Antrag der NPD auf „Klärung der Verfassungsmäßigkeit“
In der letzten Woche hat die NPD einen Antrag beim BVerfG gestellt, in dem sie begehrt, das Gericht möge ihre Verfassungsmäßigkeit feststellen (vgl. etwa sueddeutsche.de vom 13.11.2012, „Antrag beim Bundesverfassungsgericht – NPD lässt Verfassungstreue prüfen“). Dieser Antrag ist juristisch interessant, weil es kein festgelegtes Verfahren gibt, wonach eine Partei ihre Verfassungstreue „feststellen“ lassen kann. Es bietet sich, gerade wegen der großen Öffentlichkeitswirkung daher an, die Frage in der mündlichen Prüfung im Examen aufzugreifen.
I. Inhalt des Antrages
Aus der Presse lässt sich jedenfalls der ungefähre Inhalt des Antrages der NPD entnehmen. Er richtet sich wohl gegen die Verfassungsorgane Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat. Der Bund und die Länder sollten deshalb entweder Beweise für die Verfassungswidrigkeit vorlegen und einen Verbotsantrag stellen – oder ihre öffentlichen Zweifel an der Verfassungstreue der NPD unterlassen.
Nachtrag: Der Antrag ist im Wortlaut (und mit Begründung) auf der Homepage der NPD veröffentlicht, darauf wurde in einem Kommentar hingewiesen. Die rechtlichen Ausführungen des hiesigen Artikels beantworten M.E. alle Fragen, die sich auch bei Kenntnis des Wortlauts des Antrages stellen. Der Antrag der NPD wird, jedenfalls so wie er gestellt ist, keinen Erfolg haben, weil das Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 S. 2 GG / § 43 BVerfGG gerade nicht auf die Partei ausgeweitet werden muss (dazu II.). In Betracht kommt allenfalls eine „Auslegung“ als Antrag im Organstreitverfahren, weil nur dieses statthaft ist (III.). Auch dieser Antrag wird M.E. keinen Erfolg haben (s. dort).
II. Kein Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG
Schon vom Antrag her dürfte damit ein Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG nicht in Betracht kommen. Es wäre auch wohl nicht statthaft. Das Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG kann jedenfalls nach dem BVerfGG, das nach Art. 21 Abs. 3 GG hierfür nähere Regeln enthält, nicht von der Partei selbst angestoßen werden. Nach § 43 BVerfGG kann der Verbotsantrag nur von dem Bundestag, dem Bundesrat oder von der Bundesregierung gestellt werden (sowie nach § 43 Abs. 2 BVerfGG von einer Landesregierung für Parteien, deren Tätigkeit sich auf das Land beschränkt).
Eine Zulassung des Antrages außerhalb des BVerfGG, unmittelbar gestützt auf Art. 21 GG, dürfte wohl eher ausscheiden. Erstens erlaubt Art. 21 Abs. 3 GG die Regelung durch das BVerfGG. Das gibt Raum, dass das BVerfGG auch zu einer Beschränkung führt.
Zum Zweiten ist das Verbotsverfahren auch der Sache nach ungeeignet dafür, von der Partei selbst betrieben zu werden. Denn die Partei hätte ja gar kein Interesse daran, das Verfahren mit Energie zu betreiben. Ebenso wäre es auch misslich, wenn die genannten Organe von der Partei in das Verfahren getrieben werden könnten. Dann drohte ein Ergebnis, wie es beim letzten Anlauf des Parteiverbotsverfahrens gegen die NPD zu befürchten war, nämlich dass das BVerfG den Nachweis der Verfassungswidrigkeit als nicht geführt ansieht. Wenn also die Partei es in der Hand hätte, die Organe zur Unzeit in das Verfahren zu treiben, könnte sie sich erhebliche taktische Vorteile verschaffen.
