BAG: Altersdiskriminierung – Mehr Urlaub im öffentlichen Dienst!
Heute hat das BAG ein Urteil (9 AZR 529/10) mit großer Wirkung gesprochen: Die Staffelung des Jahresurlaubes nach Lebensalter nach TVöD verstößt gegen § 7 Abs. 1 AGG und ist damit unwirksam! Es findet eine Anpassung nach oben statt. Alle Beschäftigen haben also gleichermaßen Anspruch auf 30 Tage Jahresurlaub.
Der Sachverhalt: Urlaub nach dem Lebensalter
Gem. § 26 TVöD erhalten die Beschäftigen im öffentlichen Dienst wie folgt Urlaub:
§ 26 Erholungsurlaub
(1) 1Beschäftigte haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts (§ 21). 2Bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche beträgt der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr
bis zum vollendeten 30. Lebensjahr 26 Arbeitstage,
bis zum vollendeten 40. Lebensjahr 29 Arbeitstage und
nach dem vollendeten 40. Lebensjahr 30 Arbeitstage. […]
Der Urlaubsanspruch ist also nach dem Lebensalter gestaffelt.
Die Entscheidung: Kein Differenzierungsgrund ersichtlich
Heute hat das BAG entschieden, dass jedenfalls diese Staffelung unzulässig ist. Da die Urteilsgründe noch nicht veröffentlicht sind, hier nur ein Überblick über die Erwägungen, wie sie sich aus dem Gesetz und der Pressemitteilung (Link oben).
Die Unterscheidung an Hand des Lebensalters stellt eine unmittelbare Diskriminierung wegen des verpönten Merkmals Alter (vgl. § 1 AGG) dar. Sie kann jedoch nach § 10 Abs. 1 S. 1 AGG gerechtfertig werden, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertig ist.
Bereits das Vorliegen eines legitimen Ziels bereitet Schwierigkeiten. Zwei Begründungswege kommen häufiger vor:
- Ein erhöhtes Erholungsbedürfnis Älterer. Dieses rechtfertige, dass sie mehr Urlaub erhielten.
- Die erhöhte Urlaubsdauer solle die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern.
Letzteres ist freilich evident unverhältnismäßig; es wäre genauso möglich, da das Vorhandensein einer Familie anzuknüpfen. Das hat letztlich erst das LAG Düsseldorf klargestellt (vom 18. 1. 2011, BeckRS 2011, 73310).
Auch das Ziel, einem erhöhten Erholungsbedürfnis Älterer Rechnung zu tragen, vermag keineswegs jede Regelung zu retten. Zunächst ist es häufig zweifelhaft, ob die Regelung tatsächlich diesem Ziel dient. Häufig wird eher der Gedanke eines „erdienten Altersbonus“ hinter der Regelung gestanden haben. Auch der § 26 TVöD diene nach dem BAG anderen Zielen:
„Die tarifliche Urlaubsstaffelung verfolgt nicht das legitime Ziel, einem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Menschen Rechnung zu tragen. Ein gesteigertes Erholungsbedürfnis von Beschäftigten bereits ab dem 30. bzw. 40. Lebensjahr ließe sich auch kaum begründen.“
Nachweise erforderlich
Der zweite Satz ist aber ebenso entscheidend. Weniger wichtig ist, ob sich ein erhöhtes Erholungsbedürfnis nun tatsächlich nachweisen lässt oder nicht. Die zentrale Neuerung ist, dass es nicht mehr ausreicht, dass sich die Tarifpartner ein legitimes Ziel auszusuchen und – plausibel, aber mehr oder weniger pauschal – behaupten, die Regelung diene diesem Ziel. Sie müssten vielmehr den Nachweis geführt werden, dass dies tatsächlich so ist – notfalls unter Verwendung von statistischen Erhebungen. Dieser Zwang zur Objektivierung ihrer Einschätzung folgt aus der EuGH-Rspr. (insb.EuGH vom 05.03.2009 – C-388/07, Slg. 2009, I-1569 – Age Concern England für Alter und EuGH vom 20.03.2003 – C-187/00, Slg. 2003, I-274 – Kutz-Bauer für die Gleichbehandlung von Männern und Frauen) eingeführt hat. Zu dem Prüfungsmaßstab hat kürzlich das ArbG Wesel in einem sehr umfangreichen Urteil (v. 11.08.2010 – 6 Ca 736/10, BeckRS 2010, 73713) ausgeführt:
„[Der EuGH führte aus] das Verbot der Altersdiskriminierung nicht ausgehöhlt werden dürfe und allgemeine Behauptungen über die Geeignetheit der Maßnahme nicht in der Lage seien, eine Rechtfertigung gem. Art. 6 der RL 2000/78/EG zu begründen [EuGH Age Concern England u.a.].
