Basics IPR
Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Christian Schiller veröffentlichen zu können. Der Autor hat an der Juristischen Fakultät der FernUniversität in Hagen studiert und betreibt einen Blog über Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung.
Das europäische IPR ist im Laufe der vergangenen Jahre zu einer eigenständigen Disziplin herangewachsen. Kenntnisse ihrer grundlegenden Ansätze helfen dabei, sich in diese Rechtsmaterie einzuarbeiten und auftretende Problemfälle im Hinblick auf den jeweiligen Sachverhalt fallgerecht zu lösen. Der folgende Beitrag führt in diese Ansätze ein.
I. Verordnungen des europäischen IPR
Zunächst wird ein Blick darauf geworfen, welche IPR-Regelungen im europäischen Bereich existieren. Der Unionsgesetzgeber hat die Verordnung gemäß Art. 288 Abs. 1, 2 AEUV als Regelungswerk für das europäische IPR gewählt. Auf diese Weise macht er sich die unmittelbare Wirkung dieses auch als „europäisches Gesetz“ bezeichneten Rechtsaktes zunutze. Richtlinien müssten im Gegensatz dazu erst von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden, wobei sie die erforderlichen Maßnahmen dafür selber wählen, weshalb sich dieser Rechtsakt für die angestrebte Rechtsvereinheitlichung im europäischen IPR nur bedingt eignet.
Die ersten von der EU erlassenen Verordnungen in diesem Bereich waren die Rom-I- und Rom-II-Verordnung sowie die EuGVO. Rom-I regelt die Frage des auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbaren Rechts, unionsautonom definiert als das Vorliegen einer freiwillig eingegangen Verpflichtung. Rom-II bezieht sich auf außervertragliche Schuldverhältnisse, die in Abgrenzung zu Rom-I als Nichtvorliegen einer freiwillig eingegangen Verpflichtung definiert werden. Die EuGVO ist für Fragen der internationalen Zuständigkeit mitgliedsstaatlicher Gerichte heranzuziehen. Diese drei Verordnungen wirken in einem „Dreiklang“, was u. a. Auswirkungen auf die Definitionen bestimmter IPR-Begriffe im Europarecht hat (s. u. I, 1).
In der Folgezeit ist die Rom-III-Verordnung zur kollisionsrechtlichen Regelung der Ehescheidung, die EU-Unterhaltsverordnung sowie, als jüngster Neuzugang, die EU-Erbrechtsverordnung (Rom-V) hinzugekommen. Rom-V wird ab dem 17.08.2015 gelten und dann die entsprechenden Vorschriften des EGBGB (Art. 25f.) ersetzen. Sie ist indes keine „reine“ IPR-Verordnung, da sie Vorschriften des Internationalen Zivilprozessrechts (IZPR) für Erbfälle enthält, die insoweit den Regelungen des EuGVO als „lex specialis“ vorgehen.
II. Grundlegende Ansätze des europäischen IPR
Das europäische IPR zeichnet sich durch vier wesentliche Ansätze aus, die sich zuweilen deutlich vom deutschen IPR und dem IPR anderer Nationalstaaten unterscheiden. Zu nennen sind die Regelanknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt (1), der Grundsatz der Sachnormverweisung (2), der Grundsatz des „loi uniforme“ (3) und schließlich die „offensichtlich engere Verbindung“ zu einem anderen Staat als Korrekturformel für den gefundenen Verweisungsbefehl (4).
1. Die Regelanknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt
Im Personalstatut – also der Frage nach dem auf eine Person und ihre persönlichen Verhältnisse anwendbaren Recht – herrscht seit jeher ein Disput darüber, welcher Anknüpfungspunkt am ehesten geeignet ist, das passende Sachrecht zu bestimmen. In Deutschland überwiegt das Staatsangehörigkeitsprinzip, welches die offizielle Zugehörigkeit einer Person zu einem Staat und dessen Recht in den Mittelpunkt stellt, so etwa im Internationalen Erbrecht (Art. 25 EGBGB) oder im Internationalen Ehe- und Familienrecht (z. B. Art. 13 EGBGB).
In Ländern vor allem des anglo-amerikanischen Rechtsraums überwiegt hingegen die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt einer Person. Auch für das europäische IPR wurde dieser Anknüpfungsmoment gewählt. Obwohl es die dominierende Anknüpfungsform ist, existiert keine Legaldefinition des Begriffs (in Rom-I und Rom-II lediglich für Gesellschaften und natürliche Personen in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit). Besonders die Rechtsprechung hat Rom-I, Rom-II und EuGVO in einem „Dreiklang“ zusammen gesehen und daraus eine übergreifende, unionsautonome Definition entwickelt. Danach ist der gewöhnliche Aufenthalt der „Lebensmittelpunkt“ einer Person, ausgedrückt im Grad ihrer sozialen Integration, d. h. der Art und Intensität ihrer an diesem längerfristigen Aufenthalt eingegangenen beruflichen und privaten Beziehungen. Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom-I-VO etwa knüpft an den gewöhnlichen Aufenthalt des Verkäufers, Art. 21 Abs. 1 Rom-V-VO hingegen an den (letzten) gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers.
