BGH: Keine wirksame Nachfristsetzung vor Fälligkeit der Leistung möglich
Der BGH hat am 14.06.2012, VII ZR 148/10 ein Urteil erlassen, das sich schwerpunktmäßig mit der Problematik der wirksamen Nachfristsetzung vor Fälligkeit der geschuldeten Leistung unter dem geltenden Schuldrecht befasst.
Die Leitsätze der Entscheidung lauten:
- Ein Gläubiger kann nicht gemäß § 323 I BGB vom Vertrag zurücktreten, wenn er die Frist zur Leistung vor deren Fälligkeit gesetzt hat. Das gilt auch dann, wenn bereits vor Fälligkeit ernsthafte Zweifel an der Leistungsfähigkeit oder Leistungswilligkeit des Schuldners bestehen.
- Allein die Erklärung des Schuldners, er werde zum Fälligkeitszeitpunkt nicht leisten können, begründet keine ernsthafte und endgültige Leistungsverweigerung iSd § 323 II Nr. 1 BGB.
- Der Gläubiger kann nach Fälligkeit der Leistung ohne Setzen einer Nachfrist gemäß § 323 II Nr. 3 BGB sofort vom Vertrag zurücktreten, wenn feststeht, dass die dem Schuldner zu setzende Frist zur Leistung nicht eingehalten werden wird.
- Das Rücktrittsrecht des § 323 IV BGB kann nicht mehr ausgeübt werden, wenn die Leistung fällig geworden ist. Die Wirksamkeit eines Rücktritts bestimmt sich ab diesem Zeitpunkt nach § 323 I und II BGB.
Sachverhalt
Die Beklagte (B) verkaufte am 15.01.2008 ein Grundstück an den Kläger (K). In dem zwischen beiden geschlossenen Vertrag verpflichtete sich die B zudem, ein zur Vermietung an einen Dritten vorgesehenes Gebäude zu errichten. Dies sollte bis zum 30.06.2008 bezugsfertig sein. Im Vertrag wurde geregelt, dass im Falle eines Rücktritts eines Vertragspartners derjenige Vertragspartner, der den Rücktritt zu vertreten hätte, die Vertragskosten und die Kosten der Rückabwicklung tragen sollte.
Am 14.05.2008 teilte die B mit, dass sie den vereinbarten Fertigstellungstermin am 30.06. nicht werde einhalten können. Mit den Mietern des Gebäudes sei außerdem bereits der 01.09.2008 als Übergabetermin vereinbart worden. Der K setzte der B daraufhin am 03.06.2008 eine Frist zur Leistung bis 31.07.2008. Da das Gebäude zu diesem Zeitpunkt noch nicht bezugsfertig war, erklärte der K am 01.08.2008 den Rücktritt vom Vertrag und verlangt nun von der B die vertragsgemäße Erstattung der Vertragskosten und der Kosten der Rückabwicklung.
Lösung des BGH
Der BGH wies die Klage in der Revisionsinstanz vollumfänglich ab, nachdem das OLG München als Berufungsgericht ihr zunächst stattgegeben hatte.
1. Zahlungsanspruch aus Vertrag
Der Zahlungsanspruch des K kann aus der vertraglichen Vereinbarung der Parteien resultieren, die besagt, dass diejenige Vertragspartei die Kosten des Vertrages und der Rückabwicklung zu zahlen habe, die den Rücktritt eines Vertragspartners verschuldet hat.
Dann müsste aber zunächst überhaupt ein wirksamer Rücktritt erfolgt sein.
a) Rücktrittserklärung, § 349 BGB
b) Rücktrittsrecht aus § 323 I BGB
Ein Rücktrittsrecht des K kann sich vorliegend nur aus Gesetz ergeben. Vertraglich ist nämlich nur etwas über die Folgen eines Rücktritts geregelt, nicht jedoch ein gesondertes Rücktrittsrecht vereinbart.