Zum Dritten bedarf es für die Durchführung des Verfahrens nach Art. 21 Abs. 2 GG wohl durchaus eines Antragsstellers, der dieses durch entsprechende Ermittlungsarbeit vorbereitet hat und dann energisch vorantreibt. Zwar gilt auch für das BVerfG nach § 26 Abs. 1 S. 1 BVerfGG der Amtsermittlungsgrundsatz. Das Gericht hat auch – jedenfalls theoretisch –recht umfangreiche Möglichkeiten der Beweiserhebung, sei es durch Zeugen und Sachverständige (§ 28 BVerfGG) oder sachverständige Dritte (§ 27a BVerfGG). Auch Durchsuchung und Beschlagnahme kann das Gericht im Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG anordnen, §§ 47, 38 BVerfGG. Wichtig dürfte aber vor allem die Möglichkeit sein, nach § 27 BVerfGG Amtshilfe in Anspruch zu nehmen. Demnach wäre es durchaus möglich, die Sicherheitsbehörden mit Ermittlungen dahingehend, ob eine Partei zu verbieten ist oder nicht, zu betrauen. Praktisch erscheint es jedoch schwierig, dass das BVerfG eine solche Untersuchung vollständig selbst durchführt. Aus rechtsstaatlicher Sicht wäre außerdem, statt eines solchen Inquisitionsprozesses, ohnehin eine Trennung zwischen Richter und Ermittlerrolle wünschenswert.
Vor allem aber ist auch das Bedürfnis nach einem solchen Verfahren nicht groß, weil nach Art. 21 Abs. 2 S. 2 GG bis zur Entscheidung des BVerfG die Partei als verfassungsgemäß gilt, sie also rechtlich betrachtet bereits steht, als wäre ihre Verfassungsmäßigkeit festgestellt worden. Damit ist dann fraglich, welches Interesse sie an einem vom BVerfG abgelehnten Verbotsantrag haben kann. Dieser bedeutet noch nicht einmal zwingend, dass die Partei verfassungskonform ist, weil nur festgestellt wird, dass die gefundenen Beweise nicht ausreichen. Außerdem kann sich dieses „Siegel der Verfassungskonformität“ auch immer nur auf einen Moment erstrecken, kann aber natürlich nicht die Verfassungsmäßigkeit der Partei für alle Zeit rechtskräftig feststellen. Zweifel an ihrer Verfassungsmäßigkeit kann das Verfahren daher auch nicht entscheidend besser ausräumen als die Fiktion des Art. 21 Abs. 2 GG.
Hier kann man natürlich anderer Ansicht sein wegen des politischen Effekts, der mit einem entsprechenden Urteil des BVerfG verbunden wäre. Dieser Effekt ist M.E. aber kaum vom Schutzzweck des Art. 21 Abs. 2 GG gedeckt. Deshalb spielt dieses Argument M.E. allenfalls eine untergeordnete Rolle.
Letztlich stellt sich die Frage nach einer Erstreckung aber ohnehin erst , wenn andere rechtliche Möglichkeiten ausscheiden.
III. Organstreitverfahren
Vieles spricht bei diesem Antrag dafür, dass das Verfahren der NPD als Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG einzuordnen ist. Sowohl von den Beteiligten wie auch von der Begehr (Rechte der Partei aus Art. 21 GG) her passt es.
1. Zulässigkeit
a) Zulässige Beteiligte
Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung sind nach § 63 BVerfGG und Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG taugliche Gegner eines Organstreitverfahrens.
Die NPD müsste jedoch auch tauglicher Antragsteller sein. In Erweiterung von § 63 BVerfGG erkennt das BVerfG in stRspr auch die politischen Parteien als andere Beteiligte im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 an, sofern sie um eigene Rechte streiten, die sich aus ihrem in Art. 21 GG garantierten verfassungsrechtlichen Status ergeben (BVerfGE 1, 208, 223 ff = NJW 1952, 657; 82, 322, 335 = NJW 1990, 3001 BeckOK-GG/Morgenthaler, Art. 93 Rn. 22; wenn auch in der Literatur kritisiert, vgl. BeckOK-GG/Kluth, Art. 21 Rn. 208 m.w.N.). Also ist die NPD, soweit es um ihre Rechte aus Art. 21 GG geht, auch tauglicher Antragsteller.
