Arbeitsrecht: Hohe Anforderungen an außerordentliche Kündigung bei Veröffentlichung eines (Büro-) Romans durch den Arbeitnehmer
Eine aktuelle Entscheidung des Arbeitsgerichts Herford (Az. 2 Ca 1394/10 – Urteil vom 18.02.2011) beschäftigt sich mit der Frage, ob einem Arbeitnehmer gekündigt werden kann, wenn dieser einen Roman veröffentlicht, der starke Bezüge zum Büro-Alltag des Autors aufweist. Der Fall wird im Folgenden anhand des typischen Aufbaus einer Kündigungsschutzklage dargestellt entsprechend einer möglichen Fallstellung in einer Examensklausur.
Sachverhalt
K ist Angestellter der Küchenmöbel-Firma B. Ende Oktober 2010 hatte K ein Buch mit dem Titel „Wer die Hölle fürchtet, kennt das Büro nicht“ veröffentlicht. Darin beschreibt der fiktive Ich-Erzähler „Jockel Beck“ seine Erfahrungen als Angestellter in einem ebenfalls fiktiven Unternehmen, das zumindest ähnliche Unternehmensstrukturen wie die der B aufweist. Die Erlebnisse und Gespräche des Erzählers mit den Angehörigen des Unternehmens, sowie deren besonderen Eigenheiten sind Gegenstand zahlreicher satirisch überspitzter Darstellungen und sollen den Leser unterhalten. Die Geschäftsleitung der B erfährt am 29.10.2010 von dem Roman und dessen Inhalt.
Der Vorgesetzte (V) ist erbost und kündigt dem K – nach erfolgter Anhörung und mit Zustimmung des Betriebsrats am 08.11.2010 – fristlos mit Schreiben vom 10.11.2010, welches ihm noch am selben Tag zugeht. Als Begründung heißt es später, das Buch sei unmittelbar eine reale Beschreibung seines Büroalltags. Zahlreiche Angestellte würden eindeutig lächerlich gemacht und diskriminiert. Bezüglich einer bestimmten Mitarbeiterin – im Betrieb von Kollegen und im Buch als „Fatma“ bezeichnet – ließe sich eine der Romanfiguren eins zu eins übertragen. Im Übrigen habe K durch sein Werk für erhebliche Unruhe und Aufregung in der Belegschaft gesorgt. Man befürchte einen regelrechten „Aufstand“ unter einigen Mitarbeitern im betrieblichen Umfeld des K, wenn dieser auch weiterhin weiterbeschäftigt werden würde. Konkrete Anhaltspunkt habe man hierfür nicht, jedoch spreche die „allgemeine Stimmunglage“ stark dafür. Viele Angestellte fühlten sich in ihren Gefühlen verletzt. Im Ergebnis seien die Darstellungen des Klägers in dem Buch als ausländerfeindlich, ehrverletzend, beleidigend und sexistisch einzustufen. Nicht nur der Wiederherstellung des Betriebsklimas, sondern auch der Abwendung einer Rufschädigung des Unternehmens sei es geschuldet, dem K eine Weiterbeschäftigung zu versagen.
K kann die ganze Aufregung nicht verstehen. In dem Buch werde explizit im Vorwort darauf hingewiesen, dass sämtliche beschriebene Personen, deren Namen und die jeweiligen Situationen frei erfunden und damit nicht identifizierbar seien. Es handele sich gerade nicht um ein Sachbuch mit einem realen Hintergrund. Überdies habe K das Buch in seiner Freizeit verfasst, sodass schon kein ausreichender Bezug zu seiner Stellung als Arbeitnehmer bestehe. Außerdem stimme die Beschreibung der besagten Angestellten mit der realen Person nicht überein. Es gebe zwar in der Tat eine Angestellte, die in seinem Büroalltag despektierlich „Fatma“ genannt werde, für diese Äußerungen sei K jedoch nicht verantwortlich. Was den Betriebsfrieden angehe, so habe V gezielt „Stimmung“ gegen K gemacht, indem dieser – was zutrifft – mit Auszügen aus dem Buch durch den Betrieb gelaufen sei und die Angestellten dazu befragt hat, ob sie sich in dem Roman wiederfinden und ggf. beleidigt fühlten. Insgesamt beruft sich K auf sein Grundrecht aus Art.5 Abs.3 GG.
K legt fristgemäß Kündigungsschutzklage bei dem zuständigen Arbeitsgericht ein. Von der Zulässigkeit der Klage ist auszugehen. Hat die Klage des K Erfolg?
