BGH: Aschewolke als höhere Gewalt i.S.v. § 651j BGB
In einer aktuellen Entscheidung zum Reiserecht (BGH, Urt. vom 18.12.2012 – X ZR 2/12) setzte sich der BGH mit den Voraussetzungen des § 651j BGB auseinander. Diese Vorschrift regelt die reiserechtlichen Folgen im Falle eines Reiseausfalls oder -abbruchs wegen höherer Gewalt.
Das Reiserecht macht in der juristischen Ausbildung zwar keinen Schwerpunkt aus, kommt aber dennoch aufgrund der hohen Fallzahl in der Praxis relativ häufig in Examensklausuren dran. Zumindest über solide Grundkenntnisse sollte der Prüfungskandidat daher verfügen.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde (nach Pressemitteilung Nr. 212/2012 des BGH):
Sachverhalt
K buchte über ein Reisebüro der B für sich und seine Ehefrau eine Karibikkreuzfahrt, die von der am Verfahren beteiligten Streithelferin veranstaltet wurde und am 19. April 2010 in Fort Lauderdale/USA beginnen sollte. Die Hin- und Rückflüge sowie weitere Leistungen buchte er gesondert. Im April 2010 wurde aufgrund der von dem isländischen Vulkan Eyjafjallajökull ausgestoßenen Aschewolke durch die zuständigen Behörden ein Flugverbot angeordnet. K und seine Ehefrau konnten die gebuchten Flüge in die USA nicht antreten und deshalb an der Kreuzfahrt nicht teilnehmen. Mit Schreiben vom 18. April 2010 kündigte er gegenüber der Reiseveranstalterin den Vertrag über die Kreuzfahrt wegen höherer Gewalt. Die Reiseveranstalterin verlangte Stornogebühren von 90% des Reisepreises, die B an sie zahlte.
K verlangt von der Beklagten die Erstattung einer geleisteten Anzahlung. B fordert im Wege der Widerklage die Erstattung der an die Reiseveranstalterin gezahlten Stornogebühren.
Reisevertrag?
Entscheidend für die Lösung des Falles ist zunächst die rechtliche Qualifikation des abgeschlossenen Vertrags. Handelt es sich um einen Reisevertrag, so richten sich die Rechtsfolgen ausschließlich nach den §§ 651a ff. BGB. Das Landgericht hatte hier zunächst einen Reisevertrag abgelehnt; dem ist der BGH jedoch nicht gefolgt. Kennzeichen eines Reisevertrags ist, dass eine Gesamtheit von Reiseleistungen (also z.B. Transport, Hotel, Ausflüge etc.) geschuldet sind. Dies war hier der Fall, auch wenn K einige Einzelleistungen wie Hin- und Rückflug separat gebucht hatte. Schon eine Kreuzfahrt selbst enthält regelmäßig eine Gesamtheit von Reiseleistungen. Eine Kreuzfahrt im klassischen Sinn setzt sich aus der Beförderung und dem Aufenthaltsprogramm an Bord zusammen, das zumindest aus Verpflegung und Unterhaltung besteht. Dieses Paket wird regelmäßig als Reise i.S.v. § 651a BGB bewertet, auch wenn keine weitere Leistung oder kein Zusatzprogramm hinzugebucht wird (so zutreffend Rodegra, NJW 2011, 1766).
Danach liegt hier ein Reisevertrag vor, dieser besteht jedoch zwischen K und der Reiseveranstalterin, nicht aber mit dem Reisebüro. Vom Reisevertrag ist nämlich der Reisevermittlungsvertrag zu unterscheiden. Typischer Reisevermittler ist regelmäßig das Reisebüro (MüKo/Tonner, § 651a BGB, Rn. 43). Dieses bietet i.d.R. nicht selbst die Gesamtheit an Reiseleistungen an, sondern vermittelt lediglich das schon zuvor vom Reiseveranstalter geschnürte Pauschalreisepaket.
Höhere Gewalt?
Da die §§ 651a ff. BGB hier anwendbar sind, ist vorliegend entscheidend, ob man den Ausbruch des Vulkans als höhere Gewalt i.S.d. Reiserechts qualifizieren kann, denn in diesem Fall würden sich die Rechtsfolgen (ausschließlich) nach § 651j BGB richten.
Den Begriff der “höheren Gewalt” kann man nach MüKo/Tonner, § 651j BGB, Rn. 7 in Anlehnung an eine Definition des Reichsgerichts umschreiben: Höhere Gewalt ist ein außerordentliches Ereignis, das unverschuldet von außerhalb des Betriebskreises hereinbricht und unter den gegebenen Umständen auch durch äußerste, nach Lage der Sache vom Betroffenen zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden kann. Krieg, terroristische Attacken und Naturkatastrophen sind unzweifelhaft Fälle höherer Gewalt – also auch der hier gegebene Vulkanausbruch.
Rechtsfolgen
Infolge der wirksamen Kündigung durch den Kläger hat die Reiseveranstalterin gemäß § 651j Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 651e Abs. 3 S. 1 BGB den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis verloren. B kann deshalb von K keine Erstattung des an die Reiseveranstalterin gezahlten Betrages verlangen. Andererseits hat K auch keinen Anspruch auf Erstattung der Anzahlung gegen B, sondern allenfalls gegen die Reiseveranstalterin, mit der ja der Reisevertrag besteht.
Vgl. zum Thema auch unseren älteren Beitrag hier.
Was meint Ihr, aus welcher AGL der B Erstattung der an R gezahlten Gebühren verlangt hat? Denkbar wäre mMn wohl ein vertraglicher Anspruch aus dem Vermittlungsvertrag bzw. 670, 662 oder 670, 677, 683 S. 1, je nachdem, ob vereinbart war, dass B im Fall einer bestehenden Stornogebührenpflicht diese zunächst für K begleichen soll oder nicht. Lehnt man diese Ansprüche ab, bleibt 812 I 1, 1. K hätte die Befreiung von einer Verbindlichkeit erlangt…und genau da scheitert es mangels Verbindlichkeit, weil wirksam gekündigt und nicht storniert wurde. Passt das in etwa? Sorry für den Zahlensalat, iPad-Tastatur hat kein Paragraphenzeichen 😉
Die Herleitung der Lösung erscheint mir als etwas gewagt und auch etwas vorschnell, da das referierte Urteil noch immer nicht vorliegt.
Warum gewagt?
Der Reisevertrag schloß hier die Beförderung nicht ein („gesondert gebucht“ lt. Pressemitteilung des BGH). Daher läßt sich hier die bisherige Rechtsprechung des BGH zur „höheren Gewalt“ beim Reisevertrag kaum anwenden. Es bleibt abzuwarten, wie hier der BGH ein außervertragliches Risiko zu einer neuen Definition der höheren Gewalt hinzufügt.