b) Antragsgegenstand (§ 64 Abs. 1 BVerfGG)
Zunächst müsste Gegenstand des Antrages eine Handlung oder Unterlassung der Antragsgegner sein. Hier gibt es zwei verschiedene Antragsgegenstände. Vorliegend begehrt die NPD entweder die Stellung des Verbotsantrages und/oder die Unterlassung, öffentliche Zweifel an der Verfassungstreue der Partei weiterhin zu äußern. Leider ist der genaue Antrag nicht bekannt, insbesondere ist nicht bekannt, in welchem Verhältnis die beiden Handlungsalternativen – Unterlassung weiterer Diskussion oder Verbotsantrag – stehen.
Dem Wortlaut nach scheint es der Partei in erster Linie darauf anzukommen, einen Verbotsantrag zu erreichen. Dieser stellt eine Maßnahme nach § 64 Abs. 2 BVerfGG dar und ist daher tauglicher Antragsgegenstand.
Soweit dagegen die Partei die Unterlassung weiterer Äußerungen hinsichtlich ihrer Verfassungswidrigkeit begehrt, ist fraglich, inwiefern diese Äußerungen als Maßnahme i.S.d. § 64 Abs. 2 BVerfGG eingeordnet werden können. Nach der Rspr. des BVerfG muss eine Maßnahme rechtserheblich sein oder sich zumindest zu einem die Rechtsstellung des Antragstellers beeinträchtigenden rechtserheblichem Verhalten verdichten können (so BVerfG NJW 1961, 1913). Meinungsäußerungen seien dies nach Ansicht des BVerfG in der zitierten Entscheidung nicht zwingend, denn sie schränken den Rechtskreis des Antragstellers in keiner Weise ein. Das gälte insbesondere für Äußerungen hinsichtlich der Verfassungskonformität einer Partei, da diese nur das BVerfG bindend nach Art. 21 Abs. 2 GG feststellen könne.
Demgegenüber bejaht die hL die Maßnahmenqualität einer Meinungsäußerung dahingehend, dass eine Partei verfassungwidrig sei (vgl. nur Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 64 Rn. 29 m.w.N.). Für diese Ansicht spricht vor allem, dass inzwischen allgemein anerkannt ist, dass auch faktischem Handeln wie Meinungsäußerungen Eingriffsqualität zukommen kann. Der formale Eingriffsbegriff ist überwunden. Darüber hinaus vermischt das BVerfG mit seiner Definition der Maßnahme Fragen von Antragsbefugnis und Antragsgegenstand. Ob der Antragssteller in seinen Rechten eingeschränkt ist, richtet sich nach dem materiellen Gehalt der geltend gemachten Rechte. Es kommt also darauf an, ob Art. 21 GG möglicherweise einer derartigen Meinungsäußerung entgegensteht. Das ist eine Frage der Antragsbefugnis. Insgesamt ist daher der hL zu folgen, zumal ohnehin zweifelhaft ist, ob das BVerfG nach dem Stand der heutigen Dogmatik an seiner Ansicht festhalten würde.
Dann ist aber weiterhin zu klären, ob es sich bei den angegriffenen Meinungsäußerungen auch um Maßnahmen der Organe handelt, ob diese also dem Organ zugerechnet werden können. Leider weiß man nicht, welche Äußerungen genau angegriffen werden; im Folgenden werden daher möglichst allgemeine Leitlinien entwickelt, wie die verschiedenen Fälle zu behandeln wären. Jedenfalls werden Meinungsäußerungen im hiesigen Kontext zumeist nicht von dem Organ als solchem getätigt, sondern von einzelnen Teilen des Organs. Nicht der Bundestag beschließt, die NPD sei verfassungswidrig, sondern einzelne Abgeordnete äußern sich dahingehend – und zwar nicht notwendigerweise im Bundestag, sondern auch gegenüber der Presse. Für die Zurechnung von Äußerungen dürfte dann bei den einzelnen Organen Folgendes gelten:
- Bundesregierung: „Beschlüsse der Bundesregierung“ (§ 20 Abs. 1 GO BReg; vgl. auch § 15 Abs. 1 GO BReg) sind ihr eindeutig zuzurechnen. Gleiches dürfte aber im Ergebnis auch für Äußerungen von Regierungsmitgliedern gelten, jedenfalls soweit sie nicht eindeutig in einer anderen (etwa Partei-)Funktion getätigt wurden. In diesem Fall ist M.E. die Diskussion offen. Ebenfalls zugerechnet werden können M.E. auch Äußerungen von sonstigen Repräsentanten der Regierung, insbesondere von Beamten aus dem nachgeordneten Verwaltungsaufbau, soweit die Äußerung in amtlicher Funktion getätigt wurde.