Der folgende Lösungsvorschlag erhebt keinen Anspruch auf inhaltliche Vollständigkeit.
Lösungvorschlag
Die Kündigungsschutzklage des K müsste begründet sein.
I. Zugang einer schriftlichen Kündigung, § 623 BGB.
Dem K ist am 10.11.2011 ein Schreiben der B zugegangen (§ 130 Abs.1 BGB), in dem zum Ausdruck kommt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen K und B enden soll. Damit ist eine schriftliche Kündigung gegeben. (Der Arbeitnehmerstatus des Betroffenen nach § 5 ArbGG ist in der Regel unproblematisch)
II. Keine Präklusion, §§ 4, 7 KSchG
Da K noch am Folgetag nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage beim zuständigen Gericht erhoben hat, ist die Wirksamkeitsfiktion gemäß §§ 4, 7 KSchG nicht eingetreten.
III. Wirksamkeit der Kündigung nach den allgemeinen Regeln des BGB
Ferner müssten die allgemeinen Regeln des BGB über die Wirksamkeit von Willenserklärungen eingehalten worden sein. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte im Sachverhalt ist hiervon vorliegend auszugehen. (Andere Unwirksamkeitsgründe: Stellvertretung, Bedingungsfeindlichkeit, Geschäftsfähigkeit etc.)
IV. Sonderkündigungsschutz
Der Betrieb der B verfügt über einen Betriebsrat. Nach §§ 102, 103 Abs.1 BetrVG ist der Betriebsrat vor Aussprache einer außerordentlichen Kündigung anzuhören und seine Zustimmung einzuholen. Ansonsten wäre die Kündigung unwirksam und B müsste einen entsprechenden Antrag nach § 103 Abs.2 BetrVG beim Arbeitsgericht stellen. Hier wurde der Betriebsrat rechtzeitig am 08.11.2010 angehört und dessen Zustimmung abgewartet. Die Voraussetzungen für die Beteiligung des Betriebsrats sind damit erfüllt. (Andere Schutzmöglichkeiten: MuSchG, AGG, BEEG, § 613a IV 1 BGB, §§ 85, 91 SGB IX)
V. Materielle Voraussetzungen der Kündigung
(Die weitere Prüfung richtet sich danach, ob es sich um eine ordentliche oder außerordentliche, fristlose Kündigung handelt. Hier: Außerordentliche fristlose Kündigung nach § 626 BGB)
1. Zwei-Wochen-Frist nach § 626 Abs.2 BGB
Die zweiwöchige Kündigungsfrist müsste eingehalten worden sein. Die Geschäftsleitung hat am 29.10.2010 von dem Buch und dessen Inhalt Kenntnis erlangt. Gemäß § 187 Abs.1 BGB beginnt die Frist am darauf folgenden Tag, dem 30.10.2010. Fristende ist damit der Ablauf des 12.11.2010 um 23:59, § 188 Abs.2 BGB (siehe auch unten in den Kommentaren). Vorliegend ist dem K das Schreiben am 10.11.2010 und damit noch innerhalb der Frist zugegangen.
2. „Wichtiger Grundes“ nach § 626 Abs.1 BGB
Damit die außerordentliche fristlose Kündigung wirksam ist, ist ein „wichtiger Grund“ gemäß § 626 Abs.1 BGB erforderlich. Es müssen daher Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Ein bestimmter Sachverhalt muss zunächst objektiv geeignet sein, die Beendigung des Dienstverhältnisses zu begründen. Sodann ist zu klären, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (Zwei-Schritt-Prüfung).
a) Grund: Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Angestellten
Ein Kündigungsgrund könnte darin liegen, dass K das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs.1 i.V.m. Art. 1 Abs.1 GG verletzt haben könnte. Das wäre der Fall, wenn der Betroffene erkennbar Gegenstand einer medialen Darstellung gemacht wird.
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im sogenannten Esra-Fall (ein autobiographischer Liebesroman von Maxim Biller) ist bei der Abwägung mit dem Grundrecht der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG auf die mögliche Erkennbarkeit der realen Person in der Gestalt des im Roman fiktionalen Protagonisten abzustellen. Erst wenn bei solchen Biographien ohne wesentliche Abweichung von der Wirklichkeit eine Darstellung einer real existierenden Person erzielt wird, liegt ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht vor. Dabei ist zu beachten, dass die Kunstfreiheit das Recht zur Verwendung von Vorbildern aus der Lebenswirklichkeit positiv mit einschließt – so ausdrücklich das BVerfG).
