BGH: Existenzvernichtungshaftung der Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH
Der II. Senat hat in einer aktuellen Entscheidung (Urt. v. 23.4.2012 – II ZR 252/10) seine Rechtsprechung zur Haftung der Gesellschafter einer GmbH aus § 826 BGB für existenzvernichtende Eingriffe konkretisiert. Das Urteil ist zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen. Hier zunächst der Leitsatz:
Veräußern die Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH in der Liquidation das Gesellschaftsvermögen an eine Gesellschaft, die von ihnen abhängig ist, kann darin nur dann ein existenzvernichtender Eingriff liegen, wenn die Vermögensgegenstände unter Wert übertragen werden.
I. Sachverhalt (stark vereinfacht)
Der Kläger ist Insolvenzverwalter der Insolvenzschuldnerin, einer GmbH. Die Beklagten sind Gesellschafter der GmbH.
Die GmbH – inzwischen in Liquidation – veräußerte im Jahr 2004 ihre Geschäftsausstattung an eine AG & Co. KG, die selbst und deren Komplementärin von den Beklagten i.S.d. § 17 AktG abhängig waren. Anschließend beantragten die Bekagten die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die GmbH.
Der Kläger ist der Ansicht, es handele sich bei der Veräußerung um einen existenzvernichtenden Eingriff. Er begehrt daher von den Beklagten Zahlung von rund EUR 400.000.
II. Vorbemerkung
1. Insolvenzverwalter als Kläger
Das Insolvenzverfahren wird über eine juristische Person eröffnet, wenn ein Insolvenzgrund i.S.d. §§ 17 bis 19 InsO vorliegt und die Insolvenzmasse ausreicht, die Kosten des Verfahrens zu decken (§ 26 InsO). Das Insolvenzverfahren verhindert die Zwangsvollstreckung durch einzelne Gläubiger nach den Regeln der ZPO (§ 89 InsO). Vereinfacht gesagt (Achtung: STARK vereinfacht!), dient das Insolvenzverfahren dazu, das verbleibende Vermögen des Schuldners in einem Topf zu sammeln und dann alle Gläubiger möglichst gleichmäßig aus diesem Topf zu befriedigen (i.d.R. erhalten diese am Ende nur unter 10 % ihrer Forderungen ausbezahlt). Damit der Topf gefüllt werden kann, braucht man eine Person, die ausstehende Forderungen des Insolvenzschuldners eintreibt. Diese Person ist der Insolvenzverwalter. Er wird vom Insolvenzgericht bestellt und erhält die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Insolvenzschuldners (§ 80 Abs. 1 InsO). Er ist berechtigt, im eigenen Namen mit Wirkung für den Insolvenzschuldner Prozesse zu führen. Nach Ansicht der Rechtsprechung ist er „Partei kraft Amtes“, in der Literatur werden abweichende Ansichten vertreten, insbesondere, der Insolvenzverwalter sei gesetzlicher Vertreter.
