: Fehlt es an der Existenz eines funktionierenden Markts für zu Taxis umgebaute PKW, sind die Mehrkosten für eine Umrüstung eines Gebrauchtwagens zum Taxi als zusätzlicher Rechnungsposten in die Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts mit einzubeziehen. Dieses Ergebnis mag erst einmal verwundern: Zum einen geht das Gericht im Grundsatz weiterhin vom Erfordernis einer objektiv marktwerterhöhenden Wirkung der Sonderausstattung aus. Zum anderen hat der BGH für die sog. „Oldtimer-Fälle“ entschieden, dass bei der Ermittlung des Marktwerts individuelle Ausstattungsmerkmale eines Oldtimers in der Regel mangels objektivierbaren wirtschaftlichen Werts unbeachtlich seien.
Bei Taxifahrzeugen gelangt das Gericht jedoch zu anderen Wertungsgesichtspunkten. So führt der 6. Senat aus:
„Bei der Umrüstung eines Gebrauchtwagens zu einem Taxi handelt es sich nämlich nicht um die bloße Übertragung individueller Ausstattungsmerkmale ohne objektivierbaren wirtschaftlichen Wert, sondern um den Einbau von durch Rechtsverordnung (§§ 25 ff. BOKraft) vorgeschriebenen besonderen Ausrüstungs- und Beschaffenheitselementen (§ 26 Abs. 1 BOKraft: Hell-elfenbeinfarbiger Anstrich, Taxischild). Ohne diese Elemente könnte das (fiktive) Ersatzfahrzeug das Unfallfahrzeug in dessen wesentlicher, gerade erwerbswirtschaftlich bedeutsamen Funktion nicht ersetzen, nachdem das für den Kläger maßgebliche Land Nordrhein-Westfalen von der Möglichkeit einer allgemeinen Ausnahme (§ 43 Abs. 1 BOKraft) von diesen Vorgaben keinen Gebrauch gemacht hat. Die Umrüstung macht die Naturalrestitution damit überhaupt erst möglich.“
Das Gericht kam somit zum Ergebnis, dass, wenn ein Markt für die Ersatzbeschaffung eines Gebrauchtwagens mit Taxiausrüstung nicht existiert, die (fiktiven) Umrüstungskosten für einen ansonsten gleichwertigen Ersatzwagen als zusätzlicher Posten bei der Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts zu berücksichtigen sind. Die Umrüstungskosten waren also vom Anspruch auf Naturalrestitution gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB umfasst.
V. Zusammenfassung
Die Entscheidung des BGH reiht sich nahtlos in die bisherige Rechtsprechung zur Naturalrestitution bei Beschädigung gebrauchter Kraftfahrzeuge ein. Der Streitstand sollte Examenskandidaten bekannt sein, weil er sich leicht mit Haftungsfragen aus dem StVG verbinden lässt. In der Klausur wird darüber hinaus von jedem Prüfling eine saubere Abgrenzung der Schadensrestitution (§ 249 BGB) zur Schadenskompensation (§ 251 BGB) erwartet.
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