Für den Fall, dass Persönlichkeitsrechte betroffen sind, ist zu fragen, ob der hohe Stellenwert der Kunstfreiheit in Art. 5 Abs. 3 GG Beeinträchtigungen von Persönlichkeitsrechten im Wege der Wechselwirkung möglicherweise rechtfertigt. Hierbei hat das Bundesverfassungsgericht eine kunstspezifische Betrachtungsweise angelegt, um einen etwaigen Wirklichkeitsbezug des Romans zu ermitteln. Das Bundesverfassungsgericht vermutet dabei zugunsten des Autors eine Fiktionalität des Werkes. Etwas anderes gilt erst dann, wenn der Romanautor einen Faktizitätsanspruch selbst erhebt; […]
Kann dabei ein objektiv besonnener und verständiger Leser erkennen, dass sich der Romantext nicht in einer reportagenhaften Schilderung einer realexistierenden Person und von realen Ereignissen erschöpft, sondern vielmehr auf einer dahinterliegenden Ebene spielt, so können Persönlichkeitsrechte nach der oben benannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gerade nicht betroffen sein.
Gerade einem Satire-Roman ist es zu eigen, dass er Sachverhalte überspitzt und bewusst übertrieben darstellt und den Leser auf bestimmte Themen hinweist, indem er ihn zum Lachen bringt. Ob sie dem guten Geschmack entspricht, ist aufgrund von Art. 5 Abs.3 GG nicht Gegenstand der Beurteilung.
Im vorliegenden Fall hat K im Vorwort des Buches ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Roman um eine reine Fiktion handelt.
Es fehlt eine substantielle Darlegung, dass die der Romanfigur (als Ich-Erzähler) zuzuschreibenden Verhaltensauffälligkeiten (incl. der vermeintlichen Erfüllung von Straftatbeständen) irgendeinen tatsächlichen Bezug und Wahrheitsgehalt zu real existierenden Personen im Betrieb der Beklagten hat. Nach der Logik der Beklagten hätten dann noch zahlreiche weitere Kündigung angedacht werden müssen. Aber die Beklagte erkennt dieses Dilemma im Kernpunkt selbst, als sie in ihrer Begründung der Kündigung die Vermischung von Realität und Fantasie immer wieder selbst feststellt.Weiterhin lassen reicht eine allgemeine Ähnlichkeit mit dem Unternehmen der B nicht aus, um einen entsprechenden direkten Bezug herzustellen.Die Beklagte übersieht, dass sich die im Buch aufgegriffenen Betriebsstrukturen auch in anderen Betrieben wieder finden lassen: Geschäftsführer, Betriebsrat, Buchhaltungsabteilung, Verkaufsabteilung, Einkaufsabteillung usw. sind den meisten Firmenstrukturen immanent. In vielen Firmen werden sich auch Mitarbeiter anderer Nationalitäten als der Deutschen finden lassen; es wird auch des Öfteren Mitarbeiter mit Haarzöpfen geben.
Auch reichen nur teilweise Übereinstimmungen zu realen Personen nicht aus. Vielmehr muss die Romanfigur im Ganzen der realen Person entsprechen. Sowohl innere, als auch äußere Merkmale müssen sich dabei im Roman niedergeschlagen haben. Dies ist bei der als „Fatma“ betitlten Mitarbeiterin aber nicht erkennbar geworden.
Wie bereits oben darauf hingewiesen ist der Umstand, dass Teile der Arbeitnehmerschaft der Beklagten Romanfiguren auf das äußere Erscheinungsbild und in einem Fall zusätzlich auf die Nationalität reduzieren, ohne die Gesamtperson und Handlungen aus der Realität dabei im Auge zu behalten, ist ein Defizit im Ausgangspunkt zur Aussprache und Vorbereitung der außerordentlichen Kündigung vom 10.11.2010. Nach Art der „Rosinen-Theorie“ werden nur solche vermeintliche Übereinstimmungen aus dem Buch mit der Lebenswirklichkeit herausgepickt, die für sich einen ersten Rückschluss auf eine mögliche Person im Betrieb zulassen. Dabei wird beklagtenseitig das äußere Erscheinungsbild der Person von dem inneren Erscheinungsbild (Charakter, Psyche, usw.) völlig losgelöst beurteilt. Statt ein Gesamtbild der im Roman dargestellten Persönlichkeiten wahrzunehmen, wird auf ein paar krass ins Auge springender Einzelheiten reduziert. Erst diese Reduzierung und die anschließende, darauf basierende Gleichschaltung von Romanfigur zu möglicherweise real existierenden Personen kann das Vorgehen der Kollegen und der Beklagten erklären, rechtfertig aber keine außerordentliche Kündigung.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Angestellten wurde folglich nicht verletzt. Ein entsprechender Kündigungsgrund ist nicht gegeben.
b) Grund: Nebenpflichtverletzung des K
K könnte eine Nebenpflicht nach § 241 Abs.2 BGB verletzt haben, indem nach der Romanveröffentlichung zu „Unruhen“ unter der Belegschaft gekommen ist.