2. Persönliche Haftung der Gesellschafter – „Existenzvernichtungshaftung“
Die GmbH ist juristische Person, § 13 Abs. 1 GmbHG. Die Gesellschafter der GmbH haften grundsätzlich nicht für Verbindlichkeiten der Gesellschaft, § 13 Abs. 2 GmbHG. Von diesem Grundsatz sind in der Rechtsprechung verschiedene Ausnahmen anerkannt . Stets geht es bei diesen Ausnahmen darum, die Haftungsbeschränkung aus Gründen überwiegender Interessen des Rechtsverkehrs zu durchbrechen (international diskutiert man dies unter dem Stichwort piercing the corporate veil). Eine der Ausnahmen ist der sog. „existenzvernichtende Eingriff“ bzw. die sog. „Existenzvernichtungshaftung“. Diese wird – wie hier – insbesondere in Konzernsachverhalten relevant, wenn das herrschende Unternehmen Vermögen aus dem abhängigen Unternehmen entnimmt und dieses dadurch in die Insolvenz gerät. Ursprünglich gewährte der BGH in diesem Fall einen Ausgleichsanspruch analog §§ 303, 322 AktG (BGHZ 95, 330 – Autokran). Später stützte der BGH sich auf eine Analogie zu den §§ 302, 303 AktG. Voraussetzung sollte ein sog. „qualifiziert faktischer Konzern“ sein (BGHZ 122, 123 – TBB). Danach stützte der BGH die Haftung auf den „existenvernichtenden Eingriff“, der zu einem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB führen sollte (BGHZ 149, 10 – Bremer Vulkan). Nach gegenwärtiger Rechtsprechung folgt der Anspruch aus der jetzt sog. Existenzvernichtungshaftung als Unterfall des § 826 BGB (BGHZ 173, 246 – Trihotel – LESEN! -; bestätigt u.a. durch BGHZ 176, 204 – GAMMA und BGHZ 179, 344 – Sanitary). Voraussetzung ist ein missbräuchlicher, zur Insolvenz der GmbH führender oder diese vertiefender kompensationsloser Eingriff in das der Zweckbindung zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger dienende Gesellschaftsvermögen. Liegt diese Eingriff vor, soll von einem bedingten Schädigungsvorsatz i.S.d. § 826 BGB ausgegangen werden können. Zur Geltendmachung des Anspruchs ist nicht jeder Gläubiger berechtigt (keine Außenhaftung), sondern nur der Insolvenzverwalter (Innenhaftung).
III. Entscheidung
Der II. Senat konkretisiert diese Anforderungen für den Fall, dass eine Gesellschaft in Insolvenz gerät, nachdem sie Gesellschaftsvermögen an eine von den Gesellschaftern beherrschte andere Gesellschaft veräußert hat (Rn. 17):
Infolge des Auflösungsbeschlusses vom 1. Juni 2004 waren die Beklagten als Liquidatoren gemäß § 70 GmbHG verpflichtet, die laufenden Geschäfte der Insolvenzschuldnerin zu beenden, die Vermögensgegenstände der Insolvenzschuldnerin zu veräußern und mit dem Erlös die Gläubiger zu befriedigen. Dass sie damit sofort begannen und nicht erst das Wirksamwerden des Auflösungsbeschlusses zum 31. August 2004 abwarteten, ist unschädlich. Die Beklagten waren jedenfalls nicht verpflichtet, den Geschäftsbetrieb der Insolvenzschuldnerin fortzuführen. Sie durften auch einen im Wesentlichen gleichartigen Geschäftsbetrieb in der Rechtsform einer anderen Gesellschaft, nämlich der Wirtschaftsakademie, aufnehmen. Beschränkungen ergeben sich in der Liquidation der Altgesellschaft lediglich insoweit, als keine Maßnahmen getroffen werden dürfen, die gegen die gläubigerschützenden Vorschriften der §§ 70, 73 GmbHG oder – im Zusammenhang mit dem Eintritt der Insolvenzreife – gegen § 15a InsO, § 64 GmbHG verstoßen oder sonst die Gläubiger der Altgesellschaft benachteiligen. Das Gesellschaftsvermögen darf nicht unter Wert auf die Neugesellschaft übertragen werden mit der Folge, dass die Gläubiger der Altgesellschaft leer ausgehen. Diese Voraussetzungen hat der Insolvenzverwalter darzulegen.
Dies sei dem Insolvenzverwalter im konkreten Fall nicht gelungen. Entscheidend ist also, ob die Veräußerung zu Marktwerten erfolgte, also einem Vergleich mit einem Geschäft mit einem unabhängigen Dritten standhalten würde (dealing at arm’s length).
IV. Examensrelevanz
Der Fall wird so, wie er vom BGH zu entscheiden war, weder im ersten noch im zweiten Examen laufen, weil er noch wesentlich komplizierter war als hier dargestellt. Die Existenzvernichtungshaftung als Fallgruppe des § 826 BGB kann aber sehr wohl in Schwerpunktklausuren und auch in Examensklausuren (beide Examina) abgefragt werden. Das „Trihotel“-Urteil ist deshalb dringend zur Lektüre empfohlen.
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