- Bundestag: Beschlüssen nach Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG sind dem Bundestag selbstverständlich zuzurechnen. Bei den sonstigen Äußerungen der Parlamentarier sollte man zunächst zwischen solchen im Bundestag (und Ausschüssen) und solchen außerhalb differenzieren. Für erstere kommt noch eher eine Zurechnung in Betracht. Ich würde sie aber auch ablehnen mit folgender Kontrollüberlegung: Wie kann der Bundestag dafür verantwortlich gemacht werden, was seine Mitglieder sagen? Wie soll er eine Unterlassungsverpflichtung ihnen gegenüber durchsetzen? Das gilt erst Recht für Aussagen der Parlamentarier außerhalb des Bundestages, etwa gegenüber der Presse.
- Bundesrat: Auch hier dürfte nur der „offizielle“ Beschluss (Art. 52 Abs. 3 S. 1 GG) zuzurechnen sein. Erwägen mag man dies dann allenfalls noch für Äußerungen im Bundesrat. Äußerungen der Landesregierungen und ihrer Mitglieder außerhalb können dem Bundesrat jedoch keinesfalls zugerechnet werden.
M.E. dürften daher die meisten der angegriffenen Äußerungen schon keine tauglichen Antragsgegenstände sein. Entsprechend kann auch ein geltend gemachter Unterlassungsanspruch hierauf nicht gestützt werden. Mithin dürfte der Antrag im Hinblick auf den Unterlassungsanspruch gegenüber Bundesrat und Bundestag bereits unzulässig sein.
c) Antragsbefugnis (§ 64 Abs. 1 BVerfGG)
Ferner müsste eine Antragsbefugnis gem. § 64 Abs. 1 BVerfGG gegeben sein. Das ist der Fall, wenn eine Verletzung von organschaftlichen Rechten des Antragsstellers durch die bezeichneten Maßnahmen jedenfalls nicht von vornherein ausscheidet.
Wie im Verwaltungsrecht bei § 42 Abs. 2 VwGO (dort: Klagebefugnis) kann man die Antragsbefugnis nach § 64 Abs. 1 BVerfGG bereits bejahen, wenn die Möglichkeit einer Verletzung eines Rechts bzw. einer Pflicht ernsthaft in Betracht kommt, ohne aber die damit verbundenen Rechtsfragen erschöpfend zu klären. Im Verwaltungsprozess wird dies als sog. Möglichkeitstheorie bezeichnet. Demgegenüber fordert die Schlüssigkeitstheorie, dass bereits im Rahmen des § 42 Abs. 2 VwGO die Schlüssigkeit der Klage, bei § 64 Abs. 1 BVerfGG dann des Antrages, festgestellt wird. D.h., es ist zu prüfen, ob der Antrag, die vorgetragenen Tatsachen unterstellt, Erfolg hätte. Damit wird die Prüfung allerdings kopflastig. In der Klausur sollte man hier keinen Theorienstreit aufmachen, sondern ohne jede Diskussion einfach eine der Theorien anwenden. Vorzugswürdig ist dabei die Möglichkeitstheorie, weil sie die Kopflastigkeit vermeidet.
