BAG zur Bereitstellung essentieller Arbeitsmittel – AGB-Kontrolle
Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Saskia Wubbernitz veröffentlichen zu können. Sie studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und ist als Studentische Hilfskraft am Institut für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Uni Bonn tätig.
In einer aktuellen Entscheidung (Urteil v. 10.11.2021 – 5 AZR 334/21) befasste sich der fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts mit der Frage betreffend des Anspruchs auf Bereitstellung essentieller Arbeitsmittel. Im Zeitalter der Lieferdienste stellt diese Entscheidung, die die materiell-rechtlichen Anforderungen an die AGB-Kontrolle erfasst, eine führende Entscheidung zu zahlreichen Parallelsachen dar.
I. Sachverhalt
Als Fahrradlieferant ist K bei der B seit Juni 2016 beschäftigt. K liefert Speisen und Getränke mittels Fahrrad an die Kunden aus, welche zuvor die entsprechenden Produkte über das Internet bestellt hatten. Etwaige Daten, wie die Einsatzpläne oder die Adressen der Restaurants und der jeweiligen Kunden, bekommt K über eine Software-Applikation Scoober („App“) übermittelt. Die „App“ verbracht üblicherweise bis zu zwei GB Datenvolumen pro Monat. Seit Beginn des Arbeitsverhältnisses verwendet K sowohl sein eigenes Smartphone als auch sein eigenes Fahrrad.
B regelt in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen, dass die Arbeitnehmer sowohl ihr eigenes Smartphone als auch ihr eigenes Fahrrad zu benutzen haben. Im Gegenzug gewährt B ihnen für den Einsatz der Fahrräder eine Reparaturgutschrift von 0,25 € pro gearbeitete Stunde. Diese Gutschrift kann ausschließlich bei einem von B zuvor bestimmten Unternehmen eingelöst werden. Für die Nutzung des Smartphones ist keine entsprechende Gutschrift vorgesehen.
Mit eingereichter Klage vom 03.09.2019 verlangt K von B die Überlassung eines internetfähigen Smartphones sowie ein verkehrstüchtiges Fahrrad zur weiteren Ausübung seiner Tätigkeit als Fahrradlieferant. K betont, dass die entsprechende Allgemeine Geschäftsbedingung mangels Ausgleichsregelung unwirksam sei, §§ 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB.
B hält die Allgemeine Geschäftsbedingung hingegen für wirksam. Die Arbeitnehmer werden nicht unangemessen benachteiligt. Denn die Arbeitnehmer verfügen ohnehin über ein Smartphone mit Datenflatrate und ein Fahrrad. Hinsichtlich der Fahrradnutzung sei zudem die Möglichkeit der Reparaturgutschrift gegeben.
Gerichtlich geklärt werden sollte die Frage, ob K gegen B einen Anspruch auf Bereitstellung der begehrten essentiellen Arbeitsmittel habe.
II. Entscheidung
Das BAG hat die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts (v. 12.3.2021 – 14 Sa 306/20) zurückgewiesen. Hierbei wurde festgestellt, dass K einen Anspruch auf die begehrten Arbeitsmittel aus § 611a Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem zugrundeliegenden Arbeitsvertrag habe.
Aus § 611a Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem zugrundeliegenden Arbeitsvertrag ergibt sich jedenfalls ein Anspruch auf die Bereitstellung von Arbeitsmittel, ohne die die vertraglich vereinbarte Tätigkeit nicht erbracht werden kann.
Als Fahrradlieferant ist das Fahrrad ein zwingend notwendiges Arbeitsmittel. Als solches ist ebenso ein internetfähiges Mobiltelefon einzuordnen. Denn die vereinbarte Tätigkeit kann nur unter Verwendung der Scoober App ausgeübt werden, über welche die erforderlichen Daten übermittelt werden. Der Zugriff auf die Scoober App setzt wiederum ein bestehendes Datenvolumen voraus.
Der Anspruch auf Bereitstellung essentieller Arbeitsmittel wurde auch nicht durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des B abbedungen.
Die Vereinbarungen halten einer materiell-rechtlichen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit Abs. 1 S. 1 BGB nicht stand. Die Vereinbarung ist unangemessen und damit unwirksam.
Aufgrund der Vereinbarung, dass der Arbeitnehmer die notwendigen Arbeitsmittel selbst zu stellen hat, ist eine abweichende Regelung im Sinne des § 307 Abs. 3 S. 1 BGB gegeben, welche ihrerseits der uneingeschränkten Inhaltskontrolle unterliegt.
