BGH: Erfolgsqualifikation im neuen Gewand: Wichtige Rechtsprechung zum Gefahrzusammenhang
Die Verbindung von Strafrecht AT und BT macht einen aktuellen Beschluss des BGH (vom 15. Februar 2017 – 4 StR 375/16) zu einem absoluten Gehimtipp für Examen und mündliche Prüfung. Es geht um die Verknüpfung von Nachstellung mit einer Erfolgsqualifikation, die sich etwas versteckt in § 238 Abs. 3 StGB findet.
I. Sachverhalt
Folgender Sachverhalt lag zugrunde:
S, der mit O in der Vergangenheit in einer Beziehung war, sandte ihr nach deren Beendigung zahllose Textnachrichten mit hasserfüllten Beleidigungen und Bedrohungen, verfolgte sie, ihre Eltern und Freunde mit Telefonanrufen sowie Sachbeschädigungen (zerstechen von Autoreifen) und versuchte ferner, sie bei ihrem Arbeitgeber durch erfundene Mitteilungen in ein ungünstiges Licht zu rücken.
Mit seinem gesamten Verhalten ging es ihm nicht um die Fortsetzung seiner Beziehung mit O, sondern darum, sie zu demütigen, in Angst zu versetzen und psychisch zu verletzen, ihr jegliches Sicherheitsgefühl zu nehmen, seine Präsenz in allen ihren Lebensbereichen zu demonstrieren und sie dadurch in ihrer gesamten Lebensführung nachhaltig zu beeinträchtigen. Dass sein Handeln B. in letzter Konsequenz dazu veranlassen könnte, sich das Leben zu nehmen, hat er dabei voraussehen und vermeiden können.
Als Folge der Handlungen des Angeklagten war O verängstigt, verzweifelt und nicht mehr arbeitsfähig. Sie hatte Angst, dass der Angeklagte ihr oder ihren Eltern etwas antun könnte. Da sie nicht mehr allein sein konnte, übernachtete sie dauerhaft bei ihren Eltern, wobei sie aber auch dort nur noch maximal zwei Stunden durchschlafen konnte. Bei ihr entwickelte sich bereits ab dem 24. Februar 2015 eine depressive Störung, die sich nachhaltig verstärkte, als ihr am 1. März 2015 die an ihren Arbeitgeber gerichteten, herabsetzenden und teilweise obszönen Nachrichten des Angeklagten über sie bekannt wurden, worüber sie große Scham empfand und verzweifelt war. Sie glaubte, der Angeklagte habe ihr Leben zerstört und sie könne sich nirgends mehr sehen lassen.
Daraufhin unternahm sie einen erfolglosen Selbstmordversuch und wurde anschließend psychiatrisch behandelt. Eine stationäre Behandlung lehnte sie hingegen ab. Im November 2015 unternahm O dann einen erfolgreichen Selbstmordversuch.
Das Gericht hatte nun zu klären, ob eine Nachstellung mit Todesfolge vorgelegen hat.
II. Lösung des BGH
Hier muss zunächst der Nachstellungstatbestand, der erst im zum 10. März 2017 reformiert wurde, subsummiert werden. War früher nötig, dass durch die Nachstellung das Privatleben schwerwiegend beeinträchtigt wurde, also die Handlungen des Täters zu einer (erzwungenen) Veränderung der bisherigen Lebensumstände und so zu einer Einbuße von Lebensqualität führen, ist dies nun nicht mehr notwendig. Es genügt die Eignung zu einer solchen Beeinträchtigung. Es handelt sich also um ein Gefährdungs-, nicht (mehr) um ein Erfolgsdelikt.
Der Grundtatbestand des § 238 Abs. 1 StGB ist folglich erfüllt. Fraglich ist aber, ob durch die Nachstellung der Tod des Opfers verursacht wurde.
Der Tatbestand der Nachstellung mit Todesfolge gemäß § 238 Abs. 3 StGB setzt als sog. erfolgsqualifiziertes Delikt voraus, dass „durch die Tat“ der Tod des Opfers (oder von Angehörigen oder anderen, ihm nahestehenden Personen) verursacht worden ist, wobei dem Täter hinsichtlich dieser Tatfolge wenigstens Fahrlässigkeit zur Last fallen muss (§ 18 StGB).