Eine Antragsbefugnis im Hinblick auf die begehrte Stellung des Verbotsantrages ist damit gegeben, wenn ein Anspruch der NPD hierauf jedenfalls in Betracht kommt. Wegen der beschränkten Beteiligtenfähigkeit der NPD müsste sich dieser vorliegend aus Art. 21 GG ergeben. Dies erscheint schon beim ersten Zugriff zweifelhaft.
Insofern kann auf die obigen Ausführungen (II.) verwiesen werden. Art. 21 GG sieht einen solchen Antrag nicht vor, § 43 Abs. 1 BVerfGG schließt ihn aus. Dies ist verfassungskonform, weil es wegen Art. 21 Abs. 2 GG ein dringendes Bedürfnis der Partei auf die Stellung des Verbotsantrages nicht gibt. Sie wird ja nach dem Gesetz ohnehin behandelt, als sei ein Verbot abgelehnt worden. Darüber hinaus hat es auch keinen Sinn, der Partei zu erlauben, die zuständigen Organe zur Unzeit in das Verbotsverfahren zu treiben. Damit scheidet eine Antragsbefugnis der NPD hinsichtlich der ersten Begehr, nämlich die genannten Organe zur Stellung des Verbotsantrages zu verpflichten, aus.
Diese Frage hätte man im Hinblick auf die Möglichkeitstheorie an dieser Stelle auch vertretbar offenlassen können. Es entschlackt jedoch die Prüfung deutlich, an dieser Stelle bereits den Anspruch auf Stellung des Verbotsantrages ausscheiden zu lassen. Da er M.E. eher fernliegend sein dürfte, habe ich ihn bereits hier „rausgeworfen“.
Eine Antragsbefugnis im Hinblick auf die begehrte Unterlassung der Meinungsäußerungen ist gegeben, wenn der von der NPD begehrte Anspruch auf Unterlassung jedenfalls in Betracht kommt. Das ist umgekehrt der Fall, wenn die fortlaufenden Behauptungen der Verfassungsorgane, die NPD sei verfassungsfeindlich, eine Verletzung eines Rechts aus Art. 21 GG darstellten.
Schon prima facie spricht hierfür vieles. Die stärkste Beeinträchtigung der Parteienfreiheit stellt die Verhängung eines Parteiverbots dar (BeckOK-GG/Kluth, Art. 21 Rn. 197). Als Vorstufe dessen wird man auch der Diskussion über das Parteiverbot Eingriffsqualität zuerkennen müssen. Daher ist zumindest die Möglichkeit einer Verletzung des Rechts aus Art. 21 GG hinreichend dargetan.
Nach der Schlüssigkeitstheorie müsste man dagegen hier bereits endgültig klären, ob ein solcher Anspruch auf Grundlage der vorgetragenen Tatsachen aus Art. 21 GG folgen könnte. Um Kopflastigkeit zu vermeiden, wird hier darauf verzichtet.
d) Frist: § 63 Abs. 3 BVerfGG
Die Frist des § 63 Abs. 3 BVerfGG dürfte unproblematisch gewahrt sein, weil es sich bei der fortlaufenden Debatte um wiederholte Verstöße handelt, welche die Frist stets aufs Neue zu laufen beginnen lassen.
e) Rechtsschutzbedürfnis
In Hinblick auf Art. 21 Abs. 2 S. 2 GG könnte ferner das Rechtsschutzbedürfnis der NPD fraglich sein. Nach dieser Vorschrift ist die Partei so lange als verfassungsgemäß anzusehen, bis das BVerfG anderes festgestellt hat. Daher stellt sich die Frage, inwieweit der hiesige Anspruch über diese Position hinausgeht. Vorliegend begehrt die NPD insbesondere Behauptungen zu unterlassen, die Partei sei verfassungswidrig. Derartige Behauptungen werden nicht direkt durch Art. 21 Abs. 2 GG verboten. Es besteht daher durchaus ein Interesse zu klären, inwiefern sie zulässig sind. Da es auch um die Abwägung gegenteiliger Interessen geht, insbesondere um die Frage, inwiefern die Verfassungsmäßigkeit einer Partei zur politischen Diskussion eröffnet ist, stellen sich schwierige Rechtsfragen, die das BVerfG klären kann.
