BGH: Minderung des Reisepreises bei einer Kreuzfahrt
Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Pierre-André Brandt veröffentlichen zu können. Pierre hat in Bonn und Düsseldorf studiert und promoviert aktuell rechtsvergleichend zu einem gesellschaftsrechtlichen Thema an der Universität Düsseldorf. Nebenbei ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer Rechtsanwaltskanzlei in Düsseldorf tätig.
In einer aktuellen Entscheidung zum Reiserecht (BGH Urteil vom 14.05.2013 – X ZR 15/11) hatte sich der zuständige X. Zivilsenat des BGH, neben den Anforderungen an die Berechnung der Minderung des Reisepreises bei einer mangelhaften Reise, auch mit den Rechtsfolgen einer durch den Reisemangel bedingten Kündigung sowie dem Anspruch auf Ersatz von nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit auseinanderzusetzen. Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde (nach Pressemitteilung Nr. 88/2013 des BGH):
I. Sachverhalt
B veranstaltete eine 14tägige Kreuzfahrt „Sommer in Grönland“, an der Kunden des K, der ein Touristikunternehmen betreibt, teilnahmen. Während der Kreuzfahrt kam es zu Abweichungen von der ursprünglichen Reiseplanung. Es wurde eine andere Fahrtroute als geplant gewählt, ferner entfielen geplante Landgänge oder wurden erheblich verkürzt. Die vorgesehenen Besuche der Faröer- und der Orkney-Inseln entfielen, da die Maschinenleistung aufgrund verschmutzen Bunkeröls herabgesetzt werden musste. Mehrere der Reisenden brachen die Kreuzfahrt daraufhin in Reykjavik ab. Die übrigen Reisenden verbrachten die Tage bis zur Ankunft in Kiel auf See. B erstattete allen Reisenden 40 % des Reisepreises.
K verlangt von B aus abgetretenem Recht seiner Kunden nunmehr
1) Minderung des Reisepreises nach § 651d BGB um weitere 40 %
2) Ersatz der Kosten, die den einzelnen Reisenden durch Kündigung und Abbruch der Reise gemäß § 651e Abs. 1 BGB entstanden sind sowie
3) Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit gemäß § 651f Abs. 2 BGB
II. Entscheidung
Das zuständige Landgericht Bremen hat die Klage abgewiesen; die hiergegen gerichtete Berufung hat das Oberlandesgericht Bremen zurückgewiesen. Das OLG Bremen hat angenommen, dass die Reise zwar mangelhaft i.S.v. § 651c Abs. 1 BGB war, jedoch die Mängel durch die Erstattung der Reisekosten i.H.v. 40 % des Reisepreises ausreichend seien. Ferner liege eine objektiv erhebliche Beeinträchtigung der gesamten Reise, die diese als Ganzes entwertet hätte, nicht vor, so dass auch keine Schadensersatzansprüche oder Ansprüche wegen vertaner Urlaubszeit vorliegen würden.
Der X. Zivilsenat hat die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz mit der Begründung verwiesen, dass die Gesamtumstände, die die Reiseleistung beeinträchtigt haben, unzureichend berücksichtigt wurden und zu Unrecht darauf abgestellt worden sei, dass der Charakter der Reise als „Grönland-Kreuzfahrt“ nicht in Frage gestellt gewesen sei.
Der zuständige Senat führt an, dass der Verlauf des zweiten Teils der Reise, bei dem der Aufenthalt in Reykjavik stark verkürzt worden sei und zudem die geplanten Besuche der Faröer- und der Orkney-Inseln entfielen, nicht hinreichend berücksichtigt worden seien.
Aus diesem Grund müsse das Berufungsgericht sowohl die Minderungsquote sowie die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Schadensersatzanspruches, als auch die Ansprüche wegen vertaner Urlaubszeit erneut überprüfen.
