BAG: Pauschale Abgeltung von Überstunden intransparent
Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Urteil vom 22.02.2012 – 5 AZR 765/10 entschieden, dass eine arbeitsvertragliche Klausel, die eine pauschale Abgeltung von Überstunden vorsieht, wegen Intransparenz nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam ist.
Diese Entscheidung eignet sich deshalb gut für Examensklausuren, weil sie beliebte Probleme des Arbeitsrechts und schuldrechtliche Grundlagen zum AGB-Recht vereint. Neben einer ABG-Kontrolle wird sowohl die Frage der Vergütung von Überstunden als auch die Wirksamkeit von zweistufigen Ausschlussfristen behandelt.
1. Sachverhalt
Hintergrund des Urteils war eine Klage des Lagerarbeiters L gegen seinen Arbeitgeber (eine Spedition), gerichtet auf nachträgliche Vergütung von Überstunden. Das vertraglich vereinbarte Arbeitsentgelt belief sich bei einer 42 Stundenwoche auf EUR 1.800,00 brutto. Der Arbeitsvertrag sah unter anderem folgende Klauseln vor:
„4. Arbeitszeit
4.3. Der Arbeitnehmer(in) ist bei betrieblicher Erfordernis auch zur Mehrarbeit sowie Sonntags- und Feiertagsarbeit verpflichtet.
4.4. Der Arbeitnehmer erhält für die Über- und Mehrarbeit keine weitergehende Vergütung.
[…]
10. Erlöschen von Ansprüchen
10.1. Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erlöschen 2 Monate nach Fälligkeit im laufenden Arbeitsverhältnis und 1 Monat nach Fälligkeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Ausschlußfrist), wenn sie nicht binnen dieser Frist schriftlich geltend gemacht werden.
10.2. Wird ein geltend gemachter Anspruch innerhalb von 14 Tagen nicht entsprochen, kann er mit einer weiteren Frist von 2 Monaten Klage erheben.
10.3. Nach Ablauf der vorbenannten Fristen sind die Ansprüche verwirkt.“
Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses machte L Vergütung für 968 (in den Jahren 2006 bis 2008 geleistete) Überstunden geltend.
2. Der Anspruch auf Vergütung der Überstunden ergibt sich aus § 612 BGB analog
Zunächst ist eine Anspruchsgrundlage für das Begehren des L (Vergütung geleisteter Überstunden) zu finden. Dieser Einstieg in die Falllösung stellt im vorliegenden Fall die erste Herausforderung dar.
Der gedankliche Ansatz ist folgender: zunächst ist abstrakt nach einer Anspruchsgrundlage für die Vergütung von Überstunden zu suchen. Erst in einem zweiten Schritt wird dann auf mögliche Ausschlussgründe im konkreten Fall eingegangen.
Unterstellt also, der Ausschluss 4.4 im Arbeitsvertrag wäre unwirksam, so könnte § 612 Abs. 1 BGB dem L weiterhelfen. Danach gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Arbeitsleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Wegen der ausdrücklichen Vergütungsregelung im Arbeitsvertrag greift diese Norm nicht unmittelbar ein. Es entspricht allerdings der ständigen Rechtsprechung des BAG, dass § 612 Abs. 1 BGB entsprechend anzuwenden ist, wenn eine in bestimmter Höhe gewährte Arbeitsvergütung nicht den vollen Gegenwert für die erbrachten Dienstleistungen darstellt (z.B. BAG, 1.09.2010 – 5 AZR 517/09). Das heißt, dass eine entsprechende Vergütung als stillschweigend vereinbart gilt, soweit die im Arbeitsvertrag vorgesehene Stundenzahl überschritten ist, also Überstunden oder Mehrarbeit auf diese Weise vergütet werden sollen. Da L im Streitzeitraum insgesamt 968 Überstunden geleistet hat, könnte ihm also ein Vergütungsanspruch aus § 612 Abs. 1 BGB analog zustehen.
Wer § 612 Abs. 1 BGB als mögliche Anspruchsgrundlage erkannt hat, muss im nächsten Schritt auf die vertragliche Ausschlussklausel eingehen.
3. Anspruchs auf Vergütung der Überstunden ist nicht aufgrund der Vergütungsabrede in 4.4 des Vertrages ausgeschlossen
Wie bereits angesprochen, könnte dem Anspruch des L die Abgeltungsabrede in 4.4 des Arbeitsvertrages entgegenstehen. Dafür müsste diese Regelung wirksam sein.