2. Der Grundsatz der Sachnormverweisung
Alle Rom-Verordnungen sprechen Sachnormverweisungen aus (Art. 20 Rom-I, Art. 24 Rom-II, Art. 11 Rom-III). Auf diese Weise wird eine einfachere Rechtsfindung ermöglicht, weil Renvois, die möglicherweise zu kollisionsrechtlichen Spaltungen oder Hin- und Rückverweisungen („Pingpong“-Effekt) führen, ausgeschlossen sind. Die erste Ausnahme von dieser Regel macht Art. 34 Abs. 1 Rom-V-VO, der Renvois von Drittstaaten auf das Recht eines europäischen Mitgliedstaates oder eines anderen Drittstaats für beachtlich erklärt.
Die Regelung trägt dem internationalen Entscheidungseinklang Rechnung: Nichteuropäische Gerichte werden weiterhin Besonderheiten wie z. B. die anglo-amerikanische „kollisionsrechtliche Nachlassspaltung“ beachten müssen. Dasselbe soll auch für europäische Gerichte gelten, wenn Drittstaatenrecht auf ihr Recht zurückverweist. Innerhalb Europas soll es jedoch wegen der Rechtsharmonisierung weiterhin bei der Sachnormverweisung bleiben, weshalb in Art. 34 Abs. 1 Rom-V-VO auch kein (unausgesprochenes) Gebot zur Beachtung mitgliedstaatlicher Renvois zu sehen ist.
Deutsches IPR hingegen verweist grundsätzlich gemäß Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB auch auf das IPR des ausländischen Rechts (Gesamtnormverweisung). Renvois auf deutsches Recht werden als Sachnormverweisungen interpretiert (Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB). Die Gesamtnormverweisung kann zu erheblichen Problemen führen, wenn das ausländische IPR keine für den Fall erforderliche Kollisionsnorm bereithält. Insofern ist die Sachnormverweisung des europäischen IPR ein weiterer Schritt in Richtung Vereinfachung der Rechtsfindung.
3. Der Grundsatz des „loi uniforme“
„Loi uniforme“ bedeutet übersetzt „einheitliches Recht“. Den Verweisungsbefehlen der IPR-Verordnungen ist auch dann Folge zu leisten, wenn sie auf das Recht eines Staates verweisen, der nicht Mitglied der Europäischen Union ist (Art. 2 Rom-I-VO, Art. 3 Rom-II-VO, Art. 20 Rom-V-VO). Müsste eine solche Verweisung, z. B. auf das Recht Brasiliens, abgebrochen werden, dann wäre zu klären, auf welche andere Weise das anzuwendende Recht zu ermitteln sei. Ferner soll das IPR ja gerade dasjenige Recht ermitteln, das möglichst eng mit dem konkreten Fall und den involvierten Personen verbunden ist. Wäre dies also z. B. brasilianisches Recht, so würde das IPR seine Aufgabe verfehlen, wenn es an den europäischen Grenzen Halt machte und die Verweisung abbräche.
4. Die „offensichtlich engere Verbindung“ als Korrekturformel
Angenommen, die Prüfung des Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom-I-VO ergibt, dass auf einen internationalen Kaufvertrag (der nicht dem UN-Kaufrecht unterliegt) belgisches Recht anzuwenden ist. Tatsächlich fanden die Vertragsverhandlungen aber in Deutschland statt und sind auch in deutscher Sprache protokolliert. Die Vertragssprache ist ebenfalls deutsch. Das Bankkonto, auf das die Käuferseite einzahlen muss, ist bei einer Bank in Frankfurt angemeldet.
Diese und andere Indizien können darauf hinweisen, dass der zentrale Tatbestand des Sachverhalts – der Kaufvertrag – eine engere Verbindung zum Recht eines anderen Staates als dem aufweist, den Art. 4 Abs. 1 Rom-I-VO identifiziert hat. Dementsprechend beruft Art. 4 Abs. 3 Rom-I-VO das Recht dieses anderen Staates zur Anwendung. Diese Korrekturformel soll dem oben erwähnten Ziel des IPR dienen, weil immer wieder Umstände vorliegen können, die eine wesentlich engere Verbindung zu einem anderen Recht nahelegen, die aber das IPR in seinem abstrakten Normgehalt schlechterdings nicht alle erfassen kann.
Die Vorschrift existiert in allen IPR-Verordnungen. Sie ist gleichwohl restriktiv auszulegen, wie das Wort „offensichtlich“ nahelegt. Die engere Verbindung muss gleichsam „ins Auge springen“. Diese Restriktion verdeutlicht noch einmal der Wortlaut von Art. 21 Abs. 2 Rom-V-VO („ausnahmsweise“).
III. Ausblick
Die voranschreitende Harmonisierung des Internationalen Privatrechts auf europäischer Ebene hat bereits zu einer merklichen Vereinfachung der Rechtsfindung geführt. Gleichwohl verbleiben auch im europäischen IPR noch viele ungeklärte Fragen. So wurde das Internationale Gesellschaftsrecht bis jetzt vollständig den Mitgliedstaaten überlassen, obwohl z. B. in Deutschland dieses nicht kodifiziert ist, sondern auf Richterrecht fußt. Auch das Verhältnis des neuen Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts (GEKR) zum IPR der vertraglichen Schuldverhältnisse ist eine umstrittene Frage. Der Entwicklungsprozess des IPR ist also noch lange nicht abgeschlossen.
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