III. Rechtliche Würdigung
Das Urteil des BGH geht nicht näher auf den Sachverhalt und die ihm zugrunde liegenden Tatsachen ein, so dass im Folgenden eine allgemeine Betrachtung der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen der in der Klage durch K geltend gemachten Ansprüche vorgenommen wird.
1. Minderungsanspruch aus § 651 d BGB
Der Kläger macht zunächst einen Minderungsanspruch gemäß § 651d BGB gegenüber dem Reiseveranstalter geltend. Dem Reisenden steht hiernach ein Recht zur Minderung des Reisepreises zu, sofern die Reise mangelhaft i.S.v. § 651c Abs. 1 BGB ist.
Anzumerken ist, dass, um in den Anwendungsbereich der Gewährleistungsrechte der §§ 651c bis g zu gelangen, es stets des Vorliegens eines Reisevertrags nach § 651a BGB bedarf. Dieser lag hier unproblematisch vor.
a) Reisemangel
Ein Mangel i.S.v. § 651c Abs. 1 BGB liegt vor, wenn die tatsächliche Beschaffenheit der Reiseleistungen von derjenigen abweicht, welche die Parteien bei Vertragsschluss vereinbart oder gemeinsam vorausgesetzt haben und dadurch der Nutzen der Reise für den Reisenden beeinträchtigt wird. Bloße Unannehmlichkeiten oder die Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos reichen nicht aus, um einen Mangel zu begründen (vgl. A. Staudinger, in Staudinger BGB, § 651c, Rn. 4 ff.).
b) Minderung und Berechnung der Minderungshöhe
Die Berechnung der Minderungshöhe erfolgt nach der in § 638 Abs. 3 BGB niedergelegten Formel. Hierbei ist zunächst festzustellen, welche Reiseleistung tatsächlich beeinträchtigt worden ist. Anschließend ist durch Auslegung des Reisevertrages der Nutzen der Reise zu bestimmen, bevor die beeinträchtigte Reiseleistung und die Nutzen der Reise in Beziehung zu setzen sind und je nach Art, Intensität und Dauer des Mangels das Ausmaß der Beeinträchtigung des Nutzens festzustellen ist (vgl. A. Staudinger, in Staudinger BGB, § 651d Rn. 38).
Hierbei findet eine Gesamtwürdigung aller Tatsachen statt, wobei die Bewertung von Reisemängeln hinsichtlich ihrer Erheblichkeit dabei weitestgehend tatrichterlicher Beurteilung unterliegt und stets eine Frage des Einzelfalls ist (vgl. Tonner, MüKo BGB, § 651d, Rn. 14 ff).
Aus diesem Grund ist es auch nicht verwunderlich, dass der BGH im vorliegenden Fall an das Berufungsgericht zurückverweist, da aus der Sicht des X. Zivilsenats der zweite Teil der Reise bei der Berechnung der Minderungshöhe nicht ausreichend durch das OLG Bremen gewürdigt worden ist.
In der Praxis erfolgt die Minderung überwiegend durch Festlegung eines Prozentsatzes, der vom Reisepreis zu erstatten ist. Die genaue Höhe der Minderung wird in Anlehnung an die durch die Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze ermittelt.
c) Mängelanzeige und Rechtsfolge
Weitere tatbestandliche Voraussetzung ist die Mängelanzeige nach § 651 d Abs. 2 BGB.
Die Anspruchsgrundlage für die Rückforderung des Reisepreises ist § 651d Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. §§ 638 IV, 346, 347 BGB.
2. Entschädigungsanspruch aus § 651e Abs. 1, Abs. 4 BGB
Ob dem Kläger ferner ein Anspruch auf angemessene Entschädigung aufgrund der ausgesprochenen Kündigung des Reisvertrags durch die Reisenden nach § 651e Abs. 1 und Abs. 4 zusteht, hat der X. Zivilsenat nicht entschieden.
Vollständigkeitshalber sollen vorliegend jedoch die Voraussetzungen für einen solchen Anspruch dargestellt werden.