Üblicher Weise werden unter dem Begriff Betriebsfrieden Störungen eines Arbeitnehmers gezählt, der Arbeitskollegen zu oppositionellen Verhalten gegen den Arbeitgeber, zum Vertragsbruch etc. aufwiegelt und versucht, bewusst den Betriebsfrieden zu stören. In einer solchen Situation wäre die Rücksichtnahmepflicht aus dem Arbeitsvertrag verletzt. Grundsätzlich ist der Arbeitnehmer zur vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitskollegen verpflichtet. Er hat die Privatsphäre von Arbeitgeber und Arbeitskollegen zu beachten. Private Konflikte dürfen nicht in den Betrieb übertragen werden. Wird der Betriebsfrieden durch aktive Handlungen gestört, die das friedliche Zusammenarbeiten der Arbeitnehmerschaft untereinander und mit dem Arbeitgeber erschüttern oder nachhaltig beeinträchtigen und nachteilige betriebliche Auswirkungen etwa durch eine Störung des Betriebsablaufs haben, kann eine verhaltensbedingte, ordentliche Kündigung gerechtfertigt sein.
Voraussetzung ist allerdings auch hier, dass das Verhalten dem Arbeitnehmer als Vertragspflichtverletzung vorwerfbar ist. Auch dürfen die Grundrechte des Arbeitnehmers insbesondere seine Meinungsfreiheit und die Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG nicht unverhältnismäßig beschränkt werden. Eine außerordentliche Kündigung kommt wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erst bei schwerwiegenden Störungen des Betriebsfriedens oder des Arbeitsablaufs in Betracht. Im Übrigen trifft den Arbeitgeber bei Streitigkeiten unter Arbeitnehmern, die einen geordneten Betriebsablauf gefährden können, eine besondere Vermittlungspflicht.
Folglich fehlt es auch in dieser Hinsicht an einem wichtigen Grund nach § 626 Abs.1 BGB.
c) Grund: sog. Druck-Kündigung
Es könnte ein Fall der Druck-Kündigung vorliegen, wenn sich der Arbeitgeber gezwungen sieht, einem bestimmten Arbeitnehmer zu kündigen, da ansonsten mit erheblichen Konsequenzen seitens der Belegschaft, des Betriebsrats oder Kunden des Arbeitgebers (Kündigung, Verweigerung der Zusammenarbeit, Abbruch der Geschäftsbeziehungen) zu rechnen wäre. Hierbei wird zwischen der unechten Druck-Kündigung und der (echten) Druckkündigung aus betriebsbedingten Gründen unterschieden. Während bei der ersten Variante das Entlassungsbegehren objektiv aus verhaltens- oder personenbedingten Gründen nach § 1 Abs.2 S.1 KSchG gerechtfertigt ist, basiert die betriebsbedingte Druck-Kündigung auf außer- oder innerbetrieblichen Umständen.
Eine unechte Druckkündigung kommt hier nicht in Betracht, da im Verhalten oder in der Person des K keine Pflichtverletzungen zu erkennen sind (s.o.). K kann sich dahingehend auf sein Recht aus Art. 5 Abs.3 GG berufen.
Es könnte sich jedoch um eine betriebsbedingte Druck-Kündigung handeln.
Die Fälle einer betriebsbedingten Druck-Kündigung sind dagegen selten und werden teilweise sogar ganz abgelehnt. […] Letzteres vor allem vor dem Hintergrund, dass das Recht nicht dem Unrecht weichen muss. Die Frage die sich bei betriebsbedingten Druck-Kündigungen auftut ist, ob bei rechtswidrigen Drohungen es dem Arbeitgeber zumutbar sein kann, den Eintritt erheblicher Schäden zu riskieren, wenn ein milderes Mittel als die Kündigung fehlt.[…] Weitere Voraussetzungen einer betriebsbedingten Druck-Kündigung ist, dass der Arbeitgeber sich zunächst schützend vor den betroffenen Arbeitnehmer stellt und alle zumutbaren Mittel einsetzt, um die Belegschaft und die Person, von denen der Druck ausgeht, von ihrer Drohung abzubringen. Konkrete Darlegungen hierzu lassen die Betriebsratsanhörung und der Prozessvortrag vermissen.