In § 611a BGB ist normiert, dass der Arbeitnehmer nur verpflichtet ist, seine Arbeitskraft dem Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen. Essentielle erforderliche Arbeitsmittel hat der Arbeitgeber bereitzustellen. Der Grundgedanke der gesetzlichen Regelung stützt sich auf die beiderseitigen Interessen und zu berücksichtigenden Gerechtigkeitserwägungen (BGH 23. November 2018 – V ZR 33/18 – Rn. 15; BAG 25. April 2007 – 5 AZR627/06 – Rn. 19, BAGE 122, 182). Der Arbeitnehmer unterliegt dem Weisungsrecht des Arbeitgebers aus § 106 GewO und gliedert sich in die arbeitgeberseitig organisierten Arbeitsabläufe ein, sodass ein berechtigtes Interesse an der Bereitstellung der Arbeitsmittel gegeben ist. Nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung und damit die Unwirksamkeit der Klausel gegeben, wenn die Klausel auf Grundlage einer umfassenden Interessensabwägung in ihrer Gesamtheit den Vertragspartner unangemessen benachteiligt. In der erforderlichen Abwägung ist das Interesse des Verwenders an der Aufrechterhaltung der Klausel mit dem Interesse des Vertragspartners am Wegfall der Klausel nebst deren Ersetzung durch die maßgeblichen gesetzlichen Regelungen abzuwägen. Dadurch, dass der Arbeitnehmer Verbraucher im Sinne des § 13 BGB ist, sind nach § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB auch die den Vertragsschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen.
Nach Abwägung der gegenseitigen Interessen stellt das BAG eine unangemessene Benachteiligung fest. Denn bereits die Gewährung der Reparaturgutschrift in Höhe von 0,25 € pro geleistete Arbeitsstunde stellt aufgrund der konstanten Verpflichtung zur Verwendung des eigenen Fahrrads keinen angemessenen Ausgleich dar. Trotz der Möglichkeit des Ansparens der Reparaturgutschrift ist, fehlt aus Arbeitnehmersicht die Möglichkeit über das Geld frei zu verfügen und stellt damit keine angemessene Kompensation dar.
III. Einordnung der Entscheidung
Die Entscheidung des BAG erweist sich als saubere AGB-Kontrolle unter dem Gesetzeswortlaut.
Die AGB-Prüfung ist regelmäßiger Bestandteil von Abschlussklausuren und Examensklausuren. Kennzeichnend sind hierfür insbesondere der komplexe Aufbau, die vielfältige Möglichkeit der Einbettung im Gutachten sowie die Unterscheidung zwischen Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle. Jedoch kann die AGB-Prüfung gut gelingen, sofern man stringent mit dem Gesetzestext arbeitet. Zu beachten ist hierbei insbesondere die Prüfungsreihenfolge der Inhaltskontrolle anhand §§ 307 – 309 BGB.
Ungeachtet der Relevanz einer AGB-Kontrolle in Klausuren sind, sind diese aus dem modernen Wirtschafts- und Vertragswesen nicht mehr wegzudenken. Für den Verwender bieten sie oft erhebliche Vorteile, wohingegen sie sich oft für den Vertragspartner als nachteilhaft erweisen. Die jeweiligen Interessen müssen in einen Ausgleich gebracht werden, damit sie einer gesetzlichen AGB-Kontrolle standhalten können.
In Betracht könnte ohnehin ein gesetzlicher Ersatzanspruch für dienstliche Aufwendungen kommen. Dieser sollte anteilige Kosten für Arbeitshilfsmittel und deren Instandhaltung im Umfang eines regelmäßigen dienstlichen Nutzungsanteils umfassen. Überlassung konkreter Arbeitsmittel durch Arbeitgeber sollte grundsätzlich auf dienstliche Nutzung zu beschränken sein können. Sofern eine Kontrolle ausschließlich dienstlicher Nutzung unverhältnismäßig umständlich scheinen kann, sollte, anstatt eines Anspruches auf Sachbereitstellung von Arbeitshilfsmitteln, ein entsprechender Ersatzanspruch für Aufwendungen verhältnismäßig in Betracht kommen. Falls eine Gewährung entsprechender Instandhaltungskosten über AGB hinter einem demnach möglichen gesetzlichen anteilsmäßigen dienstlichen Ersatzanspruch für Aufwendungen zurückbleiben kann, kann solche AGB unschädlich und wirksam wirken. Etwas anderes sollte nur gelten, soweit der AGB-Regelung ein klarer Regelungsgehalt entnehmbar sein sollte, dass ein Ersatzanspruch für Instandhaltung auf solchen durch AGB gewährten Ersatzanspruch beschränkt bleiben sollte und daher hinter einem ohnehin gesetzlich in Betracht kommenden dienstlichen Ersatzanspruch zurückbleiben sollte.
Ein solcher Regelungsinhalt der AGB sollte im vorliegenden Fall weniger eindeutig feststehen müssen. Die AGB-Regelung sollte danach vorliegend unter Umständen noch wirksam wirken können. Es sollte dennoch eventuell ein anteiliger dienstlicher Ersatzanspruch entsprechend dem Umfang der dienstlichen von Fahrrad und Handy in Betracht kommen können.