2. Begründetheit: Unterlassungsanspruch aus Art. 21 GG
Ob die momentane Debatte über die Verfassungsmäßigkeit der NPD und die Diskussion über das für und wider eines Verbotsantrages die Partei in ihrem Recht aus Art. 21 GG verletzt, lässt sich an dieser Stelle nicht abschließend beantworten, weil die tatsächlichen Grundlagen fehlen. Es lassen sich aber einige der rechtlich relevanten Fragen und Leitlinien für deren Beantwortung skizzieren.
Der Antrag der NPD ist begründet, wenn sie einen Anspruch gegen die Bundesregierung hat, Äußerungen, dass die Partei verfassungswidrig sei, künftig zu unterlassen.
a) Voraussetzungen des Anspruchs aus Art. 21 Abs. 2 GG
Es ist anerkannt, dass aus Art. 21 GG ein Anspruch der Partei folgt, dass andere Organe Handlungen unterlassen, die sie in ihrem Recht verletzen. Mithin bestünde ein Anspruch der NPD gegen die Bundesregierung, Äußerungen, die Partei sei verfassungswidrig, zu unterlassen, wenn derartige Äußerungen die Partei in ihrem Recht aus Art. 21 GG verletzen.
Zwar ist nicht eindeutig normiert, dass nach Art. 21 Abs. 2 GG auch Diskussionen über die Verfassungsmäßigkeit der Partei unzulässig sein sollen. Andererseits entspricht es aber durchaus seiner Stoßrichtung, dass eine Partei, die nicht vom BVerfG verboten ist, gerade als verfassungskonform behandelt werden muss. Diese Wertung legt es nahe, dass daher regierungsamtliche Zweifel nicht zu einer faktischen Umgehung des Verbotsmonopols des BVerfG führen dürfen.
Entscheidend ist aber vor allem Sinn und Zweck des Art. 21 GG insgesamt. Dieser soll die Chancengleichheit der Parteien wahren und sie vor staatlicher Einflussnahme schützen. Hiermit wäre nicht zu vereinbaren, wenn „der Staat“ durch die Verfassungsorgane Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat durch eine zielgerichtete Kampagne die Seriösität der NPD untergräbt. Solange sie nicht verboten ist, dürfen sich staatliche Organe eben nicht mit Äußerungen zu der Partei in den Wettstreit um die Wählergunst einmischen.
Daher können durchaus Meinungsäußerungen dahingehend, eine Partei sei verfassungswidrig, Art. 21 GG verletzen. Das könnte etwa der Fall sein, wenn die Bundesregierung ohne jeden Zusammenhang mit einem Verbotsantrag äußert, die NPD sei verfassungwidrig. Das widerspräche der Wertung des Art. 21 Abs. 2 GG. Dies gilt aber keineswegs für alle Meinungsäußerungen mit diesem Inhalt. Denn auch die Freiheit der Bundesregierung, derartige Äußerungen zu tätigen, ist grundgesetzlich geschützt.
Schon ihrer Natur nach ist die Debatte über die Verfassungswidrigkeit einer Partei auch eine politische, weshalb nicht jede Diskussion ausgeschlossen sein darf. Das gilt jedenfalls für die Stellung des Verbotsantrages: Nicht umsonst wird die Stellung des Antrags in § 43 BVerfGG politischen Organen übertragen und ihnen dort ein Ermessen („kann“) eingeräumt. Bei der Ausübung dieses Ermessens dürfen auch politische Erwägungen eine Rolle spielen (BVerfGE 5, 85, 129f.). Schon von daher ist eine gewisse Diskussion sogar zwingend notwendig. Im Rahmen dieser Diskussion muss daher auch die Äußerung der Rechtsansicht, eine bestimmte Partei sei verfassungswidrig und daher sei ein Verbotsantrag zu stellen, zulässig sein.