Neben dem Vorliegen eines Reisvertrags muss ein Mangel i.S.v. § 651c Abs. 1 BGB vorliegen. Aufgrund dieses Mangels muss die Reise erheblich beeinträchtigt (§ 651e Abs. 1 Satz 1 BGB) oder für den Reisenden unzumutbar sein (§ 651e Abs. 1 Satz 2 BGB).
a) Erhebliche Beeinträchtigung
Ob eine erhebliche Beeinträchtigung vorliegt, ist auf Grundlage einer Gesamtwürdigung aller Umstände, insbesondere der konkreten Ausgestaltung der geschuldeten Reise sowie der Art und der Dauer der Beeinträchtigung, nach objektiven Maßstäben zu entscheiden, wobei insbesondere auch die Zumutbarkeit der Fortsetzung der Reise zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, NJW 2009, 287, 288; Tonner, MüKo BGB, § 651e, Rn. 6). In diesem Zusammenhang ist umstritten, ob bzw. ab welchem der Minderung zugrunde liegenden Prozentwert von einer erheblichen Beeinträchtigung auszugehen ist. Der Großteil der Literatur und der Instanz-Rechtsprechung stimmen mit dem BGH darin überein, dass sie eine schematische Anknüpfung an einen bestimmten Prozentwert ablehnen und somit die Frage einzelfallabhängig entschieden werden muss (vgl. etwa BGH NJW 2012, 2107, 2110; OLG Frankfurt NJW-RR 2005, 132 f.; Tonner-Lindner NJW 2002, , ).
b) Unzumutbarkeit
Unzumutbarkeit nach § 651e Abs. 1 Satz 2 BGB liegt vor, wenn in der spezifischen Situation des Reisenden und seinen persönlichen Verhältnissen subjektive Gründe vorliegen, die einen Mangel begründen, die dem Reiseveranstalter bei Vertragsschluss auch erkennbar waren. Auch hier ist jeweils eine einzelfallabhängige Prüfung vorzunehmen, bei der insbesondere eine Plausibilitätskontrolle dahingehend erfolgen muss, ob aus dem Blickwinkel eines durchschnittlichen Reisenden der betreffenden Vergleichsgruppe auch die Unzumutbarkeit zu bejahen wäre (vgl. A. Staudinger, in Staudinger BGB, § 651e, Rn. 20).
Im zugrunde liegenden Fall kommt es deshalb entscheidend darauf an, ob und wie das OLG Bremen die Beeinträchtigung des zweiten Teils der Reise wertet, um eine erhebliche Beeinträchtigung bejahen zu können.
Der Reisende muss schließlich gemäß § 651e Abs. 2 dem Reiseveranstalter eine angemessene Frist zur Abhilfe setzen, welche fruchtlos ablaufen muss, bevor er von seinem Kündigungsrecht Gebrauch machen darf.
3. Ersatz nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit
Neben den Gewährleistungsrechten fordert der Kläger noch eine Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit vom Beklagten gemäß § 651f Abs. 2. Sofern die Reise vereitelt oder erheblich beeinträchtigt ist, kann der Reisende eine angemessene Entschädigung in Geld für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit verlangen.
Der Anspruch nach § 651f Abs. 2BGB setzt zunächst voraus, dass ein Reisemangel vorliegt, den der Reiseveranstalter zu vertreten hat (vgl. A. Staudinger, in Staudinger BGB, § 651f, Rn. 70). Hierdurch muss die Reise vereitelt oder erheblich beeinträchtigt worden sein.
a) Vereitelung der Reise
Eine Vereitelung der Reise liegt vor, wenn diese durch den Reisenden überhaupt nicht angetreten oder direkt zu Anfang der Reise abgebrochen worden ist (vgl. A. Staudinger, in Staudinger BGB, § 651f, Rn. 71). Alternativ kann der Anspruch auf Ersatz nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit entstehen, wenn die Reise durch den Mangel erheblich beeinträchtigt worden ist.
b) Erhebliche Beeinträchtigung der Reise
Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Erheblichkeit besteht Streit, ob dieses mit den Anforderungen von Art. 5 der Pauschalreiserichtlinie im Einklang steht oder ob es zu einer richtlinienkonformen Reduktion der Vorschrift kommen muss und somit das Tatbestandsmerkmal der Erheblichkeit keine Berücksichtigung mehr im Anwendungsbereich der Pauschalreiserichtlinie erfahren darf (zum Streitstand siehe ausführlich A. Staudinger, in Staudinger BGB, § 651f, Rn. 72 m.w.N.).
