Aktuelle examensrelevante verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung
In den letzten Tagen sind eine Reihe von öffentlich-rechtlichen Problemkreisen durch die verwaltungsgerichtliche Judikatur gegangen. Kandidaten, für die bald die mündliche Prüfung ansteht, sollten sich deshalb mit den im Folgenden genannten Problemkreisen einmal kurz auseinandergesetzt haben. Daneben ist es sehr wahrscheinlich, dass die folgenden Sachverhalte zu gegebener Zeit auch als Aufhänger in Klausuren für das erste sowie zweite Staatsexamen Eingang finden werden.
VG Gelsenkirchen: Stadt darf Rechtsextremisten in Informationsbroschüre namentlich benennen
Die Stadt Dortmund darf in ihrer Informationsbroschüre „Rechtsextreme Strukturen in Dortmund, Formationen und neuere Entwicklungen – ein Update 2012“ ein führendes Mitglied der rechtsextremen Szene in Dortmund auch namentlich benennen. Einen Antrag des Betroffenen, der Stadt die namentliche Benennung im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, lehnte die 12 Kammer des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen ab (Beschluss vom 28.09.2012 – 12 L 874/12).
Die Stadt Dortmund gab 2011 im Rahmen ihres Aktionsplans gegen Rechtsextremismus über die Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie eine Studie über die Entwicklung der rechtsextremen Szene in der Stadt in Auftrag, deren Ergebnisse in der oben genannten Broschüre veröffentlicht wurden. Im Text wurde der Antragsteller im Zusammenhang mit den „Autonomen Nationalisten“ namentlich genannt und als „Anführer der Nationalen Front Eving“, „lokaler Meinungsführer“, als „Helfer“ anderer Rechtsextremer und als „Neonazi“ bezeichnet.
Diese Äußerungen wertete die Kammer als Werturteile, die den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreiten und auf einem im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachlich und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen. Zwar sei der Antragsteller dadurch in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht betroffen, dieser Eingriff sei jedoch rechtmäßig, weil sich die Stadt bei der Veröffentlichung der Studie im Rahmen der ihr zugewiesenen Aufgaben bewege und die rechtsstaatlichen Anforderungen an die Sachlichkeit und Verhältnismäßigkeit hoheitlicher Äußerungen gewahrt seien. Die streitgegenständliche Studie betreffe das unmittelbare Umfeld der Gemeindeeinwohner, da sie zielgerichtet die Versuche rechtsextremer Gruppierungen untersucht, Einflusssphären zu gewinnen und lokale Räume im Alltag zu besetzen. Gegenstand der Studie sei nicht die zielgerichtete Beobachtung und Untersuchung verfassungsfeindlicher, verfassungsgefährdender, sicherheitsgefährdender oder geheimdienstlicher Bestrebungen im Allgemeinen, die in die Zuständigkeit der Verfassungsschutzbehörden falle, sondern die spezielle Untersuchung, wie sich das Phänomen des Rechtsextremismus auf örtlicher Ebene darstellt.
Die namentliche Nennung des Antragstellers sei, gemessen an dem Ziel der Veröffentlichung, auch nicht unverhältnismäßig. Nur die freie öffentliche Diskussion über Gegenstände von allgemeiner Bedeutung sichere die freie Bildung der öffentlichen Meinung, die sich im demokratischen Gemeinwesen notwendig pluralistisch im Widerstreit verschiedener und aus verschiedenen Motiven vertretener Auffassungen vor allem in Rede und Gegenrede vollziehe. Der Antragsteller könne nicht mit Erfolg geltend machen, von dritter Seite negativ auf die Schrift angesprochen und beschimpft worden zu sein. Wer sich selbst in führender Funktion politisch betätige und mit seiner Überzeugung mehrfach selbst in die Öffentlichkeit getreten sei, der müsse im politischen Diskurs hinnehmen, mit seinen politischen Überzeugungen öffentlich identifiziert zu werden.
VGH Mannheim: „Gehsteigberatung“ schwangerer Frauen verboten
Die gezielte Ansprache von Frauen auf eine Schwangerschaft oder gar einen Schwangerschaftskonflikt in der Nähe einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle (sog. „Gehsteigberatung“) verletzt das Persönlichkeitsrecht der angesprochenen Frauen. Dies hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Urteil vom 19.10.2012 – 1 S 36/12 entschieden (siehe dazu auch die instruktive Pressemitteilung des VGH Mannheim hier).
VG Koblenz: Klage gegen nachmittägliche Nutzung eines Schulhofes
Ein Ehepaar ist vor dem Verwaltungsgericht Koblenz (Urteil vom 27.09.2012 – 7 K 985/11.KO) mit seiner Klage gegen die Nutzung des benachbarten Schulhofes durch Kinder auch außerhalb der Unterrichtszeiten gescheitert, teilte das Verwaltungsgericht Koblenz mit. Kinderlärm sei als sozialadäquat von der Nachbarschaft hinzunehmen. Die Gemeinde, die bereits Schilder angebracht habe, um übermäßige Lärmbelästungen zu verhindern, hafte auch nicht, wenn Dritte den Schulhof für Trinkgelage oder als Parkplatz missbrauchten (mehr dazu hier).
VG Osnabrück: Krematorium im Gewerbegebiet
Das VG Osnabrück hat entschieden (Urteil vom 10.10.2012 – 2 A 118/10), dass ein Krematorium für Humanleichen in einem Gewerbegebiet unzulässig ist. Das Verwaltungsgericht hat die Klage einer Firma abgewiesen, die auf einem Grundstück innerhalb eines festgesetzten Gewerbegebietes ein kommerziell geführtes Krematorium für Humanleichen betreiben will. Das Gericht hat dazu klarstellend ausgeführt, dass es sich bei dem Vorhaben entgegen der Behauptung der Klägerin nicht nur um eine auf den technischen Vorgang des Verbrennens von Leichen beschränkte Anlage handele, sondern um ein Krematorium mit einem Abschiedsraum. Das ergebe sich daraus, dass die Klägerin auch die Baugenehmigung für ein – diesem Zweck entsprechend in das Gebäude integriertes – „Familienzimmer“ beantragt habe, um Angehörigen Verstorbener die Möglichkeit zu geben, während der Einäscherung anwesend zu sein. Ein solches Krematorium sei in einem Gewerbegebiet weder allgemein noch ausnahmsweise zulässig. Dazu hat das Gericht unter Berufung auf die jüngste diesbezügliche Rechtsprechung des BVerwG (BVerwG, Urt. v. 02.02.2012 – 4C 14/10) im Wesentlichen ausgeführt, eine derartige Anlage vertrage sich nicht mit der Zweckbestimmung eines Gewerbegebietes. Ein Gewerbegebiet diene der Unterbringung verschiedenartigster Betriebe des produzierenden Gewerbes sowie artverwandter Nutzungen und werde deshalb durch entsprechende Geschäftigkeit, Geräusche und Unruhe geprägt.
Gegen derartige Störungen sei ein Krematorium mit Abschiedsraum ganz besonders empfindlich. Es stelle nach der herrschenden gesellschaftlichen Anschauung zum Umgang mit dem Tod und nach der kulturellen Bedeutung eines Krematoriums der hier betroffenen Art einen Ort der Ruhe, des Friedens sowie des kontemplativen Gedenkens an die Verstorbenen dar. Dazu stünden der in einem Gewerbegebiet übliche Umgebungslärm, die allgemeine Geschäftigkeit und Unruhe in einem nicht überbrückbaren Gegensatz (wir berichteten bereits über diese Problematik, die schon mehrfach Gegenstand von Examensklausuren war, siehe dazu hier und hier).
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