Ein gesetzliches Rücktrittsrecht kann dem K vorliegend gemäß § 323 I BGB zustehen. Dazu wäre erforderlich, dass dessen Voraussetzungen vorlägen.
aa) Schuldverhältnis und Nichterbringung der Leistung
Ein gegenseitiger Vertrag wurde zwischen den Parteien wirksam geschlossen. Die Leistung wurde von der B auch nicht zum Fälligkeitszeitpunkt erbracht.
bb) Nachfristsetzung bzw. Entbehrlichkeit
(1) Entbehrlichkeit
Hinzukommen muss nach § 323 I BGB jedoch grundsätzlich, dass eine angemessene Nachfrist von dem K zur Leistungserbringung gesetzt wurde und dass diese erfolglos verstrichen ist.
Fraglich ist, ob eine solche Nachfrist von K am 03.06.2008 wirksam gesetzt werden konnte, da zu diesem Zeitpunkt die Leistung der B noch gar nicht fällig war.
Dies könne jedoch dahinstehen, sofern im vorliegenden Fall eine Nachfristsetzung ohnehin nach § 323 II BGB entbehrlich wäre.
Eine Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung könnte sich zunächst daraus ergeben, dass die B die Leistung durch ihre Erklärung am 14.05.2008 ernsthaft und endgültig verweigert hat, § 323 II Nr. 1 BGB.
Die B erklärte am 14.05. nur, sie werde die Leistung nicht bis zum 30.06. erbringen können. Sie erklärte nicht, dass sie die Leistung gar nicht mehr erbringen könne oder wolle. Auch erklärte sie nicht, sie werde die Leistung nicht innerhalb einer angemessenen Nachfrist erbringen, was nach bisheriger Rechtsprechung (BGH NJW 1984, 48; BGH NJW 1992, 235) zur Bejahung einer endgültigen Leistungsverweigerung ausreichen würde. Dass in der Erklärung eines Nichtleistenkönnens bei Fälligkeit auf ein generelles Nichtleistenkönnen geschlossen werden könnte, ergibt sich vorliegend nicht.
Eine Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung kommt daher nicht gemäß § 323 II Nr. 1 BGB in Betracht.
Weiterhin könnte sich eine Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung aus § 323 II Nr. 3 BGB ergeben, wie es das Berufungsgericht angenommen hat. Dann müssten sich bei einer Abwägung der beiderseitigen Interessen besondere Umstände ergeben, die zum sofortigen Rücktritt berechtigten.
Aus dem Charakter des § 323 II BGB als Ausnahmevorschrift ergibt sich bereits, dass an die Feststellung derartiger besonderer Umstände hohe Anforderungen zu stellen sind.
Im vorliegenden Fall waren zum Zeitpunkt der Fälligkeit am 30.06. weniger als 2/3 des Gebäudes fertiggestellt worden. Daraus und aus der Tatsache, dass der K der B am 03.06. eine Frist für die Fertigstellung bis zum 31.07. setzte, was der B unabhängig von der rechtlichen Wirksamkeit dieser Frist eine Warnung hätte sein müssen, schloss das Berufungsgericht das Vorliegen besonderer Umstände gemäß § 323 II Nr. 3 BGB. Eine umfassende Interessenabwägung wurde hingegen nicht vorgenommen.
Der BGH stellt dazu fest, dass eine solche durch das Berufungsgericht hätte erfolgen müssen. Dazu müsste nämlich das Interesse des Gläubigers an der Vertragsdurchführung vollständig entfallen sein, ihm dürfte ein weiteres Zuwarten nicht mehr zumutbar sein. Dies sei jedoch nicht tatsächlich festgestellt und ließe sich nicht allein auf die vorliegenden Argumente stützen.
Danach kommt auch eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung nach § 323 II Nr. 3 BGB nicht in Betracht.
(2) Nachfristsetzung
Es kommt daher darauf an, ob die Nachfrist vom K am 03.06.2008 wirksam gesetzt wurde.