Sollten hinter dem (Druck-)Kündigungsbegehren gar diskriminierende Motive des Arbeitnehmers stehen, ist der Arbeitgeber verpflichtet, die ihm gem. § 12 AGG gegenüber Arbeitnehmern und nach § 19 AGG gegenüber Geschäftspartnern zustehenden Abwehrmöglichkeiten auszuschöpfen. Nur wenn trotz allem ein bestimmtes angedrohtes Verhalten nicht zu verhindern ist und dem Arbeitgeber dadurch schwere wirtschaftliche Beeinträchtigungen drohen würden, kann die Kündigung sozial gerechtfertigt sein. Dabei muss die Kündigung nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit das Einzige in Betracht kommende Mittel sein, um etwaige Schäden abzuwenden.
[…]Die Berufung des Beklagten darauf, dass nach Aussage aller Abteilungsleiter es im Fall einer Fortführung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger zu einem „Aufstand“ kommen würde, ist kein ausreichender Sachvortrag für die Annahme, dass eine außerordentliche Druck-Kündigung unumgänglich gewesen ist am 10.11.2010.
Ergebnis: Ein wichtiger Grund gemäß § 626 Abs.1 BGB ist nicht gegeben. Die außerordentliche fristlose Kündigung der B ist damit unwirksam. Die Klage des K ist begründet. (Zur Möglichkeit einer Umdeutung der fristlosen Kündigung in eine ordentliche Kündigung, siehe unten)
Fazit
Die Kündigungsschutzklage sollte man kennen. Sobald der gängige Aufbau einmal verinnerlicht wurde, wird der Schwerpunkt der Prüfung regelmäßig in der Behandlung der möglichen Kündigungsgründe liegen. Dabei handelt es sich meist um eine Abwägungsentscheidung, die stets in zwei Schritten zu prüfen ist: Ist der Kündigungsgrund objektiv geeignet, eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen? Wenn ja, gilt dies auch für den konkreten Einzelfall unter Abwägung der jeweiligen Interessen der Vertragspartner? Geht die außerordentliche fristlose Kündigung nicht durch, sollte man die Möglichkeit einer Umdeutung (§ 140 BGB) in eine vorsorgliche fristwahrende ordentliche Kündigung im Hinterkopf behalten. Dies wird in der Regel möglich und von der Zustimmung des Betriebsrats – wenn vorhanden – gedeckt sein (da ein „minus“ zur außerordentlichen fristlosen Kündigung; umgekehrt dagegen nicht, vgl. auch HK-ArbR/Braasch § 626 Rz. 43f).
Um den Rahmen des Beitrags nicht zu sprengen und da die Umdeutungsmöglichkeit in der Entscheidung nicht in Erscheinung tritt, wurde von einer Prüfung abgesehen. Nach allgemeiner Ansicht darf das Arbeitsgericht eine solche Umdeutung jedenfalls nicht von Amts wegen vornehmen. In der Regel werden entsprechende Hinweise im Sachverhalt anzutreffen sein.
Der Fall eignet sich gut für eine Examensklausur, da typische Probleme des Arbeitsrechts mit grundrechtlichen Überlegungen (APR, Kunstfreiheit) verknüpft werden.
Hi, ich habe eine Anmerkung zum Fristende. Unter Punkt V. 1. wird der 12.11.2010 0:00 Uhr genannt. Das ist nach Ansicht der BGH falsch. Der BGH sieht als „Ablauf des letzten Tages“ einer Frist den Zeitpunkt 23.59 Uhr (und 59 Sekunden) an. Um 00.00 Uhr beginnt der Folgetag und zu diesem Zeitpunkt ist die Frist abgelaufen, da das fristwahrende Ereignis „vor“ dem Fristablaub erfolgen muss. Außerdem stellt der BGH fest, dass es keinen Unterschied „im naturwissenschaftlichen Sinne“ zwischen 24.00 und 00.00 Uhr gibt. Somit stellt auch die Uhrzeit 24.00 Uhr nicht das Ende eines Tages dar (meiner Meinung gibt es diese Uhrzeit auch gar nicht). Laut BGH existiert nämlich auch keine „logische Sekunde“ zwischen 00.00 und 24.00 Uhr.
https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=40016&pos=0&anz=1
Danke für den guten, ausführlichen Hinweis. Sollte eigentlich noch geändert werden, ist dann aber in der Korrektur durchs Raster gefallen.
Der Vollständigkeit halber wurde es jetzt ergänzt.
Grüße
Nico