BGH: Modifizierung des § 138 Abs. 1 BGB bei Internetauktion
Der BGH hat heute (28.03.2012) eine Pressemitteilung zu einer interessanten Entscheidung (VIII ZR 244/10 ) veröffentlicht.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Käufer kaufte bei e-bay ein „fast neues Handy (wurde nur zum ausprobieren ausgepackt)“ zum Preis von 782 €. Das Startgebot betrug 1€, der Wert des offerierten Handys lag hingegen bei 24.000€. Es stellte sich allerdings heraus, dass es sich bei dem Handy um eine nahezu wertlose Fälschung handelte, sodass der Kläger Schadensersatzansprüche geltend machte. Der Beklagte hielt dem entgegen, dass Vertrag bereits nach den Grundsätzen des wucherähnlichen Geschäfts unwirksam sei. Zudem steht aber einem Schadensersatzanspruch seiner Ansicht nach auch entgegen, dass keine Beschaffenheitsvereinbarung über ein Originalhandy geschlossen wurde.
Beide Argumente hat der BGH wie folgt verneint:
Ein wucherähnliches Geschäft nach § 138 Abs. 1 BGB liegt bei einem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung dann vor, wenn eine verwerfliche Gesinnung hinzutritt. Eine solche wird dann vermutet, wenn ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht. Dies liegt dann vor, wenn der wert der Leistung den der Gegenleistung um mindestens 100% übersteigt. Letzteres ist hier erfüllt. Bei Onlineauktionen ist allerdings Abweichendes geboten:
„Von einem solchen Beweisanzeichen kann bei einer Onlineauktion jedoch nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Denn die Situation einer Internetversteigerung unterscheidet sich grundlegend von den bisher entschiedenen Fällen, in denen sich in den Vertragsverhandlungen jeweils nur die Vertragsparteien gegenüberstanden.“
Zurecht wird hier die Vermutung der verwerflichen Gesinnung verneint, liegt doch eine andere Situation als beim „normalen“ Vertragsschluss vor. Es obliegt gerade dem Anbietenden einen angemessen Startbetrag festzulegen.
Ebenso lehnt es der BGH aber ab, den niedrigen Startpreis als Indiz für eine fehlende Beschaffenheitsvereinbarung bezüglich eines Originals zu sehen.
„Das Berufungsgericht verkennt, dass dem Startpreis angesichts der Besonderheiten einer Internetauktion im Hinblick auf den Wert des angebotenen Gegenstandes grundsätzlich kein Aussagegehalt zu entnehmen ist. Denn der bei Internetauktionen erzielbare Preis ist von dem Startpreis völlig unabhängig, da er aus den Maximalgeboten der Interessenten gebildet wird, so dass auch Artikel mit einem sehr geringen Startpreis einen hohen Endpreis erzielen können, wenn mehrere Bieter bereit sind, entsprechende Beträge für den Artikel zu zahlen.“
Die Besonderheiten einer Internetauktion führen gerade dazu, dass sich trotz niedriger Startpreise ein angemessener Endpreis ergibt. Insbesondere werden durch diese niedrigen Preise mehr Bieter zur Gebotsabgabe animiert. damit kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein nicht originales Telefon Vertragsgegenstand ist und damit ein Sachmangel (§ 434 Abs. 1 S. 1 BGB) ausscheidet.
Mit gleicher Argumentation wird zudem eine grobe Fahrlässigkeit des Käufers (§ 442 BGB verneint.
Examensrelevanz
Der Fall weist eine hohe Examensrelevanz auf: Schon in den nächsten Tagen könnte er sehr gut in mündlichen Prüfungen geprüft oder auch als Einstieg ins Mängelgewährleistungsrecht genutzt werden. In Kombination mit den letzten Urteilen zum Kauf bei e-bay lässt sich hieraus auch hervorragend eine Examensklausur zusammenstellen.
Aus diesem Grund ist auch noch auf unsere diesbezüglichen Artikel hierzu hinzuweisen:
Das muss §138 Abs.2 (Wucher) sein nicht Abs.1.(Sittenwidrigkeit)
Das Gesetz enthält in § 138 Abs. 2 BGB den Wuchertatbestand, bei dem eine besondere Schutzbedürftigkeit besteht und diese Lage ausgenutzt wird. Sind diese Voraussetzungen nicht einschlägig, kann auf § 138 Abs. 1 BGB zurückgegriffen werden, für den die Grundsätze des wucherähnlichen Geschäfts (die hier relevant sind) entwickelt wurden.
Welches ist denn die richtige Anspruchsgrundlage und worin besteht der Schaden? Ich kann der BGH PM nicht eindeutig entnehmen, ob die Sache übergeben wurde oder, ob die Annahme der Sache schon verweigert wurde, aber ich glaube es würde einen Unterschied machen!?
Was ist das besondere an der Entscheidung? Hat nicht das OLG Köln im berühmten „Rübenroder-Fall“ einen ähnlichen Fall entsprechend entschieden und der BGH bestätigt jetzt diese Rechtsprechung nur und gibt dem OLG Saarbrücken auf dieses Judikat beachten?
Ich glaube, der Anspruch wurde auf §§ 437 Nr.3, 280 I,III, 281 gestützt, also SE statt der Leistung. Dieser entspräche dann dem Differenzbetrag zwischen den gezahlten 782 € und dem obj. Wert des Handys.
Etwas verwundert hat mich aber, dass der BGH hier den Mangel auf § 434 I Nr.1 gestützt hat, also in der Eigenschaft „Plagiat“ eine negative Abweichung von der vereinbarten Beschaffenheit gesehen hat. Ich hätte – wenn man doch als Kaufsache ein „Originalhandy der Marke xy“ unterstellt – die Fälschung als ein aliud angesehen -> § 434 III.Ebenfalls komisch, dass als AGL nicht §§ 437 Nr.3, 311a II in Betracht gezogen hat. Denn dem Verkäufer war die Lieferung eines gebrauchten (!) Handys der versprochenen Bauart objektiv und von Anfang an unmöglich. Ungeachtet der Möglichkeit, ein Original zu kaufen und dann dem Käufer zu übereignen hätte V also SE zu zahlen.Hieraus könnte man sich m.E. nur winden, wenn man Unmöglichkeit damit ablehnt, dass es von K treuwidrig wäre, ein neu beschafftes Ersatzgerät abzulehnen.