Problematisch ist, dass hier die Frist bereits gesetzt wurde, bevor der Fälligkeitszeitpunkt der Leistung erfolglos verstrich. Allerdings war die frühzeitige Nachfristsetzung des K die Reaktion auf die bereits am 14.05. erfolgte Ankündigung der B, sie werde die Leistung nicht zum Fälligkeitszeitpunkt erbringen können.
Es stellt sich damit die zentrale Frage, ob eine Nachfristsetzung vor Fälligkeit bereits wirksam erklärt werden kann.
Aus dem Wortlaut des § 323 I BGB ergibt sich dies nicht unmittelbar.
Eine historische Auslegung des § 323 I BGB ergibt demgegenüber jedoch, dass der Gesetzgeber die Wirksamkeit der Nachfristsetzung an das Erfordernis des Verstreichens des Fälligkeitszeitpunkts knüpfen wollte. So ergab sich aus dem Wortlaut des § 326 I BGB a.F. eindeutig, dass die Nachfrist erst in dem Zeitpunkt gesetzt werden konnte, in welchem die bereits fällige Leistung nicht erbracht wurde.
Aus den Gesetztesmaterialien ergibt sich in diesem Zusammenhang nur, dass für die Nachfristsetzung nicht mehr wie zuvor ein Verzug des Schuldners erforderlich sein sollte. Dass aber darüber hinaus auch eine Fälligkeit der Leistung nicht mehr gefordert sei, kann der Begründung hingegen nicht entnommen werden.
Auch unter systematischen Gesichtspunkten kommt regulär eine Fristsetzung nur nach dem Fälligkeitszeitpunkt in Betracht. Das ergibt zum einen der grundsätzliche Zweck einer Nachfristsetzung, der darin besteht, dem Schuldner nach Nichtleistung bei Fälligkeit ein Recht zur zweiten Andienung im Sinne des Grundsatzes „pacta sunt servanda“ einzuräumen. Zum anderen ergibt dies auch die Rücktrittsmöglichkeit bereits vor Fälligkeit nach § 323 IV BGB im Falle einer Erfüllungsgefährdung. Ein schutzwürdiges Interesse steht dem Gläubiger generell gerade nicht in der Weise zu, dass es ihm möglich sein soll, seinem Vertragspartner auf Vorrat rechtswirksame Fristen zu setzen. Die Abgrenzung zwischen Pflichtverletzung und reiner Erfüllungsgefährdung würde andernfalls verwischt.
Die historische wie systematische Auslegung des § 323 I BGB ergibt daher, dass die Möglichkeit einer wirksamen Nachfristsetzung vor Fälligkeit der Leistung versperrt sein soll. Die vom K gesetzte Frist ist daher vollkommen gegenstandslos und entfaltet keinerlei rechtliche Wirkung.
c) Rücktrittsrecht aus § 323 IV BGB
Ein Rücktritt bereits vor Fälligkeit der Leistung kommt nach § 323 IV BGB in Betracht. Demgemäß müsste bereits vor Fälligkeit klar gewesen sein, dass die Rücktrittsvoraussetzungen eintreten werden.
Dies wäre der Fall, wenn die B bereits vor Fälligkeit klar gemacht hätte, auch nicht innerhalb einer angemessenen Nachfrist leisten zu können oder zu wollen.
Aus der Erklärung der Beklagten vom 14.05. ergibt sich dies jedoch nicht. Da auch keine Feststellungen darüber getroffen sind, dass die B nach der Mitteilung des K, er werde eine Leistung bis zum 31.07.2008 akzeptieren, dies ausdrücklich abgelehnt hätte, können Erwägungen zur Angemessenheit dieser Frist unterleiben.
Zudem ist der Rücktritt durch den K erst am 01.08.2008, also nach dem vereinbarten Fälligkeitszeitpunkt, erklärt worden, sodass nach seinem Wortlaut § 323 IV BGB schon nicht mehr anwendbar war.
d) Zwischenergebnis
Der BGH kommt somit zu dem Ergebnis, dass ein Rücktrittsrecht dem K weder aus § 323 I BGB noch aus § 323 IV BGB zustand. Der Rücktritt war daher unwirksam.