Notwendig ist ein gefahrspezifischer Zusammenhang. Die der Nachstellung innewohnende spezifische Gefahr muss sich im tödlichen Ausgang niedergeschlagen haben. Problematisch ist hier, dass der Tod durch ein eigenes Verhalten des Opfers eintritt:
Die Ausgestaltung sowie der Sinn und Zweck der jeweiligen Strafvorschrift sind auch für die Beurteilung der Frage maßgeblich, ob sich der Eintritt des tödlichen Erfolgs auch dann noch als Ausfluss der dem jeweiligen Grundtatbestand eigentümlichen Gefahr darstellt, wenn dieser Erfolg durch ein Verhalten des Tatopfers herbeigeführt worden ist.
Dennoch ist aus Sicht des BGH der gefahrspezifische Zusammenhang erfüllt. Ein solcher liegt vor,
wenn das Verhalten des Opfers motivational auf die Verwirklichung des Grundtatbestandes zurückzuführen ist und diese Motivation für sein selbstschädigendes Verhalten handlungsleitend war.
Der Grundtatbestand des § 238 Abs. 1 StGB bezweckt gerade den Schutz des Nachstellungsopfers vor selbstschädigendem Verhalten unter dem Einfluss der in der Vorschrift im Einzelnen normierten Nachstellungshandlungen. […] Unrechtskern der Vorschrift ist danach die Einschränkung der Autonomie des Opfers bei seiner Lebensführung durch Einwirkungen seitens des Täters. Da diese Einwirkungen im Regelfall psychischer Natur sind (vgl. Gericke aaO, Rn. 16), kann das Maß einer noch verbleibenden Autonomie bei der Entscheidung des Opfers, dem psychischen Druck nachzugeben und zu seinem eigenen Schutz sein Leben tiefgreifend zu ändern, rechtlich keine Bedeutung haben.
Mag die Selbsttötung des Opfers die Zurechnung des Todeserfolges nach dem Grundsatz eigenverantwortlichen Handelns bei anderen erfolgsqualifizierten Delikten unter Berücksichtigung des jeweiligen Schutzzwecks im Einzelfall ausschließen […], so gilt dies im Fall des § 238 Abs. 3 StGB – wenn ein motivationaler Zusammenhang mit der Nachstellungshandlung gegeben ist und diese Motivation für das Tatopfer handlungsleitend war – nach Sinn und Zweck der Vorschrift und auf Grund ihres systematischen Zusammenhangs mit dem auf den Schutz vor einer Selbstschädigung angelegten Grunddelikt des § 238 Abs. 1 StGB nicht.
Denn letztlich sei ein Selbstmord gerade der gravierendste der Einschränkung der Lebensgestaltung, was vom Grundtatbestand erfasst ist:
Vielmehr stellt sich der durch den selbstschädigenden Akt des Suizids herbeigeführte Tod nur als (letzte) Steigerung der tiefgreifenden Beeinträchtigung der Lebensführung des Opfers im Sinne des § 238 Abs. 1 StGB dar, die als schwere Folge nach dem Willen des Gesetzgebers der höheren Strafdrohung unterliegen soll.
Insofern bleibt der Zusammenhang bestehen.
Auch von einem fahrlässigen Verhalten war auszugehen.
III. Examensrelevanz
Die Examensrelevanz ist in jeglicher Hinsicht hoch: Die Norm ist neu und prüft hier zudem ein Klassikerproblem aus dem allgemeinen Teil ab. Hier ist sauberes juristisches Argumentieren zwingend notwendig. So zeigt man, dass man die Problematik tatsächlich meistern kann. Sie könnte zudem in der mündlichen Prüfung mit einer Versuchsproblematik noch zusätzlich erschwert werden. Der Fall birgt also eine Menge Potential für das Examen, sodass er auf jeden Fall beherrscht werden sollte.
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