Hier bedarf es in dem arbeitsrechtlichen Gutachten einer schulmäßigen AGB-Kontrolle. Eine AGB-Kontrolle im Hinblick auf arbeitsvertragliche Regelungen ist unter Beachtung der Besonderheiten des Arbeitsrechts gem. § 310 Abs. 4 S. 2 BGB grundsätzlich möglich.
Es ist davon auszugehen, dass es sich bei der Regelung 4.4 um eine Allgemeine Geschäftsbedingung i.S.d § 305 Abs. 1 BGB handelt (selbst für den Fall, dass der Vertrag nicht für eine Vielzahl von Verträgen vorgesehen gewesen sein sollte, kommen die §§ 305 BGB gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB schon bei nur einmaliger Verwendung gegenüber dem Arbeitnehmer zur Anwendung. Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des BAG ist der Arbeitnehmer nämlich als Verbraucher iSv § 13 BGB anzusehen).
Ist der Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB eröffnet, kommt es nun zu einer Inhaltskontrolle nach Maßgabe der §§ 307 ff BGB. Das Gericht prüft allein, ob die Regelungen 4.3 und 4.4 gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB verstoßen. Danach ist eine Klausel unwirksam, wenn sie nicht klar und verständlich ist. Die Klauseln 4.3 und 4.4 sehen vor, dass der Kläger bei betrieblichen Erfordernissen ohne besondere Vergütung zur Mehrarbeit verpflichtet ist.
[An dieser Stelle könnte einem der Gedanke kommen, dass eine Inhaltskontrolle ausgeschlossen ist, da die Klausel 4.4 möglicherweise die Hauptleistungspflichten der Parteien regelt. Grundsätzlich unterfallen Abreden, die sich unmittelbar auf den Gegenstand des Vertrages beziehen, aus Gründen der Vertragsfreiheit nicht der Inhaltskontrolle (BAG, 22.04.2004 – 2 AZR 281/03). Dies umfasst auch Regelungen, die das zu zahlende Entgelt festlegen. Die §§ 307 ff BGB sollen und dürfen eine gerichtliche Überwachung von Preisen nicht ermöglichen. Jedoch gibt es eine Ausnahme: Verstöße gegen das Transparenzgebot führen zur Unwirksamkeit auch solcher Klauseln, die das Preisverhältnis regeln. Dies wird durch § 307 Abs. 3 S. 2 BGB, der auf § 307 Abs. 1 S. 2 BGB verweist klar gestellt.]
Bestandteil des Transparenzgebotes i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB ist auch das Bestimmtheitsgebot. Eine Klausel ist dann bestimmt genug, wenn ihre tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau und präzise beschrieben werden, dass für den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Im vorliegenden Fall umschreiben die betreffenden Regelungen im Arbeitsvertrag nach Ansicht des Gerichts nicht klar und präzise die Rechte und Pflichten des L. Zum einen sind die Voraussetzungen, unter denen Überstunden zu leisten sind, nur vage umschrieben („betriebliche Erfordernisse“). Zum anderen ist der mögliche Umfang der Überstunden nicht geregelt. Auch lässt sich aus dem Arbeitsvertrag keine Begrenzung auf die nach § 3 ArbZG zulässige Höchstzeit entnehmen. Das Bundesarbeitsgericht ist der Auffassung, dass der L aus diesem Grunde bei Vertragsschluss nicht erkennen konnte, was auf ihn zukommt und welche Leistung er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen muss. Die Überstundenabgeltungsklausel 4.4 ist daher unwirksam.
4. Objektive Vergütungserwartung für Überstunden ist bei einem Lagerarbeiter zu bejahen
Wegen der Unwirksamkeit der Ausschlussklausel, bedarf es im weiteren Verlauf einer Prüfung der Voraussetzungen des § 612 Abs. 1 BGB (analog, s.o.). Zur Erinnerung: Eine Vergütung gilt als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Hier stellt sich die nächste Schwierigkeit: Ein Vergütungsanspruch für Mehrarbeit oder Überstunden kann nicht bei jedem Berufsbild angenommen werden. Vielmehr ist die Vergütungserwartung anhand eines objektiven Maßstabs unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, der Art, des Umfangs und der Dauer der Dienstleitung sowie der Stellung der Beteiligten zueinander festzustellen. Nach Aussage des Senats wird die –objektive – Vergütungserwartung in weiten Teilen des Arbeitslebens zu bejahen sein.