2. Endergebnis
Die Forderung des Klägers ist folglich hinsichtlich der Übernahme von Vertrags- und Rückabwicklungskosten durch die Beklagten abzuweisen.
Stellungnahme:
Die Ansicht des BGH zur Frage der wirksamen Nachfristsetzung vor Fälligkeit ist de lege lata im Grunde zutreffend.
Konsequenzen hat diese Entscheidung nicht nur für die Bejahung des Vorliegens der Rücktrittsvoraussetzungen nach § 323 I BGB, sondern ebenso für diejenigen des Schadensersatzes statt der Leistung nach § 281 BGB und des Aufwendungsersatzes nach § 284 BGB. Weitreichender sind diejenigen Konsequenzen, die das vorliegende Urteil hinsichtlich der Nacherfüllungsfrist im Kaufrecht hat: Wendete man die Grundsätze konsequent an, könnte derjenige Käufer, dem vor dem eigentlichen Fälligkeitstermin eine mangelhafte Sache geliefert wird, seinem Vertragspartner nicht wirksam umgehend eine Nacherfüllungsfrist setzen. Da dies unbillig erscheint, stellt sich die Frage, wie eine Ausnahme für bestimme Sachverhaltskonstellationen dogmatisch sauber gelingen kann.
Hier wie dort erscheint es aufgrund der besonderen Fallkonstellation zumindest bedenklich, dass die in dem Glauben der Wirksamkeit gesetzte Frist gar keine rechtlichen Wirkungen entfaltet, sie den die Frist Setzenden jedoch davon abhält, die Notwendigkeit einer weiteren Fristsetzung zu erkennen. Abgesehen von der vielleicht wünschenswerten Möglichkeit einer abweichenden gesetzlichen Regelung gerade dieser Einzelfälle, deren Umsetzbarkeit bezweifelt werden muss, soll folgender Gedanke erwähnt werden:
Es erscheint zumindest überlegenswert, eine Auslegung der geschäftsähnlichen Handlung „Fristsetzung“ dahingehend vorzunehmen, dass diese unter der aufschiebenden Bedingung der Nichtleistung des Vertragspartners bei Fälligkeit getätigt wird, § 158 I BGB. Dadurch verlöre die Fristsetzung nicht jegliche rechtliche Wirkung und würde zugleich die unbillige Unsicherheit des Käufers/des die Frist setzenden Vertragspartners beseitigen, dem andernfalls faktisch die Möglichkeit der Setzung einer zweiten, wirksamen Frist entzogen wäre. Selbstverständlich begänne die Frist erst mit dem Zeitpunkt der Fälligkeit zu laufen, und zwar in angemessener Weise. Der Verkäufer/Vertragspartner stünde damit nicht anders als wäre die Frist im entsprechenden Zeitpunkt ihres Beginns gesetzt worden, die Rechtshandlung des Gläubigers bliebe hingegen nicht völlig ohne Konsequenz.
Zuletzt sprächen auch die Grundätze der Bedingbarkeit rechtlicher Erklärungen nicht dagegen. Es wird dadurch keine unzumutbare Rechtsunsicherheit für den Vertragspartner geschaffen, da die Leistungserbringung zum Fälligkeitszeitpunkt gänzlich von dessen Willen abhängt. Vorbehaltlich etwaiger Einschränkungserfordernisse dieser Konstruktion erscheint sie mir – wenigstens beschränkt auf Einzelfälle – durchaus erwägenswert.
Gastautorin: Maria Lohse, Jurastudium an der Universität Hamburg und der Karlsuniversität Prag, 1. Staatsexamen 2012, im Moment als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Hogan Lovells in Hamburg tätig, außerdem AG-Leiterin (Schuldrecht BT II) an der Universität Hamburg, ab Dezember 2012 Referendarin in Hamburg
Schöner Beitrag! Danke!