BAG: Fragerecht des Arbeitgebers über eingestellte strafrechtliche Ermittlungsverfahren
Aus einer heute veröffentlichten Pressemitteilung des BAG geht hervor, dass der 6. Senat entschieden hat, dass ein Arbeitgeber einen Stellenbewerber grundsätzlich nicht nach einem eingestellten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren fragen darf.
I. Sachverhalt
Der Kläger bewarb sich im Jahr 2009 in NRW als sogenannter „Seiteneinsteiger“ für den Schuldienst. In der Pressemitteilung heißt es:
Vor seiner Einstellung wurde er aufgefordert, auf einem Vordruck zu erklären, ob er vorbestraft sei, und zu versichern, dass gegen ihn kein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft anhängig sei oder innerhalb der letzten drei Jahre anhängig gewesen sei. Der Kläger unterzeichnete den Vordruck, ohne Angaben zu etwaigen Ermittlungsverfahren zu machen. Er wurde zum 15. September 2009 eingestellt. Im Oktober 2009 erhielt die zuständige Bezirksregierung einen anonymen Hinweis, der sie veranlasste, die Staatsanwaltschaft um Mitteilung strafrechtsrelevanter Vorfälle zu bitten. Die daraufhin übersandte Vorgangsliste wies mehrere nach §§ 153 ff. StPO eingestellte Ermittlungsverfahren aus. Das beklagte Land kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich, weil der Kläger die Frage nach Ermittlungsverfahren unrichtig beantwortet habe.
Das LAG Hamm (11 Sa 2266/10) hielt sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung für unwirksam.
II. Entscheidung
Der 6. Senat verwirft die gegen die Entscheidung des LAG gerichtete Revision des Landes mit der Begründung, die Kündigung verletze den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeistrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG und sei daher nach § 138 BGB nichtig. Die Grundrechtsverletzung folge daraus, dass die Frage nach eingestellten Ermittlungsverfahren nach § 29 Landesdatenschutzgesetz NRW unverhältnismäßig sei. Auch widerspreche die Frage der Wertentscheidung des § 53 BZRG.
III. Bewertung
Ohne genaue Kenntnis des Sachverhalts kann eine abschließende Bewertung natürlich nicht erfolgen. Wichtig ist es aber zu sehen, dass das BAG die Zulässigkeit der Frage nur „grundsätzlich“ verneint. So wird man es für zulässig erachten müssen, wenn ein Bewerber für den Schuldienst danach gefragt wird, ob gegen ihn schon einmal wegen eines Sexualdelikts ermittelt wurde.
Auch in einer Examensklausur kann das Fragerecht des Arbeitgebers thematisiert werden. Während das BAG früher eine Grundrechtsabwägung im Rahmen der zivilistischen Generalklauseln vornahm, hat diese Abwägung seit 2009 im Rahmen des § 32 BDSG zu erfolgen, wenn der Arbeitgeber eine nicht-öffentliche Stelle ist. Bei öffentlichen Stellen des Bundes gilt ebenfalls das BDSG, bei öffentlichen Stellen der Länder gelten die jeweiligen Landesdatenschutzgesetze, die aber nicht zwangsläufig eine Spezialvorschrift für den Beschäftigtendatenschutz enthalten. Die zivilrechtlichen Rechtsfolgen ergeben sich weiterhin aus dem BGB, insbesondere aus § 138 BGB und aus § 123 BGB (Ausschluss der Anfechtung mangels Rechtswidrigkeit der wahrheitswidrigen Angabe/“Recht zur Lüge“).
Im Rahmen der Abwägung müssen – insoweit ist dem BAG zuzustimmen – die Wertungen des BZRG berücksichtigt werden, weil diese einen Interessenausgleich zwischen den Interessen eines straffällig gewordenen Bewerbers (bzw. eines verdächtigen Bewerbers) und den Interessen des Arbeitgebers herbeiführen.
Art. 9 Abs. 1 des Entwurfs einer EU-Datenschutzgrundverordnung (VO-E, dazu aus arbeitsrechtlicher Sicht Forst, NZA 2012, S. 364 ff) zählt „Daten über Strafurteile oder damit zusammenhängende Sicherungsmaßregeln“ zu den besonderen Arten personenbezogener Daten, die einen stärkeren Schutz genießen als „normale“ Daten. Eine Verarbeitung dieser Daten ist nach Art. 9 Abs. 2 lit. b) VO-E aber zulässig, wenn sie erforderlich ist, „damit der für die Verarbeitung Verantwortliche seine ihm aus dem Arbeitsrecht erwachsenden Rechte ausüben und seinen arbeitsrechtlichen Pflichten nachkommen kann, soweit dies nach den Vorschriften der Union oder dem Recht der Mitgliedstaaten, das angemessene Garantien vorsehen muss, zulässig ist“. Damit kann die vom BAG befürwortete Abwägung auch unter dem VO-E erfolgen. Allerdings ist zu beachten, dass hier der EuGH letztentscheidungsbefugt wäre und möglicherweise andere Wertmaßstäbe ansetzt.
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