Allerdings gibt es bei einer deutlich herausgehobenen Vergütung oder „bei Diensten höherer Art“ keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass jede Mehrarbeitszeit oder jede dienstliche Anwesenheit über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus zu vergüten ist (Das BAG – 5 AZR 406/10 – hatte in seiner Entscheidung vom 17. August 2011 einen Vergütungsanspruch eines Berliner Anwalts mit einem Jahresgehalt von 88.000,00 EUR mit der Begründung verneint, dass es bei Diensten „höherer Art“ keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz gebe, dass jede Mehrarbeitszeit oder jede dienstliche Anwesenheit über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus zu vergüten sei. Indizien, welche Berufe als „Dienste höherer Art“ zu verstehen sind, lassen sich in § 1 PartGG finden. Eine herausgehobene Vergütung lässt sich regelmäßig dann bejahen, wenn das Entgelt die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet.)
Der Kläger leistet im vorliegenden Fall keine Dienste höherer Art und erzielte keine deutlich herausgehobene Vergütung. Ein Anspruch auf Vergütung besteht daher gemäß § 612 Abs. 1 BGB analog.
5. Vergütungsanspruch nicht wegen zweistufiger Ausschlussklausel verfallen
Noch ist der Fall aber nicht am Ende. Die Ansprüche des Klägers könnten aufgrund der Ausschlussklauseln in 10 des Arbeitsvertrages verfallen sein. Die zweistufigen Ausschlussklauseln in 10.1 und 10.2 regeln, dass zunächst innerhalb einer ersten Frist von zwei Monaten nach Fälligkeit des Anspruchs oder eines Monats nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die schriftliche Anmeldung der Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber erfolgen muss. Wird diese nicht innerhalb von 14 Tagen entsprochen, muss innerhalb von weiteren zwei Monaten die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs erfolgen. Da der Kläger Überstunden aus den Jahren 2006-2008 geltend macht, sind diese bereits auf der ersten Stufe verfallen.
Jedoch unterliegen auch diese Regelungen der AGB-Kontrolle. Grundsätzlich können Ausschlussfristen zwar in Formulararbeitsverträgen vereinbart werden. Dies ist in der Praxis so auch üblich, so dass § 305c BGB (Verbot überraschender Klauseln) nicht einschlägig ist.
Gleichwohl hat das BAG in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass Ausschlussfristen, die eine Frist von drei Monaten unterschreiten, unwirksam sind. Diese beschränken den Verwender entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB (BAG, 28.09.2005 -5 AZR 52/05 und BAG, 25.05.2005 – 5 AZR 572/04). Sie sind mit wesentlichen Grundgedanken des gesetzlichen Verjährungsrechts nicht vereinbar (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB).
Bei der Bemessung der angemessenen Dauer einer Ausschlussfrist ergibt sich aus § 61b Abs. 1 ArbGG – Frist von 3 Monaten – ein geeigneter Maßstab.
Ausschlussfristen, die zu kurz bemessen sind, sind unwirksam. Die Ausdehnung auf eine zulässige Dauer kommt aufgrund des Verbotes einer geltungserhaltenden Reduktion nicht in Betracht, es gilt dann allein das gesetzliche Verjährungsrecht gemäß § 306 Abs. 2 BGB.
6. Fazit
Das Urteil des BAG gibt eine klare Leitlinie, wie eine Klausel nicht gestaltet werden darf. Auch geht aus dem Urteil hervor, dass Klauseln im Arbeitsvertrag, die eine pauschale Abgeltung von Überstunden vorsehen, hierbei aber die Höhe der Überstunden ausdrücklich in einem angemessenen Rahmen unter Beachtung des § 3 ArbZG begrenzen, wirksam wären. Beispielsweise wäre eine wie folgt formulierte Klausel wirksam:
Der Arbeitnehmer(in) erhält für Über- und Mehrarbeit bis zu sechs Stunden wöchentlich oder unter Einhaltung der Beschränkungen des ArbZG keine weitere Vergütung.
Die Einfügung nur einiger weniger Worte kann der Klausel schon zur Wirksamkeit verhelfen. Daher ist in Klausuren oder in der mündlichen Prüfung besonderes Augenmerk auf die Formulierung der Abgeltungsklausel zu legen.
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