[…Somit würden…] bloße allgemeine Behauptungen nicht genügen, um darzutun, dass das Ziel der streitigen Vorschrift nichts mit einer Diskriminierung zu tun habe und um vernünftigerweise die Annahme zu begründen, dass die gewählten Mittel zur Verwirklichung dieses Ziels geeignet sind oder sein könnten (EuGH vom 20.03.2003 – C-187/00, Slg. 2003, I-2741, Rn. 58 – Kutz-Bauer). [Damit bedürften nach der Rspr. des EuGH auch] die Tarifpartner […] für eine diskriminierende Regelung […] einer Rechtfertigung, die nicht nur auf einer bloßen pauschalen Behauptung beruht.
Das Ziel der gewählten Altersstruktur muss daher, wenn es nicht auf einem nachvollziehbaren Erfahrungssatz oder sonstigen möglicherweise beachtenswerten öffentlich-rechtlichen Vorschriften beruht, etwa anhand von objektiven Faktoren nachvollziehbar gemacht werden, die nichts mit der Diskriminierung aufgrund des Lebensalters zu tun haben [Nachweise].“
Freilich führt dieses doch recht engmaschige Prüfung der Erwägungen der Tarifpartner zu einem gewissen Spannungsverhältnis mit dem Grundsatz der Tarifautonomie – wie er in Art. 28 EuGRC auch vom Europarecht geschützt wird. Letztlich aber kann auch die Tarifautonomie keine Rechtfertigung für Diskriminierungen sein.
Geltung für Beamte und Referendare!
Diese Entscheidung ist auch auf Beamte und Referendare (wo zumindest in NRW die Urlaubsansprüche ebenfalls gestaffelt sind nach dem Lebensalter) zu übertragen. Zwar gilt nach § 24 AGG dieses für die Beamten das AGG nur „unter Berücksichtigung deren besonderer Rechtsstellung“. Die dem AGG zu Grunde liegende RL 2000/78/EG gilt aber nach ihrem Artikel 3 unterschiedlos für Beamte, Referendare und Angestellte. Daher ist auch in der Auslegung des AGG kein Unterschied zu machen sein.
Fazit
Als Rechtsreferendar in NRW werde ich meine Urlaubsplanung noch einmal überdenken.
„Letztlich aber kann auch die Tarifautonomie keine Rechtfertigung für Diskriminierungen sein.“
Was bleibt denn noch von der Tarif“autonomie“, wenn der Richter entscheidet, was ein „legitimes Ziel“ und was „verhältnismäßig“ ist? Diese ganze Diskriminierungssch*** führt doch nur dazu, dass der Staat immer mehr in den privaten Bereich reinregiert und die angeblich „diskriminierten“ nach Umverteilung schreien dürfen. Vor allem kann ja letztlich JEDER eine Diskriminierung geltend machen: Der Schwarze, der Weiße, der Alte, der Junge, die Frau, der Mann – was soll das?! Anstatt zu prozessieren, sollten sich diese Leute auf den A*** setzen und anfangen zu arbeiten!
Insofern, dass das Wort Diskriminierung dieser Tage inflationär genutzt wird und auf häufiger Grund für grundlose Klagen ist, stimme ich meinem Vorredner zu. Jedoch halte ich es für etwas verfehlt zu sagen, dass das Gericht entscheiden kann, was ein legitimes Ziel ist. Das Ziel kann nach wie vor im Rahmen der Tarifautonomie gewählt werden. Es muss jedoch auch eine Substanz haben, wobei hier dann eine Nachweispflicht besteht. Es soll wohl vermieden werden, dass Boni für Arbeitnehmer auf fadenscheiniger Informationsbasis gewährt werden. Das Gericht beurteilt das Ziel lediglich im Rahmen einer üblichen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Daher erscheint es nur sinnig auch zu überprüfen ob ein Mittel auch geeignet ist, den verfolgten Zweck zu erreichen.