Sofern man weiterhin von einer Anwendbarkeit des Tatbestandsmerkmals der Erheblichkeit ausgeht, ist umstritten, anhand welcher Voraussetzungen die Bewertung der Erheblichkeit erfolgt.
Eine Ansicht fordert, dass der Fehler unter Berücksichtigung des Reisezwecks und aller Umstände des Einzelfalls von ganz besonderem Gewicht sei. Hierbei seien dieselben Kriterien wie bei der Bestimmung der Erheblichkeit in § 651e Abs. 1 anzulegen (vgl. etwa OLG Celle, RRa 2004, 158, 159; A. Staudinger, in Staudinger BGB, § 651f, Rn. 72 m.w.N.).
In der Rechtsprechung und von Teilen der Literatur wird hingegen überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Erheblichkeit fiktiv anhand des nach § 651d berechneten Minderungsbetrags festgestellt werden müsse. Danach soll Erheblichkeit erst Vorliegen, wenn die Mängel zu einer Minderung von mindestens 50% des Reisepreises berechtigen würden (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 1986, 280, 280; A. Staudinger, in Staudinger BGB, § 651f, Rn. 74 m.w.N.).
c) Nutzlose Aufwendung der Urlaubszeit
Schließlich muss der Reisende die Urlaubszeit nutzlos aufgewendet haben. Dies ist der Fall, wenn der vertraglich festgesetzte Reisezweck infolge des Mangels nicht erreicht bzw. verfehlt wurde. Hierbei ist insbesondere auf die Dauer der erheblichen Beeinträchtigung abzustellen und die anderweitig verbrachte Resturlaubszeit zu berücksichtigen (vgl. A. Staudinger, in Staudinger BGB, § 651f, Rn. 77 m.w.N.).
Aus den bereits oben genannten Gründen ist es auch bei diesem Anspruch konsequent, dass der BGH hier nicht zur Sache entscheidet sondern an das OLG Bremen zurückverweist, da es hier noch einer genaueren Untersuchung bzw. Würdigung der Auswirkungen der Mängel während des zweiten Reiseabschnitts der „Grönland Kreuzfahrt“ bedarf.
Fazit
Wie das OLG Bremen in der Sache entscheiden wird, ist schwer vorherzusagen und hängt insbesondere davon ab, inwieweit der verkürzte Aufenthalt in Reykjavik sowie das Entfallen der Landgänge auf den Faröer- und den Orkney-Inseln durch das OLG Bremen bewertet werden. Das Reiserecht kann immer wieder Gegenstand von schriftlichen Examensklausuren oder der mündlichen Prüfung sein, da hier Mängelgewährleistungs- sowie Schadensersatzansprüche in einer für einige Examenskandidaten unbekannten Einkleidung überprüft werden können. Insbesondere bei der Frage nach der Erheblichkeit eines Reisemangels kommt es auf saubere Argumentation und ein praktisches Verständnis gepaart mit einer schlüssigen Argumentation des Examenskandidaten an. Die vorliegende Entscheidung des BGH wird in solcher Form nicht Gegenstand des schriftlichen Staatsexamens sein, dennoch ist es unverzichtbar sowohl im schriftlichen als auch im mündlichen Examen die Grundsätze des Reiserechts verinnerlicht zu haben. In der Kategorie Reiserecht findet ihr im Übrigen noch weitere examensrelevante Entscheidungen zu dem Thema.
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