Daneben hat die Regierung im Rahmen ihrer Aufgaben auch das Recht und bisweilen sogar die Pflicht zu informieren und sich zu äußern (vgl. etwa BVerfG NJW 2002, 2621, 2623). Hierher gehört es etwa, wenn die Regierung die Beobachtung einer Partei durch die Sicherheitsbehörden anordnet oder diese bekannt gibt. Bei gegebenem Anlass (z.B. Bericht über Extremismus) muss man auch über mögliche Verbindungen der Partei zu verfassungsfeindlichen Kreisen berichten dürfen.
Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass die Mitglieder der Regierung nicht politisch neutrale „Verwaltungschefs“ sind, sondern ihnen auch eine politische Rolle zukommt. Diese üben sie insbesondere auch durch ihre Funktionen in der Partei aus. Dabei wird man ihnen nicht gänzlich verwehren dürfen, in ihrer Rolle als Parteifunktionäre auch zu vertreten, dass die Ansichten oder Handlungen einer Konkurrenzpartei verfassungswidrig seien. Denn das ist durchaus ein legitimes Argument im Parteienwettbewerb, den ja gerade Art. 21 GG schützen möchte. Daher muss Art. 21 GG auch in Hinblick auf die außerhalb der streng amtlichen Funktion ausgeübten Grundrechte, insbesondere auf Meinungsäußerung (Art. 5 GG), sowohl der Regierungsmitglieder wie auch ihrer Partei beschränkt werden.
Insgesamt kann daher erst nach Abwägung mit den oben aufgezeigten und sonstigen verfassungsimmanenten Werten von einer Verletzung des Art. 21 Abs. 2 GG gesprochen werden, die einen Unterlassungsanspruch auslöst.
b) Abwägung
Eine solche Abwägung wird eher zu Ungunsten der NPD ausfallen. Klar unzulässig wäre etwa eine gezielte Kampagne der Bundesregierung, den Ruf einer Partei durch Behauptung ihrer Verfassungswidrigkeit zu untergraben, ohne aber den Verbotsantrag zu stellen. Die Bundesregierung darf Art. 21 Abs. 2 GG nicht durch faktisches Handeln umgehen.
Dass dagegen die Partei vom Verfassungsschutz beobachtet wird, dürfte nicht zu bestanden sein. Hierfür gibt es hinreichenden Anlass, denn tatsächlich sind Mitglieder der Partei mit verfassungsfeindlichem Gedankengut wiederholt aufgetreten. Auch dass es eine politische Debatte über die Frage der Verfassungsmäßigkeit der NPD gibt, ist zunächst nicht Gegenstand eines Organstreitverfahrens und im Übrigen auch von Art. 5 Abs. 1 GG der anderen Diskussionsteilnehmer gedeckt. Im vorliegenden Kontext spielen allenfalls die Beiträge der Bundesregierung und der Mitglieder der Bundesregierung eine Rolle. Dabei ist (meiner Kenntnis nach) in amtlicher Eigenschaft nie verlautbart worden, die NPD sei verfassungswidrig, allenfalls, dass es insofern Beobachtungsbedarf gäbe. Wenn dagegen einzelne Mitglieder der Bundesregierung diese Meinung vertreten haben, dann M.E. weniger in dieser Eigenschaft, als vielmehr als Akteure in der politischen Debatte. Das ist auch den Mitgliedern der Bundesregierung nicht verwehrt – siehe oben. Sie müssen vielmehr gerade im Rahmen des politischen Prozesses auch politisch handlungsfähig bleiben. Daher deckt auch bei ihnen Art. 5 Abs. 1 GG entsprechende Meinungsäußerungen jedenfalls bis zu einem gewissen Maße. Dieses ist wohl nicht überschritten worden.
Hier kommt es natürlich genau auf den vom BVerfG zu ermittelnden Sachverhalt an. Ich bin von dem Stand ausgegangen, der mir aus den Medien bekannt war.
IV. Verfassungsbeschwerde
Jedenfalls theoretisch kommt auch eine Verfassungsbeschwerde der NPD in Betracht. Angesichts der Antragsfassung wird eine solche jedoch nicht vorliegen, weil die Inanspruchnahme von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat nur im Rahmen des Organstreits möglich ist. Ferner kann die Partei das Recht aus Art. 21 GG nach hM mangels Grundrechtseigenschaft nicht im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend machen.
Über den Inhalt des Antrags muss man sich gar nicht so viel aus der Presse zusammen reimen. Der ist auf der Internetseite der NPD einsehbar. https://www.npd.de/inhalte/daten/dateiablage/negativer_verbotsantrag.pdf
„Ferner kann die Partei das Recht aus Art. 21 GG nach hM mangels Grundrechtseigenschaft nicht im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend machen.“ (IV. 3. Satz)
Könnten Sie diesen Satz bitte noch näher erörtern? Meines Erachtens können sich Parteien i.S.d. Art. 21 GG nach Art. 19 Abs. 3 GG auf alle Grundrechte berufen und diese Rechte auch im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend machen, soweit sie ihrem Wesen nach auf sie anwendbar sind. Was übersehe ich? Parteien können auch aus Art. 21 GG verletzt sein, z.B. durch ein sie benachteiligendes Bundeswahlgesetz etc.
Hallo Frederick,
das ist ganz richtig. Die Parteien können sich auf Grundrechte berufen. Hier war aber (so lese ich den Satz) gemeint, dass diese sich nicht isoliert auf Art. 21 GG berufen können, da dieser kein Grundrecht enthält. Art. 21 GG knüpft vielmehr an die Grundrechte an und modifiziert diese. Verletzt sein kann daher nur der Grundsatz der Chancengleichheit aus Art. 3 i.V.m. 21 GG (häufig noch zudem genannt i.V.m. dem Demokratieprinzip). „Grundrechtseigenschaft“ war insofern missverständlich.
Wobei der Grundsatz der Chancengleichheit hier nur ein Beispiel war. Es ließen sich auch andere Konstellationen denken.
Genauso war der Satz gemeint – Art. 21 GG ist nach hM kein Grundrecht und kann daher nicht im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden.
„Dabei ist (meiner Kenntnis nach) in amtlicher Eigenschaft nie verlautbart worden, die NPD sei verfassungswidrig, allenfalls, dass es insofern Beobachtungsbedarf gäbe.“
Widersprichst du dir mit diesem Satz innerhalb der Begründetheit nicht, wenn du oben bei Zulässigkeit/Antragsgegenstand sagst, dass eine Zurechnung zur Bundesregierung deshalb stattfindet, weil sich die Regierungsmitglieder in amtlicher Eigenschaft geäußert haben?
Hallo,
Eine Frage von einer türkischen Juristin aus İstanbul an die deutschen Kollegen.
Warum hat NPD nicht vor dem Verwaltungsgericht geklagt? auf Unterlassung solcher Aeusserungen.
Der Rechtsweg ist ja sonst nicht erschöpft.
Könntet Ihr mir eine Antwort schreiben?
Danke
Soweit die NPD geltend macht, von Äußerungen der Bundesregierung oder Teilen davon in ihrem Recht aus Art. 21 II S.2 GGverletzt zu sein, ist für sie das Organstreitverfahren vor dem BVerfG einschlägig, nicht die Verfassungsbeschwerde. Das resultiert aus der Mittlerstellung einer Partei im Übergangsbereich zwischen Bürger und Staat. Einen vor Anrufung des BVerfG zu beschreitenden Rechtsweg gibt es im Bereich des Organstreits nicht.
Bei einer entsprechenden Klage vor dem BVerfG wäre der Verwaltungsrechtsweg nicht nach § 40 I 1 VwGO eröffnet, da die Streitigkeit „verfassungsrechtlicher Art“ ist.
Anders wäre das u.U. wenn die NPD sich auf ihre Betätigungsfreiheit beruft (Art. 9, 19 III i.V.m. 21 GG). Hier könnte ein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch hins. eines Grundrechts bestehen.